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How to #talkcollapse: Drei Schritte zur effektiven Kollapskommunikation

10/04/2025

Liebe Leute,

es ist früh am Mittwoch morgen. Gestern ist Wolfs Vater nach langer Krankheit gestorben, und obwohl auch für Wolf gilt, was für viele von uns schwulen Männern wahr ist – unsere Vaterbeziehungen (Öffnet in neuem Fenster) sind nicht gerade die einfachsten – bedeutet das natürlich erstmal emotionalen Ausnahmezustand. Aber vielleicht reicht die Zeit, während er noch schläft, um eine Frage zu beantworten, die mir immer häufiger gestellt wird: wie können wir kollapsbewusste Menschen mit all denen kommunizieren, die (s. Verdrängungsgesellschaft) die Realität von Klimakollaps, von Faschisierung, von gesellschaftlichem Scheitern an allerlei großen ethisch-politischen Ansprüchen und Versprechen immer noch verdrängen, die auf diejenigen, die sie daran erinnern, zunehmend ablehnend und aggressiv reagieren? Oder, noch schwieriger (diese Frage wurde mir von zwei Lehrer*innen gestellt): wie mit Kindern und Jugendlichen darüber reden, auf eine Art und Weise, die gleichzeitig realistisch ist, und trotzdem Handlungsfähigkeit vermittelt?


Erster Schritt: realistisches Erwartungsmanagement

Verdrängung ist, wie wir mittlerweile verstanden haben sollten, durchaus eine im emotionalen Sinne rationale Reaktion auf das Heraufziehen einer immer häufiger und an immer mehr Orten dunklen und katastrophalen Zukunft; das selbe gilt für die Arschlochisierung (das aktive Überbordwerfen humanistischer Werte, und das trotzige Umarmen einer “is mir doch scheißegal”-Logik), denn beide führen dazu, dass sich ein wenig der kognitiven Dissonanz auflöst, die wir in einer Welt erleben müssen, in der unser reales Verhalten (weitgehend bestimmt von unserer kollektiven Produktions- und Lebensweise) in keinem sinnvollen Verhältnis zu unserem angeblich humanistischem Wertekanon steht. Wir wissen auch, dass Verdrängung in einer Gesellschaft, die planetare Grenzen überschreitet, zu pathologischer Problemlösungsunfähigkeit führen kann. Und all das zusammen bedeutet, dass die Verdrängungsgesellschaft eigentlich zuerst einer Intervention, dann einer Therapie bedürfte. Und zuletzt wissen wir, dass es unmöglich ist, ein Subjekt zu einer Therapie oder zu einem Entzug zu bewegen, wenn es sich selbst noch nicht eingestanden hat, dass es am “rock bottom”, dass es ein Junkie oder eine Soziopathin ist.

Daraus folgt Schritt eins effektiver Kollapskommunikation: die Anerkennung, dass die meisten Menschen sich aus durchaus nachvollziehbaren (wenngleich nicht im ethisch-politischen Sinne “richtigen”) Gründen auch weiter gegen Akzeptanz und für Verdrängung entscheiden werden. Ich zum Beispiel sprach kürzlich mit einem Klimapolitikexperten, der doch glatt der Meinung war, China würde seit Anfang der 2020er keine neuen Kohlekraftwerke bauen – während die Realität diese ist: “In 2024, China started construction on 94.5 gigawatts (GW) of new coal-fired power capacity, the highest level in a decade.” Das werfe ich dem Kollegen nicht vor, wie schon oft gesagt, I get it, why we verdräng, ich sage es uns Kollapsbewussten: wir müssen davon ausgehen, dass die meisten Menschen weder den Willen noch den Mut haben, sich der Realität zu stellen, weil sich ihr nicht zu stellen einfach sehr viel komfortabler ist.

Also nochmal: der erste Schritt erfolgreicher Kollapskommunikation mit Menschen, die noch keine Kollapsakzeptanz entwickelt haben, ist, davon auszugehen, dass man beim Versuch, sie zu überzeugen, scheitern wird. Auf die kollektive Ebene übertragen bedeutet das, dass die entstehende Kollapsbewegung nicht davon ausgehen darf, eine “Massenbewegung” zu werden, oder gar “demokratische Mehrheiten” zu erringen. Wir sind die Kassandren der spätimperialen Verdrängungsgesellschaften des Nordens, und Kassandra hatte schon damals nicht gerade die größte Follower*innenzahl. Underappreciated influencer und so.


Zweiter Schritt: emotionale vor inhaltlicher Kommunikation

Jetzt zur eigentlichen Gesprächspraxis: wie können wir mit Menschen reden, die einerseits irgendwie fühlen (“unterbewusst wissen”), dass die Kacke total am Dampfen ist, dass die Zukunft dunkel wird, und dass wir da irgendwie auch eine kollektive Verantwortung für haben, dies aber nicht wahrhaben wollen? Naja, auf jeden Fall nicht so, wie es der Großteil der Klimabewegung immer noch tut, und die Klimawissenschaft seit bald 40 Jahren tut: es macht keinen Sinn, eine Verdrängungsgesellschaft mit immer neuen, immer radikaleren und radikaler kommunizierten Fakten zu konfrontieren, denn im besten Fall werden diese ignoriert (null Grenznutzen - “pushing on a string”), oder sie werden zu brutalen Abwehrreaktionen führen (negativer Grenznutzen - “abusive boyfriend”). Etwas empathischer formuliert: wenn ich Menschen mit Sachen konfrontiere, die sie nicht hören wollen, reagieren sie darauf meistens nicht besonders positiv, so schaffe ich als Sprecher*in es nicht, das aufzubauen, was den Kern politischer Kommunikation ausmacht: emotionale Resonanz.

