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Moin aus Hollern-Twielenfleth!

Von Hasnain Kazim - Demonstrationen / “Woher kommen Sie?” / Merz / Hollern-Twielenfleth

Liebe Leserin, lieber Leser,

Leser Louis fragt mich: “Warum haben Sie nichts über die ‘Demos gegen Rechts’ geschrieben?” Er schreibt weiter, ihn “irritiert, dass jemand wie Sie nicht nur nicht an einer solchen Demo teilnimmt, was ich ja noch verstehen könnte, weil Sie vielleicht nicht vor Ort sind, sondern nicht mal ein unterstützendes Wort darüber verlieren!”

Er meint die Demos noch vor der Abstimmung im Bundestag, wo die Union mit der “AfD” votiert hat. Ich antworte ihm:

Lieber Louis, danke für Ihre Nachricht und Ihre Frage. Was soll ich dazu sagen? Abgesehen davon, dass Demonstrationen grundsätzlich nicht meine Form der Meinungsäußerung sind, übrigens ebensowenig wie “offene Briefe” - Letztere nur in sehr seltenen Fällen -, halte ich das Demonstrieren gegen Rechtsextremismus prinzipiell für gut. Gegen Rechtsextremismus, wohlgemerkt, nicht “gegen Rechts”, wie ich auch immer wieder höre und lese, denn “Rechts” hat, genauso wie “Links” seinen Platz innerhalb des demokratischen Spektrums.

Hinzu kommt in diesem Falle: Ich finde, jetzt, so kurz nach den Morden von Aschaffenburg, hängen diese Demos schräg in der Landschaft. Ein Afghane, der längst hätte abgeschoben werden sollen, vielleicht ein Islamist, sehr wahrscheinlich psychisch krank, tötet zwei Menschen, darunter ein Kleinkind, und verletzt ein weiteres Kind - und wir veranstalten Demos “gegen Rechts”?

Als im vergangenen Jahr Zigtausende Menschen in ganz Deutschland gegen Rechtsextremismus demonstrierten, fand ich das beeindruckend und habe das auch mehrfach geäußert. Mehr noch als die Demos in Berlin und München und Hamburg und Köln und Stuttgart beeindruckten mich die Kundgebungen in Bautzen und Görlitz und Pirna und Chemnitz, denn in solchen Städten im Osten bezahlen die Menschen, die sich für Demokratie und Vielfalt und Toleranz einsetzen, persönlich einen hohen Preis.

Auch die Teilnehmer jetzt haben hehre Absichten, ich unterstelle ihnen nichts Böses. Ich glaube auch, dass sie das Richtige und Gute wollen. Nur hat alles seine richtige Zeit. Demos gegen Rechtsextremismus fand ich vergangene Woche nicht so passend.

Das habe ich Louis geantwortet, ich hoffe, meine Antwort beantwortet seine Fragen. Er hat mir nicht mehr geschrieben.

Neulich bei einem Termin…

Diese Woche traf ich eine mir bis dahin unbekannte Maklerin.

Sie: „Darf ich fragen, woher Sie kommen? Sie sind kein Wiener, nehme ich an…“

Ich: „Ich bin deutscher Staatsbürger, komme aus Norddeutschland…“

Sie: „Ja, das hört man. Aber…“

Ich: „Ähm, ja, und ich habe pakistanische und indische Wurzeln.“

Sie: „Ja, das sieht man.“

Ich: „In dieser Kombination irritiert das manche Österreicher und lässt sie ratlos zurück.“

Sie: „Ja, das spüre ich.“

Ich: „?“

Sie: „An mir selbst.“

Ich mag diesen Humor.

Brandmauer, Brandmauer

Mir scheint, dass es in Fragen der Migration, Zuwanderung, Asyl et cetera einen ziemlich großen Unterschied gibt zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung. In den klassischen Medien wird Friedrich Merz für sein Vorgehen diese Woche überwiegend kritisiert. In den “sozialen” Medien lese ich durchaus zustimmende Äußerungen. Wenn ich dann mit Menschen in Deutschland spreche oder an die Gespräche mit vielen Leuten während meiner Deutschlandtour denke, ist mein Eindruck, dass eine Mehrheit inhaltlich für die Politik Merz’ und der Union in der Frage von Migration ist, jedoch sein Vorgehen, nämlich das Nutzen von “AfD”-Stimmen, eher kritisch sieht.

