ADHS : Zurück aus dem Urlaub
Hallo! Familie Winkler (ohne den großen Jonas, der selber zur See fährt), ist zurück aus dem tollen, kalten Island.
Schön, dass sich viele neue LeserInnen und Leser hier versammelt haben. Und es gibt einige interessante Themen, die in den letzten Tagen so “angespült” wurden. Wenn ich auch noch nicht im richtigen “Arbeitsmodus” angekommen bin.
Neu ist, dass dieser Newsletter aber einen Ableger “nebenan” zu Regulationsstörungen und Emoflex bekommen hat. Gerne mal rüberschauen u.a. in meine FAQ zu Regulationsstörungen (Öffnet in neuem Fenster) und ein Beitrag zur Wechselwirkung von Lärm und Stress (Öffnet in neuem Fenster)
Hauptthema heute ist Cannabis und ADHS bzw. die Auswirkungen von zu frühem schädlichen Konsum von Jugendlichen
Cannabis und ADHS bei Jugendlichen: Ein Leitfaden für Eltern und Lehrer
Mit der zunehmenden Legalisierung und Akzeptanz von Cannabis weltweit stehen Eltern und Lehrer vor der Herausforderung, die Auswirkungen von Cannabiskonsum bei Jugendlichen, insbesondere solchen mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), zu verstehen. Dieser Artikel soll dabei helfen, die möglichen Risiken und Missverständnisse rund um den Cannabiskonsum bei ADHS-Jugendlichen zu klären und fundierte Entscheidungen zu treffen.
Einleitung
Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Substanz weltweit. Die wachsende Legalisierung und Akzeptanz von Cannabis haben den Bedarf an Forschung zur Risikominimierung und zu Behandlungsstrategien erhöht. Mit der wachsenden Legalisierung von Cannabis weltweit wird der Konsum dieser Substanz immer häufiger. In der Europäischen Union haben 8% der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren mindestens einmal im letzten Jahr Cannabis konsumiert. Bei den 15- bis 24-Jährigen liegt diese Rate sogar bei 18.2%. Diese Entwicklung betont die Notwendigkeit, die Auswirkungen des Cannabiskonsums auf die psychische Gesundheit besser zu verstehen.
Besonders wichtig ist dabei zu verstehen, wie sich der Konsum von Cannabis auf Jugendliche mit ADHS auswirkt. Diese Zielgruppe könnte Cannabis als eine Form der Selbstmedikation nutzen, was sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden haben kann.
Studienergebnisse: Cannabis und Psychopathologische Symptome
In einer aktuellen Studie wurden 360 regelmäßige Cannabiskonsumenten aus Basel, Schweiz, untersucht, um die Zusammenhänge zwischen Cannabiskonsum und psychopathologischen Symptomen wie Depressionen, Angststörungen, ADHS und Psychosen zu analysieren. Die Teilnehmer füllten Selbstbewertungsfragebögen aus, um ihre psychischen Symptome zu erfassen, und der Cannabis Use Disorder Identification Test Revised (CUDIT-R) wurde verwendet, um mögliche Cannabisabhängigkeiten zu identifizieren. Die Häufigkeit und Menge des Cannabiskonsums wurden ebenfalls erfasst.
Wichtige Ergebnisse:
Depressionen und Cannabiskonsum: Die Studie zeigte, dass depressive Symptome signifikant mit einer höheren Häufigkeit und Menge des Cannabiskonsums verbunden sind. Teilnehmer mit höheren Depressionswerten konsumierten häufiger und größere Mengen Cannabis, was darauf hindeutet, dass depressive Menschen Cannabis möglicherweise als eine Form der Selbstmedikation verwenden.
ADHS und Cannabiskonsum: Ähnlich wie bei Depressionen zeigte sich auch bei ADHS ein signifikanter Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum. Personen mit höheren ADHS-Werten konsumierten häufiger und größere Mengen Cannabis. Dies unterstützt die Annahme, dass Menschen mit ADHS Cannabis nutzen könnten, um ihre Symptome zu lindern.
