Und was, wenn es nicht reicht? - Amelia & Patrick I
Vorhang auf für ein Projekt, das jetzt lange in der Schublade lag: Mein im November 2021 angefangenes Romanprojekt "Lass mich los, damit ich ankomme". So lautet der Klappentext:
Amelia und Patrick haben augenscheinlich alles, was ein Paar sich nur wünschen kann: Sie lieben einander seit sie 18 waren, haben eine süße kleine Tochter miteinander, vielversprechende Jobs und leben in einer der schönsten Metropolen Deutschlands. Doch hinter der Fassade bröckelt es. Denn während Patrick sein Leben als moderner Vater mit hippem Agenturjob und der intelligenten Frau an seiner Seite sehr genießt, beginnt Amelia zu begreifen, dass dieses Leben vielleicht doch nicht all das ist, was sie immer wollte. Schlimmer noch: Amelia erkennt, dass ihr etwas fehlt. Also macht sie Patrick einen Vorschlag, der ihre Ehe gehörig auf den Kopf stellt. Bekommt ihre Jugendliebe das versprochene Happily Ever After oder haben Amelia und Patrick sich doch zu weit voneinander entfernt, während sie miteinander erwachsen geworden sind?
Eine Geschichte übers loslassen Müssen und festhalten Wollen und die immer aktuelle Frage danach, wie viel unserer eigenen Persönlichkeit eigentlich verhandelbar ist.
Auf der Weihnachtsfeier habe ich die erste Hälfte der ersten Szene schon einem kleinen Teil der Community vorgestellt - nun sollen alle von euch die komplette Szene zu lesen und zu hören bekommen.
Ich teile hier die erste Szene von den bislang 17.500 Worten bzw. 66 Normseiten, die ich damals geschrieben habe. Alles bislang völlig unlektoriert. Für diejenigen, die lieber hören als lesen, habe ich es auch eingesprochen. Ihr findet das Audiofile ganz unten unter dem Text. Auch hier gilt: Ich hab grobe Schnitzer rausgeschnitten, aber sonst eher nach dem Motto "Better done than perfect" gearbeitet.
Ich freu mich, wenn ihr es lest/anhört und eure Gedanken mit mir teilt. Die Idee ist: Wenn ihr Freude daran habt, würde ich zukünftig einmal im Monat einen weiteren Auszug mit euch teilen. Hättet ihr Lust darauf?
Wenn euch das erste Kapitel gefällt, schließt gern eine Mitgliedschaft ab, um auch die folgenden Teile zu lesen!
Viel Spaß mit Amelia und Patrick, Part I.
Amelia & Patrick, Part I
„Und wenn mir das, was wir haben, gar nicht reicht?“. Amelias Stimme war ganz leise, angestrengt starrte sie in ihren Kaffee, den sie unaufhörlich umrührte. Jojo, ihre beste Freundin, die ihr gerade gegenüber saß, runzelte die Stirn. „Was genau meinst du damit?“. Sie hatten gerade darüber gesprochen, dass sich Amelias Hochzeitstag demnächst näherte. Neun Jahre waren sie und Patrick schon verheiratet – bislang glücklich, wie Jojo jedenfalls bis eben dachte.
Amelia holte tief Luft, als ob sie sich selbst nicht ganz sicher war, ob sie den folgenden Gedanken wirklich aussprechen wollte: „Ich glaube, ich möchte mehr entdecken als mir diese Ehe geben kann.“ Jojo machte sich ganz gerade und fixierte ihre beste Freundin. „Bist du unglücklich mit Patrick? Stimmt irgendetwas nicht?“ Amelia hob den Blick von ihrer Kaffeetasse: „Nein. Und ja. Ach, ich weiß es doch auch nicht!“ Als ob man die Luft aus ihr herausgelassen hatte, sank Amelia in sich zusammen und ließ theatralisch den Kopf auf die Tischplatte sinken.
