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Gruß aus dem toten Winkel, Sonne scheint, Essen ist gut

HEISE SCHEISE ist der bitterböse Newsletter über Netzwelt, Medien, neues Arbeiten und extrem viel Privatleben. Du hast ihn abonniert, weil du es so wolltest. Heute bin ich leider vulnerabel.

Ob etwas blöd ist, ist ja oft eine Frage des Blickwinkels. Ich glaube, ich gucke seit ein paar Wochen durch den toten Winkel. Was passiert ist, weiß ich auch nicht mehr. Als Katrin auf Odyssee eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie ihren Blickwinkel zu einem ungeheueren toten Winkel verwandelt. Es könnte alles so schön sein. Ist es aber gerade nicht.

Bemerkt habe ich es erst, als mich im April jemand nach dem Verbleib dieses Newsletters fragte. Ich sprach die Antwort aus, bevor ich sie jemals gedacht hatte: “Ich kann nur schreiben, wenn ich halbwegs mental stabil bin”. Das war mir auch neu. So ganz stimmt das auch nicht. Aber ich schreibe hier ja auch nicht für mich allein.

Es ist also eine depressive Episode. Sorpresa! Die letzte ist ein paar Jahre her. Wurde also vielleicht mal wieder Zeit für sie.

Depressive Episoden brauchen Abwechslung. Meine manifestiert sich diesmal als Pechsträhne.


Da gibt es Kämpfe an allen Fronten. Nix will gelingen. Ich habe im Getümmel wirklich schon oft mit der weißen Fahne gewedelt. Habe auch schon kräftig zugebissen. Diesmal passiert einfach nix. Keine plötzliche Wendung, nirgends. Wird schon.

Dankbar für das Wunder, dass da Leute in meinen Kreisen sind, die ganz andere Blickwinkel haben. 90 bis 180 Grad. Ganz wenige sogar 360, in besonders lichten Momenten.

Mit der Kunst ist das dann ja immer so eine Sache.

Einerseits ist nichts in so einer Episode für mich wichtiger als kreative Räume, wo der ganze Kram hin kann. Andererseits kann der Frust sich auch ausgerechnet hier manifestieren – und man hört auf. Das ist mir mit der SCHEISE ein bisschen so passiert. 

Ich bin relativ erfolglos mit meinen Sachen. Meistens ist mir das egal. Vom toten Winkel aus gesehen ist es aber fünf Mal schlimmer als sonst. Ich habe einen unglaublichen Groll auf meinen Kreativschmonz. Dabei ist der am wenigsten Schuld.

Unsere Mucke zum Beispiel (Spotify (Öffnet in neuem Fenster) / YouTube (Öffnet in neuem Fenster)) gefällt sogar den meisten meiner Freunde nicht. Kürzlich wurden wir für einen Gig angefragt. Ganz am Schluss, als schon die Maße der Bühne durchgegeben worden waren, ergänzte man kleinlaut: “Aber könntet ihr vielleicht eure alten Sachen spielen? Das neue Genre ist eher nix”. Wir haben gelacht, aber danach hat es uns bestimmt beide noch gejuckt. Die größte Gratulation war mal: Krass, ihr seid auf Spotify! Wie cool seid ihr denn! Dude. Jeder kann zu Spotify. Einen Song auf Spotify zu laden, kostet dich 20 Euro. Du musst einfach nur zu einem Dienstleister gehen und das Geld überweisen. Es ist literally das Einzige an unserer Arbeit, das nicht 1.000 Stunden gedauert hat.

Diesen Newsletter lesen ein paar hundert Leute. Der wächst auch nicht mehr. Pro Monat kommen vielleicht 4-5 neue Subscriber. Mit News-Recherche, Kommentar, Aufhänger und Aufbereitung kostet mich eine Ausgabe zwischen 4 und 5 Stunden. Kein Problem, ich habe was zu sagen, also mache ich das gerne. Unmittelbar nach dem Absenden verliere ich 1-2 Subscriber. Danach sehe ich oft, wie irgendein Bockmist mit halb so viel Informationswert bei LinkedIn viral geht oder irgendein Typ mit viertel so viel Wissen als Experte irgendwo gebucht wird. Manchmal könnte ich dann 3 Tage lang heulen. Eine Frage des Blickwinkels. Ich muss anfangen, Allgemeinplätze bei LinkedIn zu posten, ohne dabei langsam zu sterben.

Ich habe HEISE SCHEISE nie mit der Ambition gestartet, dass sie jemand liest. Ich wollte schreiben. Wir haben auch nie mit der Mucke gestartet, damit sie jemand hört. Wir wollten Musik machen. Aber Leute, die auch irgendwas Kreatives mit Herzblut machen, wissen, was ich meine.

Irgendwann hockt man sich hin, recherchiert, schreibt, liest und macht, hat etwas besonders Geiles hinbekommen und denkt sich: Liebe Weltbevölkerung, das ist das Beste, was jemals gemacht wurde. BAUT IHM EINEN SCHREIN.

Stattdessen: Diese seltsame Leere, wenn der Newsletter abgesendet, der Song veröffentlicht, das Video hochgeladen ist.


Jedes Mal, wenn ich einen Artikel fertig habe, denke ich, ich würde nach Veröffentlichung voll Einen drauf machen. Stattdessen sacke ich erst einmal zusammen. War ich im Schaffensprozess noch voll von Rausch und Euphorie, holt mich unmittelbar nach Veröffentlichung der Kater ein. Oft dauert es bis zu 3 Stunden, bis ich wieder halbwegs guter Dinge bin. Natürlich hat das auch etwas mit Gewohnheiten zu tun. Social Media verwöhnt mich unmittelbar mit Dopamin. Posteingänge schweigen länger.

Auch nach dieser Ausgabe wird es mir seltsam gehen. Diesmal wird hinzukommen, dass es mir unangenehm ist, dass ich von doofen Gefühlen erzählt habe. Die Leute wollen News, News, News! Spritzige Anekdoten! Formvollendete Pointen! Von meinen Gefühlen berichte ich lieber, wenn sie witzig und gefällig sind – erzählt aus der Perspektive einer Gewinnerin. Die andere Seite der Medaille: Wenn ich gar nichts zu Papier bringe, geht es mir langfristig noch schlechter. So here we are now.

Ich habe also aufgehört und jetzt fange ich wieder an. Das wird der depressiven Episode nicht gefallen. Aushalten. Weitermachen. Weiße Fahne schwingen.

Wie geht es dir?

Aus dem toten Winkel grüßt,
deine Katrin