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WeinLetter #88: Meine Sommer-Silvaner-Tour zur “Lage” der Weinnation

Liebe Wein-Freund:in,

Du liest den WeinLetter #88. Heute gibt’s: Ja, was? Ich nenne es mal: Meine grenzüberschreitende Sommer-Silvaner-Süddeutschland-Tour mit Stuttgarter Zwischenstopp und einem Bericht zur „Lage“ der Weinnation. Den Urlaubswein aus den Niederlanden (Opens in a new window) aus gegebenem Urlaubsanlass gab’s im WeinLetter #87. Doch ganz wollen mich die Ferien noch nicht loslassen. Ich machte beim Kurzurlaub in meiner Hohenloher Heimat noch zwei spontan-geplante Ausflüge. Und tatsächlich betraf es zwei Weingüter, die ein hervorragendes Silvaner-Repertoire vorweisen können – das eine in Württemberg, das andere in Franken. Ich besuchte die Weingüter von Helmut Dolde (The Land) und Paul Weltner (The Frank). Sie gehören zur Standardausstattung in meinem Weinkeller. Und erzählen auch noch viel über Weinhandwerk, Weinkönig:innen und Weinlagen. Plus ein weiterer meiner Lieblingsorte: die Weinhandlung Kreis in Stuttgart. Dolde-Kreis-Weltner: Alles richtig gemacht! +++ Viel Spaß beim Lesen! Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied!

Aber vor allem: 

Trinkt friedlich!

Euer Thilo

Weinberg in Franken

Silvaner so weit das Auge blickt: Der Küchenmeister ist der Hausberg von Rödelsee in Franken FOTO: THILO KNOTT

Der Dolde-Kreis-Weltner-Tripp

Von Thilo Knott

Station 1: Weingut Helmut und Hedwig Dolde aus Frickenhausen, Württemberg

Es gibt im Neuffener Tal Wein – und es gibt Helmut-Dolde-Wein: Helmut Dolde (Mitte), Franz Untersteller (rechts) und der WeinLetter-Herausgeber nach der Probe der Jahrgänge 2022 und 2023 FOTO: HEDWIG DOLDE

Die Geschichte dieses Fotos von den drei schmucken Jungs bedarf ein bisserl der Erklärung. Es symbolisiert das Prinzip des WeinLetter. Hier geht es um Vernetzung. Der WeinLetter ist eine Plattform für Menschen, die Lust haben auf Wein, sich auseinandersetzen mit der Geschichte und den Geschichten und gerne schreiben. So hat sich mit der Zeit ein illustres Autoren-Kollektiv gebildet.

Zurück zum Foto: Ich (Im Zweifel links) habe für den WeinLetter #6 über trinkbare Trollinger (Opens in a new window) geschrieben. Gibt’s. Wollte aber diesem Roten etwas Weißes aus Württemberg entgegensetzen. Ich habe recherchiert, wer das schreiben könnte: Es fiel der Name Franz Untersteller (rechts), der sich auch bei Wein sehr gut auskennen solle. Ich rief den gerade ausgestiegenen, baden-württembergischen Umweltminister an. Er bat um Bedenkzeit. Ich dachte: Hm, Politiker, Bedenkzeit, das kann Jahre dauern. Paar Tage später erhielt ich seine SMS: „Mach ich!“ Hinterher schickte er: „Ich schreibe über Silvaner aus Württemberg.“ Ich dachte: Württemberg? Warum nicht Franken? Ich ließ mich überraschen. Es wurde der Silvaner Alte Reben von Helmut Dolde (Mitte) aus Frickenhausen im Neuffener Tal. Denn Franz Untersteller kennt Helmut Dolde lange, er ist jeden Herbst sein Erntehelfer.

Landschaft mit Weinbergen und Tälern

Helmut Dolde hat dieses Anbaugebiet auf die Weinkarte gesetzt: Blick vom Weinberg auf das Albvorland mit dem Hohenneuffen und der Baßgeige FOTO: DIETER RUOFF

Das Treffen mit Franz Untersteller und Helmut Dolde kürzlich war lange avisiert, denn über die WeinLetter-Jahre wurde Franz Untersteller WeinLetter-Chefreporter für die Südschiene und Helmut Dolde der Ernte-Klimawandel-Experte des WeinLetter. Weil er als ehemaliger Gymnasiallehrer für Biologie und Chemie quasi alles im Weinberg (Biologie) und im Keller (Chemie) erklären und herleiten kann. Man will nicht aufhören zuzuhören.

