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Mein Kind ignoriert mich

Bild: Chiara Doveri

Auf Steady beantworte ich eure Fragen zum Leben mit Kindern. Ich bin keine Therapeutin und kein Coach, ich antworte mit meinem Hintergrund des Studiums der Neurowissenschaften und kognitiven Psychologie, den über 250 Büchern über Erziehung, die ich gelesen habe und meiner eigenen Erfahrung. Natürlich kann ich keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit erheben. Nehmt euch gern das daraus mit, das zu eurer Familie passt.

Liebe Anna,

Meine Tochter wird im Oktober 4 und ist ein aufgewecktes Kind. Sie bewegt sich gerne, klettert und Tanz viel und kann schon seit sie 2 ist super sprechen und sich toll artikulieren.

Ich bin im 7. Monat schwanger, wir erwarten immer Januar ein kleines Geschwisterchen. Ihr Vater arbeitet Vollzeit, aber ist präsent und spielt abends und am Wochende viel mit ihr.

Im großen und ganzen bin ich sehr zufrieden mit unserer Familiensutuation.

Hier das Problem: Meine Tochter ignoriert mich oft und antwortet mir nicht. Es ist nicht das klassische "komm, es gibt essen" aus der Küche gerufen wenn sie spielt. Da weiß ich schon, dass ich zu ihr hingehen muss und sie sogar manchmal berühren muss, damit sie mich wahrnimmt, wenn sie spielt.

Wenn ich z.B. sage: "wir müssen los on die Kita, willst du die rote oder die grüne Jacke anziehen?" antwortet sie nicht, auch wenn sie direkt neben mir steht und mich vielleicht sogar ansieht. Wenn ich beim Essen frage" möchtet du was trinken?" bekomme ich auch oft einfach keine Antwort.

Wir haben schon darüber gesprochen, dass es nicht so schön ist wenn man gar nicht antwortet, selbst wenn man nicht sprechen will. Dann kann man sagen, "ich möchte gerade nicht reden ich will meine Ruhe" ich habe ihr auch schon gesagt, dass mich das ein bisschen verletzt.
Wenn wir in einer ruhigen Minute darüber sprechen zeigt sie Verständnis und sagt, sie antwortet mir ab jetzt immer.

Wenn die Situation wieder da ist, muss ich sie, neben den Fragen die ich stelle, auch noch ständig dran erinnern, dass sie mir antworten wollte, wie wir es abgesprochen haben und ich habe das Gefühl, ich rede mir den Mund fusselig. Ich glaube auch, dass zu viel und zu lange reden für eine fast 4 Jährige anstrengend sein muss. Es ist ein unangenehmer Teufelskreis. Ich selbst achte aber darauf, sie zu beachten, wenn sie etwas von mir will und sie ggf. darauf aufmerksame zu machen, dass ich gerade beschäftigt bin und ihr gleich antworten kann.

Also neben dieser ganzen nicht-Kommunikation ist nun auch noch ein Kita-Thema aufgetaucht, von dem ich nun zum ersten Mal höre, da unsere Tochter mit uns so gut wie gar nicht über die Kita spricht. Wenn ich frage "was hast du so gemacht" oder "mit wem hast du so gespielt" "was war schön, was war nicht so schön" antwortet sie mir oft mit "weiß ich nicht mehr". Nur ab und zu gibt es einen glücklichen Moment, in dem sie mir mal erzählt, was sie im Morgenkreis gesungen haben. Wenn sie dann erzählt, bewerte ich nicht und höre zu und stelle ab und an eine Nachfrage, aber lasse sie reden und freue mich dann.

