Wenn Frauen obdachlos sind
„Wir sind immer komplett ausgelastet, vor allem bei den Frauen“, sagt Alena Mach, während sie vor einem Frauenschlafraum stehen bleibt. Ein kurzer Blick zur Decke – dort hängt eine Kamera, die es den Frauen ermöglicht, zu sehen, wer ihren Raum betritt. Mach ist Leiterin im „Nordlicht“, einem Tageszentrum und Notquartier, das obdach- und wohnungslosen Menschen Schutz bietet. In der Einrichtung haben Bewohner*innen nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch eine Struktur, die ihnen hilft, den Alltag zu bewältigen - das hilft vor allem betroffenen Frauen.
Die Öffentlichkeit bekommt davon kaum etwas mit, weibliche Wohnungslosigkeit bleibt oft unsichtbar. Sie sieht nämlich auch nicht immer so aus, wie wir uns das vorstellen, erklärt Mach:
„Frauen verstecken ihre Situation häufig – sei es durch Couchsurfing oder Zweckbeziehungen.“
Das erschwert die Hilfe für sie zusätzlich. Viele obdachlose Frauen sind außerdem von psychischen Erkrankungen betroffen. Eine Studie (Öffnet in neuem Fenster) aus 2024 zeigt, dass etwa 69 Prozent der obdachlosen Frauen im Laufe ihres Lebens von einer psychischen Störung betroffen sind. Die Belastungen der Frauen hängen oft mit Traumata, Gewalt und schwierigen Lebensumständen zusammen: Frauen, die abhängig von einem gewalttätigen Lebenspartner waren oder kein eigenes Einkommen haben, zum Beispiel.
Besonders obdachlose Frauen haben spezielle Bedürfnisse, erklärt Mach. Sie sind häufig sexueller, körperlicher und psychischer Gewalt ausgesetzt und benötigen gerade deshalb geschützte Räume. Viele meiden jedoch die öffentlichen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe aus Angst vor sozialer Ausgrenzung und Scham. Im „Nordlicht“ gibt es 100 Schlafplätze, davon 20 speziell nur für Frauen. Diese Schlafplätze bieten nicht nur eine sichere Unterkunft, sondern gewährleisten auch den Schutz der Intimität und Würde der Frauen. Die Einrichtung legt zudem großen Wert darauf, der queeren Community sowie anderen schutzbedürftigen Gruppen Privatsphäre zu bieten.
Unter den Frauen, die im „Nordlicht“ Zuflucht gefunden haben, sind Katerina und Gina. Ihre Geschichten sind von Schicksalsschlägen geprägt. Beide haben immer wieder bei Freund:innen Unterschlupf gefunden, doch langfristige Stabilität blieb aus. Gina lebt in einer schwierigen Beziehung – ihr Partner hat sie erst vor Kurzem wieder aus seiner Wohnung geworfen. Katerina hatte zeitweise eine eigene Unterkunft, doch in Krisenzeiten bleibt oft nur die Notunterkunft als letzte Zuflucht.
In ihrer schwierigen Situation haben sie etwas gefunden, das sie stärkt: einander. Die beiden Frauen unterstützen sich gegenseitig, sei es durch gemeinsame Gespräche, kleine Freuden wie Musik hören oder einfach durch die Gewissheit, nicht allein zu sein. „Ich habe Kati. Sie gibt mir viel Kraft“, erzählt Gina. Katerina stimmt zu: „Es ist nicht nur der Ort, sondern auch die Menschen hier, die mir helfen.”
Gina und Katerina hoffen auf ein besseres Leben. Katerina kämpft nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kinder, die zurzeit vom Jugendamt betreut werden. Sie ist erst 21 Jahre alt und mit 18 Jahren aus der Slowakei nach Österreich gekommen. Ihre Kindheit war von traumatischen Erlebnissen geprägt, besonders durch das schwierige Verhältnis zu ihrer Mutter und die ständige Präsenz von Drogen in ihrem Umfeld.
Trotzdem bleibt sie optimistisch: „Alles Schlechte hat mir Kraft gegeben.“ Sie ist entschlossen, bald wieder mit ihren Kindern zusammenzuwohnen und ein Leben zu führen, das ihr mehr Sicherheit bietet. Für obdachlose Frauen ist die Lage besonders dramatisch, wenn Kinder im Spiel sind.
Viele Notunterkünfte bieten keine Möglichkeit, Kinder aufzunehmen. Für Mütter bedeutet das: Entweder sie lassen ihre Kinder zurück oder verzichten auf die dringend benötigte Hilfe.
Viele Frauen verharren daher in ungesunden Beziehungen oder unsicheren Arbeitsverhältnissen, um den Verlust ihrer Kinder zu verhindern.
Franziska Fries (19) ist Journalismus-Studentin aus Niederösterreich.
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