Wie Nela ihren mutmaßlichen Täter fand
"Erkennst du mich wieder?"
Als dieser Artikel seinen Anfang fand, war das Ende noch unklar. Eine Sache aber ist sicher: Nela ist eine von vielen Betroffenen, die sich von Staat und Polizei im Stich gelassen fühlen. Jede dritte Frau in Österreich ist von Gewalt betroffen. Nela traf ihren mutmaßlichen Täter drei weitere Male, immer in der gleichen Gegend. Die Polizei konnte ihn an keinem der Male schnappen. In der Nacht, als sie ihn zuletzt getroffen haben soll, fällt sie einen Entschluss: Sie will sich selbst darum kümmern, dass er gefangen wird.
In dieser Geschichte geht es um den Mut einer jungen Frau, die nicht aufgeben wollte, als ihr weder Freund noch Helfer beiseite standen. Es geht um die kollektive Entscheidung vieler Einzelner, nicht wegzusehen, wenn das System Lücken und Gefahren birgt. In dieser Geschichte geht es allerdings nicht darum, das Gesicht eines einzelnen Mannes in die Öffentlichkeit zu zerren oder dazu aufzurufen, Gesetze zu brechen.
Dies ist die Geschichte von vielen Betroffenen - der Unterschied ist nur, dass diese an die Öffentlichkeit kam. TW Gewalt.
Fotos und Text: Alexandra Stanić
Redaktionelle Mitarbeit: Sarah Nadj
Nela war spät dran zur Geburtstagsfeier einer guten Freundin. Am 5. Februar 2022 verließ sie ihre Wohnung gegen 21 Uhr. Sie trug eine schwarze Daunenjacke, schwarze Glockenhosen und weiße Nike Air Force. Die Eingangstür ihres Wohnhauses stand offen. Es war eine kühle Nacht und ihre Wohngegend ruhig. Typisch Wien, selbst Samstagabend ist die Stadt bis auf ein paar Hot Spots wie leergefegt. Auf dem Weg zur U-Bahn fielen ihr zwei Männer auf, die etwa etwa zehn Meter vor ihr gingen. Einer flüsterte dem anderen etwas zu, dann soll alles sehr schnell gegangen sein. Einer von ihnen soll ihr nahe gekommen sein, Süße gemurmelt haben. Er soll versucht haben, ihr an den Hintern zu fassen. Nela wich aus, sie konnte nur noch fragen:
"Was willst du?"
Als Antwort soll er sie an ihrer Daunenjacke gepackt und ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Er soll einen Ring getragen haben, der der Grund für die Schürfwunde an Nelas rechter Wange sein soll. Sie schnitt sich mit ihren Zähnen in die Innenseite ihrer Wangen. Sie erhielt später eine ärztliche Bestätigung, die den Vorfall dokumentierte.
Nela handelte wie automatisiert, griff in der Sekunde, in der die Männer davon liefen, nach ihrem Handy und rief die Polizei. Nela wartete zehn Minuten lang in ihrer Wohnung, ihre Mitbewohnerin blieb bei ihr. Nela war außer sich und in Schock. Die Beamten brachten sie zur Wache, sie erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Die beiden Männer waren spurlos verschwunden.
Sieben Tage lang verließ sie ihre Wohnung nicht.
Die 22-Jährige konnte sich nicht überwinden, vor die Tür zu gehen, die Angst war zu groß. "Mir ist sowas noch nie passiert" sagt sie. Die Angst: Die beiden Männer kennen ihre Wohnadresse. Was, wenn sie den mutmaßlichen Täter wieder sieht?
Ihre Sorge wird sich als berechtigt herausstellen.
Nela beschreibt sich selbstbewusst. Sie wird sich im Laufe der Geschichte auch als hartnäckig herausstellen. Sie sei nicht auf den Mund gefallen und kontere schlagfertig bei Catcalling von Männern. "Ich bin zwar eine dünne Frau, aber ich weiß mich zu wehren", sagt sie und zeigt mit dem Finger auf sich selbst. Sie trägt ein weißes Tank Top und Jeans mit heller Waschung. Pfefferspray kann oft gegen Opfer verwendet werden und ist daher nicht immer die beste Maßnahme. An Nelas Gürtelschlaufe der Jeans hängt trotzdem, griffbereit: Pfefferspray. "Ich habe mir Gagdets geholt, ohne die ich nicht mehr aus dem Haus gehe", sagt die 22-Jährige.
