»Hundejahre Einsamkeit«
Zwanzig Wochen seit Schlesenburg. Zwanzig! In Hundejahren kommt Roman jetzt in die Grundschule. Die erste schwärmerische Phase ist vorbei. Das Frühjahrsprogramm drängt in die Buchhandlungen, und rückt mich und mein Debüt von der Auslage ins Regal.
So ein Roman ist echt ein harter Mindfuck. Man bekommt das Ego gesalbt, weil alle Leute, die einem lieb und teuer sind, zufrieden bis begeistert waren. Weil man von Bloggern und halb Bookstagram gelobhubelt wird. Weil der Verlag direkt ein zweites Manuskript vertüten will. Weil der Vertrieb das Buch in jede gottverdammte Buchhandlung geprügelt hat. Nur das Feuilleton, das man verehrt wie einen kleinen Gott, sagt: »Danke nein.«
Dabei wird mein Lektor nicht müde zu erwähnen, dass das Feuilleton eh durch ist. Keine großen Ausschläge mehr im Handel, egal wie viele Anschläge der Kulturteil verschossen hat. Ins Fernsehen müsse ich. Dabei wird mein Vater nicht müde zu erwähnen: Ich habe eher so das Radiogesicht. Und trotzdem jage ich jede Woche meinen Namen durch die Google-Suche, in der Hoffnung, dass ZEIT, SPIEGEL, FAS in der Ergebnisliste auftauchen. Warum bin ich so geil darauf, von Ijoma Mangold zermangoldt zu werden? Warum will ich diese unverblümten dreißig, vierzig Zeilen Radisch, treffsicher wie Peitschenhiebe? Damit jemand, der mir nicht verbunden ist, der nicht die Freundschaft, das Bett oder dasselbe Blut mit mir teilt, der mir nichts schuldet, nichts verdankt und nichts von mir erhofft, dass eben dieser Mensch mir die schonungslose Wahrheit sagt: Ob ich was tauge oder nicht.
Letztlich geht es um Schmerz und Zweifel. Vierzehn Monate habe ich dieses Buch an meiner Hühnerbrust genährt und jetzt steht es auf dem Schulhof und ich muss von der Straße dabei zuschauen, wie niemand mit ihm spielen will. Das wurmt mich. Dieser frische, neue Schmerz, den ich von den Humorbüchern nicht kenne. Humorbücher verkaufen sich. Aber im Kosmos des Kulturteils kommen sie nicht vor.
Es geht um den Roman. Und es geht nicht um den Roman. Es geht um mich. Um meine Angst, das eigene Kind versaut zu haben. Dass es da steht, einsam in der Ecke, weil ausgerechnet ich es verkorkst habe. Und darum, dass alle, die mir bis hierhin gesagt haben „Du Paule, wirklich gutes Buch“, dass sie mich alle nur aus Mitleid oder Höflichkeit belogen haben. Um diese Paranoia geht es. Ich liebe Roman. Aber langsam muss ich begreifen, wie creepy es kommt, auch in der zweiten großen Pause noch am Zaun zu hängen und zu gaffen. Wie toxisch das ist. Der Helikopterautor. Roman ist ein gutes Kind. Er schafft das schon alleine. Ich lasse ihn jetzt los und setze mich ans Nächste.
Herzlich willkommen zur ersten Ausgabe von »Feine Auslese«.
#1 / Ich glaube ja noch immer …
… dass »Welsretten« der bessere Name für einen Newsletter gewesen wäre. Aber erstens ist das frech von Ehrensenf abgekupfert [und Katrin Bauerfeind ist mit Sarah Kuttner befreundet und ich hatte schon vor der Sache mit dem N-Wort Angst vor Sarah Kuttner]. Und zweitens wird das mit so Billo-Anagrammen nie was mit dem Deutschen Buchpreis. Außerdem habe ich sehr gemischte Gefühle, was Benedict Wells und Welse im Allgemeinen angeht. Kennt ihr diese Angler, die es alle Jubeljahre in irgendwelche Boulevard-Medien schaffen, weil sie in einem stinkenden Seitenarm der Elbe [immerfort die Elbe (sic!)] einen 40 Jahre alten Wels gefangen haben? Toll Achim! Wirklich toll! Da haste halb besoffen einen Rentner-Wels voller Schwermetall und Mikroplastik kalt gemacht, der noch inner DDR geboren wurde! Und jetzt musst du alle deine ehemaligen Kollegen aus der Polytechnischen Hochschule Annaberg-Buchholz durchtelefonieren, um sechzig Kilo Fettfisch in ganz Südsachsen zu verteilen. Bra-vo!
