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Der Mann ist dem Mann ein Wolf

Warum kämpfen so viele Männer lieber gegen den Feminismus als gegen ein menschenfeindliches System, unter dem sie selbst leiden?

Es steht schlecht um die Männer, das kann man ganz unironisch so feststellen.

Kürzlich gab die Bundesregierung den Wohnungslosenbericht 2024 (Öffnet in neuem Fenster) heraus und mir fiel sofort auf, dass der Anteil wohnungsloser Männer ungleich höher ist als der der Frauen. Der Bericht weist ausdrücklich darauf hin, dass das Geschlechterverhältnis sich im Vergleich zu 2022 kaum verändert hat. Rund 80 Prozent der wohnungslosen Gesamtheit sind Männer, nur 20 dagegen Frauen. Betrachtet man nur die Wohnungslosen außerhalb der “Wohnungsnothilfe”, das sind Menschen, die bei Verwandten oder Freunden unterkommen, sowie Obdachlose ganz ohne Unterkunft, beträgt das Verhältnis etwa zwei Drittel zu ein Drittel. 73 Prozent haben in diesen beiden Gruppen die deutsche Staatsbürgerschaft. (Ich schreibe das nur dazu, damit es nicht heißt, das seien alle Ausländer, die hier betteln.)

Ähnlich deutlich fällt das Geschlechterverhältnis bei den Toten durch Suizid (2023: 73 % Männer, 27 % Frauen (Öffnet in neuem Fenster)) und Alkoholkonsum (2020: 75 % Männer, 25 % Frauen (Öffnet in neuem Fenster)) aus. Männer haben eine um fünf Jahre kürzere Lebenserwartung (Öffnet in neuem Fenster) als Frauen. Diese Zahlen offenbaren einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen im Umgang mit psychischen oder körperlichen Notfällen.

Dass auch Männer unter diesem System leiden, dürfte kaum eine Feministin bestreiten. Denn anders als viele Männer, die sich bislang darauf beschränken, gegen den Feminismus zu pöbeln, befasst der sich schon lange mit der Ursache struktureller Ungerechtigkeiten. Unsere Zivilisation wurde von (mächtigen) Männern für (mächtige) Männer gestaltet, weshalb als typisch männlich wahrgenommene Merkmale hoch gewertet und dadurch verstärkt wurden, alle anderen dagegen verachtet und unterdrückt. So entstand im Verlauf vieler Generationen ein schädliches Rollenverständnis in einem menschenfeindlichen System. Ganz recht, ich spreche von toxischer Männlichkeit. (Atmen Sie, meine Herren, atmen Sie. Und dann lesen Sie weiter.)

Toxische Maskulinität

Die Zivilisation, in der wir leben, ist besitzzentriert, was bedeutet, dass der Status des Individuums unmittelbar an seine Fähigkeit, Geld zu verdienen, gekoppelt ist. Geldverdienen bedeutet (Land-)Besitz bedeutet Status bedeutet Ehefrau bedeutet Nachwuchs. Das Streben nach Leistung und Wohlstand wird zum wichtigsten Lebensinhalt. Über Jahrtausende betraf dieser Anspruch praktisch nur Männer, weil Frauen in der aufgezwungenen Isolation des Privathaushaltes ohnehin kein Geld verdienen durften. Die Maxime vieler Männer lautet daher Get rich or die trying.

Dummerweise ist dieser Zivilisation inhärent, dass Reichtum und Macht gar nicht für einen größeren Anteil Menschen vorgesehen sind. Im Gegenteil. Wie in allen steilhierarchischen Systemen liegt die Macht in den Händen einer winzig kleinen Zahl von Menschen, meist sind es Männer. Und die hängen nicht nur sehr an ihrer herausragenden Stellung, sondern sie brauchen für ihren Erhalt eine Mehrheit von finanziell knapp lebenden Arbeitern, die sie - vorsichtig ausgedrückt - lenken können.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Mächtigen für normale Männer trotzdem eher zu Vorbildern wurden als zu Feindbildern. Das liegt auch an dem großen Märchen kapitalistischer Gesellschaften, mit dem richtigen Mindset und etwas Spucke könne es jeder Max Mustermann vom Tellerwäscher zum Millionär bringen. Dass die Spitzenpositionen in Wirklichkeit eher durch Erbe, Beziehungen oder Bildung erreicht wurden, interessiert normale Männer nicht, so sehr identifizieren sie sich mit den Platzhirschen menschlicher Gesellschaften. Mächtige und reiche Männer haben oft keine Probleme, eine große Menge Fanboys um sich zu scharen.

Wären die Mächtigen dieser Welt anständige Menschenfreunde, wäre ihr Vorbildstatus kein Problem. Aber das sind sie nicht. Menschen in höheren Führungspositionen sind oft Persönlichkeiten aus der Dunklen Triade. (Öffnet in neuem Fenster) Der Begriff bezeichnet in der Psychologie die drei Wesenszüge Narzissmus, Psychopathie und Machiavellismus (Öffnet in neuem Fenster), die sich in Egoismus, einem Mangel an Mitgefühl und der Bereitschaft, absolut alles einem Ziel unterzuordnen, zeigen. Mit anderen Worten: Machtmenschen sind überdurchschnittlich oft rücksichtslose Arschlöcher. Gesellschaftliche Strukturen wie Wirtschaft, Recht und Politik auch nur teilweise an solchen Persönlichkeiten auszurichten, führt zu einer menschenfeindlichen Gesellschaft, die Gewinnen eine höhere Priorität einräumt als menschlichem Wohlbefinden und insbesondere von Männern eine brutale Härte gegen sich und andere erwartet.