Gestern machte mich also eine Mutter auf ein Thema aufmerksam, dass ich auch schon länger an meiner Tochter beobachtet habe, aber nicht einordnen konnte. Sie zieht keine Hosen mehr an, sondern nur noch Kleider und Leggins. An sich kein Problem, aber in letzter Zeit stellte sich heraus, dass es wohl bei mehreren Kindern in der Kita so ist. Der Grund dafür ist, dass einige Kinder die anderen Mädchen auslachen, wenn sie kein Kleid, sondern eine Hose tragen. Letztens gab es das Szenario auch anders herum, dass ein Junge mit Kleid ausgelacht und ausgeschlossen wurde.(und das in Berlin Pankow, wer hätte das gedacht!)

Die andere Mutter erzählt mir, dass ihre Tochter (1 Jahr älter als meine Tochter) zuhause erklärt hätte, warum sie keine Hosen mehr anziehen will, nämlich weil sie sonst ausgelacht wird (unter anderem auch von meiner Tochter).

Was ich damit sagen will ist, dass es in ihrer Kita eine für sie höchstwahrscheinlich anstrengende und belastende Situation gab (sie wurde ausgeschlossen, wegen falscher Kleidung, jetzt schließt sie andere aus) sie aber nicht mit mir darüber gesprochen hat. Ich dachte, ich gebe ihr immer das Gefühl, das sie mir alles sagen kann. Und vor allem dachte ich, dass ich genug über Offenheit und Toleranz rede, dass sie andere nicht für ihr aussehen ärgert. (mir ist das Geschlechterthema wichtig und vor allem, dass jede*r so aussehen und jede*r sein kann, wie er*sie will etc)

Dieses Thema macht mir sehr zu schaffen. Ich will sie aber auch nicht überfordern.

Ich freue mich, wenn du mir zu diesem Thema helfen kannst, es raubt mir den letzten Nerv und verfolgt mich schon in meinen Träumen.

Viele liebe Grüße,
Sloane*

Hallo liebe Sloane*,

Vielen Dank für dein Vertrauen! Erst mal mag ich dir sagen, dass es mir ein unheimlich warmes Gefühl gegeben hat, deine Nachricht zu lesen. Daraus spricht eine sehr große Liebe, ein großes Verständnis und ganz viel Feinfühligkeit, das tut selbst mir als Erwachsener einfach gut zu lesen und du gibst damit deiner Tochter auch einen unheimlich großen Schatz mit.

Du sprichst zwei unterschiedliche Themen an: Dass du dich manchmal etwas ignoriert fühlst von deiner Tochter und dass sie aus dem Kindergarten wenig erzählt.

Deine Tochter ist noch keine 4 Jahre alt. Tatsächlich fürchte ich, dass du ein bisschen zu hohe Erwartungen hast. Gerade Kinder, die sich schnell gut ausdrücken können, werden manchmal überschätzt und im Hinblick auf das kommende Geschwisterchen wirkt sie für dich jetzt wahrscheinlich größer als sie eigentlich ist. Das ist völlig normal, im Rückblick auf Fotos wirst du vielleicht irgendwann sehen, wie klein sie eigentlich war.
Selbst wir Erwachsenen sind manchmal mit Entscheidungen überfordert. Es ist toll, wenn du sie in Entscheidungen einbindest und das ist generell auch sehr wichtig, aber manchmal sind Kinder einfach abgelenkt oder es ist ihnen generell einfach gar nicht so wichtig. Was du ausprobieren kannst: Entscheide morgens für sie. Wenn sie das nicht okay findet, kannst du sie immer noch mehr in die Entscheidung einbinden. Wenn du fragen willst, kannst du auch sagen: "Willst du die grüne oder die rote Jacke anziehen? Wenn du dich nicht entscheiden kannst, entscheide ich für dich.“. Das mag etwas fies klingen, aber letztendlich geht es hier nur um eine Jacke. Dieses „dann entscheide ich für dich“ kann manchmal eine Erleichterung sein für Kinder.