"Wenn der Staat dich nicht schützt, musst du dich selber schützen."
Der größte Schock war der unerwartete Faustschlag. "Seine Augen waren hasserfüllt, sein Gesichtsausdruck extrem aggressiv", erinnert sie sich. Als sie sich das erste Mal nach dem Angriff vor die Tür traute, nur in Begleitung ihrer Mitbewohnerin, sah sie ihn. Sie entdeckte ihn in der gleichen Gegend wie in der Tatnacht: U3 Schweglerstraße. Die jungen Frauen verfolgten die Männer, die schnell davon Wind bekamen und den Abstand zwischen ihnen vergrößerten. Nela schaffte es, Fotos von ihm zu machen. Auf den Fotos lächelt er schelmisch. Das Grinsen brannte sich in Nelas Kopf. Die Männer sollen um die Ecke verschwunden sein, woraufhin Nela zur nächsten Polizeistation ging und die Fotos abgab. Sie war sich sicher, die Polizei könnte nun besser ermitteln.
Ein ganzes Jahr verstrich. Nichts passierte. Dann traf sie wieder auf ihren mutmaßlichen Täter.
21. Mai 2023: Nela machte sich gegen vier Uhr morgens auf den Weg nach Hause. Sie erkannte ihn sofort. Er trug einen grauen Pullover mit weißen und schwarzen Streifen in der Mitte, darüber eine dünne, schwarze Jacke und eine schwarze Kappe. Sie lächelte ihn provokativ an. "Ich wollte ihn einschüchtern", erklärt sie. Sie stiegen in die gleiche U-Bahn und hatten das gleiche Ziel: die U3-Station Schweglerstraße. Er kam ihr in der U-Bahn nicht zu nahe, aber er schien ihr auch nicht aus dem Weg zu gehen. Nela machte ein Foto aus etwa zwei Metern Entfernung. Sie saß an einem Vierersitz mit Blick auf ihn, er lehnte neben der U-Bahn-Tür.
Er soll vor der Station entspannt eine Zigarette geraucht haben. Nela rief unauffällig die Polizei und wartete. Nach der Zigarette soll er die sonst so volle, zu dieser Uhrzeit aber leere Märzstraße entlang spaziert sein. Er soll sich nicht noch einmal nach ihr umgedreht haben. Sie blieb versteckt. Er war außer Sicht, bevor die Polizei ankam. Die nächste Polizeistation ist 700 Meter von der U-Bahnstation U3 Schweglerstraße entfernt. Die Fahrtzeit mit dem Auto beträgt zwei Minuten. Nela fühlt sich im Stich gelassen. Sie fragt:
"Wie oft muss ich noch Glück haben, bis etwas Schlimmeres passiert?"
Nela ist ihrem mutmaßlichen Täter insgesamt drei Mal über den Weg gelaufen: immer in der gleichen Gegend, immer kam die Polizei innerhalb von zehn bis 15 Minuten und jedes Mal war das zu spät.
Journalistin und Autorin Yvonne Widler sieht die Polizei in der Verantwortung, um das Sicherheitsgefühl von Betroffenen zu erhöhen. "Es wäre angebracht, dass man in diesem Gebiet die Streifen erhöht", sagt Widler. Sie schreibt in ihrem Buch "Heimat bist du toter Töchter" über Männergewalt und erklärt, warum Misogynie so tief in Österreichs Wurzeln verankert ist. "Vielleicht gibt man dieser Frau eine konkrete Nummer, die sie anrufen kann, wenn sie mal wieder Angst hat, damit gleich jemand da ist." Die Frage sei aber auch, wie ein öffentlicher Raum sicherer gemacht werden kann. "Die Antwort kann nicht sein, dass sich Frauen und queere Personen ständig schützen müssen", sagt Widler. Die Gesellschaft müsse sich verändern, denn Österreichs Misogynie zeigt sich in unbekannten gewalttätigen Übergriffen genauso wie in gewalttätigen Beziehungen.
Genug ist genug
Zuletzt traf Nela ihren mutmaßlichen Täter am 26. August 2023. Wieder mitten in der Nacht. Nela lief die Rolltreppe hinauf und spürte die Nähe eines Fremden. Frauen und queere Personen kennen das Gefühl, es ist die innere Warnleuchte, die vor Gewalt schützen soll. Eine traurige Konsequenz, die dem Patriarchat zu verdanken ist. Am Ende der Rolltreppe blieb sie instinktiv stehen, um die Person an ihr vorbeiziehen zu lassen. Aber die Person blieb stattdessen neben ihr stehen und fragte:
"Erkennst du mich wieder?"