Angst und Psychosen: In den bivariaten Analysen wurde ein Zusammenhang zwischen Angst und Cannabiskonsum gefunden, der jedoch nach Anpassung der Daten auf relevante Kovariaten wie Alter, Geschlecht und Bildung verschwand. Ebenso zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Psychosen, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass Personen mit akuten Psychosen von der Teilnahme an der Studie ausgeschlossen waren.
Selbstmedikationshypothese und ADHS
Die Selbstmedikationshypothese besagt, dass Menschen Cannabis konsumieren, um unangenehme Symptome psychischer Störungen wie ADHS zu lindern. Insbesondere Jugendliche mit ADHS greifen oft zu Cannabis in der Hoffnung, dass es ihre Unruhe und Konzentrationsschwierigkeiten mindern könnte.
Erwartete Effekte:
Verbesserte Konzentration: Es wird angenommen, dass Cannabis die Aufmerksamkeit und Konzentration verbessern kann.
Reduzierte Hyperaktivität: Die beruhigende Wirkung von Cannabis könnte helfen, die Hyperaktivität zu verringern.
Stressabbau: Cannabis wird oft als Mittel zur Stressbewältigung verwendet.
Tatsächliche Effekte: Jedoch zeigen Studien, dass diese erwarteten positiven Effekte häufig nicht eintreten. Stattdessen können folgende negative Konsequenzen beobachtet werden:
Verschlechterung der Symptome: Cannabis kann die Symptome von ADHS, insbesondere auf lange Sicht, verschlechtern. Anstatt die Konzentration zu verbessern, kann es zu einer Verschlechterung der Aufmerksamkeitsfähigkeit führen.
Erhöhtes Risiko für Abhängigkeit: Jugendliche mit ADHS, die früh Cannabis konsumieren, haben ein höheres Risiko, eine Cannabisabhängigkeit zu entwickeln.
Kognitive Beeinträchtigungen: Frühzeitiger Cannabiskonsum kann die Gehirnentwicklung beeinträchtigen und zu dauerhaften kognitiven Defiziten führen.
Schlechtere schulische Leistungen: Jugendliche, die Cannabis konsumieren, zeigen oft schlechtere schulische Leistungen und haben geringere Bildungschancen.
Erhöhtes Risiko für andere psychische Störungen: Der Konsum von Cannabis kann das Risiko erhöhen, andere psychische Störungen wie Depressionen und Angstzustände zu entwickeln oder zu verschlimmern.
Cannabis und Schlafstörungen bei PTBS
Ein weiteres häufig genanntes Argument für den Cannabiskonsum ist die Behandlung von Schlafstörungen und Albträumen, insbesondere bei Jugendlichen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS).
Erwartete Effekte:
Verbesserter Schlaf: Viele Menschen glauben, dass Cannabis helfen kann, schneller einzuschlafen und durchzuschlafen.
Reduzierte Albträume: Insbesondere bei PTBS-Patienten wird angenommen, dass Cannabis Albträume reduzieren kann, was zu einem erholsameren Schlaf führt.
Tatsächliche Effekte:
Kurzfristige Verbesserung: Einige Studien haben gezeigt, dass Cannabis kurzfristig helfen kann, Schlafprobleme zu lindern und die Häufigkeit von Albträumen zu reduzieren.
Langfristige Probleme: Langfristig kann der regelmäßige Konsum von Cannabis jedoch die Schlafqualität verschlechtern und zu einem gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus führen. Dies kann wiederum die Symptome von PTBS und anderen psychischen Störungen verschlimmern.
Entzugssymptome: Bei abruptem Absetzen von Cannabis können Schlafstörungen und Albträume oft schlimmer als zuvor zurückkehren, was auf Entzugssymptome hindeutet.
Die Rolle von Eltern und Lehrern
Eltern und Lehrer spielen eine entscheidende Rolle dabei, Jugendliche über die Risiken und realistischen Erwartungen des Cannabiskonsums aufzuklären. Hier sind einige wichtige Punkte, die in Gesprächen berücksichtigt werden sollten:
Aufklärung über Risiken: Jugendliche sollten über die potenziellen negativen Auswirkungen des Cannabiskonsums, insbesondere in Bezug auf ADHS und die Gehirnentwicklung, informiert werden.
Förderung alternativer Behandlungen: Es ist wichtig, alternative Behandlungsansätze für ADHS zu fördern, die von medizinischen Fachkräften empfohlen werden, anstatt auf Selbstmedikation zu setzen.
