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Warum du viel mehr mit deinen Händen reden solltest

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über die Macht von Gestik.

In der aktuellen Serie dreht sich alles um eine Erkenntnis: Denken findet nicht nur im Gehirn statt. Wer besser lernen, arbeiten und kommunizieren will, sollte wissen, wo noch. Hier findet ihr alle bisherigen Ausgaben dieses Newsletters (Öffnet in neuem Fenster).

In einem der besten YouTube-Videos, das ich kenne, beschwert (Öffnet in neuem Fenster) sich ein kleines, italienisches Mädchen. Worüber? Keine Ahnung. Ich spreche leider kein Italienisch. Aber es ist sofort klar, dass sie sich ärgert. Hätte ich nur die Tonspur gehört, hätte ich diesen Eindruck wahrscheinlich nicht so schnell gehabt. Entscheidend ist, was sie mit ihren Händen macht. Kaum ein Wort, das sie sagt, wird nicht mit einer dazu passenden Geste untermalt.

Dieses kleine italienische Mädchen weiß es wahrscheinlich nicht, aber es hat uns allen etwas voraus. Kognitionsforscher:innen beschäftigen sich seit einigen Jahren vermehrt mit der Frage, inwiefern Gestik und Denken zusammenhängen. Gesten sind nicht nur ein Echo von dem, was wir sagen. Sie erfüllen kognitive und kommunikative Funktionen, die die Sprache nicht erreichen kann.

Studien zeigen, dass Gesten …

  1. … unser Gedächtnis verbessern können, indem sie das gesprochene Wort mit visuellen und motorischen Hinweisen verstärken.

  2. … unsere geistigen Ressourcen freisetzen können, indem sie Informationen auf unsere Hände auslagern.

  3. … uns helfen, abstrakte Ideen zu verstehen und auszudrücken – insbesondere solche, wie räumliche Konzepte, die mit Worten allein nur unzureichend ausgedrückt werden können.

  4. … uns dabei helfen, andere zu überzeugen.

Das ist nicht nur wichtig, wenn man sich als italienisches Mädchen bei seinen Eltern beschweren will, sondern für alle, die anderen etwas beibringen wollen, selbst etwas verstehen möchten oder ein Produkt verkaufen sollen, wie Gründer:innen, Unternehmer:innen oder Start-Upper. Aber fangen wir vorne an.

Unsere Hände wissen vor uns Bescheid

Wie ich in dieser Ausgabe (Öffnet in neuem Fenster) schon beschrieben habe: Unser Körper und unser Denken hängen eng miteinander zusammen. Und manchmal weiß unser Körper vor unserem Bewusstsein, was vor sich geht. Zum Beispiel, wenn wir Karten von zwei Kartenstapel ziehen sollen und unser Körper uns bereits signalisiert, welcher Stapel der bessere ist, bevor wir bewusst eine Regelmäßigkeit entdeckt haben.

Ähnliches kann man beim Gestikulieren mit Händen beobachten. Wir scheinen eine Art „gestische Vorahnung“ zu haben, bei der unsere Hände vorwegnehmen, was wir gleich sagen werden. Wenn wir zum Beispiel (Öffnet in neuem Fenster) merken, dass wir etwas Falsches gesagt haben, und innehalten, um es zu korrigieren, hören wir ein paar hundert Millisekunden vor dem Ende unserer Rede auf zu gestikulieren.

Gesten können ein Wort außerdem geistig vorbereiten, damit der richtige Begriff über unsere Lippen kommt. Wenn Menschen daran gehindert werden (Öffnet in neuem Fenster), zu gestikulieren, sprechen sie weniger flüssig; ihre Sprache wird stockend, weil ihre Hände nicht mehr in der Lage sind, ihnen das nächste Wort zu liefern.

Wenn wir nicht gestikulieren können, hat das noch andere negative Auswirkungen: Ohne Gesten können wir uns weniger nützliche Informationen merken (Öffnet in neuem Fenster), wir lösen Probleme schlechter (Öffnet in neuem Fenster) und wir sind weniger in der Lage (Öffnet in neuem Fenster), unsere Gedanken zu erklären.

Wir verstehen besser, wenn wir gestikulieren

Gesten könne uns aber nicht nur dabei helfen, wenn wir mal die passenden Worte nicht finden. Sie können uns auch helfen, etwas Neues zu verstehen. Das zeigt eine Studie (Öffnet in neuem Fenster), bei der Geologie-Student:innen untersucht wurden. Wissenschaftler:innen baten zwei Gruppen von College-Student:innen geologische Modelle zu erklären (ich erspare euch die Details). Die Mitglieder der einen Gruppe durften mit den Händen gestikulieren, während die Mitglieder der zweiten Gruppe nur Worte verwenden durften.

Vor und nach der Übung wurden beide Gruppen auf ihre Fähigkeit des „durchdringenden Denkens“ getestet. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, das Innere eines dreidimensionalen Objekts ausgehend von seiner Oberfläche zu visualisieren und darüber nachzudenken (eine wichtige Fähigkeit in der Geologie, mit der viele Studierende Schwierigkeiten haben, heißt es). Das Ergebnis: Die Teilnehmer:innen, die gestikulierten, erzielten beim zweiten Test signifikant höhere Werte, während Teilnehmer:innen, die nur verbal erklärten, keine Verbesserung zeigten.

Gesten helfen auch denen, die zuhören

Wenn du mehr mit deinen Händen redest, hilft das aber nicht nur dir, sondern auch denen, die zuhören. Denn: Die Menschen erinnern sich (Öffnet in neuem Fenster) eher an das, was wir gesagt haben, wenn wir neben unseren Worten auch Gesten machen. In einer Studie erinnerten sich Probanden, die eine aufgezeichnete Rede gesehen hatten, mit 33 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit an einen Punkt aus der Rede, wenn diese von einer Geste begleitet war.

Und: Je mehr Zeit nach der Rede vergangenen war, desto größer war der Effekt: Dreißig Minuten nach dem Betrachten der Rede erinnerten sich die Proband:innen mit mehr als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit an die mit Gesten begleiteten Punkte. Warum ist das so? Wie gut wir Informationen abspeichern, hängt davon ab, wie wir sie aufnehmen. Wenn wir eine Information nur hören, wird sie zum Großteil auch nur im auditiven Kortex gebildet. Wenn wir sie zusätzlich noch sehen, kommt der visuelle Kortex dazu. Bei Gestik gesellt sich außerdem der motorische Kortex dazu. So vernetzten sich mehrere verschiedene Areale zu einer Erinnerung, was uns beim Abrufen hilft.

Du willst was verkaufen? Benutz deine Hände!

Die besonderen Stärken der Geste sind besonders wertvoll, wenn es darum geht, andere zu überreden oder zu gewinnen. Es lohnt sich also, diejenigen zu untersuchen, die etwas verkaufen wollen. Genau das wurde in einer Studie in Frankreich gemacht. Die Wissenschaftler:innen begleiteten jahrelang Unternehmer:innen, Start-Upper und Gründer:innen, wenn sie ihre Produkte möglichen Kunden präsentierten. Sie untersuchten dann, ob es einen Unterschied gibt zwischen denen, die ihre Hände während der Pitches kaum benutzten und denen, die viel gestikulierten. Und was soll ich sagen? Sie fanden einen Unterschied, der viel Geld wert sein könnte.

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Kategorie Wie das Gehirn lernt

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