Um ein Problem konstruktiv zu lösen oder sich auch nur eine halbwegs fundierte Meinung zu bilden, muss man allen Seiten zuhören und versuchen, unterschiedliche Sichtweisen einzunehmen, ohne Rücksicht zu nehmen darauf, zu welchem politischen Lager jemand gehört, um dann abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen.

Wenn man das tut, komme ich hier zu dem Schluss, dass es tatsächlich ein Dammbruch ist, jedenfalls auf Bundesebene, Gesetzesvorhaben mit Stimmen der “AfD” durchzubringen, faktisch also gemeinsame Sache zu machen. Die Kritik, dass Merz sein Wort bricht, ist ebenfalls richtig: Er hat sich vorher deutlich anders geäußert. Er hätte sein Vorhaben auch später, als voraussichtlich nächster Bundeskanzler, mit einer Regierungsmehrheit durchbringen können, ohne die “AfD” unnötig zum Jubeln zu bringen und dann am Ende doch mit seinem Vorhaben zu scheitern.

Aber die andere Seite ist auch: Es ist Wahlkampf, und Merz nutzt, wie andere Parteien auch, das politische Momentum. Ob das zu seinem Vorteil gereicht, zum Nutzen der Union oder gar des Landes, ob es die “AfD” schwächt oder nicht vielmehr stärkt, wird sich am Wahltag zeigen. Die Meinungen darüber gehen jedenfalls auseinander. Manche sagen, es nütze nichts, Rechtsextremisten zu kopieren, die Leute würden eh das Original wählen, und man stärke auf diese Weise nur das Original.

Abgesehen davon, dass das nicht immer stimmt, wie Sebastian Kurz in Österreich gezeigt hat, stellt sich aber schon die Frage: Ist das wirklich ein “Kopieren” oder gar “Hinterherrennen” hinter den Rechtsextremisten? Ich kann jedenfalls die Menschen verstehen, die sagen, dass es nach den Verbrechen von Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg sofortigen Handlungsbedarf gibt. Dass es so nicht weitergehen darf. Merz hat, so sehen es eben auch viele, Entschlossenheit gezeigt und sich nicht von Angst vor der “AfD“ treiben lassen. Er habe, lese ich, wichtige Fragen im Parlament zur Debatte gestellt, das schwäche nicht, sondern stärke Demokratie.

Eine andere Frage ist, ob die Maßnahmen wirklich gegen Kriminalität genützt hätten. Was mich nicht überzeugt, ist der Verweis der Merz-Kritiker auf Statistiken und Studien, wonach andere Verbrechen doch viel schlimmer und häufiger seien und Gewaltkriminalität insgesamt eher rückläufig sei. Das alles mag stimmen, aber es verkennt die menschliche Psyche. Und da empfinden Menschen nun mal Gewalt, die von Leuten ausgeht, die sie auf offener Straße ausüben, als persönliche Bedrohung. Da reicht ein Fall.

Ich habe es zuletzt in meiner Heimatstadt Stade verfolgen können. Dort bekriegen sich seit einiger Zeit zwei Clans, es geht um Vormacht am Markt, um Shisha-Bars. Da kam es zu Gewalt, die einen randalierten im Laden der anderen. Im Frühjahr 2024 rammte ein 34-Jähriger jemandem aus dem anderen Clan auf offener Straße ein Messer in den Kopf, vor den Augen der Polizei, die schon vor Ort war, weil es vorher Randale gab. Das Opfer: tot. Beim Prozess gegen diesen 34-Jährigen herrschte in der Stader Innenstadt Ausnahmezustand, wegen Sicherheitsrisiken. Und im Gerichtssaal brüllten Clanmitglieder die der anderen Familie an.

Ich frage mich: Geht’s noch? Wie kann das sein, dass all so etwas geschieht? Warum greift man da nicht rigoros durch? Ich verstehe, dass Menschen sagen: Da muss jetzt etwas geschehen, so etwas geht nicht, solche Leute gehören bestraft und rausgeschmissen. Ich sehe das genauso.

