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WIE IST DEIN ECHTER NAME

Ich überquere die internationale Grenze, komme in der Türkei an. Ich stelle mich vor der kleinen Glaskabine an, vor der Passkontrolle. Ich sehe eine Polizistin, frage mich, ob ich jemals eine Grenzpolizistin gesehen habe.

Grenzpolist*innen sind die schlimmsten von allen Polizist*innen. Dass vor mir eine Frau sitzt, sehe ich nicht als eine feministische Errungenschaft. Ich weiß, dass sie mich sehr wahrscheinlich nerven wird. Und sie enttäuscht mich nicht.

“Wie ist Ihr richtiger Nachname?” fragt sie mich. Ich hatte ihr vor wenigen Sekunden meinen deutschen Personalausweis gereicht. Sie schaut auf den Bildschirm vor sich, wechselt ihren Blick auf meinen Ausweis, dann wieder auf den Bildschirm. Mich sieht sie nicht an, Augenkontakt mit mir will sie offenbar nicht haben.

Ich verstehe ihre Frage aber leider nicht, daher sage ich: “Wie meinen Sie das?” Sie antwortet: “Wie ist Ihr richtiger Nachname?” Also sie wiederholt den Satz, den ich nicht verstanden hatte, als würde die bloße Wiederholung ihn verständlicher machen. Natürlich verstehe ich immer noch nicht. “Ich verstehe die Frage nicht”, sage ich.

Eigentlich ahne ich, was sie versucht mir mitzuteilen, aber ich will ihr nicht das Gefühl geben, dass das, was sie da macht, selbsterklärend wäre, dass das, was sie will, irgendwie klappen könnte. Nein. Ich will, dass sie sich erklärt. Ich will, dass sie scheitert. Und das kann man manchmal am besten, indem man sich “dumm” stellt.

“Wie ist Ihr Nachname?”, formuliert sie um, während sie meinen Personalausweis in der Hand hält und eigentlich einfach lesen könnte, wie mein Nachname ist. “Schick”, sage ich. “Und Fırat?” sagt sie, wie eine Frage betonend, als wäre “Und Fırat” eine richtige Frage.

“Das ist mein Geburtsname”, sage ich. “Also, Ihr richtiger Nachname”, antwortet sie. “Es ist mein Geburtsname”, antworte ich. Sie schiebt mir meine Dokumente rüber, ich laufe weiter zum Gepäckband, ich flüstere Schimpfwörter.

*

Als ob Schick mein Bühnenname wäre. Als ob Schick mein Kosename wäre, den mir meine Freund*innen gaben. Als ob ich bei meiner Einbürgerung den deutschen Staat so verarscht haben könnte, dass sie meinen Clown-Namen auf das höchstoffizielle Dokument namens Personalausweis abgedruckt hätten. Als ob ich meinen Drag-Namen zu meinem richtigen Namen gefördert hätte. Als ob ich meinen deutschen Personalausweis bei Deiters gekauft hätte. Als ob ich ihn in einem Ü-Ei gefunden hätte.

*

Als ich kurz nach meiner Einbürgerung zum ersten Mal meinen deutschen Personalausweis in der Hand hielt und sah, dass der Nachname, den ich vor vielen, vielen Jahren ablegte, plötzlich wieder auf meinem Personalausweis stand, war ich extrem verwirrt. Auf meinen türkischen Dokumenten wie Personalausweis und Passport hatte dieser Name seit langen Jahren nicht mehr gestanden. Außer auf ein paar alten offiziellen Dokumenten begegnete ich diesem Namen seit Jahren nicht mehr. Er war aus meiner Lebensrealität, ich hatte ihn gekündigt, ich hatte ihn zurückgelassen, ich hatte ihn überwunden.

Und dann fand er mich wieder. Dank dem deutschen Staat, der es offenbar nicht zulassen möchte, dass Menschen ihre Namen selbstbestimmt auswählen dürfen. Für immer sollte ich erinnert werden, dass ich mit einem anderen Nachnamen auf die Welt kam.

Und jetzt sah auch diese Grenzpolizistin offenbar diesen einen überwundenen Nachnamen und wollte mir einen verbalen Strick daraus drehen. Sie wollte mir klarmachen, dass Schick höchstens einen Künstlerinnennamen sein könnte, einen Bühnennamen, ein Pseudonym. Es könnte nur ein Kostüm sein, eine Verkleidung, aber nichts an mir ändern könne. Ich würde für immer Fırat sein, wollte sie mir wahrscheinlich sagen, das könne ich nicht ablegen, egal welchen Clownnamen ich mir für meine kleine süße Shows da aussuche.

Für wen auch immer sich solche Menschen halten, die denken die hätten die Definitionsmacht, die könnten dir erklären wer du bist. Diese Menschen bewerben sich dann halt für den Job als Polizist*innen, ist normal.

*

Welche der unteren zwei Optionen ist echter als die andere?

a) Der Geburtsname, der dem Erzeuger gehört und mir zufällig gegeben wurde, für den ich nichts machen musste, den ich mir nicht selber ausgesucht habe,

b) Der aktuelle Nachname, den ich von einem Mann bekam, den ich liebte, der mich liebte, den ich heiratete, den ich mir selbst ausgesucht hatte, der sich mich ausgesucht hatte, und als wir zusammen waren hatte ich mich so sehr an den Namen gewöhnt und konnte mich so sehr mit ihm identifizieren, dass ich ihn nach der Trennung behalten habe. Außerdem wollte ich mich mit diesem Nachnamen vor rassistischer Diskriminierung bei der Wohnungs- und Jobsuche schützen, und bis heute unterschreibe ich bestimmte Mails als S. Schick und buchstabiere meinen Vornamen nicht aus.

Ich finde es ist sehr sehr klar, welche dieser zwei Erfahrungen echter ist als die andere. Ich finde es steht nicht einmal zur Debatte.

Meine letzte Campact-Kolumne war eine Replik auf Hannah Lühmanns Welt-Artikel, indem sie in acht Punkten die sogenannten “Tradwives” lobte.

https://blog.campact.de/2024/10/hannah-luehmann-welt-tradwives/ (Abre numa nova janela)

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Ich werde dieses Jahr noch eine Lesung mit anschließender Diskussion haben, und zwar am 14. November an Universität Greifswald. Kommt rum! Für Details besucht meine Website sibelschick.net (Abre numa nova janela) oder folgt mir auf Instagram (Abre numa nova janela).

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Liebe Grüße
Sibel Schick 🍋

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