Nobody likes you when you're 23
Then you tell yourself
What you want to hear
Cause you have to believe
This will be my year
(Semisonic)
112/∞
Frohes Neues Jahr!
Ja, das kann man noch sagen. Immer. Denn erst jetzt setzt sich das Jahr 2022 ja so richtig.
Ich finde es seit jeher merkwürdig, dass die Medien vor Silvester auf das noch laufende Jahr zurückblicken — und ich bin so alt, mich daran zu erinnern, dass „Menschen 1990“, der ZDF-Jahresrückblick mit Günther Jauch, zwischen Weihnachten und Neujahr lief, entnehme aber der Wikipedia (Öffnet in neuem Fenster), dass die Sendung anfangs im Januar ausgestrahlt wurde, was auch einigermaßen Sinn macht.
Das verheerende Erdbeben (Öffnet in neuem Fenster) im Indischen Ozean fand bekanntlich am 26. Dezember statt (weswegen im englischen Sprachraum auch vom „Boxing Day Tsunami“ die Rede ist), als die meisten Rückblicke auf das Jahr 2004 schon gedruckt oder versendet waren. Das hätte ein guter (wenn auch denkbar brutaler) Anlass sein können, die seinerzeit gängige Praxis zu überdenken, aber die Termine rückten immer weiter nach vorne. Spotify erklärt seinen Nutzer*innen Ende November, was ihre meist gehörten Songs des Jahrs waren (was möglicherweise verhindern soll, dass die Top 10 von Weihnachtssongs dominiert wird).
Nun: Vielleicht haben es die letzten Tage von 2022 geschafft, die Menschen in Redaktionen aufzuwecken. Am 29. Dezember kamen innerhalb weniger Stunden die Meldungen, dass sowohl Pelé (unbestreitbar einer der größten Sportler aller Zeiten) und Vivienne Westwood (quasi die Erfinderin von Punk als Kleidungsstil) gestorben waren. Am 30. Dezember starb die legendäre amerikanische Fernsehmoderatorin Barbara Walters und am Silvester-Vormittag kam dann auch noch die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ganz überraschende Eilmeldung, dass der emeritierte Papst Benedikt XVI. statt Stadt und Erdkreis das Zeitliche gesegnet hatte.
[Kleiner Exkurs zum Papst: Der Tod von Johannes Paul II., dem einzigen Papst, den ich bis dahin erlebt hatte, wird auf mich ewig mit Schnappi, dem kleinen Krokodil, verknüpft sein. Das stand nämlich mit seiner Sängerin Joy gerade auf der Bühne der ECHO-Verleihung, als das Bild der RTL-Übertragung einfror und eine etwas überforderte Moderatorin die Meldung verlas, dass der Heilige Vater verstorben sei (bei ProSieben lief (Öffnet in neuem Fenster) unbeeindruckt „Stirb langsam II“). Seitdem habe ich mich natürlich immer gefragt, was mein Schnappi zu Papst Benedikt sein würde. Die Antwort lautet: Schottische Kühe, denn ich schaltete gerade eine jener Reisereportagen auf Phoenix ein, mit denen ich traditionell meine Zeit zwischen den Jahren verbringe, als ich dort ein Laufband mit der entsprechenden Nachricht sah. Exkurs Ende.]
Dass ein Papst und ein*e britische*r Monarch*in in einem Kalenderjahr starben, hatte es zuletzt 1830 gegeben (Pius VIII. und George IV.); da hatte Goethe noch gelebt und die Baltimore and Ohio Railroad gerade den Betrieb aufgenommen. Diese historische Dimension des Jahres 2022 wird allerdings in den wenigsten Jahresrückblicken aufblitzen, denn die waren ja alle schon fertig (und enthielten mit der Queen, Michail Gorbatschow, Sidney Poitier, Meat Loaf, Uwe Seeler, Jean-Luc Godard, Wolfgang Petersen, Olivia Newton-John, Angela Lansbury, Fritz Pleitgen, Taylor Hawkins und Madeleine Albright einen ohnehin schon gefährlich an 2016 gemahnenden Nekrolog).
Ich habe es jedenfalls noch so gerade eben im Januar 2023 geschafft, auf mein musikalisches Jahr 2022 zurückzublicken, und im Blog über meine Lieblingssongs (Öffnet in neuem Fenster) (hier (Öffnet in neuem Fenster) auch als Spotify-Liste) und meine Lieblingsacts (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben.
Als ich damit fertig war, habe ich endlich neue Musik gehört, die allerdings auch teilweise noch im vergangenen Jahr erschienen war, was mich jetzt natürlich wieder an dem Konzept „Jahresbestenlisten“ zweifeln lässt: Vielleicht sollte man die erst zehn, zwanzig Jahre später veröffentlichen, wenn sich alles hat legen und setzen können — aber das wäre natürlich auch wieder langweilig. Also: Lieber irgendwann im Überschwang die Liste einloggen, die Zeitkapsel schließen und dann Jahre später gucken, was geblieben ist und was man vielleicht vergessen hat, obwohl es mal total toll und wichtig war. So wie im echten Leben eben auch.
