Die drei größten Missverständnisse um chinesische EVs
Nach diesem Text verstehst du, warum in China überall EVs fahren (und ob es in Deutschland auch bald so aussieht)
(Öffnet in neuem Fenster)Das gute Leben kam immer schon auf Rädern. Besonders in China, das bis in die 1990er eine Fahrrad-Nation war. Ob Shanghai, Beijing oder Guangzhou, ob morgens, abends oder nachts: An jedem Ort, zu jeder Zeit rollten Tausende Fahrräder durch China (Diese Galerie (Öffnet in neuem Fenster) hält das auf tollen Fotos fest).
Heute sind Fahrräder im chinesischen Stadtverkehr ein nostalgischer Anblick. Auf den Hauptadern der Großstädte fahren Autos und Motorräder, von denen immer mehr ein grünes Kennzeichen tragen. Mehr als ein Drittel (Öffnet in neuem Fenster) aller neu registrierten Autos in China 2023 sind E-Autos, auch EVs, für electric vehicle, genannt.
Auch mir fielen die grünen Kennzeichen auf, als ich im September das erste Mal seit vier Jahren in China war. Ich begann mich zu fragen: Was war in den vergangenen vier Jahren passiert? Woher kommen diese ganzen EVs?
Während der Recherche für diesen Text wurde mir klar: Fast nichts davon, was ich bisher über die chinesische EV-Industrie aufgeschnappt hatte, stimmte. Deswegen schreibe ich heute einen Text über die drei größten Missverständnisse rund um chinesische EVs. Es geht um Subventionen, Karaoke im Auto und die Zukunft des EV-Marktes - los geht’s!
1: Chinesische EV-Hersteller sind nur durch Subventionen so erfolgreich
Vor etwa einem Jahr kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Antisubventionsuntersuchungen für chinesische E-Autos an. Der Preis der e-Autos werde durch staatliche Subventionen nach unten gedrückt: “Das verzerrt unseren Markt.” stellte von der Leyen fest. Auch in der FAZ (Öffnet in neuem Fenster) und der NZZ (Öffnet in neuem Fenster) war man sicher: Der Erfolg der chinesischen EV-Industrie sei vor allem auf staatliche Finanzspritzen zurückzuführen.
Ja, die chinesische Regierung hat smart in den EV-Markt investiert. Und das nicht wenig (Öffnet in neuem Fenster): 200 Milliarden RMB zwischen 2009 und 2022. Aber das der chinesische EV-Markt so boomt, liegt nicht nur an den Subventionen. Um das zu verstehen, müssen wir zurück in die frühen 2000er.
40 Zigaretten am Tag. So viel müsse man rauchen, um die Luftverschmutzung in Beijing nachzufühlen, behauptete The Economist einmal. Ganz so schlimm war es wohl doch nicht (Öffnet in neuem Fenster). Trotzdem war zu Beginn des Jahrtausends an vielen Tagen der Himmel über Beijing schwefelgelb statt blau. An manchen Tagen lag der Feinstaubgehalt in der Luft bei 500 Mikrogramm pro Kubikmeter. Normal sind 5 bis 15 Mikrogramm.
Was neben Schwerindustrie und Kohle die Luft in Beijing so giftig machte: Die etwa 15 Millionen Menschen, die mit Motorrädern und Autos die immer dichter bewohnte Stadt verpesteten. 2006 wurde China der größte Emittent von Treibhausgasen (Öffnet in neuem Fenster). Alleine 15-20 Prozent stammten als Abgase aus dem Autoverkehr.
Die chinesische Regierung zog die Bremse: Neuzulassungen für Autos wurden nur noch zugelost. Autos mit geraden und ungeraden Nummernschildern mussten an abwechselnden Tagen fahren. Und sie hatte eine entscheidende Erkenntnis (Öffnet in neuem Fenster): Richtig gute Verbrenner bauen die Deutschen. Richtig gute Hybridmodelle bauen die Japaner. Und richtig gute E-Autos: Die werden wir bauen.
