Zum Hauptinhalt springen

Wie China einen Krieg der Werte anzettelt

Menschenrechte, Freiheit und Demokratie: Diesen Werten macht China Konkurrenz. Und das vor allem in Ländern des Globalen Südens

(Öffnet in neuem Fenster)

Just do it. Tu’s einfach.

An was denkst du, wenn du diesen Satz hörst? Wahrscheinlich die Marke Nike, die mit diesem Slogan Millionen Menschen dazu bewegte, sich mehr zu bewegen. Die “Just do it” Kampagne zeigt: Wer die richtigen Geschichten erzählt, kann die Welt von sich überzeugen (oder verkauft zumindest eine Menge teure Sportschuhe). Das gilt auch auf der Bühne der Weltmächte. Deswegen feilt die Kommunistische Partei an der perfekten “China Story”: eine Geschichte, mit der China die Werte des Westens überschreiben kann. Und wir liefern China gerade eine Steilvorlage dafür.

Dieser Text ist der letzte Teil einer Reihe zur Frage: Warum will China eine Sonderrolle, wenn es um Menschenrechte geht? Letztes Mal habe ich beschrieben, wie China die Menschenrechte neu erfand (Öffnet in neuem Fenster). Heute geht es darum, wie China den Grundsätzen der UN Konkurrenz macht: Dazu gehören die universellen Menschenrechte, aber auch Werte wie Demokratie und individuelle Freiheit. Wie genau das funktioniert, und ob China damit bisher erfolgreich war, erkläre ich dir in diesem Text. 

Wie man die Geschichte einer Nation verkauft

Die EU ist eine talentierte Erzählerin. Im Parlamentsgebäude in Brüssel oder an der ehemaligen Berliner Mauer: Überall erzählt sie die Geschichte der liberalen Demokratien, die sich aus der Aufklärung entwickelten. Heute steht (Öffnet in neuem Fenster) die EU für Freiheit, Demokratie und den Schutz der Menschenrechte. Mit dieser Strategie fördert die EU ihre Soft Power, quasi das Charisma eines Staates. 

Als Xi Jinping 2012 antrat, entschied er: Auch China hat eine Geschichte zu erzählen. Und die braucht unbedingt ein besseres Marketing. Xi rief “Chinas Geschichte gut erzählen” ins Leben. Dieser Slogan ist ein  提法 tífǎ, ein Schlagwort aus dem Partei-Vokabular, an dem sich der politische Diskurs innerhalb der Kommunistischen Partei ablesen lässt. (Wer tiefer in die Bedeutung und Verwendung von tífǎ einsteigen möchte, schaut in diese exzellente Erklärung (Öffnet in neuem Fenster) hinein). Denn anders als die EU hat China in der Vergangenheit vor allem auf seine Hard Power gesetzt: die Macht seiner Wirtschaft und seines Militärs. Sympathisch machte das Land kaum etwas. “Chinas Geschichte gut erzählen” ist Xi Jinpings Versuch, die Soft Power seines Landes zu verbessern.

Und was genau meint Xi Jinping mit der “China Story (Öffnet in neuem Fenster)”?

Diese Geschichte ist simpel: China hat es innerhalb weniger Jahrzehnte aus bitterer Armut und eigener Kraft zu einem wohlhabenden, mächtigen Land geschafft. Die “China Story” handelt von Beharrlichkeit: Vor 100 Jahren wurde China von der Welt verlacht und geplündert. Jetzt bestimmt das Land über den Verlauf der Weltgeschichte mit. Sie ist nationalistisch: Sie handelt vom Kampf des chinesisches Volkes, seinen Traum zu erfüllen. Die “China Story” ist subversiv: Sie bietet Nicht-Einmischung statt Belehrung. Wirtschaftliche Entwicklung statt Entwicklungshilfe. Vom Staat gelenkte Rechte statt allgemeiner Rechte. Und sie hat einen Kern: Die Kommunistische Partei, deren Kompetenz ein Vorbild für andere Länder ist.

Die “China Story” ist ein von der Kommunistischen Partei kontrolliertes Narrativ. Es ist weder wasserdicht noch realitätsgetreu. Trotzdem ist es eine Erfolgsgeschichte. Und hat einen unbezahlbaren Vorteil: Sie kommt nicht aus dem Westen. Der Kick an der “China Story”? Das kannst du auch schaffen.

Wo die “China Story” besser zieht als die des Westens

Mag sein, dass die “China Story” in Deutschland nicht imponiert. Aber wir sind nicht die Zielgruppe (zumindest nicht die wichtigste). Die wichtigste Zielgruppe ist der sogenannte Globale Süden, vor allem der afrikanische Kontinent. Hier beträgt das Durchschnittsalter 19,4 Jahre (Öffnet in neuem Fenster). Und nur wenige Menschen dort haben Interesse am Status Quo der Weltordnung. Denn diese Weltordnung hat nichts für sie getan. Warum? Hier sind ein paar Beispiele:

  • Laut dem World Inequality Report (Öffnet in neuem Fenster) der Weltbank von 2022 ist Wohlstand heute ungefähr genauso ungleich verteilt wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, auf dem Höhepunkt des westlichen Imperialismus. 

  • Burundi, der Südsudan, Mosambik oder die Demokratische Republik Kongo: Fast alle der ärmsten Länder der Welt sind ehemalige Kolonien.
    Die USA, Deutschland, Frankreich oder Großbritannien: Fast alle der reichsten Länder der Welt sind ehemalige Kolonialmächte.

  • Im Juni 2021 hatten die reicheren Länder 44% aller weltweit produzierten COVID-19-Impfstoffe (Öffnet in neuem Fenster) erworben, obwohl sie nur etwa 16% der Weltbevölkerung ausmachen. Im Gegensatz dazu hatten ärmere Länder im selben Zeitraum weniger als 1% des weltweiten Impfstoffangebots erhalten.