Offene Kommunikation: Eine offene und unterstützende Kommunikation kann Jugendlichen helfen, ihre Probleme und Ängste zu teilen, ohne auf Cannabis als Bewältigungsstrategie zurückgreifen zu müssen.
Unterstützung bei psychischen Problemen: Eltern und Lehrer sollten wachsam gegenüber Anzeichen von psychischen Problemen sein und gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.
Schlussfolgerungen
Die Forschung zeigt, dass Cannabis keine geeignete Selbstmedikation für Jugendliche mit ADHS oder PTBS ist. Statt der erhofften Linderung können negative Konsequenzen wie verschlechterte Symptome, erhöhtes Abhängigkeitsrisiko und langfristige kognitive Beeinträchtigungen auftreten. Langfristige Studien sind notwendig, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Cannabiskonsum und psychischen Symptomen besser zu verstehen.
Wichtige Warnungen
Vermeide den Konsum von Cannabis, insbesondere im Jugendalter, um das Risiko einer Abhängigkeit und negativer Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung zu minimieren.
Nutze alternative Behandlungsansätze für ADHS, die von medizinischen Fachkräften empfohlen werden, anstatt Selbstmedikation mit Cannabis.
Sei dir bewusst, dass der Konsum von Cannabis die Symptome von ADHS verschlechtern kann und zu weiteren psychischen Problemen führen kann.
Achte darauf, dass frühzeitiger und häufiger Cannabiskonsum die schulischen Leistungen und langfristigen Bildungschancen erheblich beeinträchtigen kann.
Informiere dich über die Risiken und spreche mit einem Arzt oder Therapeuten, wenn du Unterstützung bei der Bewältigung von ADHS-Symptomen benötigst.
Diese Informationen sollen Eltern und Lehrer dabei unterstützen, Jugendliche über die potenziellen Gefahren des Cannabiskonsums aufzuklären und fundierte Entscheidungen zu treffen.
Quelle : Mosandl CF, Baltes-Flückiger L, Kronschnabel J, Meyer M, Guessoum A, Herrmann O, Vogel M, Walter M, Pichler EM. Cannabis use and its association with psychopathological symptoms in a Swiss adult population: a cross-sectional analysis. Front Public Health. 2024 May 22;12:1356988. doi: 10.3389/fpubh.2024.1356988. PMID: 38841675; PMCID: PMC11151851.
Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien zeigen vergleichbare kognitive Verbesserungen
Einleitung
Attention Deficit/Hyperactivity Disorder (ADHS) ist eine der am häufigsten vorkommenden neurodevelopmentalen Störungen, die bei den meisten Betroffenen bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt. ADHS ist mit Defiziten in kognitiven Funktionen verbunden, insbesondere in den exekutiven Funktionen wie motorische und Interferenz-Inhibition, anhaltende Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, Timing, psychomotorische Geschwindigkeit, Reaktionszeitvariabilität und kognitiver Flexibilität. Diese kognitiven Beeinträchtigungen können sowohl die schulische Leistung bei Kindern als auch die berufliche Leistung bei Erwachsenen erheblich beeinflussen.
Neue Erkenntnisse aus der Meta-Analyse
Eine kürzlich im Journal Neuroscience & Biobehavioral Reviews veröffentlichte Meta-Analyse von Forschern des King's College London liefert bahnbrechende Erkenntnisse zur Wirkung von Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien auf die kognitive Funktion bei ADHS. Dies ist die erste Meta-Analyse, die die chronischen Effekte dieser Medikamente auf Aufmerksamkeit, Inhibition, Reaktionszeit und Arbeitsgedächtnis untersucht. Also eben die höheren Handlungsfunktionen (Exekutivfunktionen), die dann viel über die Funktionalität im Alltag bzw. beim Lernen und der Selbstregulation aussagen.
Vergleichbare Wirkung von Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien
Professor Katya Rubia vom Department of Child & Adolescent Psychiatry am King's IoPPN betont die Bedeutung dieser Ergebnisse: "Die Erkenntnisse dieser Meta-Analyse bieten Möglichkeiten, die Anwendung von Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien in der Behandlung von ADHS weiter zu erforschen. Die Feststellung, dass die kognitive Funktion durch langfristige Behandlung mit Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien vergleichsweise verbessert wurde, hat Implikationen für die schulische und berufliche Leistung von Kindern und Erwachsenen."
