Herzschmerz
Ich bin seit Dezember in der Türkei. In der Stadt, in der ich geboren wurde, in der Wohnung, in der ich aufgewachsen bin. So gut wie ich mich aktuell fühle, hatte ich mich seit Jahren nicht gefühlt. In dem Sammelband „anders bleiben (Opens in a new window)“ der Herausgeberin Selma Wels habe ich versucht die Erfahrung, so lange so weit von meinem Geburtsort, nein, von meinem Zuhause, entfernt zu sein, zu beschreiben. Das Buch ist dieses Jahr Ende Januar erschienen, mit einem Brief von mir an den kurdischen Sänger Ahmet Kaya, der wegen kurdenfeindlichen Rassismus im Exil sterben musste. Insgesamt haben 21 wunderbare Menschen teilweise sehr berührende Briefe geschrieben, die Lektüre lohnt sich. Weit ausgeholt – in diesem Brief habe ich bereits einmal versucht, die Erfahrung, mich so dünn zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu strecken, zu beschreiben. Ich habe aber das Gefühl, dass diese Beschreibung nicht mit einem einzigen Text erledigt wäre, weil auch die Erfahrung viele Facetten hat.
Eine dieser Facetten ist die Rückkehr. Und diese Erfahrung mache ich jetzt, die kannte ich nicht, als ich den Brief schrieb. Ich werde zwar nicht permanent in der Türkei leben, denn inzwischen ist auch Deutschland mein Zuhause. Aber ich bin jetzt hier und fühle mich wieder… bunt. Lebendig. Warm. Ja, in Deutschland habe ich mich weniger lebendig gefühlt. Ich hatte eine scharfe Kälte im Bauch. War blass. Das so zuzugeben tut mir nicht gut, weil ich mir wie eine Versagerin, die nicht auf ihre Entscheidungen klarkommt, vorkomme. Aber es liegt nicht an mir. Erstens liegt es an Deutschland. Zweitens liegt es an der Migration. Es ist einfach verdammt schwierig.
Vielleicht, wenn ich so privilegiert bin die Chance zu erhalten, erzähle ich dir irgendwann ganz genau wie es sich anfühlt, sich in einem objektiv unsicheren Land sicher zu fühlen, wie es sich anfühlt zu leben aber sich nicht lebendig zu fühlen, wie es sich anfühlt in einem der sichersten Länder der Welt zu leben und de facto kein bisschen Sicherheit zu erleben.
Die Kolumne schrieb Liana Georgi. Liana begegnete ich auf Instagram, nachdem ein Video mit ihr viral wurde. Ich hatte dieses Jahr die Ehre, sie in Istanbul auch persönlich kennenzulernen. Auf einen Kaffee unterhielten wir uns sehr angenehm und gingen später auf die Premiere der türkischen Übersetzung (Opens in a new window) von „Das Patriarchat der Dinge (Opens in a new window)„ von Rebekka Endler. Als Liana dann für eine Kolumne zusagte, freute ich mich sehr. Check it out!
Politischer Herzschmerz
Von Liana Georgi
Es ist der 8. März in Istanbul. Internationaler Frauenkampftag. Zwei Polizisten warten neugierig vor meiner Tür, um zu schauen, ob ich die große Revolution vorbereite. Leider nicht. Stattdessen laufen meine Freund_innen und ich los zur von Polizist_innen umgebenden Schar wunderschöner Feminist_innen, die für eine Gesellschaft gleicher Rechte für Alle kämpfen.
Ich ertappe mich dabei, wie ich denke: „Klar lebe ich in der Türkei. Ich bin lesbisch. Hat sich jemand diese Frauen mal angesehen?“ Türkische und kurdische Frauen sind nicht nur schön. Sie sind leidenschaftlich, intelligent, mutig, resilient. Obwohl ich letzteres für ein scheiß Kompliment halte. Denn eigentlich sollten Lebensbedingungen nicht so sein, dass frau resilient sein muss.
Die Masse wird größer und lauter. Unter ihnen die Frau, die Inspiration für eins meiner Lieder war: „Change.“ Und die Ursache meines damaligen Herzschmerzes.
In Change singe ich davon, wie ich eigentlich für Veränderung kämpfen möchte und keine Zeit für Herzschmerz habe, aber es einfach nicht lassen kann. Für Veränderung zu kämpfen, wenn man sich selbst kaum ändern kann, ist kräftezehrend. Es ist echt anstrengend, sich für seine Werte und Überzeugungen stark zu machen, wenn einem der Kopf vor Liebe schwebt und der Atem vor Bewunderung wegbleibt. Wenn man von der Polizei geschlagen und getreten wurde und Wochen später die narbenden Wunden nachts zärtlich geküsst werden.
Nein, ich konnte mich damals nicht ändern. Ich konnte diese Frau nicht einfach nicht lieben. Ich war und bin (leider) diese dezent neurotische Hals-über-Kopf-verliebte Lesbe, die es nie gebacken kriegt sich in emotional verfügbare Menschen zu verlieben.
Lesbischer Herzschmerz. Unter Lubunya.
Aber Lieben, wenn man LGBTQIA* ist, ist schwierig. Keineswegs, weil das Lieben an sich schwierig ist. Gefühle sind universell. Jeder Mensch kennt Liebe und Herzschmerz. Aber wir LGBTQIA* müssen in einer heteronormativen Gesellschaft so sehr dafür kämpfen, uns erst einmal selbst zu akzeptieren und zu lieben, dass queere Liebe manchmal tiefere Facetten hat. Nicht jeder Mensch kennt ständige Diskriminierung oder sogar Überlebenskampf. Hier in der Türkei wird Lubunya, also LGBTQIA*, oft die komplette Existenz abgestritten.
Lesbischer Herzschmerz ist somit anders als heterosexueller, besonders in Ländern wie der Türkei. Er ist nämlich politisch, ob frau das möchte oder nicht.
Wenn ich l(i)eben möchte, dann muss ich kämpfen. Denn Lesben werden diskriminiert, beleidigt, sexuell belästigt, bedroht oder verfolgt - all das ist mir passiert, in der Türkei, aber auch in Deutschland. Während ich mir, dank meines deutschen Passes, das kleinere Übel aussuchen kann und "frei" bin, werden Lubunya von ihrem eigenen Staat angegriffen und können nicht einfach so gehen.
Im Bewusstsein dieses geteilten Herzschmerzes, wird mein persönlicher Herzschmerz plötzlich unwichtig. Im Bewusstsein dieses universellen Kampfes für Gleichberechtigung, stehe ich in tiefer Solidarität mit Lubunya, mit den Feminist_innen am 8. März.
Seite an Seite mit der Frau, die mir das Herz gebrochen hat.
Liana Georgi (sie/they) ist ein_e deutsch-bulgarische_r Sänger_in und Aktivist_in. Seit 2019 l(i)ebt Liana in Istanbul und setzt sich international für LGBTQIA* und Frauenrechte ein. Ursprünglich aus Berlin, tourt sie nun mit ihrer Musik und aktivistischen Arbeit umher, vor allem in der Türkei, Bulgarien und neuerdings auch den USA.
Diesmal erscheint Saure Zeiten leider ohne Empfehlungen, Grund ist Zeitmangel. Bitte die oben in meinem Text verlinkten Bücher als Lese- und Lianas Musik (Opens in a new window) als Hörempfehlung!