Wie gewinnen wir? Teil 2
Taktiken der Klimabewegung und die Verdrängungsgesellschaft als das neue Terrain der Auseinandersetzung
Vor 4 Wochen schrieb ich einen Text zu Ressourcen und Strategien der Klimabewegung (Abre numa nova janela), dessen intellektueller und politischer Kontext der verhältnismäßig komfortable war, in dem ganz Deutschland und zumindest halb Europa eine heftige Diskussion über die im Nachhinein total lächerlich erscheinende Frage führte, ob es denn nun legitim, effektiv oder schrecklich unmoralisch sei, Suppe (oder andere gemüsebasierte Flüssignahrung) auf Glasscheiben vor bekannten Gemälden zu schmeißen.
Ich dachte zu dem Zeitpunkt noch, dass es in dieser Debatte tatsächlich um die Dinge ging, die vordergründig besprochen wurden: Fragen von Effektivität (was passiert eigentlich, wenn der radikale Flügel Dinge tut, die zwar Diskussionsraum schaffen, aber von vielen Menschen eigentlich nicht wirklich gutgeheißen werden?) oder Legitimität (ist es akzeptabel, im Kampf für ein allgemein akzeptiertes politisches Gut, den Klimaschutz, Dinge “anzugreifen”, die in keinem direkten kausalen Zusammenhang zum bekämpften Problem stehen?).
Seitdem ist eine Frau im Straßenverkehr tödlich verunglückt, und obwohl es im vergangenen Jahr im Schnitt acht Todesfälle auf deutschen Straßen gab, war dieser Tod besonders, oder vielmehr, wurde besonders gemacht: die von einem Betonmischer schlussendlich totgefahrene Frau wurde zum Symbol einer quite literally über Leichen gehenden Klimabewegung gemacht, in einem spektakulären Fall psychologischer Projektion, denn natürlich ist es nicht die Klimabewegung, die über Leichen geht, sondern der deutsche Autokapitalismus, der deutsche Straßenverkehr, das deutsche Exportmodell. But no matter reality, was zählt, ist die Erzählung, und so bekam der fossilistische Normalwahnsinn seine erste Märtyrerin. Seitdem wird die Klimabewegung allenthalben – z.B. am Dienstag Abend bei Maischberger – gefragt, wie weit sie gehen möchte, ob sie weiterhin über Leichen gehen möchte, ob sie nicht vielleicht tief innen drin Deutschland vernichten möchte, Morgenthau-Plan-Style.
Wie gesagt, inhaltlich alles Grütze, weil: es geht nicht um Fakten, es geht einerseits um psychologische Affekte, andererseits um den hoch strategischen Versuch, den Handlungsspielraum der Klimabewegung drastisch einzuschränken.
Was mich zur Frage zurückbringt, die ich eigentlich vor 2 Wochen schon besprechen wollte: welche Taktiken nutzt die Klimabewegung, welche sollte sie nutzen, und welche Taktiken eignen sich auf welchem Terrain?
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Taktiken (Demonstrationen, etc.), die Aufmerksamkeit erzeugen, auf ein Thema hinweisen sollen, dann funktionieren, wenn das Terrain des Kampfes ein “offenes” ist, d.h., wenn die Positionen, die die Bewegung vertritt, im Feld bisher kaum gehört werden. Deswegen hat 2019 Fridays For Future so einen enormen Effekt gehabt, weil zu dem Zeitpunkt die Position “you're a bunch of liars, you're sitting on your asses while the house is burning down” (eine ung. Zusammenfassung der Greatest Hits of Greta) außerhalb der radikalen und Ökolinken kaum Gehör bekommen hatte.
Eine Demonstration kann auch literally eine Machtdemonstration sein, im Sinne von: schaut her, so viele Leute sind wir, wenn Ihr nicht macht, was wir wollen, dann … wird daraus für Euch irgendeine Art von Kosten entstehen, elektoral, ökonomisch, wie auch immer.