Da ist es wieder, das aggressive Gesicht und das schelmische Grinsen. Mitten in der Nacht stand er ihr zum Schlagen nahe. Nela hatte sich seit der Tatnacht oft gewünscht, sie hätte sich körperlich gewehrt und zurückgeschlagen. In der Nacht vom 26. August entschied sie sich zur Deeskalation.
"Nein, keine Ahnung"
Sie log aus Selbstschutz.
"Ich erkenne dein Gesicht aber"
Sie stand unter Schock, distanzierte sich vorsichtig ein paar Meter von ihm. Sie griff nach ihrem Handy und rief wieder die Polizei. Er bemerkte das und ließ sie stehen. Aber ihr Schock war nun gewichen, sie kochte vor Wut. Dieses Mal wollte sie ihn nicht entkommen lassen und verfolgte ihn alleine.
"Hey, bleib stehen. Hast du eine Tschick?"
Sie versuchte ihn mit gespieltem Interesse zu locken und Zeit zu schinden, bis die Polizei kam. Er aber entfernte sich immer mehr, zwanzig Meter später, und er war um die Ecke verschwunden. Keine Spur mehr von ihm. Die Polizei konnte ihn nicht finden.
Eine Nachfrage bei der Landespolizeidirektion (LPD) Wien, wie die Ermittlungen konkret in Nelas Fall liefen, ergab folgende Antwort: "Erst vor wenigen Tagen wurde durch eine Streifenbesatzung in diesem Fall ein erneuter Täterschaftshinweis in 1150 Wien wahrgenommen und protokolliert."
Dieser Täterschaft-Hinweis könnte Nelas Anruf vom 26. August gewesen sein. Bestätigt hat die LPD Wien das nicht.
Nachdem sie ihren mutmaßlichen Täter ein weiteres Mal nachts in der U-Bahn antraf und die Polizei ihn nicht fassen konnte, veröffentlichte Nela ihre Erfahrungen auf Instagram. Sie teilte Fotos von ihm und ihren Verletzungen vom Februar 2022 noch in derselben Nacht. Eineinhalb Jahre später, nachdem sie ins Gesicht geschlagen wurde, reichte es ihr. Sie fühlte sich machtlos und wollte sich wehren.
Über 10.000 Personen sahen Nelas Instagram-Story. Zahlreiche andere Frauen kontaktierten sie und berichteten von Übergriffen, die derselbe Mann begangen haben soll.
Einer Person soll er in der Donau nachgeschwommen sein. Einer anderen jungen Frau soll er bis vor ihre Haustür hinterhergegangen sein. Eine der Betroffenen ist nach eigenen Angaben erst 15 Jahre alt. Die meisten Betroffenen wollen anonym bleiben, aber eine der Frauen ist bereit, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Ihr Name ist Melanie, sie ist 21 Jahre und studiert Psychologie. Sie soll vor etwa drei Monaten von demselben Mann verfolgt worden sein. Abends nach der Arbeit nahm sie die U3 zum Westbahnhof und wartete dort auf die Bim. Dort soll sie den Mann gesehen haben, er soll mit ihr in die Straßenbahn gestiegen sein und sich neben sie gesetzt haben. "Dann hat er erstmal nur eklig geschaut", erzählt Melanie. “Ich habe mir nichts gedacht, weil das ja öfter passiert." Unwohl fühlte sie sich erst, als er mit ihr ausgestiegen sein soll. "Er verfolgte mich aus etwa zehn Metern Entfernung", sagt die Studentin. "Ich wollte nicht vor meiner Haustür stehen bleiben, damit er nicht weiß, wo ich wohne." Irgendwann soll sie sich aus Not zu einer Gruppe von jungen Männern gestellt haben: "Ich habe sie gebeten, so zu tun, als wären wir Freunde."
Nela dokumentierte all die Erzählungen und eröffnete eine Instagram-Gruppe mit den anderen Betroffenen. In ihren Handy-Notizen schrieb sie die Instagram-Usernamen von zehn Personen auf, hielt fest, was ihnen passiert sein soll. Rechtsanwältin Sonja Aziz sieht in ihrem Arbeitsalltag oft, dass die Verantwortung des Staates auf Opfer abgewälzt wird. Sonja Azizs Schwerpunkt liegt bei Familienrecht und juristischen Prozessbegleitungen. Letzeres bedeutet, dass sie Opfer von Gewalt im Strafverfahren vertritt. "Es ist eben der Staat, der das Opfer zu schützen hat und nicht das Opfer sich selbst", sagt Aziz. Dazu gehöre es auch, Beweise zu sichern.
