Rechte Stimmungsmache – made in Austria, consumed in Germany
Wie rechte bis rechtsextreme Seiten Kritik an sich abschmettern und ihre Fans einstimmen - gerade vor der Bundestagswahl sieht man das. Ich bringe hier ein Beispiel.
Die ZiB2 berichtete, wie der rechtsextremistische Kanal AUF1 im deutschen Bundestags-Wahlkampf mitmischt. Ein wichtiges Thema, das Problem gibt es schon länger: Ein Teil der unseriösen Stimmungsmache (Öffnet in neuem Fenster) vor deutschen Wahlen stammt von österreichischen rechten Online-Kanälen. Lehrreich ist dabei auch, was nach dem Beitrag der ZiB2 (Öffnet in neuem Fenster) passierte. AUF1 mobilisiert seine Fans und deutet die Berichterstattung um. Hier analysiere ich das – und erkläre, wie man reagieren kann:
1.) Die Kritik prompt umdeuten – mittels „self-sealing arguments“. Der Begriff stammt von Kommunikationswissenschaftler David Zarefsky, auf Deutsch kann man es „sich selbst abdichtende Argumente“ nennen. Das meint einen Kommunikationsstil, der bereits so ausgerichtet ist, dass er jedes Gegenargument sofort als Beleg umdeuten kann, wie recht er angeblich hat. Als die ZiB2 ihren kritischen Bericht über AUF1 vor der Bundestagswahl bringt, greift das AUF1 prompt auf und schreibt auf Telegram: „Die steigende Reichweite von AUF1 ist dem System nicht recht.“ Dieser Satz beinhaltet zwei Behauptungen, angeblich dass AUF1 steigende Reichweite hat. Zwar hat der Kanal rund 300.000 Follower auf Telegram, es ist eine Größe in der rechten und verschwörungsaffinen Szene. Aber in der breiten Bevölkerung kennen viele AUF1 wohl nicht. Ich würde meinen, der Satz suggeriert auch, der Beitrag der ZiB2 wäre eine Art Angriff „des Systems“. Generell sind self-sealing arguments sehr wichtig in der Szene von Verschwörungsgläubigen (Öffnet in neuem Fenster). Denn mit ihnen kann man jede kritische Berichterstattung als Zeichen uminterpretieren, etwa, dass man angeblich hätte und es „das System“ auf einen abgesehen hätte.
An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Sprache und Anschuldigungen dieses Kanals eingehen: AUF1-Chefredakteur Stefan Magnet hat zum Beispiel den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron als „Hochfinanz-Marionetten“ (Öffnet in neuem Fenster) bezeichnet und Macron als „Strohmann für Rothschild“. Solche Worte wie „Marionette“, „Hochfinanz“, „Rothschild“ sind Begriffe, die auch in antisemitischen Verschwörungserzählungen oft vorkommen.
2.) Mobilisieren – und mit der Vielzahl von Postings scheinbar die Deutungshoheit gewinnen
Interessant ist, was AUF1 ebenso machte: Im Posting, das ich gerade zitierte, verlinkte AUF1 auch zum Beitrag der „ZiB2“ auf YouTube (Öffnet in neuem Fenster). Man kann leicht erraten, was danach passierte: Etliche Fans, sogar hunderte, posteten kritisch darunter, lobten AUF1 und verbreiteten Anschuldigungen gegen den ORF. Viele machten sich auch über die Einstufung als „rechtsextrem“ lustig: Wohlgemerkt, dass AUF1 rechtsextremistisch ist, steht bereits im Verfassungsschutz-Bericht des Jahres 2023. Wichtig ist hier folgendes: Solche rechten Online-Kanäle versuchen die scheinbare Deutungshoheit zu erlangen, indem sie eine Masse ihrer Fans zu solchen Beiträgen leiten und diese dann negativ posten – hier geht es nicht um die Qualität der Argumente, sondern um die Quantität. Und kurz darauf postete AUF1 ein zweites Mal triumphierend, schrieb, „ORF-Angriff gegen AUF1 wurde zum Bumerang“, und zeigte genau solche negativen YouTube-Kommentare zu dem Beitrag her. Das passiert etablierten Medien regelmäßig: Sie bringen kritische, oft sehr gut recherchierte Beiträge über unseriöse Online-Kanäle – aber wer solche Recherchen macht, muss dann mit der Mobilisierung aus dieser Szene rechnen und mit Negativ-Postings bis hin zu Negativ-Bewertungen. Leider besteht hier meines Erachtens wirklich die Gefahr, dass ein Teil des Publikums sich von der Quantität der Online-Kommentare beeindrucken lässt und nicht mehr so genau schaut, wie viel an der kritischen Berichterstattung dran ist.
