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Jenseits des magischen Denkens: 3 Wahrheiten für das Movement for Future

Foto: TM

07.09.2023

Liebe Leute,

es ist Euch vielleicht schon aufgefallen, dass ich manchmal – in Twitter-Diskussionen, auf Podien und Panels, gelegentlich sogar hier auf meinem Blog – etwas ungeduldig, ruppig, tatsächlich aggressiv rüberkomme, wie zum Beispiel hier in Leipzig (Öffnet in neuem Fenster), oder in meiner Diskussion (Öffnet in neuem Fenster) mit Jacobin Chefredakteurin Ines Schwerdtner. Warum diese Ungeduld, warum dieses ruppige Abschneiden mancher Gesprächspartner*innen mitten im Satz?

Abgesehen von einigen offensichtlichen Charakterschwächen und Resultaten meiner hyperprivilegierten Sozialisation liegt das einfach daran, dass ich manche Diskussionen nach 15 Jahren Klimaaktivismus und -politikanalyse einfach nicht mehr führen will: ich will mir nicht mehr anhören müssen, wie elegant und effizient der Emissionshandel in theory ist, wenn er in der Praxis keine klimarelevanten Emissionsreduktionen erzeugt hat; ich kann keine bewegungspolitischen Allgemeinplätze mehr hören wie “wenn wir nur effektivere Bündnisse mit den Gewerkschaften hätten...”; und vor allem kann ich nicht mehr hören, wenn sehr, sehr gut gebildete Menschen, die oft sehr viel mehr über das Thema wissen, als ich (I mean: Stefan Rahmstorf ist der Lord of the Tipping Points), mir, uns, und vor allem: sich selbst einreden, wir hätte noch eine Chance, den Klimakollaps (Öffnet in neuem Fenster) zu verhindern, wenn díeser doch mit so einer brutalen Offensichtlichkeit mittlerweile begonnen hat, dass ich nur schlussfolgern kann, dass diese klugen, guten Menschen auch irgendwas zu verdrängen haben.

Der linksgrüne Flügel der Verdrängungsgesellschaft

“Wieso, wir sind doch nicht die Verdrängungsgesellschaft, verdrängen tun doch die Anderen, Diejenigen, die sagen, dass es keinen menschengemachten Klimawandel gibt, die betonen, “das (insert climate crisis effect here) hat's doch schon immer gegeben”, die immer wieder auf “die Chinesen! Die Inder!” verweisen.

My dears, I'm sorry to burst your bubble: auch Ihr, wir alle, verdrängen, müssen verdrängen, weil nicht verdrängen einfach zu schrecklich wäre. Zu schrecklich, sich realistisch vorzustellen, wie die Zukunft der eigenen Kinder, trotz aller Privilegien, die einem die Geburtenlotterie zugelost hat, schon in 10-15 Jahren sein könnte, wenn alles sich mit der gegebenen Hyperschallgeschwindigkeit weiter in Richtung totale Scheiße entwickelt; zu schrecklich, sich das eigene in-die-Ungerechtigkeit-verwickelt-Sein jeden Tag einzugestehen (glaubt Ihr, ich schaue auf diesen Laptop, und sehe jeden Tag die ausgebeuteten, vielleicht schon toten Körper derjenigen, die die Bodenschätze dafür geschürft haben? I'd go even crazier than I already am.); sich das kollektive Scheitern von uns “Klimas” (“des ökologischen gesellschaftlichen Feldes und seiner sozialen und politischen Organisationen”) einzugestehen, das damit einhergeht. All das fühlt sich, erlaubt man sich denn, es in all seiner Tragweite zu fühlen, all zu schrecklich an.