Helmut Dolde präsentierte in seiner Weingarage in Frickenhausen eine besondere Probe: Wir verglichen die Jahrgänge 2022 und 2023 der jeweiligen Rebsorten (Silvaner, Riesling, Weißburgunder) und Lagen. Hier ein paar Erkenntnisse:

  • Es gibt im Neuffener Tal Wein und Helmut-Dolde-Wein: Er hat dieses Gebiet auf die Weinkarte gesetzt.

  • Probiert Rieslinge aus Württemberg. Sie sind im Vergleich zu anderen Riesling-Gebieten (Rheingau, Mosel, Saar) unterschätzt. Helmut Dolde baut zwei aus: Der Neuffener Riesling ist geprägt durch Weißen Jura, der Linsenhöfer Riesling durch Braunen Jura.

  • Helmut Dolde hat mit drei Silvanern eines der besten Silvaner-Portfolios in Deutschland – außerhalb Frankens. Die drei Silvaner stellen jeweils eine Besonderheit in den Vordergrund: Der Neuffener Silvaner ist wieder Weißer Jura und dadurch etwas geschmeidiger. Der Linsenhöfer Silvaner ist dominiert von Vulkangestein und deshalb der mineralischste. Der Silvaner Alte Reben hat eine tolle Tiefe und Struktur und ist mineralisch noch dazu – mein Favorit.

  • Und: Es ist das beste Preis-Genuss-Verhältnis. Alle Weißen liegen unter zehn Euro. Manchmal neigen Schwaben irrtümlicherweise zum Underschdaitment. Also die Schwaben außerhalb Berlins.

Station 2: Weinhandlung Kreis in Stuttgart, Württemberg

Bevor ich mich dann wieder von Frickenhausen Richtung Hohenlohe aufmachte, hielt ich in Stuttgart, Böheimstraße, Heslach. Hier residiert die Weinhandlung Kreis. Ich habe von 1998 bis 2001 nicht weit davon im Lehen-Viertel gewohnt.

Seit 1996 betreibt Bernd Kreis die Weinhandlung. Er ist Anfang der 90er Jahre Sommelier unter anderem in der Wielandshöhe von Vincent Klink, dann Weinhändler in Stuttgart, Weinkolumnist (u. a. taz, Stern). Heute betreibt er zudem die Weinbar High Fidelity und veranstaltet den Weinkongress „Perspektive Wein“. Sein Sohn Kilian Kreis ist längst miteingestiegen.

Bernd Kreis ist ein Wein-Gigant in Stuttgart. Er war in den 90ern in The TrollingerLand sehr umstritten. Der „Zugereiste“ hat den Württembergern in einer Anhörung des Landtags damals empfohlen, die Trollinger-Rebstöcke in den Steillagen des Neckars zu roden und gegen höherwertige Rebsorten zu ersetzen. Die „Bild“ titelte: „Weinexperte will Trollinger verbieten!“ Er wurde: der „Trollinger-Mörder“. Die Abkehr vom Trollinger aber ist heute – zumindest im Qualitätsbereich - längst vollzogen. Heute finanziert die Landesregierung Pilotprojekte, wie man die Trollinger-Rebstöcke in den Steillagen roden und durch höherwertige Rebsorten ersetzen kann. 

Über den Hinterhof in die Weinwelt: Weinhandlung Kreis in Stuttgart FOTO: UNBEKANNT

Und warum ist die Weinhandlung Kreis jetzt meine Lieblingsweinhandlung außerhalb Berlins? Und neben der Espressobar Herbert’z mein Muss, wenn ich in Stuttgart bin? Drei Gründe:

  • Die Weinhandlung Kreis hat mit Abstand das beste Sortiment an Württemberger Weinen. Zurecht: Ich halte diese national ja für äußerst unterschätzt. Hier finde ich alle Top-Weingüter. Ich suchte nämlich den Brut Nature von Gert Aldinger, schaffte es aber an dem Tag nicht mehr nach Fellbach. Ein Hochzeitsgeschenk, das genau heute zum Einsatz kommt (Herzlichen Glückwunsch, Johanna und Robert!).

