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Zeig deinen Kindern, wo es lang geht

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über den Einfluss von Gesten auf die Bildungskarrieren von Kindern.

Eine Sache vorweg: Gestern hat das medium magazin seine berühmte Liste der Top 30 bis 30 (Öffnet in neuem Fenster) Journalist:innen in Deutschland bekannt gegeben – und ich zähle dazu! Darüber freue ich mich sehr. Auch dieser Newsletter wird in der Begründung genannt. Und deshalb: Ein großes Danke an alle 290 echten Brains (Öffnet in neuem Fenster), die diesen Newsletter ermöglichen!

In der aktuellen Serie dreht sich alles um eine Erkenntnis: Denken findet nicht nur im Gehirn statt. Wer besser lernen, arbeiten und kommunizieren will, sollte wissen, wo noch. Hier findet ihr alle bisherigen Ausgaben dieses Newsletters (Öffnet in neuem Fenster).

Als meine Nichte ein Jahr alt war, trug ich sie durch das Haus meiner Eltern in Schleswig-Holstein. Ich kenne das Haus mittlerweile seit fast 30 Jahren. Spektakulär ist es für mich nicht mehr. Aber für meine Nichte war es ein großer Abenteuerspielplatz voller neuer Sachen. Und dieser wollte erkundet werden. Mit einem Jahr konnte sie mir natürlich noch nicht sagen, wo sie gern hingetragen werden möchte. Also beschränkte sich unsere Kommunikation auf das Wesentliche: Sie zeigte mit dem Finger in eine Richtung, ich brachte sie dorthin. Sie fasste die Blume, das Bild, das Regal, die Lampe kurz an, schaute sich um, zeigte wieder mit ihrem Finger auf einen neuen Gegenstand – und weiter ging die Reise.

Lange (Öffnet in neuem Fenster) bevor Babys sprechen können, winken sie, zeigen sie, halten ihre Arme hoch als wortloses Signal: Nimm mich hoch! Das Zeigen ist eine der ersten (Öffnet in neuem Fenster) Gesten von Kindern, in der Regel fangen sie damit im Alter von neun Monaten an. Zwischen zehn und vierzehn Monaten werden ihre Gesten differenzierter.

Expert:innen betonen schon lange, wie wichtig es ist, mit Babys und Kindern zu sprechen. Spätestens seit 1995 gehen Wissenschaftler:innen davon aus (Öffnet in neuem Fenster), dass der Wortschaft von Kindern aus wohlhabendem Elternhaus und solchen aus ärmeren Familien weit auseinanderklafft – vor allem, weil die Eltern unterschiedlich viel mit ihren Kindern reden. Heute geht es darum, dass Gesten in diesem Zusammenhang lange übersehen wurden, wie sie beim Lernen helfen und darum, wie Eltern mehr mit ihren Kindern gestikulieren können.

Es ist nicht nur die Sprache

Mittlerweile haben Forscher:innen nämlich herausgefunden, dass es auch beim Gestikulieren sozioökonomische Unterschiede gibt. Klar ist: (Öffnet in neuem Fenster) Kinder lernen Bewegungen von den gestikulierenden Eltern um sie herum. Studien (Öffnet in neuem Fenster) zeigen, dass Kinder, deren Eltern viel gestikulieren, auch selbst häufig gestikulieren und sich schließlich einen umfangreichen Wortschatz (Öffnet in neuem Fenster) aneignen. Studien zufolge gestikulieren Eltern mit hohem Einkommen mehr als Eltern mit niedrigem Einkommen. Es kommt aber nicht darauf an, wie oft sie gestikulieren, sondern auch, welche Gesten sie machen. So scheinen wohlhabende Eltern ein breiteres Spektrum an Gesten anzubieten.

In einer Studie (Öffnet in neuem Fenster) verwendeten vierzehn Monate alte Kinder aus einkommensstarken, gut ausgebildeten Familien während einer 90-minütigen Beobachtungszeit durchschnittlich vierundzwanzig verschiedene Bedeutungen, während Kinder aus einkommensschwachen Familien nur dreizehn Bedeutungen ausdrückten. Vier Jahre später, bei der Einschulung, erreichten die Kinder aus den reicheren Familien bei einer Messung des Wortschatzverständnisses durchschnittlich 117 Punkte, die Kinder aus den ärmeren Familien dagegen nur 93.

Kinder, die viel gestikulieren, denken anders

Dass die Art und Weise, wie Eltern gestikulieren, Bildungsungleichheit vorantreiben können, hatte ich auch noch nicht auf meiner Liste. Aber es ergibt Sinn: Kinder von Eltern, die weniger gestikulieren, entwickeln (siehe oben) einen geringeren Wortschatz. Unterschiede im Wortschatz können im Laufe der Zeit immer größer werden. Der Wortschatz zu Beginn der Schulzeit sagt wiederum gut voraus (Öffnet in neuem Fenster), wie die weitere Schulzeit verläuft.

Noch eine Studie, die zeigt, wie Gesten das Lernen beeinflussen: Eine Untersuchung an der Universität Chicago ergab, dass fünfjährige Jungen bereits besser als gleichaltrige Mädchen räumliche Denkaufgaben lösen konnten, bei denen es darum ging, Formen gedanklich zu einem Ganzen zusammenzufügen. Aber: Das lag nicht am Geschlecht, das ergab eine genauere Analyse. Vielmehr lag der Unterschied darin, wie sehr die Kinder dazu neigten, Gesten zu verwenden: Je mehr Kinder bei der Ausführung der Aufgabe gestikulierten, desto besser war ihre Leistung.

Jungen gestikulierten tendenziell viel mehr als Mädchen. Während beispielsweise 27 Prozent der Jungen bei allen acht Aufgaben gestikulierten, taten dies nur 3 Prozent der Mädchen; 23 Prozent der Mädchen gestikulierten überhaupt nicht, bei den Jungen nur 6 Prozent.

Hier kommt eine gute Nachricht: Die Forschung zeigt, dass einfache Anweisungen an die Eltern dazu führen, dass diese häufiger gestikulieren, was wiederum dazu führt, dass ihre Kinder häufiger gestikulieren. In ihrem Buch „The Extended Mind“ gibt Annie Murphy Paul ein paar einfache Tipps, die Eltern dabei helfen:

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Kategorie Wie das Gehirn lernt

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