Wenn Personen zum Beispiel von Stalking betroffen sind, haben sie im besten Falle perfekt aufbereitete Beweismittel, chronologisch gesammelt und vollständig auf einem USB-Stick. Allein diese Arbeit sei sehr belastend: jede einzelne Stalking-Nachricht sammeln, speichern und abgeben. “Ich hatte schon Verfahren, in denen sich das Opfer diese Arbeit angetan hat und dann landet der Stick oder andere Beweismittel nicht im Akt und das Verfahren wird eingestellt”, beschreibt Aziz. “Ich muss dann einen mühsamen Fortführungsantrag stellen, damit ich weitere Beweismittel erheben kann - auch wenn diese schon vorliegen."
Die Heute-Zeitung (Öffnet in neuem Fenster) griff Nelas Geschichte auf und berichtete darüber. Nela zeichnete in der Zwischenzeit mit Hilfe der Informationen der anderen Betroffenen einen groben Umkreis, in dem sich der mutmaßliche Täter bewegen soll. Mehrheitlich soll er im 15. Bezirk unterwegs sein; auch aus den angrenzenden Bezirken Ottakring und Neubau berichten Personen von Übergriffen. Nela ging im Zuge ihrer Recherche einen Schritt weiter und befragte Kellner in einem Lokal direkt neben der U3-Station Schweglerstraße. Einer von ihnen soll den Beschuldigten erkannt haben. Nela ist sich mittlerweile sicher, dass sie weiß, wo der mutmaßliche Täter grob wohnt.
Sie sucht am 29. August 2023 ein weiteres Mal eine Polizeistation im 15. Bezirk auf. Sie erzählt dem Polizisten in der Station von neuen Hinweisen und, dass sie glaubt zu wissen, wo der mutmaßliche Täter wohnt. Der Polizei soll geantwortet haben: "Das nehmen Sie nur an."
Nelas Annahme wird sich nur wenige Tage später als richtig erweisen.
Die Pressestelle der LPD Wien sagt auf Anfrage am 31. August 2023 zu Nelas Fall: "Die Beamten ermitteln diesbezüglich auf Hochtouren und konnten einige Erkenntnisse gewinnen, die ich jedoch nach derzeitigem Stand nicht kommunizieren kann."
Auch Nela gewann laufend Erkenntnisse. Sie erhielt seit Veröffentlichung des Fotos des mutmaßlichen Täters laufend Nachrichten von Personen, die ihn gesehen haben sollen. Zwei Personen dachten zu wissen, wo er arbeitet. Alles unsichere Hinweise, aber Nelas Hoffnung wuchs mit jeder Nachricht. Endlich passierte etwas. Eine der Hinweise erwies sich als besonders wichtig: Eine junge Frau sah den mutmaßlichen Täter und verständigte die Polizei. Nela weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob das der Mann ist, der sie belästigt und geschlagen hat.
Es kann rechtliche Folgen haben, Fotos von Menschen auf sozialen Medien zu posten und ihnen Übergriffe vorzuwerfen. Rechtsanwältin Sonja Aziz rät Betroffenen, zu Opferschutzorganisationen zu gehen. In Nelas Fall, wenn die Gewaltausübung also nicht im Beziehungskontext erfolgt ist, wäre das der Weiße Ring. "Wenn sich die Betroffene so im Stich gelassen fühlt, wirklich nichts weitergeht und sie ihm immer wieder schutzlos ausgeliefert ist, kann ich menschlich nachvollziehen, dass man selber tätig werden möchte", sagt Rechtsanwältin Sonja Aziz. "Es ist eigentlich die Verantwortung des Staates, zu ermitteln. Aber auch der Staat unterliegt gewissen gesetzlichen Einschränkungen bei der Veröffentlichung von Lichtbildern."