  • Die Weinhandlung Kreis pflegt ein Sortiment, das eine feine Balance einhält zwischen hoher Qualität und bezahlbaren Preisen. Es sind kleine, handwerkliche, nachhaltige Weingüter. Er hat beispielsweise eine Reihe hochwertiger Burgunder-Weingüter, die noch bezahlbar sind.

  • Ich entschied mich denn auch für Pommards der Domaine Lucien Boillot et Fils. Ortswein und 1er Cru. Ich entschied mich für den Jahrgang 2019. Das ist der dritte Grund: Die Weinhandlung Kreis verkauft Vertikalen, also unterschiedliche Jahrgänge desselben Weins. Mitunter 4, 5 Jahrgänge. Das ist schon sehr selten. Spricht aber für die Qualität der Weinhandlung Kreis.

Ein kleines feines Frankreich-Sortiment gibt’s auch noch in der Weinhandlung Kreis: Domaine Des Roches Neuves: Saumur Blanc, L’Insolite, 2021, 12,5 % Vol. Alcohol. FOTO: THILO KNOTT

In Hohenlohe gab’s nach der Rückkehr aus Schwabenland übrigens einen Chenin Blanc der Domaine Des Roches Neuves von Thierry Germain aus der Loire-Appellation Saumur Champigny, die ansonsten für ihre Cabernet Franc bekannt ist. Geht auch sehr gut!

Station 3: Weingut Paul Weltner in Rödelsee, Franken

Der Küchenmeister ist der Hausberg von Rödelsee in Franken: Paul Weltner interpretiert diese besondere Lage im Ortswein, dem Ersten Lagen-Wein und dem Großen Gewächs „Hoheleite“. Hoheleite ist der Streifen unterhalb des Waldes FOTO: THILO KNOTT

Es gibt in Deutschland eine nicht geführte Lagen-Diskussion. Dafür muss ich ein bisschen ausholen.

Wenn ich das richtig verstanden habe, gab es in Deutschland mehrere Phasen im Umgang mit der Lage, also das geologische Fundament, auf dem die Rebstöcke stehen. Es verbergen sich dahinter unterschiedliche Qualitätsverständnisse.

Phase 1: Die Hochstapler-Phase. Die Lage ist beim Wein die drittgrößte geografische Angabe nach Anbaugebiet und Region. Die Großlagen entstanden dabei in den 60er, 70er Jahren mit der Flurbereinigung. Sie umfassen viele Hunderte Hektar Anbaugebiet. Die Großlage steht dabei genauso auf den Etiketten wie eine Einzellage oder ein Gewann, wie man früher gesagt hat. Nur: Ist das zu erkennen? Oder flunkert die Nennung der Großlage nicht eine Qualität vor, die sie nicht hat? Wer kann schon unterscheiden zwischen Forster Mariengarten (Großlage: 350 Hektar) und Pechstein (Einzellage in der Großlage Mariengarten: 7 Hektar). Insofern war die Nennung der Lage ein „Etikettenschwindel“, weswegen ich diese Lagen-Phase die Hochstapler-Phase nenne.

Phase 2: Die Terroir-Phase. Mit der Einführung des französischen Systems (Gutswein, Ortswein, Erste Lage, Große Lage) rückt in Deutschland vor allem der Verband der Prädikatsweingüter (VDP) die Lage ins Zentrum der Qualitätsdebatte. Es ist die Hinwendung zum Weinberg, der Grundlage der Rebstöcke und damit des natürlichen „Produktionsmittels“. Mehr Biologie, weniger Chemie. Mehr Boden, weniger Oechsle. Es ging ums Terroir. „Terroiristen“, war das Schimpfwort der Antipoden. Die Entwicklung war die, dass sich dieses Verständnis bei vielen Qualitätsbetrieben durchgesetzt hat – unabhängig der Frage: VDP-Mitglied – ja oder nein?

Phase 3: Die Verwässerungs-Phase. Aktuell und in der Umsetzung des neuen Weingesetzes sehen wir eine ganz andere Entwicklung bezüglich der Lagen. Einerseits haben sich auch die Einzellagen „vermehrt“. Andererseits wird es absehbar einen regelrechten Lagen-Porno geben, weil die Weinbauverbände gerade die Rebsorten bestimmt haben, bei denen die Lage genannt werden darf. Die Pfalz treibt es auf die Spitze: 7 Rebsorten! Riesling. Spätburgunder. Weißburgunder. Grauburgunder. Chardonnay. Dornfelder. Gewürztraminer. Trocken wie edelsüß. Fehlt eigentlich nur noch die Lagenbezeichnung für Glühwein.

