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Ich habe ein Jahr lang die unterschiedlichsten Männer gedatet. Das habe ich über sie gelernt.

“Ich habe manchmal das Gefühl, dass du alle Männer hasst“, sagte meine Mutter zu mir. Ich musste lachen. „Das stimmt doch gar nicht”, schoss es aus mir heraus, bevor ich still wurde und noch länger, ja tagelang, über ihre Aussage nachdachte. Hasse ich alle Männer? Ist das die Erkenntnis, die ich nach diesem Jahr ziehe, in dem ich die verschiedensten von ihnen gedatet habe?

Als ich in meiner ersten Dating-Kolumne Bare Minimum darüber schrieb, dass es fast unmöglich geworden ist, heterosexuelle Männer zu daten, wurde die Kommentarspalte geflutet von etlichen Frauen, die mir zustimmten. Sie erzählten von gescheiterten Beziehungen, miserablen Dates und ihrer Sehnsucht, geliebt und verstanden zu werden. Selbst vergebene Frauen fühlten sich von meinem Text angesprochen und Frauen über 40 berichteten von ähnlichen Szenarien, stellten traurig fest, dass Dating mit dem Alter nicht einfacher wird. Ich fühlte mich von den hunderten Reaktionen bestätigt: Nicht ich war schuld an meinem miserablen Liebesleben, andere machten dieselben Erfahrungen. Nicht wir, sondern Männer sind das Problem.

Aber was brachte mir diese (trotz allem, zugegebenermaßen pauschalisierende) Erkenntnis? Ich fühlte mich von Tausenden verstanden, aber nicht von jenen, denen ich eigentlich näher kommen wollte: Männern. Manche von ihnen warfen mir nach meinen Kolumnen ein unrealistisches Bild von Liebe vor. Ich würde Männer ungerecht behandeln, schließlich hatten sie keine Möglichkeit, ihre Perspektive zu schildern. Ich würde außerdem nach jemandem suchen, der meine Erwartungen niemals erfüllen könnte. Ein Typ wünschte mir ein schönes Leben mit vielen Katzen.

Ihr Unverständnis bestärkte mich und so stieg meine Ablehnung gegen Männer weiter an, wie ein Geschwür, das sich fest in meinem Bauch verwurzelt hatte. Das Geschwür wuchs nicht nur mit jedem unangenehmen Date, über das ich schrieb oder jedem übergriffigen Kommentar, den mir ein Fremder auf der Straße zurief, sondern auch durch Ereignisse, von denen ich nicht unmittelbar betroffen war. Etwa, wenn über einen neuen Femizid in Österreich berichtet wurde, obwohl der letzte nur ein paar Tage zurücklag oder wenn ein weiterer berühmter Mann mit Anschuldigungen sexualisierter Gewalt konfrontiert wurde und die Menschen jedes erdenkliche Szenario eher in Erwägung zogen, als einer Frau zu glauben. Ich sah die Männer, die ich datete, nicht mehr als potentielle Partner für mich, ich sah nur noch all das Böse, das ihr Geschlecht in der Welt verursacht. Ich machte sie mitverantwortlich.

Doch gleichzeitig - und hier liegt mein Dilemma, mein größter Zwiespalt - empfand ich Mitgefühl für sie. Je mehr Männer ich kennenlernte, desto mehr Einfühlungsvermögen entwickelte ich. Die meisten von ihnen entsprachen nicht dem Bösen, das ich ihnen zuschrieb, sie wirkten eher wie orientierungslose Leidtragende. Damit möchte ich sie nicht ihrer Verantwortung entziehen, Männer bleiben der gemeinsame Nenner bei fast allen großen Problemen unserer Zeit und leiden nicht mal ansatzweise so stark unter dem Patriarchat wie Frauen. Aber sie leiden anders, still und heimlich.

Doch ich bemerkte es. Ich bemerkte es, als mir ein Mann bei einem Date von der distanzierten Beziehung zu seinem Vater erzählte. Ich bemerkte es, als mir ein anderer Mann, mit dem ich tagelang auf einer Dating-App schrieb, gestand, dass er in Therapie gehen wollte, aber seine Familie das nie akzeptieren würde. Ich bemerkte es jedes Mal, wenn ein Mann nicht in Worten ausdrücken konnte, was er für mich empfand. Jedes Mal, wenn ein Mann nach einem tiefgründigen Gespräch zu mir sagte: Ich habe noch nie mit jemandem über das geredet.

„Männer können nicht lieben, wenn ihnen die Kunst zu lieben nicht beigebracht wurde. Es ist nicht wahr, dass Männer sich nicht ändern wollen. Wahr ist, dass viele Männer Angst vor Veränderung haben”, schreibt die Autorin Bell Hooks in The Will To Change. Diese Angst spürte ich andauernd, und zwar bei allen Männern, die ich datete, egal ob sie konservative Unternehmer oder linke Studenten waren. Manche von ihnen schafften es, mir diese Angst zu zeigen, doch die meisten versteckten sich hinter bequemen, toxischen Männlichkeitsbildern, die ich nie überwältigen konnte. Es wäre ja auch nicht meine Aufgabe, sondern ihre. Die Frauen in meinem Umfeld entwickeln sich ständig weiter, hinterfragen ihre Verhaltensmuster, verändern sich. Warum fällt Männern das so schwer?