Die Tatsache, dass es Verdrängung auch im Klimafeld gibt, oder, anders formuliert, dass auch Teile des Klimafeldes von der Verdrängungsgesellschaft absorbiert werden können, ist also in dem Sinne nicht besonders überraschend, aber doch sehr frustrierend, bedeutet sie doch, dass mittlerweile eine Sollbruchstelle durch das verläuft, was wir immer noch gnädigerweise “Klimabewegung” nennen. Eine Sollbruchstelle, die sich schon andeutete, als Fridays For Future der letzten Generation in die Hacken grätschte (Öffnet in neuem Fenster), ein Bruch, den ich auf jedem Podium in jedem Twitterspace, in jeder “flügelübergreifenden” Bewegungsdebatte spüre: der Bruch zwischen denjenigen, die bereit sind, nicht nur das fossilkapitalistische, sondern das eigene “business as usual” in Frage zu stellen, der bereit ist, politische, soziale und persönliche Opfer zu erbringen, um sich dem “Nichts (Öffnet in neuem Fenster)” in den Weg zu stellen auf der einen Seite; und denjenigen, die zwar sehr gut über die Situation informiert sind, sich aber immer mehr Verdrängungsquatsch einreden müssen, um nicht anzuerkennen, dass die Radikalen recht gehabt haben, dass niemand sie retten wird, dass die Feuerwehr nicht kommt, egal, wie oft sie aus irgendeinem universitären Institut angerufen wird.

Überall magisches Denken

Damn, jetzt bin ich gerade wieder zu aggressiv geworden, habe die politische Kritik zu sehr ins persönliche gezogen (obwohl wir natürlich wissen, dass z.B. eine “Karriereentscheidung” gleichzeitig höchst privat und höchst politisch ist). Dann nochmal ein Bisschen struktureller: seitdem ich mich an der “Klimadebatte” beteilige (Einstieg 2007/08), hat jeder Klimadiskurs ein Element des magischen Realismus in sich. Jede Klimastrategie beinhaltet mindesten ein Bisschen magisches Denken, und es gibt in jeder auch nur ansatzweise optimistischen Klimaerzählung – von ganz marktgläubig bis ganz bewegungsgläubig – mindestens eine dea ex machina, die es schafft, die qua immanenter, realistischer Analyse unüberbrückbare Distanz zwischen dem klimatologisch Notwendigen, und dem soziopolitisch Machbaren zu überbrücken: eben den Markt oder die Bewegung, irgendeine Technologie oder irgendein “Tüftler”, oder halt ein “sozialer Kipppunkt”, hinter dem (Abrakadabra, simsalabim!) alles wieder besser wird. Wer oder was diese Göttin ist, ist eigentlich egal, die Funktion im Diskurs ist immer die selbe: uns trotz überwältigender Belege für das Gegenteil davon zu überzeugen, dass “noch ein Bisschen Zeit ist”; dass uns “noch eine Chance bleibt”; dass das Notwendige eben irgendwie machbar ist.

Allein, Ihr Lieben: das ist es nicht. Vielleicht war es das vor 14 Jahren in Kopenhagen (COP15) noch; ganz vielleicht war es das 2015 in Paris (COP21) noch, though I doubt it. Mitten im beginnenden Klimakollaps, dem 3. fossil fuel Lock-in (diesmal Gas. Runde 1 war Kohle, Runde 2 Öl), und einer weiterhin wachstumsfetischistischen Weltgemeinschaft muss klar sein, was die Internationale schon lange wusste: es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Markt, keine Greta, noch Fusion, und auch wir selbst können uns aus dem Klimaelend nicht mehr erlösen.

Und weil mir eben mittlerweile für diese im besten Fall mittelmäßige magic show die Geduld ausgegangen ist, wir – die “Klimas”, und natürlich die noch nicht voll arschlochisierten Teile der deutschen Mehrheitsgesellschaft – aber trotzdem miteinander diskutieren und weitermachen müssen, möchte ich hier vorschlagen, dass wir uns auf drei “Wahrheiten” (das Unsichtbare Kommittee nannte solche politischen Punkte im Kommenden Aufstand kurzerhand “Offensichtlichkeiten”, aber leider scheinen sie halt nicht so offensichtlich zu sein) einigen, und von da aus dann rational und weiterdiskutieren, ohne Verdrängung, ohne uns ständig einzureden, dass das Gegenteil der Fall ist, weil es so schwer ist, die Realität zu akzeptieren.