Damit ist meines Erachtens eine Entwertung der Lage verbunden, die die Konsument:innen ins Chaos führen wird. Es braucht eine Debatte (die nicht geführt wird): Was ist die Lage überhaupt noch wert? Welche Qualitätskriterien sind ausschlaggebend – auch im Sinne einer Unverwechselbarkeit? Und welche vorhandene Lage erfüllt das überhaupt noch? Ganz nebenbei: Diese ernsthafte Auseinandersetzung würde die Branche eher aus der strukturellen Krise führen als die lächerliche Scheindebatte über die Weinkönginhoheitsbotschafterin. 

Das Große Gewächs „Hoheleite“ ist der Silvaner-Signature-Wein: Besuch im Weingut Paul Weltner FOTO: THILO KNOTT

Warum ich dies so voluminös vorausschicke, wenn ich über meinen Ausflug zum Weingut von Paul Weltner in Rödelsee, Franken, erzähle. Genauer gesagt meine Probe seiner Küchenmeister-Weine und die Wanderung durch den Küchenmeister selbst.

Küchenmeister ist die Top-Lage von Rödelsee. Und keiner beherrscht sie so wie Paul Weltner.

Ich habe mich bei der Probe im Weingut auf Silvaner konzentriert. Den Ortswein Rödelsee 2023 (12 Euro), den Erste Lage Rödelseer Küchenmeister 2022 (17 Euro) und das Große Gewächs Hoheleite 2022 (36 Euro). Die Ortswein-Qualität ist sensationell, die Erste Lage hat ein Top-Preis-Genuss-Verhältnis und „Hoheleite“ gehört zu den besten Großen Gewächsen Deutschlands (also nicht nur Silvaner). Es ist alles noch zu jung, um das Potential zu denken und zu beschreiben.

Mir geht es – und das ist mir erst bei diesem Besuch in Rödelsee aufgefallen - hier um den perfekten Umgang mit der Lage Küchenmeister. Denn alle drei Silvaner entstammen dem Küchenmeister. Beim Ortswein wird die Lage Küchenmeister überhaupt nicht genannt – obwohl der Wein daraus entstammt. Bei der Ersten Lage dann logischerweise schon. Und beim Großen Gewächs wird eine Parzelle des Küchenmeister genannt: die Hoheleite.

Dieser Umgang mit der Lage spiegelt einerseits die Qualitätsstufen perfekt wider. Wer sie durchprobiert, wird den Qualitätszuwachs regelrecht schmecken. Mit einem absoluten Signature-Wein am Ende. Andererseits drückt sich hier der authentische Umgang mit der spezifischen Beschaffenheit des Küchenmeisters aus.

Der Küchenmeister selbst ist von hoher, aber eben unterschiedlicher Qualität. Es gibt Partien, die genügen dem Ortswein. Die Erste Lage dagegen gibt die prinzipielle geologische und klimatische Beschaffenheit der südwestlichen Lage Küchenmeister wieder. Unterhalb des Schlosses Schwanberg existiert ein warmes Mikroklima, das durch das Hochplateau vor kalten Nord- und Ostwinden geschützt ist. Und die Hoheleite, aus der das Große Gewächs stammt? Zieht sich genau unterhalb des Plateaus quer über den Küchenmeister. Es ist quasi die Zuspitzung des Mikroklimas. Und nur hier existieren auf der Gipskeuperformation Estherien- und Myophorienschichten. Und dann kommt noch die Rebsorte hinzu. Oder wie es Paul Weltner einmal gesagt hat: „Speziell der Sylvaner ergibt unkopierbare feine Weine mit großem Lagerpotenzial.“

Meine 2022er „Hoheleite“ legen sich nach meinem Besuch in Rödelsee jetzt in Berlin schlafen. Der 2014er „Hoheleite“ in meinem Keller aber könnte bald dran glauben. 

PS: Mal schauen, ob sich die kritische Lage des deutschen Weins in Richtung Rödelsee bewegt – oder weiter in Richtung Rückschritt.

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