Jojo beugte sich etwas vor, um Amelias Hand nehmen zu können. Eine Weile schwiegen sie und ließen sich von dem geschäftigen Summen des Cafés, in dem sie saßen, einlullen. Die Zauberkiste war mehr ein Stübchen als ein Café, nur fünf oder sechs Tische füllten den Raum, der komplett im Vintage-Stil eingerichtet war. Wuchtige Sessel, die in Knopfheftung mit brokatartigen Stoffen in Türkis überzogen waren, standen vor dunklen, schweren Holztischen, deren Beine einen eleganten Schwung hatten. Unter der Decke hing Stuck über petrol- und violettfarbenen Tapetenbahnen mit Barock-Mustern, die links und rechts von einem schlichten, eierschalenfarbenen Wandanstrich eingerahmt waren. Opulente, goldene Bilderrahmen verliehen der Zauberkiste genau das richtige Maß an Kitsch, das Amelias und Jojos Lieblingscafé so wohnlich machte.
Nach einigen Momenten stupste Jojo ihre beste Freundin an: „Was du sagst, ergibt für mich nicht so richtig viel Sinn.“ Amelia, die sich in der Zwischenzeit aufgerichtet und in ihrem Sessel zurückgelehnt hatte, seufzte. „Ich weiß. Vermutlich hältst du mich auch für völlig daneben, wenn ich dir das jetzt erzähle. Aber es lässt mich einfach nicht los.“ Jojo zog die Augenbrauen hoch und nickte Amelia aufmunternd zu. „Es ist nicht so, dass ich Patrick nicht lieben würde und auch nicht so, als ob ich nicht glücklich wäre. Aber ich merke, dass das irgendwie noch nicht alles gewesen sein kann. Vor allem, wenn ich bedenke…“. Amelia nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. „Dass du auch auf Frauen stehst.“, beendete Jojo den Satz für sie. Es war keine Frage, sondern eine schlichte Feststellung.
Amelia nickte. „Ja. Ich dachte immer, mir würde das nicht fehlen. Aber ehrlich, wir sind zusammen, seitdem wir 18 waren. Wir haben jetzt fast unser halbes Leben miteinander verbracht.“ Jojo lachte: „Naja, 13 Jahre sind jetzt nicht unbedingt die Hälfte von 31, aber ok!“ Amelia lachte ebenfalls und warf ein leeres Zuckersachet nach ihrer Freundin. „Das ist doch gar nicht der Punkt! Vielmehr geht’s doch darum, dass wir uns beide vor unserer Hochzeit überhaupt nicht ausprobiert haben. Wir waren immer diese kitschige Jugendliebe, die romantisierte Lovestory, das goldene Paar. Und mittlerweile glaube ich, mit 22 Jahren zu heiraten ist vielleicht nicht nur superromantisch.“
Amelia fing an, die Tischdeko hin und her zu schieben, um ihre Finger zu beschäftigen. Jojo schmunzelte. Das tat Amelia immer, wenn sie nervös war – irgendwelche Dinge sortieren, neu anordnen, nur nicht die direkte Konfrontation suchen. „Weißt du, ich hatte nie etwas mit einer Frau, obwohl das immer etwas war, das ich ausprobieren wollte. Ich bin da lang einfach drüber weggegangen, weil ich auch mit Patrick so glücklich war. Aber besonders seit Maras Geburt hab ich das Gefühl, der Gedanke lauert in meinem Kopf wie ein Schatten, den man einfach nicht los wird.“ Amelia dachte kurz an ihre dreijährige Tochter, die gerade mit ihrem Vater über die Spielplätze der Stadt turnte, damit sie selbst in Ruhe einen Kaffee trinken gehen konnte. Mara war ein absolutes Wunschkind, aber auch anspruchsvoll. Patrick nannte ihre gemeinsame Tochter immer liebevoll seine kleine Räubertochter, doch Amelia konnte nicht anders als zuzugeben, dass ihr Kind ihr momentan immer häufiger den letzten Nerv raubte.
