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Die Bezahlkarte - Anreiz oder Stigma?

Steady, 01.03.2024

In Deutschland wurde nun seit Wochen über die Einführung einer Bezahlkarte für Asylsuchende diskutiert. Diese Karte soll als guthabenbasierte Debitkarte funktionieren, die ausschließlich in Deutschland gültig ist. Das Ziel: Bargeldzahlungen ersetzen. Überweisungen mit der Karte wären nicht möglich, und in einigen Fällen könnte ihr Einsatz regional beschränkt werden. Die Einführung dieser Karten wird als Weg gesehen, den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen zu senken, Geldüberweisungen ins Ausland zu unterbinden und Schlepperkriminalität zu bekämpfen. Die Karte soll bis zum Sommer eingeführt werden, wobei 14 von 16 Bundesländern sich auf gemeinsame Standards geeinigt haben. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern planen jedoch, eigene Wege zu gehen - ebenfalls mit der Einführung von Bezahlkarten.

Die politische Debatte um diese Karten ist geprägt von der Auffassung, dass Bargeldzahlungen einen Anreiz für Migration darstell

en könnten. Allerdings argumentieren Experten, dass Migration komplex ist und nicht allein durch Veränderungen in den Sozialleistungssystemen beeinflusst wird. Es gibt auch keine belastbaren Beweise dafür, dass Asylsuchende ihre Sozialleistungen in nennenswertem Umfang ins Ausland überweisen. Die Einführung der Bezahlkarte wird von einigen als Symbolpolitik gesehen, die nicht zu einer wesentlichen Änderung der Migrationszahlen führen wird. Andere werden deutlicher und meinen, die Regierung würde damit rechten Parteien zuvorkommen. Unabhängig davon ist Asyl ein Menschenrecht! Doch die immer wiederkehrende Vermischung von Migration und Asyl dient Politiker*innen bei ihrer Agenda und verursacht eine bewusste Diskursverschiebung nach rechts. Dadurch wird gerne davon abgelenkt, dass sich Maßnahmen nicht nur gegen “Fremde” richten sondern gegen mehrere Gruppen.

Bereits zu Beginn der Debatte über Bezahlkarten wurde von vielen darauf verwiesen, dass diese nicht bei Asylwerber*innen stoppen wird sondern vielmehr als Einstieg in eine Ausweitung dient. Man hat ausgetestet, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist, wie es aufgenommen wird, eine gewissen Gruppe an Menschen zu stigmatisieren, indem man ihren Handlungsspielraum noch weiter einschränkt. Und natürlich sind wir jetzt in D an dem Punkt angelangt, an dem Bezahlkarten auch für Bürgergeldempfänger*innen vorgeschlagen werden. Wie vorhergesehen. Die Stimmung passt. Bei Asylwerber*innen ist es durchgegangen, also versucht man den nächsten Schritt.

Und auch in Ö werden wir angesichts der Wahlen im Herbst nicht um diese Debatte herumkommen. Einzelne österreichische Politiker*innen haben bereits ihr Interesse an einer Umsetzung auf für Österreich bekundet. Diese Debatte wird aufflammen, damit manche Politiker*innen mit populistischen Forderungen den Neid in der Bevölkerung anfachen können. Denn es ist nichts anderes: es ist purer Neid nach unten. Und Neid nach unten funktioniert vermeintlich. Zumindest für Wahlen.

“Mir geht es gut - solang es dem anderen schlechter geht.”

Doch es geht nicht darum, Asylwerber*innen die Überweisungen ins Ausland zu verbieten. Es geht um das vorherrschende Bild, dass Menschen, die ohnehin wenig haben selbst schuld sind, nicht mit Geld umgehen können, sich nicht als Teil der Gesellschaft fühlen sollen. Jenen, die zu wenig zum finanziellen Überleben haben noch mehr Auflagen aufbrummen, noch mehr Fremdbestimmung zumuten.

Du benötigst Hilfe? Dann akzeptier gefälligst auch dass wir bestimmen, wie du mit deinem Geld umzugehen hast. Wo du einkaufen darfst, wie du darüber verfügen darfst. Dieses Bestimmen über andere zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Gesellschaft. Wer Unterstützung braucht muss sich alles diktieren lassen. Sonst braucht er oder sie anscheinend doch nicht so dringend Hilfe. Wer das nicht akzeptieren will sucht doch gar keine dringend benötigte Hilfe sondern will betrügen! Genau das wird auch immer wieder genauso ausgesprochen. Wer gewisse Erniedrigungen nicht mitmachen will, nicht akzeptieren will, dem oder der geht es noch zu gut. Wenn du das nicht akzeptierst, nicht mitspielst, such dir einfach endlich Arbeit.