Erinnert Euch mal an die großen Kommunikationsgenies unter den US-Präsidenten (da gibt's mehr und bessere Beispiele, als aus Deutschland): als JFK die Menschen im Land aufforderte, daran zu denken, was sie für das Land tun könnten, verband er sich mit dem Wunsch vieler Menschen nach einem “mehr” als dem bloßen Dauerkonsum der 1950er Jahre, rief einen tiefliegenden Wunsch nach kollektiver Bedeutung und einer positiven Zukunftsvision an; als Bill Clinton Präsident wurde, war sein Catchphrase nicht “I will be the Democrat who destroys the welfare state, such as it is”, sondern “I feel your pain”; und Donald Trump verstand es, inhaltliche Totalgrütze so zu formulieren, dass sich sehr viele Amerikaner*innen mit ihren diffusen Zukunftsängsten abgeholt fühlten. Politische Kommunikation handelt also von emotionaler Resonanz (Öffnet in neuem Fenster), das hatten sowohl Habeck, als auch Harris übersehen, oder sie hatten zumindest übersehen, dass die Menschen vielleicht Zuversicht fühlen wollen, derzeit aber eher, und auch dies wieder: nachvollziehbarerweise, Angst fühlen, und Resonanz wird mit dem aufgebaut, was ist, nicht mit dem, was eventuell sein könnte oder sollte.

Das bedeutet: wir können realistisch davon ausgehen, dass viele Menschen Zukunftsängste empfinden, und wir wissen, dass diese im progressiven gesellschaftlichen Spektrum ebenso wie in der Mitte kaum abgeholt werden. Das gibt uns als politischen Akteuren Raum, den wir ausnutzen können: wir müssen mit Menschen über ihre Ängste reden, diese mit unseren ins Verhältnis setzen, und von da aus weitermachen. Nix mit Inhalten, die können irgendwann später kommen. Fangt an, über Ängste zu sprechen, fragt, ob, und wenn ja, wovor, Eure Gesprächspartner*innen Angst haben, worüber sie sich Sorgen machen. In meiner Erfahrung entstehen aus solchen Anfängen oft exzellente Gespräche, auch und gerade mit solchen Menschen, die auf “noch mehr Klimascheiß” zuerst mal ziemlich ablehnend reagieren würden. Ohne emotionale Resonanz ist kein echtes Verständnis, ist keine reale Kommunikation möglich.

Letzter Hinweis zu Schritt zwei: natürlich kann es sein, dass Menschen vor etwas Angst haben, was nicht real ist (sagen wir zum Beispiel mal: “die Ausländer legen den Bodensee trocken!”), aber darum geht es hier noch nicht, hier geht es erstmal darum, zu etablieren, dass wir beide Ängste fühlen, und diese miteinander artikulieren. Es ist dann unsere Aufgabe, als politische Akteure, diese Ängste in eine andere, in eine in unserem Sinne politisch richtige Richtung zu lenken. Think of it as communicative leninism. Alles andere würde bedeuten, vor Dummheit und Desinformation zu kapitulieren.


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Ich finanziere meine politische Arbeit vor allem über diesen Blog, und wäre dankbar für Deine Unterstützung

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Dritter Schritt: gemeinsame Handlungsmöglichkeiten aufzeigen

Wir haben jetzt also Resonanz aufgebaut, und es geschafft, das Gespräch von “dIE EcHsENmENsChEnLobbiEs frESSen UnsErE HirNe Auf unD ChipPen UnS dANn NocH!1!” hin zu Themen zu lenken, die irgendwie in der Realität verankert sind. An diesem Punkt ist es dann auch ok, mit ein paar Fakten zu kommen, die das Gegenüber bisher verdrängt hat, denn nun hat es ja die Basis der gemeinsamen emotionalen Resonanz, um den Aggressionsreflex, der entsteht, wenn verdrängtes kommuniziert wird, unter Kontrolle zu halten (aber auch hier wäre ich mit zu vielen Fakten sehr vorsichtig – die Verdrängungsgesellschaft mag Fakten nicht, die müssen wohl dosiert sein).

Aber: es geht im dritten Schritt nicht primär um Fakten, sondern um Handlungsfähigkeit, es geht darum, den bisher verdrängenden Subjekten die Möglichkeit zu verdeutlichen, auch in einer dunklen Zukunft Selbstwirksamkeit zu erleben. Wie das dann aussehen kann, hängt in jedem Fall von der Gesprächspartnerin ab, und von den emotionalen Gemeinsamkeiten, die wir miteinander herstellen können. Zum Beispiel kann ich mit jeder HIV-positiven Person, weitgehend unabhängig von ihrer Positionierung im politischen Diskursfeld, ehrliche und offene Gespräche über die Angst führen, unsere Medikamente würden nicht mehr finanziert oder geliefert werden, und davon ausgehend können wir Handlungsmöglichkeiten entwickeln (z.B. buyers' clubs, etc.) (Öffnet in neuem Fenster). Mit Menschen in meinem Kiez in Neukölln kann ich über Ängste vor Hitzewellen reden, mit Lokalpolitiker*innen über Ängste vor faschistischen Attacken. Und aus der konkreten geteilten Angst kann man mit ein bisschen Erfahrung ziemlich schnell zu gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten kommen, Möglichkeiten, die ich in den letzten Monaten versucht habe, Schritt für Schritt herauszuarbeiten. Möglichkeiten, die wir im Kollapscamp (Öffnet in neuem Fenster) Ende August (28. - 31.8.) gemeinsam erlernen und erweitern werden. Möglichkeiten, auch im Kollaps für eine bessere Katastrophe zu kämpfen.

So, jetzt ist Wolf aufgewacht, und ich muss mich anderen Fragen widmen.


Mit familientrauernden Grüßen,


Euer Tadzio

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