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Attention, Attention, please! 

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen über das Gehirn, die du kennen solltest. Heute gehts um die erste von vier Voraussetzungen des Lernens: Aufmerksamkeit.

Dass du diesen Satz gerade liest, ist schon meine halbe Miete. Das heißt, du hast diesen Newsletter in deinem Postfach gesehen, vielleicht wurde er auch direkt am Homescreen angezeigt, du hast dich entschieden: Ha, eine neue Ausgabe von Das Leben des Brain? Die öffne ich doch glatt!

Mega gute Entscheidung – so viel schon mal vorweg. Was ich sagen will: Du hast dich entschieden, diesem Newsletter Aufmerksamkeit zu schenken.

Und genau darum geht es heute: um Aufmerksamkeit. Vor allem darum, welche Rolle Aufmerksamkeit fürs Lernen spielt (eine riesige). In den nächsten vier Ausgaben dieses Newsletters geht es um die vier wichtigsten Erkenntnisse der Neurowissenschaft zum Thema Lernen. Ich nenne sie: die vier Säulen des Lernens. Wenn nur eine dieser Säulen wegbricht, ist es schwer bis unmöglich, etwas zu lernen oder zu verstehen.

Attention, Attention, please!

Aufmerksamkeit ist sehr praktisch. Sie löst ein Problem, das wir ständig haben: Unser Gehirn wird konstant von Reizen aus der Außenwelt bombardiert. Unsere Augen, Ohren, unser Geschmackssinn und die Haut übertragen jede Sekunde Millionen von kleinen Informationshäppchen an unser Gehirn. Selbst unser eigener Körper berichtet ständig, wie es ihm gerade geht: Habe ich Herzrasen? Wird mein Puls schneller? Fange ich an zu schwitzen? Das ist anstrengend.

Unsere Fähigkeit zur Aufmerksamkeit ist der Ausweg. Auf jeder Stufe der Informationsverarbeitung entscheidet das Gehirn, wie relevant die einzelnen Informationen sind, die es gerade aufnimmt. Und nur die wichtigsten Informationshäppchen bekommen die Aufmerksamkeit von höheren Gehirnarealen , um die alle Häppchen kämpfen. Deshalb bekommen unsere höheren Hirnareale (und damit: wir) es gar nicht bewusst mit, wenn unser Herz schlägt wie immer, aber sehr wohl, wenn es viel schneller schlägt, als es sollte. 

Die einfachste, aber wichtigste neurowissenschaftliche Erklärung fürs Lernen lautet: Je öfter ein Signal von einer Synapse weitergeleitet wird, desto empfänglicher wird die Synapse für dieses Signal. In der allerersten Ausgabe dieses Newsletter (Öffnet in neuem Fenster)s habe ich das mal mit einem verschneiten Stadtpark erklärt: Je mehr Besucher:innen durch den hohen Schnee stapfen, desto einfacher wird es für alle neuen Besucher:innen – es entstehen Trampfelpfade. Im Gehirn sind Synapsen diese Trampelpfade, also die Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Indem wir bestimmten Informationen Aufmerksamkeit schenken und anderen nicht, bestimmen wir, welche Wege die Besucher:innen gehen sollen. Und damit, was wir lernen und was nicht.

Ohne Aufmerksamkeit wäre unser Gehirn nicht in der Lage, manche Synapsen zu stärken, während es andere schwächt. Was wir nicht beachten, können wir auch nicht lernen. 

Eine der wichtigsten Aufgaben von Lehrkräften

Wenn ein Ereignis besonders emotional ist, muss ein Signal aber nicht zwangsläufig besonders oft über die Synapsen laufen, manchmal reicht auch ein einziges Mal. Das ist dann – um zurück zum verschneiten Stadtpark zu kommen – so, als würden die Trampelpfade nicht durch die vielen Besucher:innen entstehen, sondern weil ein Bulldozer mal ordentlich Platz gemacht hat.