Jojo schien Amelias Gedanken zu erraten, denn sie fragte: „Schläft Mara denn aktuell einigermaßen?“ – „Naja, so gut Dreijährige halt schlafen“, antwortete Amelia ausweichend. Der leicht genervte Unterton in Amelias Stimme machte Jojo klar, dass sie gar nicht weiter fragen brauchte. Stattdessen kam sie also zum Ausgangthema zurück: „Ok, und was gedenkst du jetzt damit zu tun? Ich bin nicht wirklich überrascht, geb ich offen zu. Aber mir ist nicht ganz klar, was genau du jetzt unternehmen willst. Willst du denn was unternehmen?“ Amelia errötete ganz leicht: „Eventuell habe ich das schon“, antwortete sie etwas kleinlaut.
Jojo riss die Augen auf: „Bitte was!? Erzähl!“ Amelia holte ihr Handy raus und zeigte ihrer besten Freundin die frisch installierten Apps. Jojo staunte nicht schlecht: „Tinder, OkCupid, Bumble – und Patrick ist ok damit, dass du daten gehst?“ Amelia steckte das Handy wieder in ihre Tasche und verschränkte abwehrend die Arme: „Es ist ja noch gar nichts passiert. Ich hab nur mal geguckt.“ Jojo zog skeptisch ihre linke Augenbraue in die Höhe: „Aha.“ Dieses eine Wort hin bedeutungsschwer zwischen den Freundinnen.
Amelia ließ langsam die Luft zwischen den aufeinander gepressten Lippen entweichen, bevor sie fortfuhr: „Ja, ich weiß, eigentlich uncool. Ich versuche seit Wochen, irgendwie ein Gespräch mit Patrick anzufangen, ob vielleicht eine offene Ehe was für uns wäre. Ich mein, auf Instagram scheint ja auch niemand mehr so richtig monogam zu sein, warum dann also wir? Aber irgendwie ergibt sich der richtige Moment nie. Du scheinst das ja auch nicht unbedingt für eine gute Idee zu halten.“ Amelia sah Jojo direkt an, deren Gesicht einem einzigen Erstaunen glich. Doch sie lachte: „Du, mach dir um mich mal keine Sorgen! Ich glaube sowieso nicht, dass Monogamie ein wirklich haltbares Konzept ist. Aber ich bin schon ein bisschen irritiert, dass du schon ans Dating denkst, bevor ihr zuhause überhaupt einen Konsens habt.“ Amelia begann direkt, sich zu verteidigen: „Ich date ja gar nicht, ich schreibe nur ein bisschen, um zu gucken, ob sich die Mühe überhaupt lohnt!“
Jojo hatte gerade zu einem weiteren Schluck Kaffee angesetzt, den sie beinahe quer über den Tisch prustete: „Ach, du schreibst nur ein bisschen?“ Das „nur“ betonte Jojo besonders. „Glaubst du nicht, dass Heimlichtuerei vielleicht der falsche Weg ist, sowas anzufangen? Ich mein, Patrick weiß bis dato nicht einmal was von seinem Glück und du checkst schon den Markt.“ Obwohl Jojo eindeutiger amüsiert als erstaunt war, ging Amelia weiter in die Defensive: „Ja, war ja klar, dass das alle für eine doofe Idee halten und ich direkt die Buhfrau bin. Ich wollte doch nur nicht die Pferde scheu machen, bevor ich selbst klar hab, was ich eigentlich will. Außerdem können Einschlafbegleitungen lang sein. Ich versteh dein Problem überhaupt gar nicht.“ Einen Ticken zu schwungvoll stellte sie die Tischdekoration, die sie hin und her geschoben hatte, wieder an ihren Platz.
"Ach Hase“, setzte Jojo an, die derlei Gefühlsausbrüche von ihrer besten Freundin schon kannte. Amelia fühlte sich schnell auf den Schlips getreten. Sie war so harmoniesüchtig und so darauf bedacht, von allen gemocht zu werden, dass sie jegliche Kritik sofort als persönlichen Angriff verstand. Dafür hatte sie aber auch ein Herz aus Gold, war loyal bis zum Schluss und machte den besten Käsekuchen der Stadt. An manchen Tagen liebte Jojo ihre beste Freundin für das eine, an anderen Tagen für das andere mehr. Immerhin waren sie schon seit der Grundschule unzertrennlich.