Beim Essen kannst du auch einfach allen einschenken (zumindest wenn es eh für alle das selbe gibt), wenn sie Durst hat, wird sie sich schon bedienen, wenn nicht, muss sie nicht trinken. Alternativ kannst du auch als „Regel“ einführen, dass man sich selbst bedient, ggf. ist es vielleicht sinnvoll, eine kleine Karaffe zu besorgen, die sie gut bedienen kann. Es kann wirklich sein, dass du sie einfach zu viel vor Entscheidungen stellst und das in dem Moment für sie aber nicht wirklich relevant ist oder sie gar keine Entscheidungen treffen will. Es ist dann natürlich nicht schön, wenn du ignoriert wirst, aber das kann einfach Anzeichen einer Überforderung sein. Du kannst ihr weiterhin sagen „Ich mag nicht gern ignoriert werden, bitte antworte mir, mir reicht auch ein Kopfnicken oder Kopfschütteln.“, aber in ihrem Alter kannst du noch nicht so richtig erwarten, dass sie das auch direkt umsetzen kann. Das schaffen nicht mal alle Erwachsenen bei akuter Überforderung.

Ich verstehe absolut den Wunsch, sie bei allem mit einzubeziehen, ich glaube aber, dass Kinder dann manchmal auch ein bisschen das Gefühl bekommen, dass es ihren Eltern „egal“ ist - und damit ist es aber auch wieder nicht so wichtig, zu reagieren. Oder es sind eben auch zu viele Entscheidungen. Du darfst bestimmte Regeln oder Gewohnheiten „einfach so“ einführen, du hast ja einen sehr feinfühligen Blick darauf, wenn du über die Bedürfnisse deines Kindes gehen solltest. Aber ihr beim Essen Wasser ins Glas einzuschenken, geht nicht über ihre Bedürfnisse, du zwingst sie ja nicht zum Trinken. Erinnern „darfst“ du sie. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass du so sehr Sorge oder Angst hast, ihre Bedürfnisse zu übersehen, dass dir vielleicht ein bisschen diese elterliche Führung oder Klarheit verloren geht. Du bist die Mutter, du darfst Entscheidungen treffen, wie es bei euch läuft. Du hast in deiner Tochter ein Kind, das sehr klar weiß, dass ihre Meinung und ihre Bedürfnisse zählen. Sie wird sich sehr klar melden, wenn etwas nicht okay ist für sie. Wenn du zweifelst, kannst du auch ab und zu einfach mal nachfragen, aber du musst nicht jede Entscheidung mit ihr absprechen, wenn es um bestimmte Abläufe bei euch geht.

Zur anderen Sache: Das ist tatsächlich etwas, das mich selbst auch sehr lange beschäftigt hat. Was, wenn das Kind belastende Erlebnisse nicht erzählt? Meine mittlere Tochter hat eine wunderbare, liebevolle Therapeutin. Aber wenn die sie nach der aktuellen Familiensituation (mit der Trennung etc. im Hinterkopf) fragt, dann macht sie zu. Und, puh, das hat mir echt Angst gemacht, als ich es gehört habe. Ich weiß genau, dass ich mich nie getraut habe, von meinem Elternhaus zu erzählen, weil ich eigentlich genau wusste, dass da so einiges anders lief als bei anderen (physische Gewalt). Ich weiß nicht, ob das bei dir ähnliche Ängste oder Erinnerungen triggert. Aber: Unsere Kinder haben in den meisten Fällen eine völlig andere Kindheit als wir. Wir achten so viel mehr auf ihre Bedürfnisse, wir beziehen sie so viel mehr ein, wir ermutigen sie so viel mehr, von ihren Gefühlen zu erzählen. Etwas nicht zu erzählen, kann auch einfach eine Verarbeitungsstrategie sein, erklärte mir die Therapeutin. Und das muss valide sein, das muss erlaubt sein. Das heißt weder, dass die Situation deine Tochter weniger belastet hat als das andere Kind, noch dass sie darunter leidet und sich nicht traut, es anzusprechen. Sie verdrängt es möglicherweise erst mal und damit muss es ihr erst mal gar nicht so schlecht gehen. Sie passt sich erst mal an und das ist für uns ganz, ganz schwer auszuhalten. Aber unsere Kinder müssen sich auch ausprobieren dürfen. Wie fühlt es sich an, sich so zu verhalten, dass man nicht ausgelacht wird? Geht das gegen die eigenen Gefühle? Gerade in der Pubertät wird es eventuell noch mehr solcher Situationen geben und manchmal wird sich deine Tochter dafür entscheiden, „mit der Masse“ zu gehen - und manchmal eben auch nicht. Sie hat die perfekten Voraussetzungen für ganz, ganz viel Resilienz. Wenn sie diese Themen erst mal mit sich selbst ausmachen will, tut das dir weh, aber es muss für sie gar nicht so dramatisch sein.

