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Am Gruschel-Grab: Ein letzter Login bei studiVZ

Das war's: Am 31.03. geht studiVZ endgültig, also jetzt WIRKLICH, offline. Nach einer geschlagenen Stunde habe ich mein altes Passwort geknackt – und mache einen letzten Spaziergang auf der Memory Lane.

"Bist Du schon drin?". Gleich, studiVZ, gleich. Mein Passwort: 6 Zeichen, alles klein, keine Zahlen, keine Sonderzeichen. Oddly satisfying.

studiVZ, der Ort, an dem man Privatgespräche offen über Pinnwände austrug, weil man sich sonst nirgendwo ein bisschen exposen konnte – schließlich gab es noch nicht einmal Selfies. Theoretisch war jede Party der späten Nuller- und frühen Zehnerjahre eine Bad Taste Party, aber bei studiVZ verabredeten wir uns regelmäßig zu ebensolchen, um zu Mr Brightside von The Killers Bacardi Razz zu killen. Wie stolz ich war, als ich schließlich 2010 von studiVZ auf meinVZ wechselte – was eigentlich nur bedeutete, dass rote und blaue Elemente auf der Seite plötzlich orange und schwarz dargestellt wurden. Status: im Berufsleben. That girl's got her sh*t figured out!


Unbestreitbar USP von studiVZ: die Gruppen
. Die Briefmarkensammlung der digitalen Nuller lebt noch heute vereinzelt in Tinder-Bios weiter. Eigentlich gab es nur zwei simple Moods und sie hießen lustig oder deep. Mit einer erlesenen Auswahl von Gruppen konnte man Herzen erobern. Sie entschieden, ob man zu den Coolen gehörte oder nur Allgemeinplätze bediente (Öffnet in neuem Fenster). Ich lehne Nostalgie grundsätzlich ab (Menschen unter 60 machen mehr Gebrauch davon als gut für sie ist), aber: Gruppen hätte ich so oder so ähnlich schon gerne zurück. Wie leicht wäre das Leben, könnte ich zum Beispiel die 20 Lieblingstweets einer Person direkt einsehen, um sie besser kennenzulernen. Und wo wir schon dabei sind: Eine Möglichkeit, die prozentuale Übereinstimmung des Musikgeschmacks zu checken – wie damals bei last.fm –, darf dann auch direkt sein Comeback feiern.

Das Internet vergisst nie, hat man uns immer gesagt. Aber jetzt vergisst es eben schon.


Da ist keine Trauer. Keine Regung, außer vielleicht eine sanfte Überraschung: "Ach, das gab's noch?". Tot ist studiVZ schon seit einer halben Ewigkeit. Ich bin nur zur Grabauflösung hier. 

Wenige sind gekommen. Die meisten meiner Freunde haben sich gelöscht, auf meiner Pinnwand gratuliert seit Jahren Lea (VZ-Moderatorin) einsam zum Geburtstag, ein Fremder hat mir 2011 meinen offiziell letzten Gruschler geschickt. Immerhin: In den ungelesenen Nachrichten stellt sich heraus, dass die Schwester meines damaligen Exfreundes trotz Trennung gern den Kontakt halten würde. Vermutlich sind 11 Jahre Verzögerung etwas spät, um zu erwidern, wie schade auch ich es fand, dass mit ihm auch sie schlagartig aus meinem Leben verschwand.

Warum bin ich wirklich hier, an diesem gottverlassenen Ort ohne Wiederkehr? Weil es ja schon ein kleines historisches Ereignis ist, was hier gerade passiert: Das Internet vergisst nie, hat man uns immer gesagt. Aber jetzt vergisst es eben schon. Und es vergisst nicht Geringeres als die prägenden, irrenden, wirrenden Saufjahre vieler Millenials. Etwas feierliche Stimmung ist ok, oder? Sichert euch die Peinlichkeiten, so lange ihr es noch könnt – das Internet wird es diesmal nicht für euch tun.

  • Habt ihr euch schon einmal heimlich gefragt, was das Metaverse eigentlich sein soll – und warum darüber geredet wird, obwohl es irgendwie gar nicht wirklich da ist? Wie viele andere vermutete ich, es handele sich um eine Art Upgrade von Second Life, um seinen Freunden mithilfe von VR auf die Schulter klopfen zu können. Das Interesse hielt sich in Grenzen: Brauchma nich, machma nich! Im Artikel Warum weiß niemand, was das Metaverse ist? (Öffnet in neuem Fenster) fasst Gregor Schmalzried sehr gut (und in einfacher Sprache! Sogar mit übersichtlichen Stichpunkten!) zusammen, worum es eigentlich geht: die Zukunft des Internets als neuer Lebens- und Handelsraum im Allgemeinen. Und die kommt nicht mit einem großen Launch, sondern Schritt für Schritt – und wird uns alle betreffen.

  • Die besten Hits von Heute – gibt es die noch? Bei TikTok wird Klapphandys hinterher geheult und durch den Hypetrain werden jahrzehntealte Songs regelmäßig in die Charts gefahren. Die Popkultur verläuft nicht mehr linear. In seinem Newsletter cool genug (Öffnet in neuem Fenster)beschreibt Gregor Schmalzried (nein, ich bin noch nicht fertig mit Gregor) Nostalgie als die "Driving Force" unserer Zeit. Ein bisschen emo, aber ich mag's: "Vermutlich ist [das kulturelle Ende der Geschichte] der Wunsch danach, unsere Ichs parallel aufzuspalten in die Zeitepochen, in denen es sich noch nicht permanent so angefühlt hat, als würde alles den Bach runtergehen". Da ist was dran, denn erstaunlich fand ich schon, dass der neue Disney-Film Turning Red über die Pains und Gains der Pubertät in den frühen Nullerjahren spielt.

  • Mein Freund Philipp machte mich darauf aufmerksam, dass gerade ein Vibe Shift bevorsteht  – aber keiner kann wirklich erklären, was der Vibe Shift eigentlich ist. Es sind sich nur alle einig, dass er kommt und wir ihn als globale Gesellschaft gerade live miterleben. The Cut schreibt darüber (Öffnet in neuem Fenster), The Verge auch (Öffnet in neuem Fenster) – und The Guardian sowieso (Öffnet in neuem Fenster). Aber so richtig greifen kann man ihn vermutlich erst, wenn er durch ist. Die Vibe Shifts der letzten 20 Jahre:

Das war's schon wieder mit den unbestreitbar relevantesten Medien-News der Woche. Hat es euch gefallen? Dann abonniert und empfehlt HEISE SCHEISE (Öffnet in neuem Fenster) euren kleinen Freundinnen und Freunden! Und antwortet mir doch, wenn euch mal danach ist.