Guten Morgen! Hier kommt dein Überblick über die Bundespolitik-Recherchen der Woche. Inklusive Tipps zum Lesen, Sehen und Hören. Ich habe in mehreren Nachrichtenredaktionen gearbeitet und schaue jetzt immer die Medien durch, damit du das nicht musst. Starte gut in die Woche!
Die Recherchen
Cum-Ex-Skandal: Geplante Razzia bei Behörden gestoppt
Die Staatsanwaltschaft Köln hat im Sommer 2020 bei Behörden und Politiker:innen in Hamburg geplante Durchsuchungen abgesagt. Das haben WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung (Öffnet in neuem Fenster) herausgefunden. Eine Oberstaatsanwältin habe die Razzia beim Amtsgericht der Stadt beantragt, sei von ihren Vorgesetzten aber ausgebremst worden. Hintergrund war die Vermutung, dass Politiker:innen und Finanzbeamt:innen die in den Steuerskandal verwickelte Warburg-Bank geschont haben könnten.
“Die Staatsanwältin habe den Vorgang nicht, ‘wie zwischen allen Beteiligten im Vorfeld festgelegt’, ihrem Vorgesetzten vorgelegt”, so die Behörde laut Bericht. Eine Prüfung habe dann ergeben, dass kein für Ermittlungen notwendiger Anfangsverdacht vorliegt. Dem Justizministerium von NRW zufolge wird die Angelegenheit weiter geprüft. Der Cum-Ex-Untersuchungsausschuss in der Hamburger Bürgerschaft (Landtag) hat Unterlagen über den Vorgang angefordert und will die betroffene Anwältin als Zeugin vernehmen.
https://twitter.com/NDRinfo/status/1372252698712625153 (Öffnet in neuem Fenster) https://twitter.com/buon_anni/status/1371364684373364736 (Öffnet in neuem Fenster)Bundestag: Umstrittene Geldquellen von Abgeordneten
“Die Masken-Affäre um Georg Nüßlein offenbart jahrzehntelang gewachsene Netzwerke”: Das ist das Fazit einer Recherche von Report München (BR) (Öffnet in neuem Fenster) und der Augsburger Allgemeinen (Öffnet in neuem Fenster). Der Fall zeige, dass Abgeordnete Beteiligungen an Unternehmen legal verheimlichen können – etwa über sogenannte Beteiligungsgesellschaften. Das sind Firmen, die Anteile an anderen Firmen halten. Dem Bericht zufolge nutzen mindestens 13 Abgeordnete, vor allem der Union (CDU/CSU), solche Möglichkeiten. Eine Meldepflicht gibt es aktuell nur, wenn jemand mindestens 25 Prozent an einem Unternehmen hält.
Auch ZEIT ONLINE (Öffnet in neuem Fenster) hat sich mit den Firmen von Unionspolitiker:innen beschäftigt. Neben “intransparenten Consulting-Firmen und Unternehmensberatungs-GmbHs” sollen diese auch Medien genutzt haben oder nutzen, um Geld zu verdienen. Genannt werden der zurückgetretene Mark Hauptmann und Hans-Jürgen Irmer, die in Thüringen und Hessen kostenlose Lokalblätter herausgaben beziehungsweise -geben. Hauptmann soll sich – ähnlich wie andere Abgeordnete – nicht nur für Aserbaidschan, sondern auch für Taiwan eingesetzt haben. Das Land schaltete in beiden Zeitungen ähnliche Anzeigen.
https://www.youtube.com/watch?feature=youtu.be&utm_campaign=Enth%C3%BCllt+&utm_medium=email&utm_source=Revue+newsletter&v=rCdapLVeSjo (Öffnet in neuem Fenster) https://twitter.com/a_watch/status/1373006878809198594 (Öffnet in neuem Fenster)Corona: Spahn setzte überteuerte Maskenabgabe durch
Der Bundesgesundheitsminister (CDU) setzte sich bei einer Entscheidung über den Rat seiner Beamt:innen hinweg “und verschaffte Apotheken damit gigantische Gewinne”: Das berichtet der Rechercheverbund aus WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung (Öffnet in neuem Fenster). Bestimmte Bevölkerungsgruppen konnten sich im Dezember 2020 drei kostenlose FFP2-Masken in Apotheken abholen. Diese bekamen pro Stück sechs Euro erstattet, obwohl sie selbst viel weniger für die Beschaffung gezahlt hatten. Später erhielten Berechtigte gegen Coupons zweimal sechs Masken für je zwei Euro.