3.) Gruppendenken erleichtert Wegschauen bei Kritik: Dieses Abschmettern von Kritik funktioniert auch, indem man ständig suggeriert, dass es eine große Bedrohung gäbe. Hier spielt Gruppendenken eine große Rolle: Zum Beispiel hat AUF1 neulich die Corona-Impfung mit Blick auf die USA als „Todesspritze“ bezeichnet. Oder aktuell verbreitet der Kanal die Headline: „Heftige Wahl-Manipulation! Jetzt wird es richtig schmutzig“. Und er behauptet, Medien würden dies „vertuschen“. Dies passt zur Erzählung vieler rechter bis rechtsextremer Accounts, die oft demokratische Wahlergebnisse anzweifeln. Auch AUF1 nährt immer wieder Misstrauen in demokratische Wahlen. Solche Rhetorik suggeriert ihren Fans auch: Ihr müsste euch fürchten, vor dem „System“, vor „Systemmedien“. In der Psychologie gibt es die Begriffe der „Eigengruppe“ und der „Fremdgruppe“ – und man kann Feindseligkeit schüren ist, indem man suggeriert, die Eigengruppe würde durch die Fremdgruppe (also die anderen) bedroht. Eine gefühlte Bedrohung von außen kann Schwarz-Weiß-Denken begünstigen. Ich würde folgendes annehmen: Indem man den Eindruck einer starken, äußeren Bedrohung nährt, ist es auch leichter, von internem Widerspruch oder kritischer Selbstreflexion abzulenken – das Publikum ist mit dem angeblich unfairen „System“ oder der „Todesspritze“ beschäftigt und hinterfragt womöglich in einigen Fällen nicht, wie argumentativ stichhaltig solche Behauptungen wirklich sind oder ob an Kritik von außen etwas dran ist.
Zum Schluss: Was kann man da tun? Zwei schnelle Anregungen (viele Tipps bringe ich auch hier (Öffnet in neuem Fenster)):
- Gerade das Aufzeigen solcher Mechanismen ist bereits sinnvoll. Solche Einordnungen wollen zwar, die schon tief in solchen Online-Gruppen tief eingetaucht sind, oft nicht hören. Aber es gibt auch jenen Teil der Bevölkerung, der rechtzeitig vorgewarnt werden kann. Und indem man rhetorische Manöver aufschlüsselt, macht man es Menschen auch leichter (Öffnet in neuem Fenster), sie in Zukunft zu erkennen.
- Ich persönlich bin auch Fan folgender Taktik: Einfache und klare Beispiele verwenden, die erklären, wie extrem oder auch absurd die Beiträge solcher Seiten sind. Ich habe schon erwähnt, dass Olaf Scholz als „Hochfinanz-Marionette“ bezeichnet wird – ein heftiger Vorwurf. AUF1 bringt auch viele medizinisch nicht belegte Behauptungen. Ein Beispiel: Niemand muss befürchten, heimlich durch das Einatmen von Luft geimpft zu werden. Aber AUF1 spekuliert: „Über die Luft übertragene mRNA-Partikel könnten zur schnellen Impfung aller Menschen ohne deren Wissen oder Zustimmung verwendet werden.“ Auch dazu gibt es einen guten Faktencheck, wie abstrus das ist: https://faktencheck.afp.com/doc.afp.com.33ZL3RV (Öffnet in neuem Fenster)
Mein Tipp ist immer: Leuten solche konkreten Beispiele zu bringen, damit sie nicht nur abstrakte Einordnungen (etwa als „rechtsextremistischer“ Kanal) hören, sondern eine konkrete Vorstellung bekommen, welche diskreditierenden oder unwissenschaftliche Vorstellungen sie verbreiten. Und meine Erfahrung ist: Viele Menschen verstehen, wie abstrus derartige Geschichten sind.
Es gäbe angesichts der aktuellen Weltsituation noch viel, viel mehr zu sagen. Aber zum Schluss möchte ich zumindest noch zwei Lese-Empfehlungen geben:
CNN hat eine Liste der „13 biggest lies“ (Öffnet in neuem Fenster) von Donald Trump veröffentlicht, das ist natürlich nur ein Ausschnitt der Unwahrheiten, aber ein anschaulicher Überblick.
Die Technik-Kolumnistin Kara Swisher hat etwas Wichtiges aufgezeigt: Es kann sein, dass Unternehmen in den USA jetzt Werbung auf X schalten – um sich gut zu stellen mit der Trump-Regierung (Öffnet in neuem Fenster) und seinem Umfeld. Eine Passage aus dem Wall Street Journal legt diesen Eindruck nahe, den Swisher zitiert.
Das war es für dieses Mal – danke fürs Dabeisein im Newsletter, bis in zwei Wochen!
Schönen Gruß
Ingrid Brodnig
Bild erstellt mit DALL:E