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Chinas Mafia baut ein Imperium in Südostasien

China inszeniert sich gerne als ein Musterbeispiel für innere Sicherheit. Eine chinesische Mafia gibt es trotzdem – und sie betrügt Menschen weltweit um Milliarden.

Spätestens in Mae Sot, an der Grenze zu Myanmar, bekam Wang Xing ein ungutes Gefühl. Eigentlich war der Schauspieler wegen eines Castingcalls nach Bangkok gekommen. Die vermeintlichen Mitarbeiter der Produktionsfirma fuhren ihn jedoch über die myanmarische Grenze in die Stadt Myawaddy. Dort rasierten sie ihm den Kopf und drückten ihm ein Handy in die Hand. Statt auf einem Dreh war Wang in einem myanmarischen Scam-Center gelandet. Wang sollte lernen, wie man Menschen weltweit um ihr Geld betrügt.

Wang Xings Verschwinden Anfang Januar 2025 sorgte für großes Aufsehen in China. Seine Entführung deutet auf ein größeres Problem hin: Chinesische Verbrechersyndikate in Südostasien erbeuten Milliarden mit Drogenschmuggel, Menschenhandel und Online-Scams. Die Arbeit in den Scam-Centern wird von Expert:innen als moderner Sklavenhandel bezeichnet.

Kaum ein Land überwacht seine Bürger so lückenlos wie China. Die Führung inszeniert sich gerne als Instanz, die hart gegen Kriminelle durchgreift und organisierte Verbrechen kein Stück weit toleriert. Trotzdem sind chinesische Kriminelle die Köpfe einer Betrugsindustrie, die bisher beinahe ungestört im Dschungel zwischen Laos, Myanmar und Thailand wuchert – und auch auf Opfer in Deutschland abzielt. Das liegt auch daran, dass die Beijing nicht genau hinschaut, wenn es um die chinesische Mafia geht. Und die Verbrecher manchmal zu Komplizen macht.

Schweine schlachten in Südostasien

Mitten in Südostasien befindet sich eine der bizarrsten Enklaven (Öffnet in neuem Fenster) der Welt. Die Golden Triangle Special Economic Zone (GTSEZ) ist ein etwa 30 km² großes Spielerparadies an der laotischen Seite des Mekong-Flusses. Wer diese Stadt betritt, muss erst durch eine Passkontrolle, laotische Polizei hat hier keinen Zutritt. In die Kasino-Stadt kommen chinesische Tourist:innen, weil Glücksspiel in der Volksrepublik verboten ist. In der GTSEZ findet vor allem ungefähr jedes Verbrechen statt, das du dir ausdenken kannst: Wildtierhandel, Zwangsarbeit, offene Geldwäsche und die Prostitution Minderjähriger. Und der Chef der Sonderwirtschaftszone? Das ist Zhao Wei, ein chinesischer Gangboss, der das Land für 99 Jahre gepachtet hat. Deswegen laufen die Uhren nach chinesischer Zeit, auch die meisten Schilder sind auf chinesisch. Zhao Wei hat sich ein kleines Stück chinesisches Gangster-Paradies geschaffen, mitten in Laos. 

Die Golden Triangle Special Economic Zone ist vielleicht das schillerndste Beispiel chinesischer Mafiastrukturen in Südostasien. Aber sie ist längst nicht die einzige. Die Geschichte der Triaden, so nennt man die chinesische Mafia, geht bis ins 17. Jahrhundert zurück. Heute decken die Triaden die ganze Palette transnationaler Verbrechen ab, von Menschenhandel bis zu Drogenschmuggel und Geldwäsche. Seit der Corona-Pandemie sind sie besonders aktiv in Scam-Centern, von denen massenhafter Online-Betrug ausgeht. Die Scam-Center funktionieren wie eine echte Firma, samt Büros, Sicherheitskräften, Buchhalter:innen und Vorgesetzten (Die New York Times hat hier (Öffnet in neuem Fenster) die Struktur einer Scam-Firma in Myanmar nachgezeichnet).

