Zum Hauptinhalt springen

Präzedenzfall Klimanotwehr

Genoss*innen, 

wir müssen anerkennen: der Kampf um progressive, gar global gerechte Klimagesetze und -verträge ist vorerst (zumindest bisher) verloren, ob in der EU oder den USA, in China, Brasilien oder Indien, oder im globalen Rahmen der UN-Klimarahmenkonvention. Weder Exekutiven noch Legislativen scheinen in der Lage und/oder willens, ihren jeweiligen “Wirtschaften” effektiv in die Parade zu fahren, ihnen einen “mehr Klimaschutz, dafür weniger Wachstum”-Deal aufzuoktroyieren. Die Entscheidung des EU-Parlaments, Investitionen in fossiles Gas und solche in Atomkraft als klimafreundlich und nachhaltig einzustufen (“Taxonomie (Öffnet in neuem Fenster)”), steht da nur pars pro toto – aber auch vom Duo Biden-administration und US-Kongress kommt nichts vorwärtsweisendes, auch die Xi-Regierung sowie der Volkskongress weisen nicht gerade den klimapolitischen Weg nach vorne.

Daraus ließe sich jetzt, gleichermaßen vulgärmarxistisch wie traditionsanarchistisch, recht einfach darauf schließen, dass der Staat mit seinen drei Gewalten nun einmal “ein Ausschuß (sei), der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet (Öffnet in neuem Fenster)”, sprich, unser, der Klimagerechtigkeitsbewegungs Gegner, weshalb von ihm keine, aber auch gar keine Schritte Richtung wirklicher Klimagerechtigkeit zu erwarten seien, auch nicht unter höchstem Druck.

Ich will hier jetzt gar nicht in diese Unterkategorie der “Reform vs. Revolution”-Debatte einsteigen (die nächsten Moves wären: 1. darauf hinzuweisen, dass es durchaus progressive Entwicklungen innerhalb von Staatsapparaten gegeben hat; 2. damit zu kontern, dass diese Reformen das System eher stabilisiert haben; 3... ), sondern den Punkt “the state is lost to us” erst einmal als durchaus rationale Position in der Strategiedebatte stehen lassen, vor allem, wenn wir ihn als Aussage über die relativen Kosten verschiedener strategischer Ansätze verstehen (im Sinne von: the state isn't absolutely lost, aber relativ, weil die Opportunitätskosten von Strategien, die am/im Staat ansetzen, prohibitiv hoch wären).

Drehen wir uns im Kreis? 

Wenn wir aber in unseren Strategien auf den Staat als Regulationsinstanz völlig verzichten, bekommen wir ein Problem: Bewegungen bewegen sich in Zyklen, in Wellen, und die während der Bewegungsmobilisierungshöhepunkte erkämpften Siege müssen natürlich dauerhaft sein. Wo ist der Sinn, eine Kohlegrube zwei Tage lang zu besetzen, wenn in ihr die anderen 363 Tage im Jahr Kohle abgebaggert werden kann? Ich zumindest habe keine Lust, jedes Kohlekraftwerk, jede Gaspipeline, jedes Atomkraftwerk jedes Wochenende körperlich zu blockieren oder zu sabotieren, weil, dann hätte keine Aktivistin mehr ein Leben, das sich nicht zu 100% in Blockaden abspielen würde. Es braucht einen Modus der Verallgemeinerung gesellschaftlicher Bewegungserfolge, damit wir uns nicht völlig aufreiben. Dieser Modus, diese Verallgemeinerungsinstanz muss nicht der Staat sein, er ist aber, vor allem wegen der Sache mit dem legitimen Gewaltmonopol (Öffnet in neuem Fenster) & des extremen Zeitdrucks, unter dem wir uns befinden, die offensichtlichste Wahl, um diese Verallgemeinerungsfunktion zu erfüllen – vgl. dazu auch Andreas Malms kluge, nachdenkliche Auseinandersetzung (Öffnet in neuem Fenster) mit dem Problem.

Aber drehen wir uns jetzt nicht im Kreis? Der Staat macht nix für die Klimagerechtigkeit, aber es braucht den Staat, also game over climate justice? Not entirely, denn während Gesetze in den Legislativen verabschiedet werden, und z.B. internationale Verträge von Exekutiven verhandelt werden, gibt es ja noch eine dritte Gewalt im Staat, die nämlich Judikative!