But now for something completely different: Vor ungefähr sechseinhalb Jahren habe ich diesen kleinen Newsletter gestartet (Öffnet in neuem Fenster), weil ich so genervt war von Facebook, Twitter und co. Bei Facebook und Twitter bin ich nicht mehr (Öffnet in neuem Fenster), dieser Newsletter macht mir aber immer noch großen Spaß.
Und weil die netten Leute von Steady, über deren Plattform dieser Newsletter (und viele andere gute) verschickt wird, immer sagen, man solle seine Projekte monetarisieren, und weil mich tatsächlich schon ein paar von Euch angesprochen haben, wie sie für diesen Newsletter bezahlen können, ist das ab jetzt möglich:
GANZ WICHTIG: Dieser Newsletter bleibt kostenlos!
Aber wenn Euch dieser Newsletter so gut gefällt, dass Ihr dafür unbedingt bezahlen wollt, könnt Ihr das jetzt tun: als Unterstützer*in, Fan oder Executive Producer. So heißen die drei Pakete, die unterschiedlich viel kosten, nämlich 3, 5 bzw. 10 Euro im Monat oder 36, 54 bzw. 96 Euro im Jahr.
Ich habe keine Ahnung, wie viele von Euch Geld ausgeben wollen (und ja auch können) für einen Newsletter, den sie sonst kostenlos bekommen würden, aber gemeinsam können wir es herausfinden und meine Dankbarkeit ist Euch in jedem Fall sicher!
Ich weiß auch noch nicht, ob und welche exklusiven Inhalte ich zusätzlich anbieten soll/kann, aber vielleicht habt Ihr ja Ideen, Vorschläge oder Wünsche. Wir sind jetzt eine Community (wenn Ihr wollt — hier wird niemand gezwungen, Ihr könnt Euch auch ganz einfach weiter als Abonnent*innen eines Newsletters fühlen!) und schauen gemeinsam, wo die Reise hingeht.
Es ist ein Experiment, es ist - um mal eine Phrase zu vermeiden - Neuland, aber das ist ja das Schöne am Internet: dass man auch mit fast 40 noch mal neue Sachen ausprobieren kann (nein, TikTok nicht, danke!). Und wenn das irgendwie funktioniert, ist es ein Testballon für weitere, größere Projekte, die ich mir jetzt schon sehr schön ausmalen aber noch nicht wirklich näher beschreiben kann. Let’s go exploring!
Was hast Du gehört?
Erstmal sehr viel von meiner 2022-Playlist (Öffnet in neuem Fenster).
Wenn Ihr Euch meine Bestenlisten anschaut (bzw. besser anhört), werdet Ihr feststellen, dass da viel melancholische Folk-Musik von Frauen dabei ist — und zufälligerweise (wirklich!) einige Acts aus dem Ruhrgebiet. Nun: Die 2023er Liste wird ungefähr dort weitergehen, denn Maryaka kommt ursprünglich aus dem Pott und macht Musik zwischen Phoebe Bridgers, k.d. lang und Kathleen Edwards. Ihre aktuelle Doppel-Single „Grow/Try“ (Apple Music (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster)) ist vor zwei Wochen bei meinen Homies vom Grand Hotel van Cleef erschienen (auch das ein Zufall!) und ich glaube, ich muss mir echt mal einen anderen Narrativ einfallen lassen als „Erstaunlich, dass so Musik aus Deutschland kommt!“, denn offenbar haben „wir“ eine sehr, sehr gute, lebendige Musikszene, wenn man das Radio ausmacht.
„Spark & Fire“ ist ein Podcast über Kreativität und sowas finde ich ja immer (Öffnet in neuem Fenster) toll. So unterschiedliche Menschen wie der Comedian Patton Oswalt, die Schriftstellerinnen Isabel Allende und Ann Patchett, der Bildende Künstler Mark Bradford, der Regisseur Rian Johnson oder Ben Folds sprechen darüber, wie sie ihre bestimmte ihrer Werke erschaffen haben und wie kreative Prozesse bei ihnen aussehen. Die Formatierung ist ein bisschen bemühte „This American Life“-Schule, aber das stört nicht groß, denn ich höre einfach wahnsinnig gerne kreativen Menschen zu, die aus ihrem Arbeitsalltag berichten. „Spark & Fire“ ist eine Produktion von WaitWhat und der BBC und überall zu hören, wo es Podcasts gibt. Und auf sparkandfire.com (Öffnet in neuem Fenster).
Was hast Du gesehen?