2009 (Öffnet in neuem Fenster) begann die Regierung, den Kaufpreis von EVs zu subventionieren, in die Forschung zu investieren und E-Autos von der Mehrwertsteuer zu befreien. Geld alleine macht aber noch kein gutes Auto. Richtig gute Batterien herzustellen, ist ein Handwerk, das man lernen muss. Der chinesische EV-Hersteller BYD bekam dafür eine einmalige Chance: BYD durfte die Busse in Shenzhen (Öffnet in neuem Fenster) elektrifizieren. So wurde die südchinesische Stadt die erste der Welt, deren Nahverkehr komplett elektrisch fuhr. Das bedeutete nicht nur ein gutes Geschäft für BYD, sondern auch eine einzigartige Chance (Öffnet in neuem Fenster), technologisch dazu zu lernen.
Überhaupt, die Batterie (Öffnet in neuem Fenster): Sie ist das Herzstück eines e-Autos und besteht aus Rohstoffen wie Lithium, Kobalt und Graphit. Rund 40% der Herstellungskosten von EVs gehen auf die Batterie zurück. Das heißt: Für ein gutes E-Auto braucht man Batterien von Topqualität. Und das am besten ohne lange Lieferketten der Rohstoffe, die die Kosten in die Höhe treiben. Deswegen werden die Rohstoffe der Batterien mittlerweile fast ausschließlich in China raffiniert. Und den Herstellungsprozess hat keiner wie BYD perfektioniert (Öffnet in neuem Fenster): Die Firma stellt ihre eigenen Batterien her, fertigt die Autoteile selbst und hat obendrauf noch eine hauseigene Halbleiter-Abteilung. BYD muss sich in der Fertigung seiner EVs fast nur auf sich selbst verlassen. Und Das senkt die Produktionskosten extrem.
Die letzte Zutat zum Erfolg der chinesischen EV-Industrie: Ein gnadenloser Wettbewerb (Öffnet in neuem Fenster). Wer sich in den vergangenen Jahren in den chinesischen EV-Markt stürzte, erlebte mit Sicherheit einen ziemlich wildem Ritt: Vor 5 Jahren gab es um die 500 EV-Firmen in China. Heute sind nur noch 100 übrig, und die Zahl wird weiter sinken.
Eine Sache kann die chinesische Regierung: Industrien aus dem Boden stampfen. Und dabei geben Subventionen die Starthilfe, wie in der EV-Industrie. Was sie dann aber richtig zum Brummen brachte, war einerseits die Lokalisierung der Produktion in China. Und andererseits ein marktwirtschaftlicher Klassiker: Beinharter Wettbewerb, bis sich die Stärksten durchsetzen. Seit 2023 (Öffnet in neuem Fenster) gibt es in China übrigens keine Kaufprämien für Elektrofahrzeuge mehr.
2: Chinesische Kunden stehen auf technische Spielereien - deswegen sind die Autos so beliebt
Ein EV von BYD ist nicht einfach nur ein Auto (Öffnet in neuem Fenster). Es ist auch ein Karaoke-Salon, ein Schlafsaal und ein Massagestudio. „Die Chinesen lieben ja diese kleinen digitalen Elemente“, sagt Ralph Brandstätter (Öffnet in neuem Fenster), VW-Vorstand für das China-Geschäft. Das sieht man auch auf Douyin, der chinesischen Version von Tiktok: Dort führen Besitzer*innen eines EVs begeistert diese Gimmicks vor. Ist auf dem chinesischen EV-Markt am erfolgreichsten, wer die überraschendsten Features ins Auto baut?
Misstrauen und Spott über chinesische Produkte hat in Deutschland Tradition. Das Made in China Label lässt auch heute noch viele Menschen beim Kauf zurückschrecken. Made in China verwendete man lange als Synonym für: billig, Massenware, eigentlich schon beim Kauf schrottreif. Schokolade, Kühlschränke oder Handys: Selbst in China hatten europäische oder amerikanische Marken einen besseren Ruf. Bis jetzt.
Junge Chines*innen, die jetzt einen Führerschein machen und sich ein Auto leisten können, shoppen auf Temu und bezahlen mit Alibaba. Sie kaufen ihren Kaffee bei Luckin und tragen ein Xiaomi Handy in der Tasche. Made in China ist ein Qualitätsversprechen für sie, keine Lachnummer. Manche erklären das mit dem guochao (Öffnet in neuem Fenster) Trend, bei dem junge Menschen sich bewusst für chinesische Marken entscheiden. Und Massagefunktionen und Schminktipps im Autospiegel finden chinesische Käufer*innen offensichtlich nett.