  • Nur rund die Hälfte (Öffnet in neuem Fenster) aller afrikanischen Anträge auf Studierendenvisa in den USA sind erfolgreich. Anträge aus Äthiopien, Kenia oder Nigeria werden zu 75% abgelehnt. Und das mitunter auch (Öffnet in neuem Fenster), wenn Studierende genügend Einkommen vorweisen und die Studiengebühren bezahlen können.

Offen gesagt: It’s not a good look. Man kann zwar die Welt nicht erklären, indem man sie einfach in Unterdrücker und Unterdrückte einteilt. Aber Länder, die am globalen Reichtum wenig bis gar nicht teilhaben, haben gute Gründe, westlichen Predigten der Gleichberechtigung zu misstrauen. Und für diese Zielgruppe hat die “China Story” alles, was gutes Storytelling braucht: einen Konflikt, Emotionen und eine einfache Botschaft. Schauen wir uns das genauer an.

Was kann China bieten, was der Westen nicht hat?

China setzt darauf, dass das eigene Charisma durch eine gemeinsame Leidensgeschichte wirkt. “Wir werden niemals den ausgetretenen Pfad der Kolonialisierung oder Hegemonie betreten”, versprach Xi Jinping (Öffnet in neuem Fenster) während einer Rede im Juni. China wurde nie, wie viele afrikanische Länder, vollständig kolonisiert. Dennoch standen Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Teile Chinas unter ausländischer, auch europäischer Kontrolle. Noch heute speist sich das nationale Selbstverständnis Chinas aus dem Jahrhundert der Demütigung (Öffnet in neuem Fenster), das China durch die Besatzung von Japan und westlichen Mächten widerfuhr. 

Die “China Story” verspricht Ländern des Globalen Südens Solidarität: Wir wissen, was ihr durchgemacht habt. Sie macht Hoffnung auf einen einen Weg aus der Armut: Wir können euch zeigen, wie ihr da rauskommt. Ihre wichtigste Botschaft ist: Ihr wollt Veränderung? Mit uns kriegt ihr Veränderung!

Der Globale Süden ist kein Einheitsblock. In Lateinamerika, Südostasien und den Ländern des afrikanischen Kontinentes gibt unzählige Auffassungen darüber, was sich ändern muss. Über eines sind sich jedoch viele Länder einig: Etwas muss sich ändern. Dieses Sentiment macht China sich zunutze. Und zwar, indem das Land sich als Rebell gegen die regelbasierte Ordnung (Öffnet in neuem Fenster) des Westens inszeniert.

Und wie gut funktioniert das?

Eine gute Geschichte allein reicht nicht, das weiß auch China. Deswegen schafft das Land Verbünde und Initiativen, die der “China Story” Leben einhauchen sollen. Zum Beispiel Staatenbünde wie BRICS oder FOCAC, das Forum für China-Afrika-Kooperation, und drei globale Initiativen (Global Development Initiative, Global Security Initiative und Global Civilization Initiative). Sie sind gedacht als Parallelen zu Institutionen der UN, wie dem UN-Sicherheitsrat oder dem UN-Entwicklungsprogramm.

Der Erfolg dieser Institutionen wird bisher eher verhalten bewertet: BRICS ist keine ernstzunehmender Konkurrenz (Öffnet in neuem Fenster) der G7, auch weil teilhabende Länder wie China und Indien untereinander zerstritten sind. Die Neue Entwicklungsbank (Öffnet in neuem Fenster), das Vorzeigeprojekt von BRICS, hat seit 2014 “nur” 33 Milliarden Dollar für Entwicklungszwecke bereitgestellt - im Gegensatz zur Weltbank, die 2022 alleine 104 Milliarden Dollar bereitstellte.

In Afrika hat China seine Investitionen zwischendurch deutlich zurückgefahren (Öffnet in neuem Fenster). Einerseits aufgrund der chinesischen Wirtschaftskrise. Andererseits, weil viele Länder damit kämpfen, chinesische Kredite zurückzuzahlen (dass China Afrika in eine Schuldenfalle treibt, stimmt so trotzdem nicht (Öffnet in neuem Fenster)). Auch den drei Initiativen GDI, GSI and GCI fehlt es derzeit noch an Struktur und Agenda. (Öffnet in neuem Fenster) Noch ist es zu früh, um ihren Erfolg zu bewerten.

Trotzdem: “Wenn Xi Jinping heute aus dem Fenster schaut, dann gefällt ihm, was er sieht.” vermutet der Journalist Eric Olander in einer Sinica Podcastfolge (Öffnet in neuem Fenster). Aber was sieht Xi Jinping? 

Er sieht Vereinigte Staaten, in denen Hass und Radikalisierung das Versprechen der Freiheit zerfressen. Er sieht, wie die EU von der Migrationsdebatte vergiftet wird. Xi Jinping sieht, wie die allgemeinen Menschenrechte im Nahen Osten zu Grabe getragen werden. Kurz gesagt: Er sieht, wie der Westen von selbst sein moralisches und politisches System demontiert.
Ganz egal, wie man zu Migration oder dem Krieg im Nahen Osten steht: Die USA und die EU machen es China so einfach wie noch nie, die “China Story” zu pitchen.

Danke für’s Lesen, weiter geht’s am 30. Oktober! Dann geht’s um chinesische Klimapolitik.

Hast du Fragen oder Rückmeldungen zu diesem Newsletter? Dann antworte einfach auf diese Mail, ich freue mich über Nachrichten.

Kategorie Menschenrechte