Im Text ist die Rede von “eine[r] Aktion, die den Steuerzahler am Ende mehr als zwei Milliarden Euro kosten dürfte”. Jede Apotheke bekam demnach im Schnitt 25.000 Euro, unabhängig von der Zahl der ausgegebenen Masken. Der Chef von dm teilte mit, das Unternehmen habe dem Ministerium angeboten, als Masken-Abgabestelle zu dienen – für gut einen Euro pro Stück. Ob sein Angebot dort einging, wollte das Ministerium den Medien nicht sagen. Ihnen zufolge hatte die Behörde mögliche günstigere Alternativen wie eine Abgabe über Sammelbestellungen oder den Einzelhandel nicht geprüft.
https://twitter.com/m_grill/status/1372258757032484864 (Öffnet in neuem Fenster) https://twitter.com/lobbycontrol/status/1372585682082930689 (Öffnet in neuem Fenster)Wirecard-Skandal: Polizei ermittelte schon 2015
“Nach Hinweisen der US-Regierung hat die Münchner Kriminalpolizei bereits im Sommer 2015 gegen den damaligen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und andere Topmanager des Konzerns ermittelt”: Das schreibt das Wirtschaftsmagazin Capital (Öffnet in neuem Fenster). Es ging damals um mögliche Beihilfe zu unerlaubtem Glücksspiel durch eine Tochtergesellschaft. Die Staatsanwaltschaft sah allerdings keinen Tatverdacht. Der SPIEGEL (Öffnet in neuem Fenster) wiederum meldet unter Berufung auf interne E-Mails, dass die Bundesregierung noch zwei Tage vor der offiziellen Zahlungsunfähigkeit des Konzerns 2020 einen Kredit organisieren wollte.
Das Finanzministerium habe das bisher verschwiegen – auch gegenüber dem Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Das Handelsblatt (Öffnet in neuem Fenster) (€) berichtet zudem von Mails, welche die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young) betreffen. Sie sollen den Eindruck erwecken, EY habe Wirecard zum Abbruch einer brisanten Sonderprüfung durch den Konkurrenten KPMG gedrängt. Ein Manager wies das zurück (Öffnet in neuem Fenster). Gegen Unternehmen und Mitarbeiter:innen laufen Klagen beziehungsweise Ermittlungen, weil sie den Bilanzbetrug jahrelang nicht bemerkt haben wollen und dabei möglicherweise berufliche Pflichten verletzt haben.
https://twitter.com/FelixHoltermann/status/1372951475001954314 (Öffnet in neuem Fenster) https://twitter.com/t_stoneman/status/1372580941147824130 (Öffnet in neuem Fenster)U-Boot-Geschäfte mit Israel: Mutmaßliche Korruption
“Hat ein Vertriebspartner von ThyssenKrupp Amtsträger in Israel bestochen, damit diese sich für den Kauf immer weiterer Boote einsetzten?” Diese Frage steht im Zentrum von Ermittlungen, die seit mehreren Jahren Aufsehen erregen. Es geht unter anderem um in Schleswig-Holstein produzierte U-Boote. Die Bundesregierung unterstützte den Kauf durch Israel laut WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung (Öffnet in neuem Fenster)mit mindestens dreistelligen Millionensummen aus Steuergeldern. Wegen Aussagen hochrangiger Zeug:innen prüft der Oberste Gerichtshof in Israel, ob neue Untersuchungen eingeleitet werden.
In dem vom umstrittenen Premierminister Benjamin Netanyahu regierten Land wird am Dienstag gewählt. “Während die U-Boot- und Korvetten-Geschäfte in Israel eine Staatsaffäre ausgelöst haben, ist es in Deutschland ruhig”, heißt es in dem Text. Die zuständige Bochumer Staatsanwaltschaft sehe keine Anhaltspunkte für Straftaten von ThyssenKrupp-Mitarbeiter:innen. Ein Ermittlungsverfahren wurde vor einiger Zeit eingestellt. Es gebe keinen Hinweis auf die Beteiligung deutscher Staatsbürger:innen oder auf Taten auf deutschem Boden, so die Begründung.
https://twitter.com/schmitt_jrg/status/1372975144147283969 (Öffnet in neuem Fenster) https://twitter.com/WDRinvestigativ/status/1372963571097812992 (Öffnet in neuem Fenster)Weitere Recherchen
Frankfurter Allgemeine Zeitung: Druck auf Frankfurter Polizei nimmt zu (Öffnet in neuem Fenster)
-> Ein Polizist, der für die umstrittene Sicherheitsfirma Asgaard gearbeitet haben soll, steht unter Verdacht, mehr als 100 Waffen unterschlagen und verkauft zu haben.
WELT: „Er wollte Spaß am Entflammen des ‚Penners‘ haben“ (Öffnet in neuem Fenster) (€)
-> Immer wieder kommt es zu Gewalt gegen Obdach- und Wohnungslose, in vielen Fällen bekommen Täter:innen keine Strafe.
Buzzfeed News: Coronavirus: Erzieherinnen häufig betroffen, aber selten entschädigt (Öffnet in neuem Fenster)
-> Mehrere Bundesländer wollen erreichen, dass “Corona-Berufskrankheiten” leichter als solche anerkannt werden.
Kontraste (ARD): Daten müssen weiter abgetippt werden (Öffnet in neuem Fenster)
-> Trotz anderslautender Ankündigungen arbeiten nur rund 90 von 400 Gesundheitsämtern mit dem Programm Sormas, das eine bessere Kontaktnachverfolgung bei Corona-Infektionen ermöglichen soll.