„Ich bin weder alle noch halte ich das für eine doofe Idee. Im Gegenteil. Wenn du das Gefühl hast, dir fehlt in eurer Ehe etwas und du möchtest bestimmte Erfahrungen gerne nachholen, dann ist das absolut in Ordnung und etwas, das du auf keinen Fall unter den Tisch kehren solltest. Ich steh immer hinter dir, das weißt du doch.“
Jojo legte Amelia die Hand auf den Arm, die ihrerseits zwar immer noch einen Schmollmund zog, aber sich das Grinsen sichtlich verkniff. Amelia sah süß aus, wenn sie so guckte und wusste das auch. Nicht nur bei Patricks, sondern auch bei ihrer besten Freundin reichte dieser Blick, um sie für sich zu gewinnen.„Ja, weiß ich ja. Und danke.“
Amelia legte ihre Hand auf Jojos. Die fuhr fort: „Ich hab grad nur ein bisschen Sorge, dass du das Pferd von hinten aufzäumst. Eine offene Beziehung ist nichts, wo sich eine reinstürzt und der andere kommt dann schon irgendwie hinterher. Das braucht Kommunikation und vor allem Konsens. Zumindest, solange du dich nicht trennen und von einer Beziehung in die nächste stürzen willst.“ Amelia nickte zerknirscht. Sie wusste genau, dass ihre beste Freundin recht hatte. „Ist richtig. Ich war nur so euphorisch, als ich diese Idee das erste Mal so richtig zugelassen habe, dass ich einfach irgendwas tun musste. Es ist mit Mara abends einfach so schwierig, sich mal in Ruhe zu unterhalten. Und so ein bisschen schreiben tut ja eigentlich keinem weh.“ Jojo drückte Amelias Hand: „Patrick vielleicht schon, wenn er nichts davon weiß und das dann auf dem falschen Fuß mitbekommt. Sprich mit ihm. Er ist der verständnisvollste Mann, den ich kenne. Ich glaube nicht, dass er der Idee abgeneigt ist. Im Gegenteil, ich glaube sogar, dass er sogar Spaß daran haben könnte. Er war immerhin schon immer ein kleiner Charmebolzen.“ Beide Frauen mussten lachen.
„Du hast ja recht. Wenn Mara nachher im Bett ist, werde ich ihn vielleicht mal darauf ansprechen. Ich kann das ja nicht ewig vor mir herschieben.“ Jojo lehnte sich in ihrem Sessel zurück und winkte die Bedienung heran. „Mach das unbedingt. Aber vorher gönnen wir uns ein Gläschen Sekt und stoßen auf den Mut an, ein neues Abenteuer außerhalb gesellschaftlicher Konventionen zu beginnen!“ Während Jojo zwei Gläser Prosecco orderte, zog Amelia ihr Smartphone aus der Tasche, um ihre Nachrichten zu checken. Patrick hatte ihr geschrieben: „Hey Süße, ich hoffe, ihr zwei Hübschen habt Spaß. Mara und ich fahren jetzt noch einkaufen, wir brauchen noch was zum Abendessen. Pizza?“ Amelia tippte ein schnelles „Ja“ und ergänzte es um einen Kuss-Emoji. Die Benachrichtigungen der Dating-Apps löschte sie ungelesen. Immerhin wollte sie jetzt zuerst mit Patrick sprechen, bevor sie sich weiter in ihr Vorhaben vertiefte.
Amelia & Patrick, Part I für die Ohren
Hier findet ihr den obigen Abschnitt als eingesprochene Audiodatei:
Bild: Photo by Tom The Photographer (Öffnet in neuem Fenster) on Unsplash (Öffnet in neuem Fenster)
xoxo,
eure Celsy