Das Kind ist krank und schon meldet sich die alte Angst
Ich habe wirklich die beste Chefin der Welt, auch wenn sie nicht mag, dass ich sie so nenne, aber für mich, für meine Situation ist Dani das aus vielen verschiedenen Gründen heraus.
Gestern wurde mein Teenie Kind nach Hause geschickt, ohne mir Bescheid zu geben, weil sie nicht fit ist, und gestern Abend habe ich dann auch erfahren, dass ich mit ihr zum Arzt gehen muss, sonst hat sie unentschuldigte Fehltage. Wäre bei unserer Hausärztin kein Problem, da kann ich das telefonisch erledigen und am Mittwochnachmittag nach dem Arbeiten vorbeikommen.
Das Problem bei der Sache ist, dass die Hausärztin diese Woche noch im Urlaub ist und somit eine Vertretungsärztin her muss und mein autistisches Kind nicht alleine zu dieser geht und auch nicht sprechen würde mit dieser. Also muss ich mitgehen, ich werde gebraucht. Teenager hin oder her. Egal ob andere sagen, die kann das schon, du musst ihr nur mehr zutrauen, sie ist ja wohl alt genug - ist die Realität eine andere. Eine in der sich mir, trotz besseren Wissens wie Dani als Mensch und als Chefin ist, was sie alles weiß und versteht, durch Erfahrung im ersten Moment der Magen zuschnürt und die altbekannte Angst in mir hochsteigt.
Ich habe doch gerade erst angefangen, bei und mit ihr zu arbeiten und ich liebe diese Arbeit so sehr. Was, wenn ich enttäusche, als unzuverlässig gelte. Immerhin ist Ajla schon groß und der Mehrheit der Gesellschaft, vor allem im Arbeitsleben, versteht diese besonderen Bedürfnisse nicht. Unzuverlässigkeit und kranke Kinder die besonders viel Aufmerksamkeit brauchen, führen sehr leicht zu Abmahnungen, zu Jobverlust, zu Armut, noch mehr Armut - und Beschämung. Weil man als Mutter in den Augen von vielen versagt hat, wenn das Teenie Kind nicht alleine zum Arzt geht und man selbst nicht zur Arbeit stürmt und alles hinter sich lässt an Gedanken.
Mittlerweile war mir übel, ich hatte Herzrasen und habe eine SMS geschickt mit der “Hiobsbotschaft” und dem Angebot sofort dann vorbei zu kommen, nach dem Termin und auch am Abend noch herein zu arbeiten, was nötig ist, dass es mir leid tut.
Direkt darauf kommt eine SMS zurück, obwohl es Abend ist. » Mach dir bitte keinen Stress, mach dir keinen Kopf. An erster Stelle steht Ajla.« Gefolgt von positiven Emojis und ich kann wieder durchatmen, es wird wieder leichter und ich kann diese starke Angst handeln, sie entmachten. Zurücktreten und überlegen wie ich am besten vorgehe, mein Pensum gut schaffe und das Kind gut versorge. Wissend, dass selbst wenn ich heute nichts hinbekomme, das kein Untergang ist, kein Drama ist. Und im besten Fall, wie jetzt gerade, ehe wir gleich los müssen, Home Office machen kann, oder auch erst später, am Abend. Dass es keine Vorwürfe, keinen mahenden Finger gibt, wenn das Kind mich den ganzen Tag brauchen würde. Das hat Dani mir auch heute noch einmal beim Telefonieren versichert, mir Mut zugesprochen und mir auf ihre feinfühlige, verständnisvolle Art klar gemacht, dass ich mir da keine Gedanken machen muss, keine Angst haben muss. Dass sie das selbst kennt.
