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“Brennpunkt Österreich”

Ein Rückblick von Dani Brodesser

Am 27.03.2024 wurde nun also die Sendung ausgestrahlt (Dani unter Palmen (Öffnet in neuem Fenster)) und ich hatte Zeit, diese Erfahrung und die Sendung zu reflektieren. Diese Gedanken würde ich gerne mit euch teilen…

Die Unterschiede waren sichtbar, der Austausch aber trotzdem möglich.

Geht man von den Rückmeldungen aus, wurde die Sendung durchwegs positiv aufgenommen. Arm und Reich treffen aufeinander, tauchen jeweils in die Welt des/der anderen ein und unterhalten sich auf Augenhöhe. Die Unterschiede zwischen beiden waren sichtbar, der Austausch aber trotzdem möglich. Das hat auch abseits der Dreharbeiten, die immerhin fünf Tage gedauert haben, gut funktioniert. Wir waren uns zwar in manchen Punkten nicht einig und werden es auch nie sein, dennoch haben wir bei vielen Dingen Gemeinsamkeiten gefunden. Etwa was die Notwendigkeit von Bestärkung von Kindern und Jugendlichen betrifft. Hier kommt wie bei so vielen Themen ein wichtiger Faktor zum Tragen: die eigenen Erlebnisse. Denn auch er kommt aus armen Verhältnissen. 

Doch während er (weil selbst erlebt) sieht, was Beschämung, fehlende Teilhabe, mangelnde Möglichkeiten, die eigenen Fähigkeiten erkunden und sehen zu können, bei Kindern bewirken, fehlt ihm dieser Blick bei Erwachsenen. Ihm ist es gelungen, sich rauszukämpfen, er hat aufgrund seiner Erfahrungen die Devise entwickelt "nie wieder Armut”, er ist resilient geworden. Dass es - ihn eingeschlossen - nur wenige gibt, die diesen Weg alleine schaffen, verleugnet er leider gerne und macht somit Erwachsene wieder zu jenen, die selbst Schuld haben. An die eigene Zukunft, die Fähigkeiten zu glauben, setzt voraus, ein gutes Selbstwertgefühl zu haben. Doch genau dieses wird Betroffenen von Jahr zu Jahr mehr genommen. Genau deshalb ist mir so wichtig wie wir mit Armut umgehen. Sprachlich, in Medien, in Gesprächen. Aber vor allem auch auf zwischenmenschlicher Ebene. 

Es braucht das Glück, Chancen zu bekommen und die Fähigkeit, diese ergreifen zu können.

Hier muss auch angemerkt werden, dass weder er noch ich es alleine raus geschafft haben. Natürlich leugnet niemand die harte Arbeit, die dahinter steckt, aber es braucht das Glück, Chancen zu bekommen und die Fähigkeit, diese ergreifen zu können. Bei ihm war es ein Wettbewerb, bei mir Twitter. Beides hat uns Aufmerksamkeit und Chancen gebracht. Die Fähigkeit, diese nutzen zu können, hängt immer vom Glauben an sich selbst ab, vom Selbstwertgefühl. Und das haben die Wenigsten nach jahrelanger Stigmatisierung und Ausgrenzung. In diesem Sinne wäre es wünschenswert, wenn einfach alle Betroffenen auf die Beschämung pfeifen würden! Ich weiß nur zu gut, dass genau das ein Wunschtraum ist, doch damit würden wir jenen, die von der Beschämung profitieren, jegliche Grundlage nehmen.

Ein gut gemeinter Beitrag - zutiefst klassistisch

So weit, so gut. Doch trotz der positiven Rückmeldungen sehe ich die Sendung - mit Bezug auf die Medien - in einem ganz anderen Licht. Nämlich zutiefst klassistisch. Warum?

Die Kurzfassung: Weil unsere Leistungen in Form unserer täglichen Arbeit in der Sendung unterschiedlich behandelt wurden und dadurch ein Ungleichgewicht in der Darstellung stattfand. 

Was wurde also dargestellt? 

Er, der Sunnyboy, beim Präsentieren seines Jobs. Alle wissen nach der Sendung was er macht und wo er es macht.

Ich, die sympathische und vernünftige Dani mit ihrer Familie, die es aus der Armut geschafft hat und aufzeigt, wie wenig Dinge kosten dürfen, damit Armutsbetroffene überleben können. 

Versteht mich nicht falsch. Dieses Aufzeigen ist wichtig. Aber meine Arbeit besteht aus so viel mehr. Das Filmteam hat mich dabei auch begleitet, zu sehen ist in der Sendung davon aber nichts. Meine Arbeit mag nicht so faszinierend sein und umwerfend (von den Bildern her), sie mag oft auch mühsam sein, sich in die Länge ziehen, sich in Details verlieren. Sie mag für Außenstehenden vielleicht langweilig erscheinen. Doch sie ist wichtig und sie wird gerne in Anspruch genommen. 

Armut als emotionaler Triggerpunkt - echt jetzt?

Was in der Darstellung für mich also bleibt, ist der fahle Geschmack, dass Armut zwar bitte sympathisch dargestellt werden soll, aber Arbeit und hier vor allem Aufklärung von Armutsbetroffenen, das passt nicht ins Bild. Von 5 Drehtagen bleibt von mir als Person zwar hängen, dass ich ganz nett bin, eventuell dass sich Arme und Wohlhabende immerhin auf Augenhöhe unterhalten können, das wars aber auch schon. 

Und das, meine Lieben, hat mich die Tage seit der Ausstrahlung ziemlich nachdenklich gemacht. Denn es verfestigt mein Bild über Medien. Mein Bild darüber, dass noch immer Stereotypen herrschen, die durch Medien auch noch verfestigt werden. Warum begleitet man Wohlhabende bei ihrer Arbeit und zeigt das auch in jeder Ausführung, während man bei Armut hauptsächlich darüber spricht, wie wenig etwas kosten darf? Weshalb wird nicht korrekt dargestellt, was viele von uns sind: Menschen, die arbeiten. Menschen, die sich aufreiben zwischen Job, Betreuung, oftmals auch Pflege. Menschen. 

Weshalb muss Armut immer auf emotionale Triggerpunkte reduziert werden? Warum darf nur “schaut sie euch an, ist sympathisch, hätte eigentlich nicht verdient, das durchzumachen” bleiben? Warum führt das Wissen um die strukturellen Ursachen von Armut nicht endlich zu der Darstellung “Armut ist kein individuelles, sondern ein staatliches Versagen und es sollte nicht passieren, dass irgendjemand in Armut leben muss”? Warum schaffen nicht mal die öffentlich-rechtlichen Medien ihr Klassendenken zu überwinden?

Was nehme ich von dieser Erfahrung mit?

Wenn ich etwas aus diesem Experiment mitnehme, dann zwei Dinge: 

Soziale Medien sind ein wichtiges Instrument zur Teilhabe von Armutsbetroffenen. Doch noch viel wichtiger wird es in Zukunft sein, Betroffene und Nicht-Betroffene dazu zu bringen, miteinander zu reden. Auf Augenhöhe. 

Für mich selbst nehme ich mit, noch verstärkter auf Klassismus in Medien zu achten. Noch mehr darauf hinzuweisen und zu sensibilisieren. 


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