Wahrheit Nr. 1: Der Klimakollaps hat begonnen

Climate breakdown has begun (Öffnet in neuem Fenster)”, der Zusammenbruchs des Klimas hat begonnen, so UN-Generalsekretär Antonio Guterres gestern auf dem Afrikanischen Klimagipfel in Marokko.

Nochmal: das Klima kollabiert. Gerade jetzt überschreiten wir den Makrokipppunkt des globalen Klimasystems, dessen Übergang von einem stabilen in einen instabilen Zustand eine unkalkulierbar lange Phase des Klimachaos’ einläutet (Öffnet in neuem Fenster). Das globale Extremwetter des Sommers 2023 wird schon bald die neue Normalität sein. Die Extreme werden immer extremer. So ein Kollaps ist eine 1/0-Frage, da gibt's nur Ja oder Nein als Antwort, keine Grautöne. Trotzdem hören wir immer wieder, nachdem der naturgemäß nicht zum Hyperradikalismus neigende UN-Generalsekretär öffentlich sagt, der Kollaps habe begonnen, immer wieder dieses “wir haben noch eine Chance”-Mantra, das “es ist noch nicht zu spät”.

Warum das so ist, habe ich oben schon erklärt. Aber warum ist das so gefährlich? Weil wir erst, wenn wir das Tabu des "noch nicht zu spät" durchbrochen haben, ernsthaft mit der Entwicklung solidarischer Anpassungs- und “crisis response”-Politiken beginnen können, die so dringend notwendig sind, um das Leiden so weit wie möglich zu verringern (vgl. Renaee Churches (Öffnet in neuem Fenster)). Wer nicht sagt, wie scheiße die Situation wirklich ist, wird sich im besten Fall mit Allgemeinplätzen aufhalten, von der Art, mit der man Kinder beruhigt. Aber wenn wir endlich anfangen wollen, uns materiell & ethisch adäquat zu behandeln, brauchen wir keine Bevölkerung von eingelullten Kindern. Wir brauchen verantwortliche Erwachsene (nicht im Sinne biologischen Alters), die wissen, was Sache ist, und dementsprechend agieren.

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Wahrheit Nr. 2: Die “Bewegung für die Zukunft” als Bewegung z (Öffnet in neuem Fenster)ur Verhinderung des Klimakollaps ist gescheitert

Vorweg: ich habe mich entschieden, im Vorfeld des Klimastreik (Öffnet in neuem Fenster)s am 15.9. die Klimabewegung zunehmend als “Movem (Öffnet in neuem Fenster)ent for Future” zu bezeichnen, weil Future viel geiler ist, als Klima, weil FFF da echt nicht nur einen Hammerbrand aufgebaut hat, sondern einen “leeren Signifikanten”, ein Symbol geschaffen hat, unter dem sich das “For Future”-Subjekt sammeln konnte, was mit den Teachers, Psychologists, Bauarbeiter*innen und natürlich auch den Faggots For Future sehr weit über seinen historischen Kern Fridays For Future hinausreicht.

Wie schon hier (Öffnet in neuem Fenster) aufgeschrieben, hatte das "Movement for Future" in Deutschland drei Kampfzyklen, die von jeweils unterschiedlichen Akteuren und Strategien bestimmt waren: 1. Aufmerksamkeit for Future (Ende Gelände und die Hambis); 2. Zustimmmung for Future (Fridays For Future); und 3. Störung for Future (Letzte Generation).