Aber egal ob in China oder Deutschland, Konsument*innen wollen alle das gleiche: Das beste Produkt für den kleinsten Taler. Und da ist die chinesische EV-Industrie derzeit unschlagbar.
3: The only way from here is up: BYD und Co gehört die Zukunft des Automarktes
Für diesen Newsletter habe ich im Familien-Whatsapp-Chat eine kleine Studie durchgeführt. Als ich dort nachfragte, ob jemand schon erwogen habe, ein E-Auto, vielleicht gar ein chinesisches zu kaufen, waren die Reaktionen eher verhalten. “Ein USB-Stick aus China, meinetwegen. Aber ein Auto für rund 30.000 Euro, was ich 15 Jahre lang fahren will…” schrieb mein Cousin. Dieses Gefühl hat nicht nur er: Chinesische Automarken haben es schwer dabei, das Vertrauen europäischer Kund*innen zu gewinnen.
Elektromobilität wird in Europa ohnehin mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Die Modelle sind vielen schlicht zu teuer. Außerdem befürchten viele (Öffnet in neuem Fenster), ein EV bleibe direkt hinter dem Ortsausgang liegen oder müsse stundenlang an der Ladesäule hängen.
Noch dazu haben VW, Mercedes und Co in Europa einfach einen Heimvorteil. “Viele chinesische EV-Hersteller unterschätzen die Schwierigkeit völlig, in Europa eine Marke aufzubauen”, sagt Daniel Kirchert, Geschäftsführer von Noyo mobility in einem Interview (Öffnet in neuem Fenster). Er muss es wissen, denn sein Unternehmen unterstützt chinesische Autobauer dabei, sich im europäischen Markt zu etablieren. Ein tolles e-Auto alleine reiche nicht, so Kirchert: “Die zwei größten Probleme sind Vertrauen in das Produkt, und Vertrauen in den Service.”
Dazu kommen jetzt noch Strafzölle: In den USA liegen sie gerade bei historisch hohen 100%. Auch die EU hat gerade Zölle zwischen 9 und 36% auf chinesische e-Autos verhängt. So bleibt BYD und Co nichts anderes übrig, als die Füße still zu halten und sich auf die Märkte in Südostasien und Lateinamerika (Öffnet in neuem Fenster) zu konzentrieren.
Auch in China flacht der EV-Trend ab (Öffnet in neuem Fenster), dort drückt gerade eine Wirtschaftskrise auf die Kauflaune. Um die Reste des heimischen Marktes zu melken und die auf Masse produzierten Autos loszuwerden, reduzierten BYD und Co die Preise ihrer Autos drastisch. Das erzürnte einerseits Kund*innen, deren Autos quasi über Nacht massiv an Wert verloren. Und andererseits bekamen europäische Märkte schließlich die Überkapazitäten zu spüren, die chinesische Autobauer in ausländische Märkten exportierten.
Gesichert ist die Zukunft chinesischer EV-Hersteller ganz und gar nicht. Sie mögen von staatlicher Unterstützung aufgezogen worden sein. Doch laufen lernen müssen sie jetzt alleine.
Zweifelhaft ist der Hype um EVs noch aus einem weiteren Grund: Im Kongo wird Kobalt für die Batterien unter sklavenähnlichen Bedingungen (Öffnet in neuem Fenster) abgebaut. Viele der Menschen in den Minen sind noch Kinder. In Argentinien (Öffnet in neuem Fenster) hat der Abbau von Lithium, ebenfalls ein Rohstoff für Autobatterien, ganze Landstriche trockengelegt. Dass die grüne Transformation unseres Straßenverkehrs ein ziemlich dreckiges Geschäft ist - das haben wir über Strafzölle und Überkapazitäten anscheinend vergessen.
Dafür, dass ich mich ungefähr gar nicht für Autos interessiere, hat mir dieser Text ziemlich Freude gemacht. Wenn ich nur einen der Podcasts und Texte aus meiner Recherche weiterempfehlen könnte, wäre es diese Folge (Öffnet in neuem Fenster) von “Tech Tonic” der Financial Times.
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