Lehrer:innen, die spannende Filme zeigen, emotionale Geschichten erzählen, absurde Bücher vorlesen, und Lebensweltbezüge schaffen, die die Schüler:innen ernsthaft bewegen, können diese Bulldozer regelmäßig durchs Gehirn fahren lassen. Und damit dafür sorgen, dass die Schüler:innen das Besprochene besser im Kopf behalten (oder überhaupt im Kopf behalten).

Deshalb ist Aufmerksamkeit so wichtig: Ohne sie passiert nicht sonderlich viel, ohne sie wäre unser Gehirn nicht in der Lage, manche Synapsen zu stärken, während es andere schwächt. Was wir nicht beachten, können wir auch nicht lernen. Daraus ergibt sich für mich eine der wichtigsten Aufgabe, die Lehrer:innen haben: Den Fokus auf die Dinge zu lenken, die wichtig sind (zum Beispiel: Jetzt lernen wir den Buchstaben “B”). Denn was wichtig ist, wissen Schüler:innen nicht von vornherein.

Was ein Gorilla damit zu tun hat

Wem wir keine Aufmerksamkeit schenken, den ignorieren wir – oder? Vielleicht denkst du: Naja, nicht zwangsläufig, es gibt ja immer noch Multitasking. Wie ich letzte Woche schon erklärt habe (Öffnet in neuem Fenster): Nein, gibt es nicht. Zumindest nicht in der Form, die wir kennen. Dazu kommt nochmal eine ausführliche Ausgabe. 

Zurück zur Aufmerksamkeit und zu einem berühmten Gorilla-Video. Wer es nicht kennt, kann es sich hier schnell anschauen (Öffnet in neuem Fenster).

https://www.youtube.com/watch?v=IGQmdoK_ZfY&feature=emb_logo (Öffnet in neuem Fenster)

Im Video bekommen wir die Aufgabe, die Pässe der Mitspieler:innen mit weißen T-Shirts zu zählen. Dieser Aufgabe schenken wir unsere Aufmerksamkeit – und zwar nur ihr. So sehr, dass wir nicht mitbekommen, dass mitten im Video ein Gorilla durchs Bild läuft und sich sogar noch auf die Brust trommelt, vor unseren Augen!

Experimente zeigen sogar, dass die meisten Teilnehmer:innen mindestens einmal genau (!) auf den Gorilla gucken, trotzdem nehmen sie ihn nicht wahr. Das zeigt auch, dass Sehen mehr ist als das, was das Auge macht. Sehen erfordert Aufmerksamkeit. In dieser Ausgabe (Öffnet in neuem Fenster) habe ich schon mal genauer erklärt: Wie wir die Außenwelt wahrnehmen, hat weniger mit der Außenwelt als mit unserem Gehirn zu tun. 

Das Gorilla-Phänomen hat übrigens einen Namen: Attentional Blink. Unsere Augen sind offen, aber unser Gehirn "blinzelt" für einen Moment. 

Es gibt Menschen, die den Gorilla im Video sofort gesehen haben. Nur verzählen sich diese Menschen deutlich öfter als diejenigen, die ihn nicht gesehen haben. Und das Zählen war ja die eigentliche Aufgabe. Wenn wir etwas lernen wollen, sollten wir also dafür sorgen, dass wir nicht ständig abgelenkt werden. Auch nicht von Gorillas. 

In der nächsten Ausgabe geht es um etwas, das wir wahrscheinlich alle selbst erlebt haben in der Schule: Der Lehrer steht vorn und erzählt und wir lassen uns passiv berieseln. Das ist ungefähr die schlechteste Voraussetzung fürs Lernen. Warum das so ist, erkläre ich nächsten Freitag. 

Wenn du bis hier hin gelesen hast, überlege doch, ein echtes Brain zu werden und meinen Newsletter mit einem Euro pro Ausgabe zu unterstützen. Hier entlang! (Öffnet in neuem Fenster)

Fragt sich, wie oft ihm Gorillas im Alltag begegnen, ohne dass er es merkt: Euer Bent 🧠✌️

Kategorie Wie das Gehirn lernt

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