Männer, die sich nicht um ihre psychische und körperliche Gesundheit kümmern. Männer, die sich im Krisenfall weder institutionellen Einrichtungen noch einem sozialen Umfeld anvertrauen, sofern das überhaupt existiert. Männer, die nichts und niemandem vertrauen, niemandem ihre vermeintliche Schwäche offenbaren wollen und daher oft einsam und isoliert dastehen. Männer, die im Lauf ihres Lebens immer häufiger zur Flasche greifen, um den inneren Schmerz noch in Schach zu halten. Laut einem Bericht von Statistischem Bundesamt und dem Robert-Koch-Institut von 2016 ist der Anteil von Männern mit “riskantem Alkoholkonsum” übrigens in der Altersgruppe 60 bis 69 am höchsten (Öffnet in neuem Fenster). Männer, die in ihrem Elend keinen Ausweg wissen, als ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Und damit steht man dann vor den oben zitierten Statistiken, die die tragischen Folgen eines unmenschlichen, hypermaskulinen Ideals der Dunklen Triade dokumentieren. Toxische Männlichkeit. Der Feminismus kämpft gegen dieses unempathische, selbstsüchtige und emotional unreife Rollenbild, das Frauen nur als Kopulationsmaterial und allgemein minderwertig sieht. Und gegen Strukturen, die von diesen Eigenschaften durchdrungen sind.

Eine große Gemeinsamkeit

Der Grund, weshalb Frauen nicht vor Mitleid zerfließen und Männer unter den Regenschirm des intersektionalen Feminismus holen, ist zum Einen, dass auch psychische und physische Gewalt zu den Ausprägungen schädlicher Männlichkeit gehören und Frauen und Kinder besonders oft Opfer dieser Gewalt werden. Zum anderen gehört es zu den Zielen männlicher Macht, Frauen leise, sexuell gefügig und unsichtbar zu halten, weil sie Frauen sind, und das kann keine Feministin hinnehmen. Deshalb prangern wir vor allem diesen Teil der toxischen Männlichkeit an.

Doch jedesmal, wenn eine Frau das öffentlich, etwa in den sozialen Medien, tut, springt irgendein Mann aus dem Gebüsch, um zu kommentieren, wie schwer Männer es haben - oft gespickt mit den obigen Statistiken. Dabei schwingt immer ein “Wir leiden viel mehr als Frauen, kümmert Euch lieber um uns!” mit und ironischerweise zeigt sich auch in dieser Haltung die Ohnmacht vieler Männer im Umgang mit Leid, das ihnen widerfährt.

In den Profilen solcher Männer finden sich aber oft eher Postings gegen den Feminismus oder Frauen allgemein als aufklärerische Informationen für andere Männer. Anstatt einen konstruktiven Aktivismus zu entwickeln, um die Toxizität aus dem männlichen Rollenbild zu entfernen, verlangen sie von Feministinnen, für sie zu kämpfen. Alternativ finden sie den Feminismus unnötig, weil Männer es viel schwerer haben. Indem Männer lieber den Kampf gegen dieses toxische System sabotieren als sich ihm anzuschließen, fallen sie all den Männern, die sie gerade noch als statistische Waffe gegen den Feminismus ins Feld führten, in den Rücken. Und offenbaren damit, dass ihnen das Leid ihrer Geschlechtsgenossen im Grunde völlig egal ist.

Dabei gibt es aus meiner Sicht für einen anständigen Mann - und ich weiß, dass es viele von ihnen da draußen gibt - keinen Grund, sich nicht durch Taten, Worte und Werke der Gerechtigkeitsbewegung anzuschließen. Das eigentliche Ziel des Feminismus liegt darin, die toxische Männlichkeit aus den uns umgebenden Strukturen zu entfernen oder die derart vergifteten Strukturen durch neue, menschenfreundlichere Konzepte zu ersetzen. Der Kampf richtet sich gegen ein System. Gegen dasselbe System, das Männer in die Alkoholsucht und den Tod treibt, weil es ihnen nicht erlaubt, irgendeine Form menschlicher Schwäche zu zeigen.

Frauen wühlen sich seit Jahrzehnten durch Statistiken und Folianten, sie vernetzen sich, schreiben Bücher, klären andere Frauen auf, bestärken und ermutigen einander, um ihrer systematischen Benachteiligung beizukommen. Es wird Zeit, dass Männer das auch tun, um anderen Männern aufzuzeigen, dass ihr Leid vom System ausgeht, nicht vom Feminismus. Dass ein Infragestellen toxischer Männlichkeit ihnen nicht schadet, sondern dient. Es liegt auch bei ihnen (oder sollte ich ‘Ihnen’ sagen?), ob Männer künftig in Belastungssituationen Hilfe bekommen, ob sie tiefere Bindungen zu anderen Menschen (Geschlecht egal) eingehen können, die sie im Notfall auffangen, und ob sie Wege finden können, mit belastenden Gefühlen anders umzugehen als sie zu betäuben oder durch (Selbst-)Beschädigung überzukompensieren.

Es gibt eine erhebliche Schnittmenge zwischen der Gerechtigkeitsbewegung und Männern, die Gefahr laufen, von diesem System zermalmt zu werden. In dieser Gemeinsamkeit liegt eine riesige Chance für eine geschlechtsegalitäre Gesellschaft, in der Männer nicht nur leistungsfähige Akkordarbeiter sein dürfen, sondern die Menschen, die sie sind. Mit Stärken und Schwächen, mit Bedürfnissen und Gefühlen, mit Sehnsüchten und Belastungsgrenzen.

(Bild von Microsoft Designer)

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Kategorie Feminismus & Patriarchat

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