Mittlerweile waren wir bei der Vertretungsärztin, die uns zum Glück nicht nur unkompliziert drangenommen hat, sondern auch verstanden hat, dass ich gebraucht werde, das Sprachrohr bin, das Teeniekind dennoch respektvoll behandelt hat und ihr die Zeit ließ, die sie brauchte, sie in ihren Bedürfnissen ernst nahm und in ihrer Besonderheit. Es gab eine Krankschreibung bis einschließlich Freitag und einer meiner ersten Gedanke war (fast) sofort. »Zum Glück arbeite ich für die Dani und es wird kein Problem geben«.
Ich kann mich jedoch noch an Zeiten erinnern, wo dies anders war, und der Beitrag für KIB oder den Betrag für die Betreuung vorstrecken bis zur Abrechnung war da noch das geringste Problem, sondern die Frage, krieg ich so schnell jemanden her der mein z.B. zweijähriges krankes Kind betreuen kann, damit ich zur Arbeit komme, oder wird es Probleme geben, weil ich zu spät komme? Was, wenn ich erst in drei Tagen jemanden bekomme, weil gerade Hochkonjunktur bei sämtlichen Viren ist? Werde ich deshalb meinen Job verlieren? Muss ich Urlaubstage opfern, weil ich als alleinerziehende Mutter mit einem chronisch kranken Kind den Pflegeurlaub schon aufgebraucht habe?
Nebenbei waren natürlich noch die Schuldgefühle da, weil ich den Knirps krank bei mehr oder weniger immer wieder abwechselnden wildfremden Personen gelassen habe, wo ich doch die Mama bin. Mir Gedanken gemacht, was ist, wenn sie fremdelt, wenn es ihr schlechter geht, sie sich nicht wohlfühlt, wenn sie weint? Aber da mussten wir beide durch. Dazu zwischendurch abgelenkt auf der Arbeit und dann zuhause nach einem acht oder neun Stunden Tag, manchmal länger, im Sozialbereich mit anderen, fremden Kindern, plus Fahrzeit mit den Öffis, dann natürlich die eigenen Kinder, Care-Arbeit, Haushalt, und nachts das kranke Kind stundenlang herum getragen, wie Eltern es nun mal machen, damit es halbwegs ruhig ist und wenigstens dösen kann und die anderen Kinder schlafen. Müdigkeit war da mein ständiger Begleiter, genauso wie die Angst, doch noch Probleme zu bekommen, weil ich nicht voll einsatzfähig war, oder zwischendurch ausgefallen bin auf der Arbeit, oder zu spät kam, weil die Betreuung in der Früh umorganisiert werden musste.
So unglaublich froh und dankbar ich auch bin, dass ich mir jetzt keine Gedanken mehr machen muss, durch die Arbeit die ich jetzt habe, so sehr ist mir auch bewusst, was für ein Glücksfall das ist, dass es selbst in Bürojobs keine Selbstverständlichkeit ist. Dass solche Dinge existenzgefährdend sind, und unter anderem auch bei anderen Eltern oder Elternteilen dazu führen, dass (Klein)Kinder mit Fiebersaft und Co gepusht und krank in Betreuungseinrichtungen gebracht werden um ja verfügbar zu sein für den Chef - und die Kollegen -, um auf keinen Fall die Arbeit zu verlieren und möglicherweise (noch mehr) in Armut abzurutschen. Ein Gespenst, das in solchen Bereichen, dann erschreckend klar ist, denn 55 Prozent vom Nettolohn - im schlechtesten Fall von einem Teilzeit oder prekären Job - ist verdammt wenig und eine reale Gefährdung der Existenz.
Das bringt mich aber auch zu dem Punkt, dass sich gesellschaftlich einiges ändern muss. Von fairer, gerechter Bezahlung angefangen, bis hin zur Möglichkeit von mehr Absicherung, Flexibilität und Home Office, zumindest in den Bereichen, in denen es möglich ist. In den Bereichen, wo es nicht geht, brauchen wir langfristig andere Lösungen, im Interesse der Betroffenen, aber auch der Gesellschaft.