Achtung: Skeptisch sein – nicht zynisch werden
In Zeiten von KI-Fälschungen, Trumps falschen Anschuldigungen und anderer Irreführung ist eines wichtig: Skeptisch sein, aber nicht in Zynismus verfallen. Über diesen Unterschied.
Ich hielt vor ein paar Tagen einen Vortrag auf der re:publica (Öffnet in neuem Fenster) – ein Detail ist mir besonders wichtig:
Es gibt die Gefahr, dass Menschen nun allzu misstrauisch werden. Zum Beispiel tragen die Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz (KI) dazu bei, dass Leute auch echte Fotos und Videos anzweifeln beginnen. Es wird auch bei authentischen Aufnahmen unterstellt, sie wäre KI-generiert. Vergangenes Jahr fanden in Deutschland große Demos gegen Rechtsextremismus statt. Darunter auch Köln. Ein Fotograf macht eine beeindruckende Aufnahme dieser Demo. Doch auf Facebook behauptete eine Frau, das Bild wäre KI-generiert. Das ist falsch – es handelt sich um ein echtes Foto (Öffnet in neuem Fenster). In meinem Buch „Wider die Verrohung“ schreibe ich dazu: „KI wird nicht nur dazu verwendet, um mittels gefälschter Inhalte eine Pseudo-Realität zu schaffen, sondern die Verunsicherung durch KI wird auch dazu missbraucht, um die Realität an sich infrage zu stellen. Da werden echte, politisch relevante Fotos angezweifelt mit dem Hinweis, eine KI könnte dahinterstehen.“ Ich halte das für ein größeres Problem: In Zeiten, in denen KI-Anwendungen Bilder quasi erfinden können, in denen auch politisch viele Lügen kursieren, besteht die Gefahr eines überbordenden Anzweifelns. So passiert das regelmäßig, dass bei echten Aufnahmen (zum Beispiel von Olaf Scholz (Öffnet in neuem Fenster)) angezweifelt wird, ob sie echt sein können. Das Wirklichkeitsgefühl als solches ist schlimmstenfalls sogar in Gefahr.
Und es ist allzu leicht, in einen Zynismus zu verfallen. Speziell mit Blick auf Jugendliche, sage ich meinem Vortrag auf der re:publica, ist es wichtig, zwischen Skepsis und Zynismus zu unterscheiden. Wenn ich in Schulen gehe, habe ich manchmal den Eindruck einer grundsätzlichen misstrauischen Haltung – im Sinne von: Man kann gar nichts mehr glauben. In einer Studie aus Norwegen sagt (Öffnet in neuem Fenster) eine Person zwischen 13 und 18: „Ich bin passiv, weil ich nicht weiß, wem ich vertrauen kann.“ Beides ist schlecht: Es ist schlecht, den Eindruck zu haben, man könne selbst nicht mehr erkennen, wer seriöser kommuniziert und wer weniger seriös. Zweitens ist aber auch schlecht, pauschal zu sagen, alles könne unseriös sein, mal pauschal alles anzuzweifeln.
Schlimmstenfalls führt das nämlich dazu, dass man nicht sich die mühevolle Arbeit antut, genau hinzuschauen: Welche Aussage lässt sich belegen, was ist eindeutig falsch? Welche Quelle kommuniziert oft Falsches und wer kommuniziert meist verlässlich? Die Gefahr von Zynismus ist, dass man es sich leicht macht – und auch an jenen Stellen nicht zuhört, wo aber noch seriöser und verlässlicher kommuniziert wird.
Ich fürchte, wir leben in einer Zeit leben, in der der Zyniker oder die Zynikerin hoch angesehen wird. So als wäre es intelligent, einfach alles mal anzuzweifeln. Schwieriger (und klüger) ist jedoch, skeptisch zu sein. Das heißt, es für möglich zu halten, dass vieles gefälscht oder irreführend ist – aber sich gleichzeitig die mühevolle Arbeit anzutun, im Zweifelsfall das zu überprüfen. Zum Beispiel gibt es eben Quellen, die arbeiten häufig seriöser, und jene Quellen, die in einer Tour mit falschen, hochemotionalen Aussagen auffallen.