Ein Screening-Report der Uni Wien zu Mordfällen und Mordversuchsfällen hat ergeben, dass der Ausgang des Falls sehr darauf ankommt, bei welchem Beamten man landet. Was stellt er für Fragen? Hat er einen sensibilisierten Zugang zu Gewalt? Akten aus den Jahren 2018 und 2019 wurden gesichtet, um einen gemeinsamen Nenner bei Systemfehlern zu finden. "Der Report hat ergeben, dass die Polizei sehr wenig aktiv nachfragt und sich darauf besinnt, was ihnen das Opfer erzählt", so Aziz. "In Paarbeziehungskontexten wurde zum Beispiel oft nicht nachgefragt, ob es schon früher Fälle von Gewalt in der Beziehung gab oder ob der Täter eine Waffe hat."
Am 1. September kontaktierte Nela die Behörden erneut. Zum ersten Mal in eineinhalb Jahren gab es gute Neuigkeiten: Der mutmaßliche Täter wurde gefasst. Nun hat sie seine Daten. Sie informierte die anderen Betroffenen. Die LPD Wien rät Betroffenen, Anzeige zu erstatten. "Umso mehr betroffene Personen Anzeige in solchen Fällen erstatten, umso besser können die Ermittler Erkenntnisse gewinnen, diese zusammenführen und so bei der Ausforschung von Tatverdächtigen vorankommen."
Ob die anderen Betroffenen ebenfalls Anzeige erstatten, bleibt offen. Die Realität ist niederschmetternd: Es gibt vor allem bei Gewalt gegen Frauen eine große Anzeigenhemmnis. "Man muss sich als Betroffene unangenehmen Bemerkungen aussetzen oder ist mit Fragen des Strafverteidigers konfrontiert, die oft in Richtung des Victim Blaming gehen", erklärt Rechtsanwältin Aziz.
"Viele sind dann so belastet, dass sie keine Kraft mehr haben und auch keinen Mehrwert sehen, eine Anzeige zu erstatten."
Betroffene fühlen sich oft selbst im Fokus der Ermittlungen, lange Prozesse, bei denen am Ende doch nichts herauskommt, seien ermüdend. Dabei sei es doch im Sinne der Justiz, das Vertrauen der Betroffenen in die Strafverfolgung zu stärken und alles zu tun, damit Opfer ermutigt werden, Anzeige zu erstatten. "Dazu gehört aber eine effektive Strafverfolgung", so Aziz.
Was Nelas Fall zeigt, ist, dass ein kollektives Verantwortungsgefühl Veränderung schaffen kann. Ihr mutmaßlicher Täter konnte durch die Hilfe fremder Personen und anderer Betroffenen gefunden werden. Wie viele Personen konnte Nela mit ihrem Einsatz vor einem Übergriff schützen? Was bleibt nach all der traumatisierenden Anstrengung? Wut und Frust wegen der ausbleibenden Hilfe im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und queere Personen; Hoffnung, dass zumindest Einzelne hinsehen, wenn das System versagt.
Menschen, die von Gewalt betroffen sind, bleiben oft alleine mit ihren Sorgen und Traumata. Auch Nela fühlte sich vom Staat im Stich gelassen - nicht aber von der Zivilgesellschaft. Österreich als Land der Femizide ist Nährboden für Gewalt, die sich allen voran gegen Frauen und queeren Personen richtet. Nelas Fall ist hier nur eins von vielen Beispielen mit einem vergleichsweise "guten" Ausgang. Die 22-Jährige kann zumindest einen kleinen Erfolg verbuchen, wobei eine Festnahme noch nicht bedeutet, dass sie sich in Sicherheit wiegt. "Es ist gruselig zu wissen, dass der Mann weiß, dass ich gegen ihn vorgehe", sagt Nela. "Was wenn er sich rächen will?" Sie ist nach all dieser Anstrengung erleichtert und "ready für alles". Nela benennt die Situation abschließend als das, was sie ist: ein Kampf, der nicht enden will. Damit spricht sie für viele Betroffene, die um Gerechtigkeit kämpfen.
Wenn du Gewalt betroffen bist, hol dir bitte professionelle Hilfe. Du musst da nicht alleine durch. Hier sind ein paar Anlaufstellen:
24-Stunden Frauennotruf Stadt Wien (Öffnet in neuem Fenster): 01 71 71 9
Opfer-Notruf Weißer Ring: (Öffnet in neuem Fenster) 0800 112 112
Hilfetelefon (Öffnet in neuem Fenster) bei Gewalt gegen Frauen Deutschland: 116 016
Eine Hotline von Frauenhäusern in der Schweiz 031/ 533 03 03