Zwischen den Jahren war ich auf meiner üblichen Diät von Reise- und Geschichtsdokus im linearen Fernsehen, angereichert mit der Darts-WM. Ich hatte mich im Vorjahr in diese immer etwas merkwürdig erscheinende Sportart verliebt; die Premier League Darts hatte mich durch das trübe Corona-Frühjahr getragen und es war schön zu sehen, wie viel Aufmerksamkeit es dann dieses Jahr Dank des deutschen Halbfinalisten Gabriel Clemens für den Darts-Sport gab. Die Reize des Sports liegen auf der Hand: auf minimaler Fläche von 0,36 Quadratmetern können sich die größten Dramen (Öffnet in neuem Fenster) abspielen; in der Halle und auf der Bühne ist immer beste Stimmung und so tradierte Brauchtums-Rivalitäten wie im Fußball sind undenkbar; im WM-Finale geht es um 500.000 Pfund und man denkt sich sofort: „Das kann ich doch auch“, um sich dann im Internet eine Dartscheibe zu bestellen und sich selbst eines besseren zu belehren — aber die Verheißung bleibt: Vielleicht, mit ein bisschen Training, könnte man auch im fortgeschrittenen Alter doch noch Profisportler werden! Toll!
Bei Netflix läuft „Glass Onion“ (Öffnet in neuem Fenster), die Fortsetzung der sehr tollen murder mystery „Knives Out“ (s.a. Newsletter #80 (Öffnet in neuem Fenster)). Daniel Craig ist wieder der geniale Privatdetektiv Benoit Blanc, der diesmal Teil eines extrem übertriebenen „Krimi-Dinners“ ist, das sich als blutiger Ernst entpuppt. Der erste Teil des Films ist etwas weird und merkwürdig, was aber ab einem bestimmten Punkt alles total Sinn ergibt, und: Junge, ist das ein grandioser Film! Irgendwann fiel mir auch noch auf, dass der Cast Leute aus einigen meiner absoluten Lieblingsfilme versammelt (Edward Norton aus „Fight Club“, Kate Hudson aus „Almost Famous“, Leslie Odom Jr. aus „Hamilton“, eh Daniel Craig aus „Casino Royale“ und „Skyfall“ und in Cameos auch noch Ethan Hawke aus „Boyhood“ und Hugh Grant aus „About A Boy“), aber da hatte ich den Film eh schon komplett in mein Herz geschlossen.
Was hast Du gelesen?
„The Nineties“ von Chuck Klosterman, ein Buch über die 1990er Jahre, das ich wirklich sehr hart liebe, und über das ich im Blog (Öffnet in neuem Fenster) mehr geschrieben habe.
Im Jahresrückblick der BBC habe ich ein absolutes Meisterwerk entdeckt für Menschen, die sich dem britischen Königshaus verbunden fühlen und sich für Varietätenlinguistik interessieren. Ich weiß nicht, ob die Schnittmenge größer ist als ich, aber das kann mir als Zielgruppe ja egal sein:
https://www.bbc.com/future/article/20220915-what-the-queens-english-told-us-about-a-changing-world (Öffnet in neuem Fenster)Was hast Du zum ersten Mal gemacht?
In Essen fährt zwischen den Richtungsfahrbahnen der A40 ein Spurbus (Öffnet in neuem Fenster), also einen Bus, der auf Betonbahnen fährt und mithilfe seitlich angebrachter Rollen und Führungsschienen in der Spur gehalten wird (wobei „ein“ Spurbus fast zu wenig ist: es ist die einzige Spurbus-Strecke in Deutschland, die noch in Betrieb ist!) — und nachdem wir dieses außergewöhnliche Fahrzeug jahrelang immer wieder gesehen hatten, sind der größte Nahverkehrs-Fan, den ich kenne, und ich in den Weihnachtsferien endlich damit gefahren! Was soll ich sagen? Auf den ersten Metern fühlt es sich tatsächlich ein bisschen wie Achterbahn an, danach nutzt sich der Effekt ein wenig ab, aber es ist schon cool, in einer Gegend zu wohnen, in der es so (Öffnet in neuem Fenster) viele (Öffnet in neuem Fenster) besondere (Öffnet in neuem Fenster) Fahrzeuge gibt!
Was hast Du gelernt?
In der großen Vinylausgabe der sehr, sehr tollen Pale-Platte „The Night, The Dawn And What Remains“ (s.a. Newsletter #110 (Öffnet in neuem Fenster) und meine Jahres-Bestenlisten) kann man sehen (Öffnet in neuem Fenster), dass auf dem Cover ein Mixtape namens „Hometown Mix“ steht , dessen B-Seite mit „Dinslaken 2002“ beschriftet ist — meiner alten Heimat und meinem Abi-Jahr. Ich habe nichts damit zu tun (auch wenn mein Papa das nicht glauben wollte), aber es hat mich unnatürlich glücklich gemacht.
https://youtu.be/Rdkpg0sv6q0 (Öffnet in neuem Fenster)Just another superb music act from Bochum. ¯\_(ツ)_/¯
Habt ein schönes Wochenende!
Always Love, Lukas
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