Dieser Unterschied zwischen Zynismus und Skepsis wird immer wichtiger, gerade in Zeiten einer Politik, die ein „flood the zone with shit“ betreibt. Also etwa Donald Trump und sein Umfeld, die permanent viele unterschiedliche und oft falsche Behauptungen einstreuen – wohl auch mit dem Ziel, dass man den Überblick verliert. Ja, da ist es leicht zynisch zu werden, sich auch auszuklinken. Aber die Gefahr besteht, dass man dann auch wichtige Themen und richtige Informationen versäumt.
Zweitens: Nehmen wir die Problematik, der KI-Bilder. Vor ein paar Jahren hätte ich in Medienkompetenz-Trainings gesagt: Es ist wichtig, sich ein Misstrauen gegenüber Fotos im Internet anzutrainieren. Aber jetzt habe ich oft den Eindruck, dass pauschales Misstrauen auch ein Risiko darstellen kann. Wenn eben echte Bilder allzu leichtfertig hinterfragt werden – ohne sie ernsthaft zu überprüfen.
Wichtig ist also, Medienkompetenz (nicht Misstrauen allein) zu fördern. Wenn zum Beispiel von einer Demo viele unterschiedliche Medien und Fotograf:innen Aufnahmen aus unterschiedlichen Blickwinkeln machen und dabei die gleiche Szene festhalten, deutet das auf die Echtheit hin. In solchen Fällen lässt sich also die Echtheit eines Bildes überprüfen. Oder man kann schauen, wie viele Demonstrierende die Polizei angab – ob ebenfalls große Zahlen offiziell vermeldet wurden.
Wichtig ist: Wir sind nicht komplett ausgeliefert. Oft lässt sich zwischen Fehlinformation und richtiger Information unterscheiden. Aber ich fürchte, unseriöse Akteurinnen und Akteure wollen uns ein Gefühl der Überforderung vermitteln, eventuell auch die Flucht in einen bequemen Zynismus. Aber diesen Gefallen sollten wir ihnen nicht tun, sondern stattdessen skeptisch sein. Gerade in der Schule erscheint es mir wichtig, diesen Unterschied zwischen Skepsis und Zynismus zu vermitteln – und Jugendlichen auch die Werkzeuge mitgeben, skeptisch zu sein (z.B. Momente der Täusch erkennen, gezielt nach dem Faktencheck suchen, Quellenkritik betreiben).
>> Über Methoden der Täuschung und Antworten darauf spreche ich ebenfalls in meinem Vortrag auf der re:publica, welcher am Ende auch ein Plädoyer für Skepsis ist. Wer mehr wissen will: Hier kann man den Text nachlesen (Öffnet in neuem Fenster) oder als Video ansehen.
Und zum Abschluss noch zwei Lese-Tipps:
Dr. TikTok? Der Guardian hat die Top-100-Videos mit Mental-Health-Empfehlungen untersucht und festgestellt, dass mehr als die Hälfte (Öffnet in neuem Fenster) auch Fehlinformation enthält.
Riskante Chatbots: Viele Menschen nutzen ChatGPT und ähnliche Angebote als Ratgeber im Alltag. Doch es kann sein, dass diese Tools problematische Taktiken anwenden, um die Nutzerinnen und Nutzer zufrieden zu stellen bzw. sicherzustellen, dass sie weiterhin viel Zeit in der App verbringen (was ja ökonomisch für die Unternehmen dahinter wichtig ist). Das reicht bis zur Antwort an einen Süchtigen, dass er ruhig etwas Meth nehmen kann – was in einer Studie beobachtet wurde. Die Washington Post berichtet (Öffnet in neuem Fenster) hierüber.
Das war’s für dieses Mal, wir hören uns in zwei Wochen!
Schönen Gruß
Ingrid Brodnig
Foto in der Web-Version: Gregor Fischer/re:publica