Jedoch: Aufmerksamkeit erzeugen ist nicht mehr nötig, bringt kaum noch etwas (sinkender Grenznutzen), weil es in der Klimafrage mittlerweile nicht mehr um das nicht-Wissen geht, sondern um das nicht-Wissen-wollen, und zu effektiven Machtdemonstrationen sind wir nicht mehr fähig, weil wir zu wenige Leute sind.
So what's happened? Das Terrain hat sich verändert. Wie schon an anderer Stelle argumentiert, hat Deutschland (ich weiß, Gesellschaften als Kollektivsubjekte darzustellen ist problematisch, ignoriert z.B. Klassen- & andere Spaltungen & Interessensdivergenzen innerhalb eines Nationalstaates, aber ang. Imperialer Lebensweise und Externalisierungsgesellschaft halte ich das in dieser Frage für adäquat) irgendwann in den letzten 2,5 Jahren verstanden, dass Klimaschutz für Deutschland eben keine win-win-win-Angelegenheit ist, sondern, dass es uns etwas kosten würde, das Klima zu schützen. Und “kosten” sind hier nicht nur ökonomische Kosten, sondern und vor allem auch psychologische Kosten: wir müssten uns damit auseinandersetzen, dass wir ganz oben auf einer Pyramide von Ausbeutung, Umweltzerstörung und Gewalt leben, dass unser Wohlstand eben nicht das Resultat harter Arbeit und deutscher Ingeníeurskunst ist, sondern auf den Köpfern (und oft Leichen) anderen Menschen vor allem im globalen Süden erwirtschaftet wurde und wird.
Erkennt man an, dass das Terrain der Auseinandersetzung eine Verdrängungsgesellschaft ist, dann ändern sich auf die Antworten auf die Frage, welche Taktiken effektiv sind:
Demonstrationen? Bringen in einer Verdrängungsgesellschaft gar nix, denn die können viel zu leicht verdrängt werden. Dear Fridays For Future, liebe Luisa: ich wär Euch total dankbar, wenn Ihr aufhören würdet, immer wieder “große Klimastreiks” zu organisieren, weil wir dann alle auftauchen müssen, damit die nicht zu klein werden (was als Schwäche der Bewegung ausgelegt würde), aber eigentlich bringst halt gar nix. Der Move Richtung Schul- und Unibesetzungen wirkt durchaus interessant, aber da bewegt sich noch nicht genug.
Symbolische Blockaden von Akteuren wie Ende Gelände: mittlerweile total ins Geschäft eingepreist, weil sie das sind, was von einem Akteur wie Ende Gelände erwartet wird – Linksradikale blockieren halt Sachen, das machen die mal nen Tag, dann ist der Spuk vorbei, kaum noch der Rede wert. Literally, fast niemand außerhalb der Bubble hat die diesjährigen EG-Aktionen wahrgenommen, ich kann mir nicht vorstellen, dass das eine wirklich effektive Nutzung unserer kollektiven Bewegungsressourcen war.
Was mich zur Letzten Generation bringt: als einziger Akteur der Klimabewegung hat LG ein Verständnis der Tatsache, dass sich Gesellschaften immer schnell an Aktivismus anpassen, ihn einpreisen, dass man zwar eine Zeitlang mit Autobahnblockaden Aufmerksamkeit erregen kann, aber wenn diese keine mediale Aufmerksamkeit mehr bekommen, dann muss die Taktik auf neue Aktionsorte ausgeweitet werden, sonst unterliegt auch sie dem Gesetz des sinkenden Grenznutzens. Große Bewunderung für diese Einsicht.
Die Nutzung dieser Taktik (Störblockaden an immer mehr und neuen Orten, bis die Gesellschaft sich so gestört fühlt, dass sie irgendwann dem Druck der Bewegung nachgibt – was ja auch in ihrem eigenen Interesse ist, weil wegen potenziellem Armageddon) basiert, wie eigentlich alle sozialen Bewegungsstrategien, derer ich mir bewusst bin, auf der Annahme, dass “die Gegenseite” (in diesem Fall: die deutsche Mehrheitsgesellschaft) in irgendeiner Form rationalauf die Manipulation von costs & benefits reagiert. D.h., wenn irgendwann die Kosten der Störung plus die ohnehin anfallenden Kosten der Klimakrise derart hoch sind, dass sie die kurzfristigen Kosten von Klimaschutz übersteigen, dann müssten Störung + Klimakrise dazu führen, dass irgendwann mit dem Klimaschutz angefangen wird.