Die Meta-Analyse zeigt, dass sowohl Methylphenidat (ein Stimulans) als auch Atomoxetin (ein Nicht-Stimulans) bei langfristiger Einnahme (also länger als 12 Wochen) vergleichbare Verbesserungen der exekutiven Funktionen bei Menschen mit ADHS bewirken. Beide Medikamente zeigen die besten Effekte bei der Verbesserung der Aufmerksamkeit.
Langfristige Effekte vs. Einzeldosis-Effekte
Frühere Meta-Analysen konzentrierten sich auf die Effekte von Einzeldosen, was klinisch weniger relevant ist, da die typischen Verabreichungsformen über längere Zeiträume erfolgen. Während Stimulanzien traditionell als wirksamere Behandlung zur Verbesserung der kognitiven Funktionen galten, zeigt diese Untersuchung, dass auch Nicht-Stimulanzien bei langfristiger Einnahme vergleichbare Effekte haben. In dieser Studie bezieht sich "Langzeit" auf eine Behandlungsdauer von mindestens 12 Wochen. Die untersuchten Studien umfassten Zeiträume von mehreren Wochen bis hin zu Monaten, was eine umfassendere Bewertung der anhaltenden Effekte ermöglicht.
Implikationen für die Behandlung von ADHS
Diese Erkenntnisse haben weitreichende Implikationen für die Behandlung von ADHS. Neben den Verhaltensaspekten der Störung, die oft im Fokus stehen, wird deutlich, dass die kognitive Funktion ein wichtiger Bestandteil des Verständnisses und der Behandlung von ADHS ist. Insbesondere Kinder zeigen häufig Probleme mit dem Arbeitsgedächtnis und der Aufmerksamkeit, was zu schlechter schulischer Leistung führen kann. Daher ist es entscheidend, die kognitive Verbesserung als integralen Bestandteil der Behandlung zu betrachten.
Schlussfolgerung
Die Forschung des King's College London bietet neue Perspektiven für die Behandlung von ADHS und unterstreicht die Bedeutung sowohl von Stimulanzien als auch Nicht-Stimulanzien bei der langfristigen Verbesserung der kognitiven Funktionen. Diese Erkenntnisse könnten dazu beitragen, die Therapieansätze zu verfeinern und letztendlich die Lebensqualität von Menschen mit ADHS zu verbessern.
Weiterführende Informationen: Ferdous Isfandnia et al, The effects of chronic administration of stimulant and non-stimulant medications on executive functions in ADHD: A systematic review and meta-analysis, Neuroscience & Biobehavioral Reviews (2024). DOI: 10.1016/j.neubiorev.2024.105703
FDA Genehmigt Onyda XR (Clonidin) für ADHS in den USA
Clonidin Tropfen / Saft sind in Deutschland nach meinem Wissen nicht zugelassen und werden bisher quasi auch nur bei Kindern mit ADHS in den USA eingesetzt. Eigentlich ist Clonidin ein uraltes Blutdruckmedikament (eher aus der Notfallmedizin). Es kann aber eben auch als Nicht-Stimulans bei ADHS eingesetzt werden.
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) hat Onyda XR (Clonidin-Hydrochlorid) zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zugelassen, wie der Hersteller Tris Pharma bekannt gab. Es handelt sich um das erste zugelassene flüssige, nicht stimulierende ADHS-Medikament, das als einmal täglich einzunehmende, retardierte orale Suspension erhältlich ist und nachts dosiert wird. Es kann allein oder als zusätzliche Therapie zu bereits zugelassenen stimulierenden Medikamenten bei pädiatrischen Patienten ab 6 Jahren verwendet werden.
Nach meiner Kenntnis spielt Clonidin in der ADHS-Behandlung in Deutschland noch überhaupt keine Rolle. Es wirkt letztlich ähnlich wie Intuniv (R) = Guanfacin, was ja auch ein ur-ur-uraltes Blutdruckmedikament war, das jetzt quasi sündhaft teuer zu neuer Funktion / Vermarktung gebracht wird.