Und hier stehen wir nun an. Denn das perfide an dieser Sichtweise und was viele nicht wissen, ist:

Asylwerber*innen dürfen während ihres laufenden Asylverfahrens nicht arbeiten - an dieser Stelle sei auch an die immer wieder aufkeimende Debatte über Arbeitspflicht für Asylwerber*innen erinnert. Auch die meisten Bürgergeld- oder Sozialhilfeempfänger*innen sind arbeitsunfähig. Nimmt man z.B. Oberösterreich, so befanden sich 2022 laut Statistik Austria 5.788 Menschen im Sozialhilfebezug. Das sind rund 0,4% gemessen an der Gesamtbevölkerung in OÖ. Von diesen 5.788 Personen standen lediglich 1.700 dem Arbeitsmarkt zur Verfügung (rund 30%). Der überwiegende Anteil der in Sozialhilfebezug befindlichen Personen - nämlich 70% - standem dem Arbeitsmarkt aus unterschiedlichen Gründen nicht zur Verfügung. Des weiteren sind 1.404 der 1.700 dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen sogenannte Aufstocker. Sie haben also ein Einkommen aus Erwerbsarbeit oder Versicherungsleistungen. Da dieses Einkommen nicht ausreicht, müssen sie mit Sozialhilfe aufstocken.

Doch es geht nicht um korrekte Zahlen oder Daten. Es geht auch nicht um korrekte Einordnungen. Es geht schon gar nicht darum, wirklich nachhaltige Lösungen zu finden. Das Ziel ist Stimmung zu machen. Stimmung gegen jene, die am untersten Limit leben. Die, aufgrund fehlender Vereinbarkeit, Jobverlust, Krankheit, Pflege oder Alter nicht arbeiten können bzw. aufstocken müssen. Es geht darum, diese Menschen zu bevormunden. Das Narrativ, Armutsbetroffene müssten diszipliniert werden, wird damit weiter aufrechterhalten bzw. sogar noch ausgebaut.

Doch zurück zur Bezahlkarte in Deutschland. Gerade hat sich die Regierung in Bezug auf ein diesbezügliches Gesetz geeinigt. Die Bezahlkarte kommt. Zwar werden Bargeldleistungen nicht ausgeschlossen, allerdings liest sich die entsprechende Passage in der Formulierungshilfe (Entwurf, welcher durch die Ministerien beschlossen werden muss) wie eine “kann, muss aber nicht”-Regelung:
"Sind Sachleistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf nicht mit vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich, können auch Leistungen in Form von Bezahlkarten, Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen gewährt werden."
Eine weitere Abhängigkeit kommt also hinzu - die Abhängigkeit der bzw. des jeweiligen Zuständigen. Damit wird der vermeintlichen Willkür Tür und Tor geöffnet. Zumindest befürchten das bereits viele, die ebenfalls gehofft hatten, dass die deutschen Grünen dem nicht zustimmen. Doch die aktuelle Begründung ebendieser spricht Bände.

"Die Bezahlkarte ist sinnvoll, um zu verhindern, dass Geld ins Ausland überwiesen wird. Entsprechend wird der Formulierungshilfe für die Einführung einer bundesweit einheitlichen Gesetzesgrundlage für die Bezahlkarte zugestimmt."

All das macht unsagbar wütend. Denn wer Armut kennt, wer selbst darin fest steckt oder sie erlebt hat, weiß, wie unglaublich fordernd dieses Leben ist. Wie eng man kalkulieren muss, wie sehr man auf die Möglichkeit angewiesen ist, improvisieren zu können. Wie groß die Angst vor Willkür ist. All das wird nicht gesehen. Es kommt im Prinzip ein einfaches „Höhöhö, wir bestimmen wo und wie ihr einkaufen dürft weil sonst gebt ihr das Geld lieber für Tschik aus als für eure Kinder“. Es geht nur um diese Fremdbestimmung, um den Neid nach unten, die Stigmatisierung. Um sonst nichts!

Recherche: Angelika Kriechbaum. Quellen:

https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/sozialleistungen/mindestsicherung-und-sozialhilfe (Öffnet in neuem Fenster)

https://www.tagesschau.de/inland/bezahlkarte-asylbewerber-104.html (Öffnet in neuem Fenster)
Kategorie Aktuell

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