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Staub vor der Sonne

Der Flieder blühte früh. Bleiche Beine suchten die Sonne. Vanilleeis tropfte vom Stiel. Warme Luft aus Afrika trieb den Winter aus der Stadt. Der April in Berlin begann in diesem Jahr mit einem Sommer. Mit der Wärme kam auch der Saharastaub. Ein Gemisch aus Mineralien und fossilen Algen. Ein totes Meer rieselte auf die Hauptstadt nieder und verschleierte die Sonne. Er wäre ein willkommener Dünger für einen Wald gewesen. Aber hier auf den Boulevards und Straßen war er nur Dreck. Der nächste Regen wird ihn in die Spree spülen.

Mehr als ein Dutzendmal im Jahr kommt der Staub aus der Sahara zu uns. Lässt Fensterscheiben matt werden. Pudert den Schnee, dass er aussieht wie Milchreis mit Zimt und Zucker. Über alle Kontinente verteilt er sich und wo er sich niederlässt, staunen die Menschen. Es waren Männer wie Kapitän Gutkese, die halfen, das Rätsel zu lösen. Der erfahrene Seemann, der in seinen jungen Jahren alle Weltmeere befahren hatte, war ganz in die Wissenschaft vernarrt. Für ihn ging es nur um Wahrheit und Wissen. Das Wort, das seine Haltung beschrieb, war Beständigkeit. Es war sein Lieblingswort. Wenn er einen Seemann zurechtwies, weil der seine Arbeit nicht gut machte, dann empfahl er ihm Beständigkeit. Es war das letzte Wort, das er seiner Frau zum Abschied ins Ohr flüsterte, als sie ihn fragte, wie er die langen Reisen aushält. Sie konnte nicht mehr antworten. Er riss sich los und ging an Bord. Kein Winken und kein Blick zurück. Beständigkeit war sein Lebenselixier.

Längengrade und Breitengrade waren Beständigkeit. Die Himmelsrichtungen waren Beständigkeit. Die Sterne waren Beständigkeit. Ebbe und Flut waren Beständigkeit. Meilen und Knoten waren Beständigkeit. Zahlen waren Beständigkeit. Die Ehe war Beständigkeit. Geburt und Tod waren Beständigkeit.

Aus jeder Wildnis eine Natur machen, war sein Ziel. In der Natur lief nichts aus dem Ruder, erklärte er immer wieder seinen Offizieren. Das war auch der Grund, warum die Gefahren der Ozeane ihn nicht schreckten. Er vertraute auf sein Wissen, den Instrumenten, den Büchern und den Seekarten. Seit dem Abschied von seiner Frau waren Monate vergangen. Alles lief nach Plan. Jetzt navigierte er seinen Klipper genau zu dem Punkt, wo der Passatwind blies. Die Taue spannten sich vor Freude. Die Segel blähten sich auf. Gebaut nach dem neuesten Stand der Technik auf einer englischen Werft glitt das Schiff durch das Meer wie ein heißes Messer durch Butter. Der Steuermann erhielt noch einen letzten Befehl. Dann beobachtete er den Himmel und machte sich Notizen. Es war Zeit für den Eintrag ins Logbuch.

In seiner Kajüte saß er über seinem Logbuch und schrieb alle Wetterdaten penibel auf. Besonders viel Mühe gab er sich bei den Wolken und anderen Himmelserscheinungen, die er gesehen hatte. Cirrostratus und Cirrocumulus notierte er. Hohe Schleierwolken und hohe Schäfchenwolken. Viel Latein, viel Humboldt, viel Goethe und viel Angeberei. Seine Einträge lasen sich wie wissenschaftliche Berichte. Als die Tinte trocken war, strich er vorsichtig mit dem Zeigefinger zärtlich über jedes einzelne Wort. Er spürte Macht. Gutkese war zufrieden.

Ob Magellan auch Wetterberichte verfasste, fragte er sich. Er war froh, dass er im Jahr 1862 lebte, alles wurde einfacher auf See. Die Segelschiffe waren schneller, die Seekarten waren genau, das Navigieren war einfacher, Skorbut gehörte der Vergangenheit an und die neuen Gummijacken schützten vor Sturm besser als die alten Teermäntel. In einem französischen Magazin las er von einer Schlacht von zwei dampfgetriebenen Kriegsschiffen aus Eisen im amerikanischen Bürgerkrieg. Einem befreundeten Reeder schickte er den Artikel. Die Tage der Segelschiffe seien gezählt, schrieb er, es würde ihn nicht wundern, dass bald Eisenschiffe die Weltmeere beherrschen würden und es überall nach Ruß stinken würde wie in den Hamburger Straßen. Zum Schluss merkte er an, dass der Fortschritt es eilig hatte, nie um Erlaubnis fragt, sich nie entschuldigt und sich nicht um Regeln kümmert. Mit jeder Seemeile, die Gutkese die Ozeane durchquerte, wandelte sich die Welt. In jedem Hafen bemerkte er neue Veränderungen, es waren nicht die neuen Moden oder die Dampfmaschinen. Es waren eher feine kleine Unterschiede. Wie Menschen miteinander redeten, ihre Worte, wie sie sich die Hände reichten oder wohin ihre Blicke wanderten.

“Jedes einzelne Staubkorn trug Leben in die Welt.”

Er legte das Logbuch zur Seite. Gönnte sich eine Pfeife und holte seine Insektensammlung raus. Jetzt spickte er tote Käfer und Falter auf Nadeln auf, die er im Hafen von Jakarta zur Belustigung der Hafenarbeiter gefangen hatte. Dort kaufte er außerdem ausgestopfte Tiere, Felle, Schrumpfköpfe, Kristalle, Fossilien, getrocknete Pflanzen und Vogelfedern, deren Farben so fantastisch waren, dass er gar nicht glauben konnte, dass sie eine Schöpfung der Natur waren. Insgesamt waren es fünf Kisten mit Federn. Sie waren für Berliner Hutmacher bestimmt. Gutkese werden sie viel Geld einbringen. Vielleicht mehr als das geladene Teakholz. Alle Frauen auf der Welt waren verrückt nach exotischen Federn auf ihren Köpfen. Ganze Flügel auf den Hüten sorgten für Aufsehen in den Salons. Es gab sogar Federmäntel für die ganze Vogelschwärme vom Himmel geholt wurden, nur um die roten Brustfedern zu ernten. Die Modeateliers zahlten für die bunte Pracht jeden Preis.

Das Schiff knarrte unter seinen Füßen. Rauch hing friedlich unter seiner Decke und ließ sich in den Holzritzen nieder. Nur ein grinsender Schopfmakake schaute ihm bei seiner Arbeit zu. Den ausgestopften Affen wollte er seiner alten Schule schenken. Den Rest würde er nach Berlin an die Königlich-Preußische Akademie der Wissenschaften schicken. Er wollte seinen Beitrag leisten, damit Deutschland die führende Wissenschaftsnation wird. Die toten Insekten langweilten ihn. Eine rosa Feder, die auf seinem Schreibtisch lag, weckte sein Interesse. Durch eine Lupe erkannte er ihre Schönheit. Als kleiner Junge hatte er auf einem Jahrmarkt einen Flamingo gesehen. Das Ereignis löste bei ihm eine Sehnsucht nach Fremdheit aus. Lautes Klopfen verscheuchte den Flamingo aus seinen Gedanken.

Ein Matrose trat ein und meldete einen Vorfall, der die Mannschaft erschreckte. Er sollte schnell kommen. Oben an Deck zeigte die Wache ihm die Segel. Sie hatten sich alle rot verfärbt. Das ist Blutregen, sagte ein alter Matrose, es ist kein gutes Zeichen und behauptete, dass ein schwerer Sturm kommen würde, in dem das Schiff sinken könnte. Gutkese mochte den Alten nicht. Mit seinen überholten Vorstellungen und mit seinem Aberglauben beunruhigte er immer wieder die Mannschaft. Energisch wies Gutkese den Alten zurecht und erklärte seinen Männern, dass es atmosphärischer Staub ist. Sie müssten sich keine Sorgen machen.

Gutkese konnte sein Glück nicht fassen. Seinen Leuten befahl er, dass sie Schafsfelle zwischen die Segel hängen sollten. Er wollte viel Staub einfangen und es ebenfalls nach Berlin schicken. Sofort fertigte er einen Bericht an. Er konnte nicht ahnen, dass der Engländer Robert James ein paar Jahrzehnte vor ihm mit seinem Schiff in die gleiche Situation geriet. Auch er wurde von roten Staubwolken überfallen. Er ließ sich ein nasses Handtuch bringen, hing es in den Wind und schickte anschließend das rote Tuch an Charles Darwin, dem größten Naturerklärer seiner Zeit, der vermutete, dass der Staub aus der Sahara stammen könnte.

Sorgfältig kämmte er den Staub aus den Fellen, verpackte sie anschließend in kleine Päckchen. Gleich im ersten Hafen schickte er sie umgehend an die Akademie der Wissenschaften. Dort wurde in einem Labor der Staub behutsam in destilliertem Wasser aufgelöst, um das Verstäuben zu beschränken. Langsam sank der Staub zu Boden. Er färbte den Boden rötlich-gelb. Die Farbe erinnerte an den bekannten atlantischen Passatstaub. Es wurden weitere Analysen gemacht und die Wissenschaftler entdeckten zahlreiche anorganische und organische Stoffe. Jedes einzelne Staubkorn trug Leben in die Welt. In einem Bericht an die Akademie lobten sie Kapitän Gutkese und die deutschen Reeder. Es seien geistig angeregte deutsche Männer, hieß es, die helfen würden, das Rätsel der terrestrischen Staubwirbel in der Atmosphäre zu lösen.

Asche zu Asche. Staub zu Staub. Gutkese ist vergessen. Die Menschen im Tiergarten kümmert es wenig. Und wie jedes Jahr können sie den Frühling kaum fassen. Sie lachen für Selfies vor Kirschblüten. Als sei alles ein großer Traum. In jeder Sichtachse blüht die arrangierte Natur. E-Scooter jagen über vergilbtes Laub. Alles läuft weiter nach Plan. Wie in uralten Zeiten.

Vielen Dank für deine Zeit. Ich wünsche Dir eine schöne Woche. Genieße den Sommer. Bis bald und liebe Grüße. PS: Du darfst den Text gerne mit Deiner Community teilen. Danke.

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