Es mag auch etwas viel verlangt sein, von einer Vierjährigen erfahren zu wollen, was alles so in der Kita passiert ist. Vierjährige haben für zeitliche Abläufe noch keine so ganz genaue Vorstellung. Du kannst sie dabei unterstützen, indem du konkretere Fragen stellst („mit wem hast du heute gespielt?“ Oder „Worüber habt ihr heute lachen müssen?“), was du ja aber auch mindestens teilweise schon zu machen scheinst. In einem Jahr wird das Erzählen ganz anders aussehen. Ihr könnt abends noch ein bisschen über den Tag sprechen, dann ist etwas Abstand zum Kitamorgen und vielleicht fällt es dann leichter zu erzählen. Oder auch nicht, aber das Ritual allein wird ihr vielleicht helfen und zeigen, dass sie erzählen darf.

Wir werden auch solche Situationen nicht immer mitbekommen. Das ist ein schreckliches Gefühl, wir wollen ja nicht, dass unsere Kinder leiden, aber ein bisschen müssen wir das auch aushalten. Du beobachtest ja das Verhalten deiner Tochter sehr genau, dir ist diese Präferenz für Hosen aufgefallen. Das kannst du ansprechen, ganz locker und ohne ein großes Problem daraus zu machen, aber es kann auch sein, dass deine Tochter noch nicht so richtig formulieren kann, was gerade in ihr vorgeht. Du kannst im Kindergarten fragen, wie der Tag war und ob etwas vorgefallen ist, aber ein bisschen wirst du auch damit umgehen müssen, dass du nicht alles erfahren wirst. Auch nicht alles, was deine Tochter vielleicht belastet. Aber du kannst sie weiterhin stärken für herausfordernde Situationen und ich glaube, dass du das wirklich ziemlich gut machst. Und darauf kommt es an, denn auch später wirst du einfach nicht mehr bei allem dabei sein und ihr helfen können. Aber sie wird die innere Stärke haben, mit Schwierigkeiten umgehen zu können.

Ein kleiner Gedanke noch: Manchmal erzählen Kinder auch nicht von Situationen, weil sie Sorge haben, ihre Eltern zu viel zu belasten. Wenn dir deine Tochter etwas erzählt, kannst du darauf achten, eher zu fragen „Und wie geht es dir damit?“ oder „Willst du nur erzählen oder brauchst du Ideen von mir?“. Das gibt ihr die Freiheit, auch einfach mal etwas zu erzählen, ohne dass ein Problem daraus gemacht wird. Denn manchmal finden wir Eltern etwas auch viel dramatischer (auch durch eigene Prägung/Erfahrungen) als unsere Kinder oder die Kinder wollen es eben auch mal einfach nur loswerden und dann reicht es auch schon.

Ich hoffe, dass du dir ein bisschen was mitnehmen kannst, gib mir gern Rückmeldung dazu.

Alles Liebe,
Anna

Kennt ihr solche Situationen? Wie reagiert ihr dann? Erzählen eure Kinder vom Kindergarten oder von belastenden Situationen? Gebt dem Beitrag gern eine Reaktion, wenn ihr mehr in dieser Richtung lesen wollt.

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