Viele Online-Betrüger:innen sind selbst Opfer von Menschenhandel: Sie sind zum Beispiel einem verlockenden Job-Angebot nach Thailand gefolgt, und werden dann unter Androhung von Gewalt zu Betrugsmaschen gezwungen. Bei denen handelt es sich häufig um Pig-Butchering, also “ein Schwein schlachten”. Und das funktioniert so:

Der Betrüger kontaktiert sein Opfer zum Beispiel auf einer Dating-App mit einem falschen Profil und verwickelt es in ein harmloses Gespräch. Diese Phase nennt man fattening: Der Betrüger mästet das Vertrauen seines Opfers, und das durchaus mehrere Wochen lang. Bis es Zeit zum Schlachten ist. Der Betrüger lenkt das Gespräch auf Investitionen und Trading-Geschäfte und drängt sein Opfer, es auch mal zu probieren. Dann schickt er dem Opfer den Link zu einer gefälschten Trading-App oder Webseite. 

Überweist das Opfer tatsächlich Geld auf die Plattform, landet das Geld beim Betrüger. Das Schwein ist geschlachtet. Und merkt das selbst meistens erst, wenn es zu spät ist. In den USA haben Pig-Butcherer allein bis 2022 (Öffnet in neuem Fenster) eine Summe von mehr als 2 Milliarden Dollar erbeutet. Auch in Deutschland haben sich bereits mehrere Hundert Opfer (Öffnet in neuem Fenster) gemeldet. 

Wie viele Menschen in den Scam-Centern festsitzen, ist unmöglich genau zu sagen. Die UN schätzt ihre Zahl jedoch auf etwa 200.000 Menschen aus 100 verschiedenen Ländern, darunter auch mehrere zehntausend Chines:innen. Wang Xings Entführung machte einen Skandal sichtbar, den die Führung am liebsten totschweigen würde: Chinesische Staatsbürger:innen werden von kriminellen Netzwerken unter chinesischer Führung entführt, um wiederum Menschen weltweit, auch Chines:innen, zu betrügen. Gleichzeitig tönt das Partei-Sprachrohr Global Times (Öffnet in neuem Fenster), China sei eines der Länder mit der niedrigsten Kriminalitätsrate. Wie passt das zusammen?

So inszeniert China sich als eines der sichersten Länder der Welt

Im November 2024 veröffentlichte das chinesische Büro für öffentliche Sicherheit triumphierend ein Video (Öffnet in neuem Fenster): Es zeigte, wie chinesische Sicherheitskräfte Mitglieder chinesischer Clans abführten, die in Kokang, eine Region an der myanmarisch-chinesischen Grenze, in Online-Betrug verwickelt waren. Wei Qingtao, einer der verhafteten Clanmitglieder, las wenig später im chinesischen Fernsehen reumütig ein vorgeschriebenes Geständnis vor. 

Das ist typisch für Chinas Umgang mit Kriminalität: Der Staat inszeniert medienwirksam, wie er gegen die Unterwelt vorgeht. Für organisierte Kriminalität machen chinesische Staatsmedien gerne südostasiatische Länder selbst verantwortlich. Sie vermitteln die Botschaft: Chinas Bürger:innen hätten nichts zu befürchten, denn die Partei gehe mit voller Gesetzeshärte gegen Kriminelle vor. Für die Kommunistische Partei ist dieses Branding wichtig: Schließlich hängt ihre Existenz auch davon ab, Wohlstand und Frieden für die Bevölkerung Chinas zu garantieren.

China ist mit diesem Branding so erfolgreich, dass es seine Sicherheitstechnologien auch ins Ausland exportiert. Zum Beispiel hängen in der serbischen Hauptstadt Belgrad chinesische Sicherheitskameras. Auch die Bundespolizei (Öffnet in neuem Fenster) hat bereits mit chinesischen Sicherheitskräften zusammengearbeitet. Wenn die chinesische Regierung also angibt, alles unter Kontrolle zu haben - warum kann sie dann ihre eigene Bevölkerung nicht vor ein paar Gangstern im südostasiatischen Dschungel schützen?

Weiße Wölfe, gebrochene Zähne und die kommunistische Partei

Thailand und Laos selbst sind häufig machtlos gegenüber den Verbrechernetzwerken. In Myanmar hat der Militärputsch weite Teile des Landes zu einer rechtsfreien Zone gemacht. China ist der einzige Akteur in der Region, der sowohl die Ressourcen als auch die geheimdienstlichen Informationen besitzt, um gegen Verbrechersyndikate in Südostasien vorzugehen, schreibt Martin Purbrick (Öffnet in neuem Fenster). Er ist Experte für organisierte Kriminalität in Asien und war selbst 32 Jahre als Sicherheitsberater in Asien tätig. Tatsächlich aber geht China nur gegen Triaden vor, wenn sie die Legitimität der Kommunistischen Partei bedrohen. Es gibt auch Fälle, in denen die Partei Triaden zu Komplizen macht.