Ich glaube, sie haben Angst davor, nicht mehr gebraucht zu werden, sobald sie ihre Vorstellungen von Männlichkeit ablegen. In meinen Begegnungen mit Männern hatte ich immer wieder das Gefühl, dass sie gebraucht werden wollen, sich aber nicht gebraucht fühlen. Viele scheinen deshalb durch eine regelrechte Identitätskrise zu gehen. Sie setzen sich unrealistische, berufliche Ziele und sind überfordert, wenn sie diese nicht erfüllen können. Oder sie verwechseln Sex mit Liebe und verletzen etliche Frauen, während sie nach Bestätigung suchen. Bei Männern mit Migrationsbiographie kommen Alltagserfahrungen mit Rassismus hinzu, die ihr Selbstwertgefühl beeinträchtigen. Die allermeisten Männer, die mir vor ihren Problemen erzählten, holten sich nie Hilfe, ob durch Therapie oder Gespräche mit ihren männlichen Freunden. Sie hinterfragten den Ursprung ihre Ängste und Sorgen oft gar nicht. Oder, noch schlimmer, sie verfolgten stattdessen Business-Coaches oder Antifeministen auf Social Media, die ihnen eine einfache Lösung für ihre Identitätskrise gaben: Nicht wir, sondern Frauen sind das Problem.

Denn wir brauchen Männer nicht mehr. Junge Frauen wie ich, die einen Job haben, ein eigenes Einkommen, eine Wohnung, einen festen Freundeskreis, lösen in Männern das Gefühl aus, nutzlos zu sein. Das macht ihnen Angst, so sehr, dass viele von ihnen jeglichen feministischen Fortschritt ablehnen, teils unterbewusst, im schlimmsten Fall stürzen sie sich in Frauenhass. Das ist keine Entschuldigung, nur der Versuch einer Erklärung. Der Unterschied zwischen uns ist, dass ihr Hass statistisch gesehen häufig tödlich endet. Die Autorin Margaret Atwood sagte einmal: “Männer haben Angst, dass Frauen sie auslachen. Frauen haben Angst, dass Männer sie umbringen.”

Deshalb werde ich nie eine Frau dafür verurteilen, dass sie Männer hasst oder sich entscheidet, im Zölibat zu leben. Im Gegenteil, ich verstehe sie. Keine Männer zu daten, war die friedvollste Zeit meines Lebens. Ich bin der festen Überzeugung, dass heterosexuelle Frauen zuerst herausfinden müssen, wer sie sind und was ihnen wichtiger ist, als die Aufmerksamkeit und Bestätigung von Männern, bevor sie sich einer Beziehung mit einem Mann verpflichten können (falls sie das dann überhaupt noch wollen). Und selbst wenn man einen Mann findet, den man lieben kann, muss man sich immer wieder fragen, wo die Grenzen dieser Liebe liegen. Wie viel unbezahlte Therapiearbeit leiste ich für meinen Partner? Welche Einstellungen und Verhaltensmuster sind dem Patriarchat geschuldet? Wie viel bin ich bereit zu geben, ohne mich selbst zu verlieren?

Die Kabarettistin Tereza Hossa sagte einmal in ihrem Podcast Duschbier: „Jeder Mann ist der Falsche für euch, findet nur einen, der möglichst wenig anrichtet und mit dem ihr euch möglichst gut arrangieren könnt.” Ich glaube, ein Mann wird meine Lebensrealität niemals ganz verstehen können, sowie ich nicht seine. Aber wir könnten versuchen, sie einander zu erklären. Trotz aller Widersprüche, trotz meiner Wut, glaube ich daran, dass das möglich ist, möglich sein muss. In diesem Sinne, niemals die Hoffnung aufgeben.

Eure Bare Minimum-Autorin

Zehn weitere Dinge, die ich durch Dates über heterosexuelle Männer gelernt habe:

  1. Männer, die tatsächlich Feministen sind, müssen nie extra sagen, dass sie Feministen sind

  2. Wenn du dir nicht vorstellen kannst, dass dein Sohn so ist wie er, date ihn nicht

  3. Ich möchte Männer mit folgenden Berufen nicht mehr daten: Musiker, Sportler, Politiker, teilweise Künstler

  4. Es gibt Männer, die Frauen nur wie Menschen behandeln, wenn sie sie schön finden

  5. Viele Männer wollen sich ändern, aber haben zu große Angst, ihre Männlichkeit zu verlieren

  6. Ein Mann wird manche Dinge an mir nie ganz verstehen können, egal wie aufgeklärt oder einfühlsam er ist

  7. Ich werde manche Dinge an einem Mann nie ganz verstehen können, egal wie aufgeklärt oder einfühlsam ich bin

  8. Ich hasse nicht alle Männer, ich habe Angst vor vielen Männern

  9. Eine Beziehung mit einem heterosexuellen Mann einzugehen, wird sich immer ein klitzekleines bisschen wie Verrat anfühlen - gegenüber anderen Frauen, meinen feministischen Werten und mir selbst

  10. Es ist fast unmöglich, heterosexuelle Männer zu daten. Ich versuche es trotzdem

In BARE MINIMUM gibt die anonyme Autorin einen Einblick in das Datingleben einer heterosexuellen Frau in ihren Zwanzigern. Die Kolumne erscheint jeden ersten Montag im Monat, exklusiv für alle Steady-Abonnent*innen der Chefredaktion. Bald ist Weihnachten, schenkt doch einer Person, der diese Kolumne gefallen könnte, eine Mitgliedschaft und unterstützt unseren jungen Journalismus:

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