WELT: Denn sie wussten, was zu tun war (Öffnet in neuem Fenster) (€)
-> Die Umsetzung von Maßnahmen, die laut der Bundesregierung für Öffnungen im Zusammenhang mit dem Corona-Lockdown nötig waren, erfolgte nicht oder nur langsam.
Die Medientipps
In diesen Wochen geht es viel um Korruption. Dass das Thema in Deutschland Tradition hat, zeigt Frederik Richter von Correctiv in seinem bereits 2020 erschienenen Buch “Geheimsache Korruption” (Öffnet in neuem Fenster). Darin geht es unter anderem um einen libanesischen Waffenhändler, von dem der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teure Geschenke bekam.
Das Buch hat 197 Seiten und kostet 20 Euro.
Neu ist das Buch “Kapital und Ressentiment” (Öffnet in neuem Fenster) von Joseph Vogl. Im Untertitel verspricht der Literaturwissenschaftler eine “kurze Theorie der Gegenwart”. Es geht um Kapitalismus sowie die Macht von Finanz- und Internetkonzernen, welche laut Vogl die Demokratie gefährden. Er ist Professor an der Berliner Humboldt-Universität und in einem Deutschlandfunk-Kultur-Beitrag hier zu hören (Öffnet in neuem Fenster).
Das Buch hat 224 Seiten und kostet 18 Euro.
Die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 ist aktuell nicht das einzige umstrittene Großprojekt in Deutschland. Die geplante Tesla-Fabrik nahe Berlin ist laut des ZDF-Magazins Frontal 21 “das derzeit größte industriepolitische Projekt Europas”. In der Doku “Turbo, Tempo, Tesla: Elon Musk in Brandenburg” (Öffnet in neuem Fenster) geht es um Trinkwasserprobleme, den Kampf um einen Betriebsrat und mutmaßlichen Druck beim Genehmigungsverfahren.
Die Auskunft
Dank des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) (Öffnet in neuem Fenster) kann jede:r in Deutschland Anfragen an öffentliche Stellen stellen, auch du (Öffnet in neuem Fenster). Jede Woche stelle ich eine Recherche vor, für die das IFG genutzt wird.
Die Transparenzplattformen FragDenStaat und abgeordnetenwatch.de haben die “Aktion Ehrensache” (Öffnet in neuem Fenster) gestartet. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte angekündigt, die Namen aller Bundestagsabgeordneten zu veröffentlichen, die bei “Maskengeschäften” vermittelt haben. Später hieß es, das Ministerium wolle keinen Namen ohne die Zustimmung der Betroffenen öffentlich machen. In diesem Zusammenhang haben verschiedene Personen Anfragen nach allen entsprechenden Kontakten der Abgeordneten von CDU/CSU und SPD gestellt.
https://twitter.com/fragdenstaat/status/1372930562365779972 (Öffnet in neuem Fenster)FragDenStaat verklagt immer wieder Behörden – zum Beispiel, weil angefragte Dokumente so aussehen:
https://twitter.com/robbi5/status/1371918925257183243 (Öffnet in neuem Fenster)Apropos Klagen: Wenn du Journalist:in bist, kannst du angesichts der im September anstehenden Bundestagswahl per sogenanntem Eilrechtsschutz schneller als sonst an Auskünfte kommen. Welche Voraussetzungen dafür gelten, erklärt FragDenStaat auf Twitter (Öffnet in neuem Fenster).
Das noch
Stefan Wehrmeyer, der auch für FragDenStaat arbeitet, hatte eine Idee für eine Browser-Erweiterung: Sein VÖBB-Bot (Öffnet in neuem Fenster) ersetzte die Bezahlschranke (Paywall) auf verschiedenen Medienseiten durch den jeweiligen Text. Möglich machten das die digitalen Angebote (Öffnet in neuem Fenster) des Verbundes Öffentlicher Bibliotheken Berlins (VÖBB): Wer einen Bibliotheksausweis (bis Ende April kostenlos (Öffnet in neuem Fenster)) hat, kann unter anderem die Presse-Datenbank Genios (Öffnet in neuem Fenster) und die vielseitige Munzinger-Datenbank (Öffnet in neuem Fenster) nutzen.
Manche Verlage fanden die praktische Software offensichtlich nicht so toll und beschwerten sich. Deshalb sind Genios und das normalerweise ebenfalls angebotene SPIEGEL-Archiv bei der VÖBB derzeit nicht verfügbar. Den Bot kann man sich zurzeit nicht mehr herunterladen. Wie es weitergehen soll, erzählt Wehrmeyer auf Twitter (Öffnet in neuem Fenster). Wenn du nicht in Berlin wohnst, kein Problem: Viele andere Bibliotheken bieten für wenig Geld genauso einen Zugang zu Genios und anderen hilfreichen Seiten (zum Beispiel Pressreader (Öffnet in neuem Fenster)).
Die Unterstützung
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