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Klima, Politik, Krieg: Wie lässt sich trotz allem weitermachen?

Wie viele von uns hat Gosia das Gefühl, dass das Leben immer beängstigender wird. Was kann sie tun, damit nicht alles aus dem Ruder läuft?

Dear Daniel,

ich frage mich, ob es von jetzt an wirklich nur noch abwärts geht? Mit dem Klima, der Politik, dem Krieg... Es ist alles so beunruhigend. Von Monat zu Monat wächst meine Angst. Wie kann ich den Weltschmerz aushalten und gleichzeitig daran glauben, dass es sich noch lohnt weiterzumachen?

Alles Liebe, Gosia

Liebe Gosia

danke für deinen Brief. Ich glaube, so wie dir geht es zurzeit vielen Menschen. Ich selbst stelle mir diese Frage jeden Tag und merke, wie meine Angst vor der Zukunft auch mein alltägliches Leben einfärbt, wie sie sich an zufälligen Momenten des Tages Raum in mir nimmt, dafür sorgt, dass ich mich über bestimmte Dinge nicht freuen kann, ich mich gebremst fühle und mir es mir schwer fällt, mit einem guten Gefühl an die nächste Woche, den nächsten Monat oder das nächste Jahr zu denken. Was ich damit sagen möchte: Auch wenn sich diese Gefühlslage, die du beschreibst, wie eine Form von Einsamkeit anfühlen mag, bist du damit nicht allein. Ganz objektiv ist das eine Gefühlslage, der wir uns derzeit alle auf die eine oder andere Art stellen müssen.

In den vergangenen Jahren ist das mein Vorsatz geworden: Die Unsicherheit wahrnehmen, die beunruhigenden Entwicklungen verfolgen und ihre Realität akzeptieren, sich aber von all dem nicht lähmen oder einschüchtern lassen. Manchmal geht das mit einer Art Rückzug von allem einher, manchmal mit einem gezielten Engagement, manchmal mit einer punktuellen Verdrängung. Ich versuche, zu so etwas wie einer realistischen Zuversicht zu finden, eine gewisse innere Freiheit zu kultivieren, Momente der Schönheit und des Trosts in mein Leben zu lassen.

Wenn ich die Menschen in meinem Umfeld beobachte, sehe ich eine Vielzahl von rationalen und irrationalen Reaktionen auf die dramatischen politischen, klimatischen, wirtschaftlichen und lebensweltlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre. Einige von ihnen werden zu Meister*innen der Verdrängung, lesen weniger Nachrichten als früher und kultivieren einen fast schon als abwehrend zu bezeichnenden Optimismus. Andere verklären die Vergangenheit und entscheiden sich, in einer Parallelwelt zu leben, in der sie Dinge wie die Klimakrise leugnen können. Es gibt Menschen, die in einen blinden Aktionismus verfallen, und Menschen, die auf diese Entwicklungen mit depressiven Verstimmungen reagieren. Manchmal springt die eigene Reaktion von einem dieser Pole zum anderen, wechselt von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Es mag ungute und auch gefährliche Reaktionen auf diese Entwicklungen geben, aber es gibt keine richtigen. Die Probleme, mit denen wir derzeit konfrontiert sind, lassen sich nicht lösen. Und die Frage, die du stellst, hat auf einer individuellen Ebene keine Antwort, kann sie nicht haben.

Seit einigen Jahren muss ich fast täglich an einen Satz von Audre Lorde denken, an dem ich mich fast wie an einer Art Mantra festhalte. In Reaktion auf ihre langjährige, unheilbare Krebserkrankung und auf die massive Ausgrenzung, die sie als schwarze, lesbische Schriftstellerin erfuhr, nahm sich Lorde vor, - ich paraphrasiere - auf die Botschaften der Unsicherheit, die ihr Leben bestimmte, zu hören, ohne sich von ihnen lähmen oder einschüchtern zu lassen. Natürlich gelang es ihr nicht immer, aber sie versuchte es. In den vergangenen Jahren ist das auch mein Vorsatz geworden: Die Unsicherheit wahrnehmen, die Nachrichten verfolgen, sich über all die beunruhigenden Entwicklungen informieren und ihre Realität akzeptieren, sich aber von all dem nicht lähmen oder einschüchtern lassen. Manchmal geht das mit einer Art Rückzug von allem einher, manchmal mit einem gezielten Engagement, manchmal mit einer punktuellen Verdrängung. Ich versuche, zu so etwas wie einer realistischen Zuversicht zu finden, anstatt mich stoisch optimistisch zu geben oder meinem nie ganz verschwindenden Pessimismus anheimzufallen. Ich versuche, eine gewisse innere Freiheit zu kultivieren, die es mir erlaubt, nach neuen Möglichkeiten in dieser Situation zu suchen, nach Momenten der Schönheit und des Trosts.

Der Sinn des Lebens, meinte Agnes Heller, bestehe darin, es zu leben. Ich glaube, dass darin unsere eigentliche Aufgabe besteht, auch wenn es eine manchmal schwierige, schmerzhafte und bisweilen gar unlösbar wirkende Aufgabe ist. Wir müssen uns ihr dennoch stellen. Und wir sind dazu auch trotz allem in der Lage.

Ich weiß, dass das keine einfache und auch keine rundum befriedigende Antwort auf das Problem ist, das du beschreibst. Aber ich glaube, wie gesagt, dass es eine solche Antwort gerade schlicht nicht geben kann. Um weiterzuleben, muss man sich mit der Unlösbarkeit der derzeitigen Lage arrangieren. Uns bleibt keine andere Wahl. Erst, wenn wir das wirklich akzeptieren, kann es uns gelingen, trotz allem ein irgendwie gutes Leben zu führen.

Ein weiterer Satz an den ich oft denken muss, stammt übrigens von der Philosophin Agnes Heller: Der Sinn des Lebens, meinte sie, bestehe darin, es zu leben. Ich glaube, dass darin unsere eigentliche Aufgabe besteht, auch wenn es eine manchmal schwierige, schmerzhafte und bisweilen gar unlösbar wirkende Aufgabe ist. Wir müssen uns ihr dennoch stellen. Und wir sind dazu auch trotz allem in der Lage.

Ich wünsche dir von Herzen alles Gute, liebe Gosia! Ich bin mir so sicher, dass du auch in diesen schwierigen Zeiten deinen Weg finden wirst.

Alles Liebe,

Daniel

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