Zum Hauptinhalt springen

➜ eine Sache nur #2B | Freewriting

Nur 10 Minuten jeden Tag. Mehr nicht. Und? Hast du bislang durchgehalten? Es ist erstaunlich, wie wir uns gegen das Freewriting wehren. Nur eins ist erstaunlicher: Was passiert, wenn wir trotzdem durchhalten.

Freewriting. Foto: Paul

Dieser Newsletter ist die vierte Episode einer Serie über die Entwicklung von Kreativität. Falls dich das interessiert, empfehle ich, vorn anzufangen. Die Anmeldung und den ersten Newsletter findest du hier:

Banner (Öffnet in neuem Fenster)

Ein bisschen Theorie

Keine Sorge, ich werde das nicht übertreiben. Allerdings ist das Freewriting gut wissenschaftlich untersucht, wo wäre es eine Sünde, nicht einige Sätze darüber zu schreiben.

Um es einfach zu halten, halte ich mich da an Peter Elbow, Professor an der University of Massachusetts Amherst. Er hat das Freewriting im Kreativen Schreiben eingeführt – und darum geht es hier. Die rein psychologischen Faktoren könnt ihr euch selbst ergoogeln.

Elbow lässt seine Student:innen deshalb diese Technik üben:

  • Weil es ohne Anspruch auf Perfektion ist, soll Freewriting eine hervorragende Methode sein, Schreibblockaden zu verhindern oder gar zu „heilen“. Wenn du also manchmal nicht weißt, wie du anfangen sollst, nutze die Technik.

  • Es klärt die Gedanken – wie ich es schon vor einer Woche aufgeschrieben habe. Das ist auch die Anwendung, für dich ich selbst Freewriting regelmäßig einsetze.

  • Darüber hinaus, geht Elbow davon aus, dass diese Technik zur Entwicklung einer eigenen Schreibstimme beiträgt. Auch das klingt nachvollziehbar, da wir in diesen Momenten ja mit uns selbst im Gespräch sind.

  • Und schließlich entwickelt sich dabei ein Gefühl von sich selbst als Autor:in. Etwas, das die meisten von uns gut gebrauchen können.

Elbow beschreibt in seinen Büchern, dass all dies möglich wird, weil das Freewriting das Erschaffen und das Kontrollieren voneinander trennt. Während du schreibst, kann deine Selbstkontrolle Pause machen. Erst danach kommt sie wieder an den Tisch und hilft bei der Ernte der Ergebnisse.

Die drei Phasen der Kreativätit.

Zur Einordnung in meine fundamentale Kreativküche: Freewriting hilft in der ersten und letzten Phase. Und zwar gleichzeitig. Einerseits kratze ich vorhandenes Wissen aus den Tiefen meines Unterbewussten zusammen und transformiere dieses im selben Moment zu einem neuen, kreativen Ergebnis. Durch die Gleichzeitigkeit dieser beiden Tätigkeiten, überrasche ich mich damit sogar selbst.

Deshalb ergänzt sich Freewriting auch so gut dem Digital Detox – der ersten Übung in diesen Prolog.

Wie ich mich in dieser Woche selbst überrascht habe

Jetzt wird es persönlich. Heute hatte ich mein Notizbuch mit auf der Arbeit und habe meine zehn Minuten Freewriting in die Mittagspause gelegt. Hier einige nur leicht bereinigte Zitate aus dem geschriebenen Text:

„Es ist bemerkenswert, wie ich während des Schreibens spüre, welcher Gedanke in meinem Inneren wächst. Er drückt raus, während ich noch diesen Satz beende. Mit dem nächsten Satz und bekomme ich das Gefühl zu greifen, dass während ich weiterschreibe konkreter wird. Ein Hinweis für die Leser? MIST, jetzt denke ich schon wieder daran, was ich im Newsletter dazu veröffentlichen will und wie ich das formuliere. Ja, das ist verständlich, weil ich ja wegen des NL wieder hier schreibe. Aber ich will bei mir bleiben, weil es der Sinn der Übung ist. Wie kann ich wieder zurückfinden, in meine eigene Welt ohne Veröffentlichung? Ich brauche einen Trigger. Einen Satz, der mich wieder zurückführt. Ich kann wieder starten, wenn ich schreibe ,Jetzt im Moment nehme ich meine Hand wahr, die anfängt, vor Anstrengung weh zu tun.’ Ja, genau. Wenn ich abgelenkt werde, hole ich mich mit dem Satz ‚Jetzt im Moment nehme ich wahr …‘ und schreibe weiter.“