#2 / Toujours la tristesse
Freitag. Seit Wochen ruft das kleine Patenkind (4) »Gute Reise lieber Seemann«, wenn es alleine auf Toilette war und groß gemacht hat. Und damit nicht genug. Das Patenkind wird zornig, wenn wir nicht auch »Gute Reise lieber Seemann« rufen, sobald wir mal auf Klo gewesen sind. Wenn wir uns weigern, wird es sogar wütend und weint sich regelrecht in Rage. Nun war das Patenkind seit Tagen nicht mehr hier und ich seit Tagen nicht mehr dort, aber dreimal dürft ihr raten, wer gerade trotzdem, ganz für sich alleine, in die Stille seiner Wohnung gerufen hat: »Gute Reise lieber Seemann«.
#3 / Eine unangenehme Wahrheit
Stell' mir die unangenehmste Frage, die dir in den Sinn kommt. Aber nur, wenn du dich traust, sie auch selber in diesem Newsletter zu beantworten. Jeden Monat eine Frage. Jeden Monat zwei Antworten. Deine und meine! Schick die Frage und deine Antwort einfach als Retour an diesen Newsletter.
Carolin fragt: »Was ist die größte Lücke in deinem Leben?«
Paul / »Ich kann meine Muttersprache nicht. Polnisch. Im blinden Übereifer ihrer eigenen Integration haben meine Eltern vor der naheliegenden zweisprachigen Erziehung zurückgeschreckt. Meine Sprache ist meine Identität. Aber meine Sprache ist nicht die Sprache meiner Eltern. Ist meine Identität also gar nicht ihre Identität? Ihr Deutsch ist nicht perfekt. Mein Polnisch miserabel. Jedes Gespräch ist eine Kompromisslösung im Rahmen unserer Möglichkeiten.«
Carolin / »Eigentlich bin ich Mutter von Zwillingen. Aber ich habe nur ein Kind. In der zwölften oder dreizehnten Woche ist einer der beiden Föten gestorben und wurde absorbiert. Er ist verschwunden. Einfach so. Wir wissen bis heute nicht, warum. Der Fötus hatte kein Geschlecht und keinen Namen, aber er fehlt. Auf jedem Foto ist ein Kind zu wenig.«
Carolin beschreibt sich selbst als glückliche und sehr lebensfrohe Landschaftsarchitektin aus der Nähe von Hildesheim. Danke Carolin!
#4 / Feine Ablese
Angelesen: Serpentinen (Öffnet in neuem Fenster) von Bov Bjerg
Was habe ich in letzter Zeit mit Roadtrips und Suizid? Zum Glück kann ich kein Auto fahren. Sonst würde ich mir Sorgen machen. Bov Bjerg kann, was ich noch lernen muss: Die Wirkung von Metaphern durch sparsamen Gebrauch maximieren. Er kocht mit einem Reisestreuer, ich mit dem Kanister.
Ausgelesen: Marianengraben (Öffnet in neuem Fenster) von Jasmin Schreiber
Schon wieder Roadtrip. Schon wieder Tod. Ich hab mich von der Presse blenden lassen und emotional noch härtere Bauchpunches erwartet. Deshalb hat auch die unterhaltende Komponente erst nach der Hälfte voll gefruchtet. Verflucht sei folglich der Lektoratsmensch, der nicht noch 100 Seiten mehr verlangt hat.
Abgelesen: Die Zweisamkeit der Einzelgänger (Öffnet in neuem Fenster)von Joachim Meyerhoff
Schön zu sehen, dass selbst der Halbgott der emotionalen Klaviatur Joachim Meyerhoff mal scheitern kann. Das Etablieren einer sympathischen Beziehung zu beiden Hauptfiguren wollte nicht so recht fruchten. Hätte er sich wenigstens ins Unsympathische hinein gewagt. Aber leider nein. Aufgehört auf Seite 136.
#5 / Wenn der Berg nicht zum Paul kommt
09.02. / TRIER / Romanlesung
20.02. / ZÜRICH / Humorlesung
23.02. / MALCHIN / Humorlesung
24.02. / BERLIN / Romanlesung
Alle Termine, alle Infos unter: paulbokowski.de (Öffnet in neuem Fenster)
#6 / Das letzte von der Rolle
Den Preis vom neuen Kleiderschrank nachträglich drücken wollen, indem man das Innenleben ausschlachtet und bei ebay-Kleinanzeigen raushaut. Passend dazu: Craigslist Mirrors (Öffnet in neuem Fenster) auf Instagram.
#7 / Feiaahmnt.
Wer hätte gedacht, dass Newsletterschreiben so viel Laune macht. Hoffe, dass die leidenschaftlichen Stunden an der einen oder anderen Stelle transportiert haben. Wenn ihr die Arbeit an diesem Newsletter supporten wollt, sehr gerne! Und jetzt: Prosit.
#8 / Nachklang
🔊 🔊 🔊 Issy Wood mit Child's pose 🔊 🔊 🔊
https://open.spotify.com/track/1y9pUEXwbHdvcCdAuV4tFx?si=9a3fec3c595444a5 (Öffnet in neuem Fenster)