Nur: So etwas muss dann ohne pauschale Verurteilungen, zum Beispiel weil sie einen bestimmten Familiennamen tragen, vonstatten gehen. Ich verstehe, dass Menschen aus bestimmten Ländern über Diskriminierung klagen. (Ich weiß, wovon ich rede.) Wenn jetzt aber die einzige Kritik mancher Leute ist, man solle die Wörter “Clan” und “Clankriminalität” nicht mehr verwenden, das sei “rassistisch”, wie es auch nach der Bluttat von Stade zu hören war, frage ich mich: Wo genau sind die nun schon wieder falsch abgebogen? Als ob das das Problem wäre.

Ich bin prinzipiell dagegen, sein Reden und Handeln danach auszurichten, von wem man dafür Applaus bekommt und von wem man auf gar keinen Fall gelobt werden will. Sondern man sollte es danach ausrichten, was man für richtig hält und was den eigenen Werten und Vorstellungen entspricht. Daher kann ich der Argumentation von Merz und der Union, das jetzt so durchzuziehen, etwas abgewinnen. Unpopuläre Meinung, I know, ich kann und darf dafür kritisiert werden, höre ich mir an, vielleicht überzeugt mich ein gutes Argument.

Ist Merz’ Vorgehen der richtige Weg, Rechtsextremismus einzudämmen? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß: Wenn man jahrelang keine befriedigenden Antworten gibt, die Fragen aber immer drängender werden, man aber weiter einfach keine befriedigenden Antworten gibt, darf man sich nicht wundern, wenn dann irgendwann andere, darunter auch Leute, mit denen man nichts zu tun haben möchte, Antworten geben. Und wenn es die demokratische Mitte jetzt nicht schafft, das Bedürfnis sehr vieler Menschen nach Veränderung in der Migrationspolitik zu befriedigen, regiert, befürchte ich, die „AfD“ ab 2029 mit.

Wir brauchen eine Brandmauer gegen Extremisten. Wir brauchen aber auch das Bemühen, den Brand jenseits der Brandmauer zu löschen.

Ich würde mich ja freuen, wenn nun, infolge dieser Ereignisse, in Deutschland endlich, endlich eine vernünftige Einwanderungspolitik zustande käme, die Migration gestaltet, Kriterien formuliert und auch durchsetzt, den Menschen zugewandt ist, aber sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Eine, die Migration nicht als “Mutter aller Probleme” bezeichnet, die aber die Missstände präzise und deutlich beim Namen nennt. Und die nicht entweder vollständige Abschottung fordert oder möglichst komplette Grenzöffnung will.

Allein: Meine Hoffnung ist nicht groß.

Grüße aus Hollern-Twielenfleth

Vor dem Hollerner Hof in Hollern-Twielenfleth.

Nun bin ich im Norden Deutschlands, denn am Dienstag, 4. Februar, lese ich im Literaturhaus Hamburg aus meinem Buch “Deutschlandtour” (Abre numa nova janela). Eine Freundin aus Hollern-Twielenfleth hat Geburtstag, ich feiere mit ihr, es sind viele langjährige Bekannte und Freunde da, darunter die beiden Töchter der Freundin, wir kennen uns seit dem Kindergarten. Man hat sich zeitweise aus den Augen verloren, aber ich finde es wunderbar, wenn man sich wiedertrifft und dort anknüpfen kann, wo man aufgehört hat. Man kennt sich, man vertraut einander, man weiß, was der andere meint. Eine der beiden lebt schon seit langem weit weg, am anderen Ende der Welt, sozusagen, aber jetzt treffen wir uns in Hollern-Twielenfleth. Heimat für uns. Es ist natürlich nass und kalt, wie so oft im Norden, aber was soll’s.

Am Tag meiner Abreise aus Wien hat Frau Dr. Bohne noch in meinem Büro gesessen, und fast hatte ich den Eindruck, dass sie den bevorstehenden Abschied spürt. Natürlich fehlt sie mir, sie begleitet mich nicht auf meiner Reise, sondern hütet das Haus. Auf das Wiedersehen mit ihr, in meiner Wahlheimat Wien, freue ich mich sehr!

Ihnen eine schöne, angenehme, konstruktive Woche, aller politischen und sonstigen Wirrnis zum Trotz,

Ihr Hasnain Kazim

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