Zum Hauptinhalt springen

AUSLÄNDERHASS

Der Rechtsruck besorgt mich mehr denn je - auch schon bevor das “Ausländer raus”-Video viral ging. Getriggert hat es mich trotzdem. 

Die nächsten Schlagzeilen, die schlaflose Nächte bringen: In Sylt grölt eine Gruppe von Menschen rassistische Parolen, singt “Ausländer raus” und zeigt Hitlerbärte. Ich wollte mir das Video gar nicht ansehen, aber wie soll ich einem viralen Video aus dem Weg gehen, wenn meine Arbeit in digitalen Räumen passiert? "L'amour Toujours" von Gigi D'Agostino ist ein Ohrwurm, ich assoziiere das Lied jetzt für immer mit Nazis. Was mich fast noch mehr nervt, als die Tatsache, dass ich mir das Gegröle geben musste, ist die Frage, die nun erneut im Raum steht: Wie konnte das passieren?

Das Lokal auf Sylt distanzierte sich von dem Verhalten und kündigte Konsequenzen an. In aller Ehrlichkeit: Ich verstehe nicht, wie es sein kann, dass keiner etwas mitbekommen hat. Mittlerweile zeigen Bewertungen des Lokals zudem, dass es auch schon zuvor Beschwerden gab. Sylt ist keine Ausnahme. Es gab vorher schon Vorfälle in Deutschland, bei denen zu dem Lied von Gigi D’Agostino Nazi-Parolen gerufen wurden.

Medien schreiben von Empörung und ich bin überrascht, denn meine Ausländerfreunde sprechen weniger von Empörung und mehr von Angst. Wir haben die Empörung vor vielen Jahren zurückgelassen, dafür blieb bei all den Einzelfällen der FPÖ und der steigenden Zahl von rassistischen Angriffen keine Kraft mehr. Wer nach diesem Sylt-Video wirklich schockiert ist, lebt in einer Bubble und muss diese Seifenblase schnellstens zerbersten. 

Schwarze Personen, Musliminnen, die ein Kopftuch tragen und sichtbare Migrant*innen erleben täglich Rassismus in Öffis, Ämtern, Supermärkten. Opferberatungsstellen in Deutschland verzeichnen einen deutlichen Anstieg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. 2023 stieg in Österreich die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent. Aber keiner hört zu, bis irgendwelche Rich Kids “Deutschland den Deutschen” singen und dann will wieder niemand wissen, wie das passieren konnte.

Das Video versetzte mich in meine Schulzeit zurück. Ein Erlebnis prägte mich besonders: Meine Schulklasse und ich waren nach einem Besuch im Prater auf dem Heimweg. Mein Mitschüler Martin schrie quer durch den Bus, dass mein Vater genauso ein “Scheiß Ausländer” wie ich sei. Seine Freunde lachten mit. Ich war Martin immer ein Dorn im Auge, irgendetwas an mir provozierte ihn. Ich wusste lange nicht was, aber nach dem Ausflug begriff ich: Martin hasste Ausländer. Sein Vater arbeitete in der gleichen Fabrik wie mein Vater. Als ich meinem Vater zuhause von Martins Geschrei erzählte, sagte er, dass es ihn nicht wundert, dass Martin Ausländer hasst, denn auch Martins Vater hasst Ausländer. Ich konnte mit Martin umgehen, weil ich Klassenbeste in Deutsch und eine schnellere Läuferin als er war. Das war Genugtuung genug, aber das Gefühl der Ausgrenzung blieb während meiner gesamten Schulzeit.

Um diesen Beitrag lesen zu können, brauchst du ein Abo. Mit einem Abo unterstützt du meine Arbeit und ich kann sicher über meine Queerness schreiben.

Zu den Abos (Öffnet in neuem Fenster)

1 Kommentar

Möchtest du die Kommentare sehen?
Werde Mitglied von gayschrieben und diskutiere mit.
Mitglied werden