Ich will das gar nicht interpretieren und vielleicht ist das für dich nicht hilfreich. Ich will damit aber zeigen, wie schnell dabei die Perspektiven, Motive und Bedürfnisse wechseln. Aus dem Freewriting wurden zwanzig Minuten, in denen es teils sehr banal (Geschimpfe über andere und Gejammere über irgendwas) und teils viel persönlicher (alte Muster, Ängste und Fehler) zuging. Das möchte ich dir nicht zumuten.

Variationen und wie es weiter geht

Beginnen wir mit der nächsten Woche: jeden Tag mindestens zehn Minuten. Das ist ein Schreibbefehl. Falls du gute Gründe dagegen hast, ignoriere diese. Oder schreibe mir eine Mail. Bislang habe ich noch keine bekommen. Ich verspreche dir aber, dass wir dann zusammen eine Alternative finden.

Wenn nach zwei Wochen deine Schreibmuskeln gelockert und trainiert sind, kannst du über Variationen nachdenken. Ich kenne einige davon und habe alle zeitweise getestet.

  • Morgenseiten: Julia Cameron beschreibt damit eine sehr intensive Variante, bei der du jeden (!) Morgen als Erstes drei DIN A4 Seiten von vollschreibst. Da deine Selbstkontrolle am frühen Morgen noch löcherig ist, werden diese Texte sehr persönlich.

  • Biografisches Schreiben: Beginne deinen Text mit einem Satz wie „Als ich noch in der Schule war …“ (oder mit Varianten) und schreibe los. Falls du vom Thema abkommst, beginne wieder mit diesem Satz und so weiter. Das bringt spannende Erinnerungen zutage, die vergessen schienen.

  • Schreiben mit links: Falls du Rechtshänder:in bist, schreibst du deine Gedanken mit der linken Hand. Linkshänder:innen mit der rechten Hand. Das bringt dein Gehirn erst in große Not und dann auf Trab.

  • Clustering: Ein Begriff wird auf ein leeres Blatt Papier geschrieben und eingekreist. Nun werden spontane Assoziationen oder auch kleine Zeichnungen um das Kernwort herum erstellt. Diese Assoziationen ergeben wieder neue Assoziationen, die – wo du willst – miteinander verbunden werden. So entsteht ein Cluster, eine gute Alternative für Menschen, die nicht so gerne schreiben.

  • Thematisch schreiben: Nicht nur die Autorin Roberta Allen schlägt vor, das Freewriting nicht völlig frei, sondern mit einem Stichwort, einem Satz oder einem Bild zu beginnen. Bei ihr hat das regelmäßig in veröffentlichten Kurzgeschichten geendet. Du kannst damit aber auch Entscheidungen, Haltungen oder andere kreative Ergebnisse damit produzieren.

  • Brief an … schreiben: „Lieber R., etwas in unserer Freundschaft hat sich verändert …“ und so weiter. Du ahnst sicher schon, worauf das rausläuft

Die schlechte Nachricht für heute:

Freewriting und alle Variationen sind keine Abkürzung zur plötzlichen Kreativität, sondern müssen geübt werden.

Die gute Nachricht:

Freewriting funktioniert zuverlässig und ergibt schon nach kurzer Zeit recht brauchbare Ergebnisse.

Also, schreib los. In der nächsten Woche ist der Prolog dann zu Ende. Mal schauen, mit welcher „einen Sache noch“ wir dann in den Hauptteil einsteigen. Falls du Wünsche hast, schicke mir eine E-Mail an paul@contentman.de (Öffnet in neuem Fenster).

Paul Jonas

Paul Jonas
Kategorie eine Sache nur – Mails