Diese 3 Strategien sind gescheitert, meaning: weder "mehr Aufmerksamkeit auf den Konflikt (z.B. um die Kohle) lenken"; noch "mehr Zustimmung für #Klimaschutz (Öffnet in neuem Fenster) im allgemeinen erwirken", noch "den Alltag stören, um a) aufzuwecken, & b) Kosten zu erhöhen" haben sich als effektive Hebel zur Emisssionsreduktion bewiesen (vom “Divestment” jetzt mal ganz zu schweigen). Und wenn wir Effektivitätskriterien für eine Klimabewegung - die in Deutschland nie wirklich eine Klimagerechtigkeitsbewegung war, sondern immer eine "Emissionsreduktionen zur Klimakollapsverhinderung"-Bewegung - anlegen wollen, dann sind die ganzen “Proxyindikatoren” (Zustimmung, Prozente für die Grünen, degree of media coverage...), die wir bisher dafür verwendet haben, schlecht oder völlig nutzlos.

Es gibt eigentlich nur 2 Erfolgskriterien, die wichtig sind:

a. Hat die Klimabewegung zu dauerhaften, signifikanten Emissionsreduktionen beigetragen?

b. Hat die Klimabewegung dazu beigetragen, signifikante Finanzflüsse in den Süden zur Begleichung ökologischer Schulden zu mobilisieren?

Das sind die Kriterien, an denen wir uns messen lassen müssen. Nicht, weil es im engeren Sinne unsere Aufgabe war, diese Dinge zu tun. Sondern weil es verdammt nochmal niemand anderes tut.

Scheitern heißt erstens nicht, dass wir keine Effekte hatten, dass all unser Wirken umsonst war; es heißt auch nicht, dass wir nicht noch Erfolge erzielen können, aber die sind dann halt entlang einer anderen Metrik, als der, die wir bisher hätten anlegen müssen, wenn wir wirklich unsere Effektivität messen wollen. "Scheitern" heißt auch nicht schuldhaftes Scheitern. Wir sind im Kern gescheitert, weil Emissionen direkt am globalen kapitalistischen Wirtschaftswachstum hängen, und wir keinen Hebel haben, dies zu beeinflussen. Wenn also die 1. Mission gescheitert ist (Klimakollaps + keinen Hebel) - wäre es jetzt nicht Zeit, über unsere nächste Mission nachzudenken.

I hate spending time fighting last decade's battles. I want to fight those that are happening now, & coming up.

Wahrheit Nr. 3: im Faschismus ist alles Nichts

Dass die Faschismusgefahr real ist, hat auch die “Mitte” der deutschen Gesellschaft spätestens seit Sonneberg verstanden (warum das so lang gedauert hat, habe ich hier (Öffnet in neuem Fenster)aufgeschrieben). Jede*r Klimaaktivist*in muss verstehen, dass – um Brandts Diktum über den Frieden abzuwandeln – im Faschismus ist Alles Nichts, d.h., sollte es Bundesregierungen mit AfD-Beteiligung in Deutschland geben (nicht unrealistisch, zumindest nicht ab 2029), sich die grundlegenden Bedingungen jeder Art progressiven Aktivismus fundamental verschieben würden; dass es keinen irgendwie gearteten, nicht mal vorgetäuschten Klimaschutz geben würde; und dass die zunehmenden Kollapsdynamiken genutzt würden, um “X/Y/Z nur noch für Deutsche” als Prinzip zu etablieren.

Daher halte ich es hier mit Jan Böhmermann, der kürzlich sagte: "Das größte, drängendste Problem der Gegenwart ist, die Faschos in die Box zu drücken.”

Die Klimabewegung ist die immer noch mobilisierungsstärkste Bewegung in Deutschland, trotz unserer sinkenden Legitimität. Den Kampf gegen den Faschismus mit anzuführen, der auch aus globaler Gerechtigkeitsperspektive die zentrale Gefahr im Klimakollaps ist, ist eine unserer zentralen Zukunftsaufgaben. Und im Gegensatz zum Kampf gegen den Klimakollaps ist der gegen den neuen Faschismus noch lange nicht verloren – tatsächlich könnten wir den sogar noch gewinnen.

Aber dazu mehr in den nächsten Wochen. Jetzt muss ich ums Zugchaos kümmern, das verhindert, dass ich nach München zu Block IAA komme :)

Euer Tadzio

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