Als China sich der Marktwirtschaft öffnete, nahm die Parteiführung stillschweigend hin, dass unter den Investoren in Chinas neuen Sonderwirtschaftszonen auch viele Gangbosse der Triaden waren. Auch der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation 2001 (Öffnet in neuem Fenster) und die Initiierung der Neuen Seidenstraße waren Wasser auf die Mühlen chinesischer Kriminalität: Jedes Mal, wenn chinesische Geschäftsleute aufgefordert wurden, nach Investitionen im Ausland zu suchen, öffnete sich auch für die chinesische Mafia ein Fenster, zu expandieren.

In Kokang, wo chinesische Sicherheitsbehörden die Familienclans triumphierend abführten, waren Beamte der Kommunistischen Partei über Jahre in Geschäfte mit eben diesen Clans verwickelt. Erst, als die Betrugsgeschäfte der Triaden immer häufiger auch auf Chines:innen selbst abzielten, fiel der Hammer der chinesischen Justiz. 

China lässt die Triaden nicht nur gewähren, wenn es ums Geschäftemachen geht. Sie setzt chinesische Gangster auch gezielt zu ihren Zwecken ein. Zum Beispiel Wan Kuok Koi, “Broken Tooth”, der berüchtigste chinesische Gangster und ehemaliger Boss der Triade 14K. Der machte nach einer 14 jährigen Gefängnisstrafe Karriere als patriotischer Geschäftsmann. Er gründete eine Plattform, die sich unter anderem für die Wiedervereinigung mit Taiwan einsetzt, und erhielt 2021 in Beijing (Öffnet in neuem Fenster) einen Preis für seinen patriotischen Einsatz. Auch der vorherige Anführer der Bamboo-Union-Triade, Chang An-lo, auch “Weißer Wolf” genannt, ist Ultranationalist und setzt sich regelmäßig auf Demonstrationen für die Wiedervereinigung ein. Mitglieder von Triaden waren auch an Angriffen auf die Protestbewegung in Hongkong beteiligt, wie eine Attacke auf den Aktivisten (Öffnet in neuem Fenster) Nathan Law 2017.

If you can’t beat them, join them

Purbrick vermutet (Öffnet in neuem Fenster), dass die Partei quasi einen Deal mit einigen verurteilten Verbrechern abspricht: Du erhältst Bewegungsfreiheit in der Volksrepublik, wenn du dich im Gegenzug für unsere Ziele einsetzt. China weiß schließlich um die Reichweite der Triaden-Netzwerke. Frei nach dem Prinzip: If you can’t beat them, join them.

“Scam-Center in Südostasien wachsen derzeit zu einer weltweiten Krise im Menschenhandel”, sagt Jürgen Stock (Öffnet in neuem Fenster), Generalsekretär von Interpol. Er ist nicht der einzige, der Alarm schlägt: Auch NGOs, die sich für Opfer von Online-Betrug einsetzen, und Organisationen der UN warnen vor den Ausmaßen, die Online-Scams derzeit annehmen. Tatsächlich befreiten chinesische, thailändische und myanmarische Polizeibeamte in einer gemeinsamen Aktion Ende Februar 7000 Zwangsarbeiter aus myanmarischen Scam-Centern. Mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sind diese Bemühungen vermutlich nicht. Zumindest, solange China nur dann gegen organisiertes Verbrechen vorgeht, wenn das seinen geopolitischen Zielen zuträgt, wenn die Kriminalität in China für negative Schlagzeilen sorgt oder die Macht der Partei untergräbt.

Wang Xing, der entführte chinesische Schauspieler, wurde nach dem Hilferuf seiner Freundin nach wenigen Tagen aus dem Scam-Center befreit. Bei der Bangkok Post, die wohl um Schadensbegrenzung bemüht war, sorgte das für die kuriose Schlagzeile (Öffnet in neuem Fenster) “Wang Xing in good spirits after four days in Myanmar Scam Center”. Bei Angehörigen chinesischer Entführungsopfer weckte das die Hoffnung, dass bald auch ihre Familienmitglieder zurückkehren. Solange China sich nicht entschließt, ernsthaft gegen organisierte Kriminalität vorzugehen, bleibt das nur eine Hoffnung.

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