Traditionell nicht gerade Freundin radikaler sozialer Bewegungen (viele Aktivist*innen kennen, oder erzählen selbst gerne, Geschichten irgendwelcher kreuzreaktionärer Richter*innen an irgendeinem Amtsgericht, ich selbst komme aus einer Juristenfamilie – enough said) haben sich Gerichte in den letzten Jahren zu einem der Räume entwickelt, in denen die klimapolitischen Versäumnisse von Legislativen und Exekutiven angekreidet, teils korrigiert werden, am Bekanntesten natürlich im Bundesverfassungsgerichtsurteil (4/21) zu den Klimaschutzzielen der Bundesregierung. Mit der bemerkenswerten Ausnahme der kürzlichen Entscheidung des SCOTUS, der US-Umweltbehörde das Recht auf Regulierung von Treibhausgasen abzusprechen, durften wir in den letzten Jahren erleben, wie Gerichte in Holland, Kanada, Frankreich und eben der BRD sich der Zukunftssabotage durch nördliche Regierungen und Parlamente entgegenstellen, im Sinne der Rechte zukünftiger Generationen (und in Ecuador sogar im Sinne der Rechte der Natur) auf effektiven Klimaschutz bestehen.

Zweierlei Arten von Druck

Die Judikative die bessere Freundin der Klimabewegung, als demokratische Parlamente? Was zuerst merkwürdig erscheint, ist bei näherer Betrachtung eigentlich überhaupt nicht überraschend: Exekutive wie Legislative, in einer parlamentarischen Demokratie ohnehin nicht ganz so leicht auseinanderzuhalten, sind für zweierlei Arten von Druck sehr anfällig – einerseits für Lobbying interessierter (vor allem wirtschaftlicher) Akteure; andererseits für den demokratischen Druck gesellschaftlicher Mehrheitsmeinungen. In short: Unternehmen wollen Profite, Arbeiter*innen wollen Arbeitsplätze, mithin wollen beide Wirtschaftswachstum (also genau das, was die Klimazerstörung vorantreibt), während “die Bevölkerung” im Grunde Stabilität und relativen Wohlstand will (ich vereinache hier natürlich, but I hope you get the point).

Die Judikative dagegen verfügt (als gesellschaftliches Feld oder auch Subsystem) über eine äußerst starke, relativ autonome interne Handungslogik (Feldlogik) und einen ausgeprägten Corpsgeist – beides sind im Hin-&-Her zwischen den Gewalten und dem Druck externer Akteure starke Ressourcen, um eben solchen externen Druck abzufedern. Diese relative Autonomie der Judikative ermöglicht es ihr, sich dem Druck wirtschaftlicher Interessen besser zu entziehen, dem Druck der Mehrheitsmeinung stärker zu trotzen, und sich im Zweifelsfall für Rechtsgüter zu engagieren, die der Mehrheitsgesellschaft unter gegebenen Bedindungen vielleicht eher scheißegal sind (wie z.B. das völkerrechtsverbindliche Paris Agreement, oder die Rechte zukünftiger Generationen/Rechtspersonen). Genau diese Dynamik liegt den verschiedenen Rechtssprechungen im Sinne des Klimaschutz zugrunde, die ich oben kurz anführte. 

Was bedeutet das für uns strategisch? Denn: während das BverfG die Regierung für mangelnden Klimaschutz abmahnen kann, kann sie nicht effektiv dazu zwingen. Dafür braucht es weiterhin... uns, die Bewegung. Aber wie wir sehen, endet für die Klimabewegung langsam die goldilocks-Periode 2016ff., in der wir – Ende Gelände, Paris und die Hambis sei Dank - “die Guten” waren, und für eine derart radikale Bewegung verhältnismäßig freundlich behandelt wurden. Langsam, unter dem Eindruck der Aktionen der Letzten Generation, dreht sich der gesellschaftliche Wind, werden Klimaaktivisti härter angefasst (Öffnet in neuem Fenster).

Juraverbündete

Verhaftungen werden zunehmen. Geld- wie Haftstrafen werden ansteigen. Und jenseits von (in der Antirepressionsfrage (Öffnet in neuem Fenster) nicht völlig unberechtigten) Kritiken an der Letzten Generation, sie würden ihre Aktivist*innen unvorbereitet in rechtliche Auseinandersetzungen hineinlaufen lassen, muss uns klar sein: klassische “Antirepressionsstrukturen” werden den Druck einer Gesellschaft, die sich eventuell irgendwann entscheidet, dass wir, nicht die Klimakrise ihre Gegner*innen sind, nicht auffangen können.

Was wir brauchen, sind unsere neuen Juraverbündeten, denn wir brauchen einen Präzedenzfall: wenn die Regierung, wenn das Parlament keinen Klimaschutz liefert – doch gleichzeitig ein Klimanotstand vorliegt; dann würde das die Aktionen der Klimabewegung zu legitimer Notwehr (§32 StGB) im Rahmen eines rechtfertigenden Notstands (§34 StGB) machen. Dementsprechend handelt nicht rechtswidrig, “wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, (...), wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.”

Die Richterin, die dies eines Tages in einem deutschen Gerichtssaal anerkennt, wird eine Heldin der Geschichte sein. Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg. Next Stop: Ende Gelände im August in Hamburg. (Öffnet in neuem Fenster) Be there. Or be... a soulless minion of orthodoxy (Öffnet in neuem Fenster);)

Auf bald!
Euer Tadzio

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Friedliche Sabotage und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden