Entwachsen

Und dann sagst du zu mir: “Wir haben das doch auch überlebt.”

Ich würde gern antworten: “Wirklich?” Denn ich glaube, ein Teil hat das nicht.

Aber ich kann ja nur für mich sprechen. Kann nur daran denken, wie ich seit Jahren reanimiere, was mal ich gewesen sein könnte, die Überlieferung ist da diffus. Irgendwo müssten noch Songtexte liegen, die mir heute weniger peinlich wären, als sie es damals vielleicht hätten sein sollen, oh, wie ich das feiere! Es war mir einfach egal.

Es mag Zufall sein, dass mein lautes Lachen verebbte, während ich mich am allerstärksten fühlte. Ich wollte so unbedingt erwachsen sein, aber warum heißt es eigentlich so, warum heißt es nicht entwachsen, wenn wir uns dafür doch so dringend aus unserer Freude schälen müssen? Und dann überrascht sind, dass das gar nicht mal so viel Spaß macht. Es ist kein Wunder, dass die Erwachsenen das aufregt - diese lauten Kinder, die noch lautere Jugend, und wie die nächste Generation sich weigert, dem Kriechgang zu folgen. Wie sie sagen: Alt werden, schön und gut, aber da muss es doch auch noch was anderes geben. Genau jetzt.

Zwischen Leuchtstoffröhren und Raufasertapete lässt sich leicht behaupten, dass das alles gut gelaufen ist. Hier bekommst du den Wohlstand stets pünktlich serviert, ob du was machst oder nicht. Du musst dich um nichts kümmern, willst du auch gar nicht. Den Topfpflanzen geht es immer noch am besten, die werden gehegt und gepflegt (ja, auch von mir). Und du weißt, was du an dir hast, sagst du; okay, aber ich merk doch, dass dir das nicht reicht. Du willst gelobt werden, sonst hast du schlechte Laune, sonst fühlst du dich nicht gesehen, aber sieh dich doch erstmal selbst. Dann hört nämlich das Überleben auf.

Und nein, früher war nichts besser. Heute ist nur manches anders (leider nicht genug), und ich verstehe, dass dir das Angst macht. Wirklich. Aber ums Leben musst du dich schon selbst kümmern, das kann ich nicht auch noch für dich gießen, wenn du es dir in deinen Ausreden bequem machst. Ich bin da eh nicht sehr zuverlässig, ehrlich. Mein grüner Daumen ist schon vor Jahren der Rebellion zum Opfer gefallen, falls ich je einen hatte, die Überlieferung ist da diffus.

Ich kann dir gern deine Ordnung sprengen. Mit Feuerwerk und Spaß und allem. Weil ich finde, du könntest ein bisschen Konfetti gut gebrauchen. Aber das willst du ja gar nicht. Du willst vor allem stolz sein und sagen dürfen: “Wir haben das doch auch überlebt.”

Mein Beileid. Du bist also richtig erwachsen.