However, Verdrängung ist nicht rational, sie reagiert nicht rational auf Kosten-Nutzen-Verschiebungen, und mag es vor allem nicht, darauf hingewiesen zu werden, dass sie existiert. Versuch mal, jemandem, der etwas verdrängt, zu sagen, er verdränge etwas, & schau Dir die Reaktion an, die dann kommen wird: entweder wird ignoriert, was du gesagt hast, oder es wird eine rabiate bis brutale Gegenreaktion geben.
D.h.: je mehr Störblockaden die Letzte Generation durchführt, desto härter wird die gesellschaftliche Abwehrreaktion werden (denn sie zu ignorieren ist schwierig, genau das hat die LG schon eingepreist), und genau das erleben wir in der momentanen “wie weit darf Klimaaktivismus gehen”-Debatte. Es soll der Letzten Generation – die ich, wie schon mehrfach gesagt, für den derzeit einzigen erweitert handlungsfähigen Akteur der Klimabewegung halte – unmöglich gemacht werden, ihre Taktiken auf neue Aktionsorte auszudehnen, indem das Prinzip etabliert werden soll: nix, was Ihr macht, darf Kosten verursachen. Im Moment lehnt sich die LG dagegen held*innenhaft auf, aber bald wird wieder irgendetwas schieflaufen, oder etwas passieren, dass der LG in die Schuhe geschoben werden kann, und der Druck wird noch mehr ansteigen.
Wenn die “horizontale” Eskalation (selbe Taktik, neue Aktionsorte) immer schwieriger wird, wie steht's mit der “vertikalen” Eskalation (mehr Militanz / Sachbeschädigung / friedliche Sabotage)? Die ist m.E. mitten im heißen Kriegszustand zwar möglich, aber wer derzeit kritische Infrastruktur sabotiert (und genau das müsste ja geschehen, um in Deutschland den 3. fossil fuel lock-in mit Gas zu verhindern) würde sofort als Wehrkraftzersetzer*in diffamiert, und mit aller Härte der Staatsgewalt angegriffen werden.
Um das für heute zum Ende zu bringen: I'm a bit out of ideas. In der Verdrängungsgesellschaft führen die Taktiken, die wir bisher besprochen haben, nicht zu mehr Zuspruch, nicht zu mehr Klimaschutz, sondern zu mehr Gegendruck aus der Gesellschaft, und mit Sicherheit zu mehr Repression (s. das Polizeiaufgabengesetz in Bayern und die teils 30 Tage für eine friedliche Blockade im Knast sitzenden Aktivist*innen). Wir sind als Bewegung nicht besonders repressionserprobt, vor allem nicht die “Knights of Summer” (h/t Catelyn Stark), die in der Goldilocks-Phase der Klimabewegung politisch sozialisiert wurden, in der wir “die Guten” waren. Wir sind als Bewegung auch nicht besonders gut koordiniert, es gibt kein Gremium, keinen Ort, wo LG, FFF, EG, XR, SR usw. miteinander und verbündeten NGOs besprechen, wie es zusammen weiter geht.
Daher:
Lasst uns einen Bewegungsratschlag schaffen, der hinter verschlossenen Türen diskutiert, aber seine Ergebnisse offen verkündet.
Lasst uns einen gemeinsamen Antirepressionsfonds einführen, eine Art Rote Hilfe für die Klimabewegung
Lasst uns die Tatsache der Verdrängungsgesellschaft endlich ernst nehmen, sonst laufen alle unsere Taktiken ins Leere.
That's all for today, folks.
Euer Tadzio.