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Remigration, bald.

Deutschland steht vor der vorgezogenen Wahl des Bundestags – wir wissen zwar noch nicht, wann, aber sie wird kommen. Ich wüsste nicht, welche Partei meine Stimme bekäme. Wüsstest du?

Seit dem Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 diskutiert Deutschland, das Täterland des Nationalsozialismus, über einen vermeintlich aus dem Ausland importierten Antisemitismus, und dass man diesen Antisemitismus mit “Abschiebungen im großen Stil” bekämpfen könne. Das ist realitätsfremd und peinlich, und auch zutiefst antisemitisch. Weil es dabei nicht darum geht, Antisemitismus zu bekämpfen, vorzubeugen, zu überwinden und das jüdische Leben zu schützen. Es geht darum, den weißdeutschen Antisemitismus unter den Teppich zu kehren und damit für antisemitische Kontinuitäten zu sorgen. Deutschland instrumentalisiert Antisemitismus, um antisemitisch bleiben zu können. Das ist der Grund, dass es in dieser Debatte bisher noch nie darum ging, Nazis-wählende-Nazis auszubürgern und im Großen Stil auf die dunkle Seite des Monds abzuschieben. Diese Nazis und ihr Antisemitismus stören nicht wirklich. Aber weh du kritisierst die hunderttausenden zivilen palästinensischen Opfer, die übrigens überwiegend aus Frauen und Kindern bestehen, oder die Brutalität, die aktuell im “Nahen Osten” zur Schau gestellt wird.

Im Juli 2024 ist das neue Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft getreten. Nach wie vor müssen jene, die sich in Deutschland einbürgern lassen möchten, einen Eid schwören, sich zur “freiheitlich-demokratischen Grundordnung” bekennen und in einer Loyalitätserklärung versichern, keine extremistischen Bestrebungen zu verfolgen. Als Eingebürgerte musste ich das auch, das ist nicht neu. Allerdings kann man inzwischen ausgebürgert werden, wenn man öffentlich Israels Politik kritisiert oder kritische Posts auf Social Media mit Gefällt-mir markiert. Zum Beispiel den Instagram-Post von einem deutschsprachigen Medium, in dem von möglichen Kriegsverbrechen Israels berichtet wird. Die Äußerungen bzw. das Social-Media-Verhalten gilt als Beweis, dass die Loyalitätserklärung bei der Einbürgerung betrügerisch gewesen sei, und dem kann die Ausbürgerung und Ausweisung folgen.

Niemand hat ein Recht darauf, antisemitisch zu sein. Und die verbale Reproduktion von Antisemitismus ist gewiss keine freie Meinungsäußerung, das gesetzlich geschützt werden muss. Antisemitismus muss mit Entschiedenheit und allen Mitteln einer Demokratie bekämpft werden. All das ist schon klar, darüber müssen wir gar nicht reden. Worüber wir unbedingt reden müssen ist die Tatsache, dass das neue Staatsangehörigkeitsgesetz eben nicht vor Antisemitismus schützt: Das ist nicht dessen Ziel und das wird auch nicht dessen Ergebnis sein. Ich erkläre es.

Menschen, die neulich eingebürgert wurden, haben auch das Wahlrecht erst neulich erworben. Ich persönlich wurde Dezember 2021 eingebürgert, das war erst nach den vergangenen Bundestagswahlen. Ich konnte seitdem erst einmal bei den vergangenen Europawahlen wählen, und da hat meine Stimme Carola Rakete bekommen – das sage ich jetzt, um ein weiteres deutsches Tabu zu brechen. Selbst wenn ich also Faschistin gewesen wäre, hätte ich bisher noch kaum eine Möglichkeit, Faschist*innen eine Stimme zu geben. Antisemitismus ist ein äußerst weißdeutsches Problem, das mit Parteien wie die AfD und “Der Dritte Weg” und co. zur Tage tritt und in offenen und gewaltvollen Antisemitismus wie bei dem Angriff auf die Synagoge in Halle vollendet. Antisemitismus ist kein importiertes Problem. Wer das Problem falsch definiert, kann keinen richtigen Lösungsansatz formulieren.

Israel ist ein Staat. So wie jeder Staat auf dieser Erde darf auch Israels Innen- und Außenpolitik kritisiert werden. Die moderne Definition von Antisemitismus, der angeblich nur von “Arabern” bzw. “Muslimen” ausgeübt werden und vor allem in Form von “Israelkritik” auftreten könne, bietet nicht nur eine rassistische Projektionsfläche für zerbrechliche, weiße Herzen. Das ermöglicht auch, dass Antisemit*innen mit dem Finger auf andere zeigen und den Fokus von sich ablenken können. So kann der Antisemitismus bestehen und weiter erstarken.

Legitime Kritik auf Israel gesetzlich zu verbieten, mit rassistischer und sogar antisemitischer Strafpolitik zu zensieren, und sich dabei als Helden im Kampf gegen Antisemitismus zu feiern, ist ekelerregend. Warum das antisemitisch sein soll? Denken wir mal kurz darüber nach, wie viele linke jüdische Stimmen mit dem Gesetz zum Schweigen gebracht werden können. Wie viele kritische jüdische Eingebürgerte ausgebürgert und abgeschoben werden können. Die Vorstellung ist unerträglich.

Bald sind Neuwahlen angesagt. Die CDU mit Merz an der Spitze führt die Umfragen mit über 30 Prozent. Wer kann eine Koalition der CDU mit der AfD ausschließen? Ich nicht. Und was würde das neue Staatsangehörigkeitsgesetz für ein Deutschland mit der AfD in der Regierung bedeuten?

Die Regierung kann ja behaupten, dass das Gesetz das jüdische Leben in Deutschland schützen soll. Wichtig ist nicht, was die Regierung behauptet, sondern die Faktenlage. Das neue Staatsangehörigkeitsgesetz torpediert das Grundgesetz in menschenfeindlicher und verbrecherischer Richtung und öffnet Faschist*innen die Tür für die Möglichkeit, es weiter zu torpedieren. Es öffnet Faschist*innen die Möglichkeit, massenhaft auszubürgern und abzuschieben – es ist ein Geschenk an die AfD für ihre Pläne der Remigration. Es ist eine offene Einladung für die Zerstörung jüdischen Lebens in Deutschland.

Mag sein, dass das Gesetz zu Beginn “nur” kritische, linke jüdische eingebürgerte Personen betreffen kann, die sich nicht mit der Politik Israels identizifieren und ihre kritische Haltung offen aussprechen. Systemkonform zu sein, schützt marginalisierte Gruppen allerdings nicht vor Diskriminierung und Gewalt. In einem Land, in dem die Entmenschlichung bestimmter Gruppen an der Tagesordnung steht, ist kein einziger Mensch sicher. Wir würden uns selbst einen Gefallen tun, wenn wir das nicht ständig vergessen würden.

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Vielen Dank!

Liebe Grüße
Sibel Schick 🍋

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