Von Lützerath nach Rügen: Wir sind das Investitionsrisiko!
(Foto Credits: @TheBrakeNet)
Liebe Leute,
hört, hört, ich tue Kund, um zu wissen: Die Klimabewegung hat auf Rügen einen vorläufigen, aber politisch äußerst relevanten Sieg über das fossile Kapital errungen!
Dieser Text handelt von diesem Sieg, aber noch viel wichtiger, davon, was daraus folgt. Und er handelt von einer Möglichkeit, die Klimabewegung wieder dergestalt handlungsfähig zu machen, dass die Letzte Generation nicht (zu) allein auf weiter Front kämpft, sondern die ungehorsame, “radikal irritierende” Flanke der Klimabewegung von einer weiteren ungehorsamen, “radikal inspirierenden” Flanke (Abre numa nova janela) verstärkt wird, und wir als Bewegung so wieder zu einer erweitert effektiven und erfolgreichen Handlungseinheit werden könnten.
Ihr wisst sicherlich, dass die Bundesregierung schon seit langem, vor allem aber seit Beginn der Energiekrise mit dem russischen Überfall auf die Ukraine, alles dran setzt, Deutschland zu “gasifizieren”, d.h. den riesigen Teil der Primärenergieversorgung, der nicht aus erneuerbarem Strom gedeckt werden kann, durch den massiven Ausbau dessen zu sichern, was viel zu lange beschönigend, sprich, greenwashend “Erdgas” genannt wurde. To that end braucht es natürlich eine ganze Reihe von Infrastrukturprojekten, vor allem (u.a., lustigerweise, weil der geplante Ausbau dieser Infrastruktur völlig überdimensioniert (Abre numa nova janela) ist, also das projektierte Angebot die projektierten Nachfragemengen weit überschreitet) braucht es mehrere “LNG Terminals”, also Häfen, in denen das davor z.B. in den USA oder Katar verflüssigte und in Tanker gepumpte fossile Gas abgepumpt und in das deutsche Pipelinesystem geleitet werden kann.
“Sollte sich Rügen zu einem 2. Lützerath ausweiten, wäre RWE wohl lieber nicht dabei”
Einer dieser Terminals soll nach dem Willen der Ampel, die bei fossilem Gas immer auf Grün schaltet, im Hafen Mukran auf der Ostseeinsel Rügen eröffnet werden. Bis vor kurzem sollten Bau und Betrieb von RWE übernommen werden, bekannt aus Film, Funk, Fernsehen und der Zerstörung von Lützerath. Jedoch regt sich schon seit geraumer Zeit gegen den LNG-Ausbau lokaler Widerstand – sowohl aus einer klassischen Umweltsicht (so ein Terminal ist halt nicht gerade grandios für lokale/marine Ökosysteme), als auch aus ökonomischer Sicht, lebt Rügen doch ganz erheblich vom Tourismus, und das ständige An- und Ablegen der gigantischen LNG-Tanker an den zwei geplanten Anlegeplattformen dürfte den wenigsten Touris gefallen. Aber irgendetwas fehlte im Widerstand noch, es fehlten noch diejenigen, die über eine Kampagne, eine Auseinandersetzung, einen gesellschaftlichen Kampf den Feenstaub streuen können, der dazu führt, dass ein kleines Kaff im Rheinland, wie früher ein nirgendwo im Wendland (“Gorleben”) zum bundesweiten Kristallisationspunkt eines Konflikts wird, zu einem Ort, wo die Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden. Es fehlte: die ungehorsame Klimabewegung, es fehlte ganz einfach Bewegung.
Wie der fossile Kapitalismus es wollte gab es aber genau da Bewegungsmöglichkeiten, denn die brillianten Genoss*innen, die Lützerath zum zweiten großen, wichtigen Symbol der Klimabewegung nach dem Hambi gemacht hatten, haben natürlich nach Lützerath erst einmal ihre Wunden lecken müssen, aber verschwunden waren sie nicht – tatsächlich machten sich manche von ihnen nach Rügen auf, und begannen dort, sich mit dem lokalen Widerstand zu vernetzen, kleiner Aktionen durchzuführen, bis sie dann anfingen, ein Klimacamp auf Rügen (Abre numa nova janela) Ende Mai zu planen.
“EIN KLIMACAMP? HILFE!!!” Dachte sich RWE wohl, denn wir haben RWE in Lützerath so viel Angst gemacht, dass dieser fossile (literally) Dreckskonzern vor kurzem öffentlich kommunizierte (Abre numa nova janela), sich aus dem anderweitig sicheren, weil staatlich garantierten, lukrativen Milliardengeschäft mit ihrem BFF, dem fossilen Deutschen Staat zurückzuziehen: RWE “ist Lützerath-geschädigt (Abre numa nova janela). Es will sich schon lange als Energiewendekonzern präsentieren, aber die Proteste gegen die spektakuläre Räumung des Dorfes im Rheinischen Revier haben das Image schwer beschädigt. Sollte sich Rügen zu einem zweiten Lützerath ausweiten, wäre RWE wohl lieber nicht dabei.” Lasst Euch das nochmal auf der Zunge zergehen: Sollte sich Rügen zu einem zweiten Lützerath ausweiten, wäre RWE wohl lieber nicht dabei. Ist es jetzt auch nicht mehr, dazu gleich mehr.
LNG oder der 3. “fossil-fuel lock-in”
Bevor ich zum “was jetzt und wie weiter?” übergehe, möchte ich Euch wirklich einladen, kurz innezuhalten, denn auch, wenn Ihr Euch das obige Zitat auf der Zunge zergehen lasst, es mehrfach wiederholt bis es zum Mantra wird, überseht Ihr vielleicht die Relevanz dieses Erfolges.
To recap: wir befinden uns schon länger mitten im durch den fossilen Wachstumskapitalismus verursachten Klimakollaps, der Klimakatastrophe, dem Klimanotstand, and nobody but us seems to give a fuck. Denn anstatt aktiv die “Dekarbonisierung” &, shall we say, Degrowthisierung der Gesellschaft voranzutreiben, kommt ein gigantischer Push (von allen im Bundestag vertretenen Parteien, von den mächtigen Kapitalfraktionen des deutschen Autoexportmodells, von Otto und Ottilie Normalverbraucherin) in Richung “3. fossil-fuel lock-in”. D.h., das nach dem Kohle- und Ölzeitalter nun das 3. Zeitalter des Fossilismus beginnen soll, diesmal angetrieben durch “Erdgas”, also fossiles Gas (ich werde mich hier nicht mit magical-thinking-bullshit wie “grünem Wasserstoff” auseinandersetzen – ruft mich an, wenn diese Technologien scalable sind, auf Sektorniveau eingesetzt werden können. Bis dahin ist alle LNG-Infrastruktur dazu designed, fossiles Gas zu verbrennen). Dabei ist fossiles Gas nicht sauberer, als Kohle und Öl, denn obwohl es zwar stimmt, dass Gas bei der Verbrennung pro gewonnener Einheit Energie weniger Treibhausgase freisetzt, als Kohle und Öl, ist es nunmal ein Gas (Methan), genauer, ein in unverbrannter Form sehr viel effektiveres Treibhausgas, als CO2, und da bei der Förderung, oft durch Fracking, dieses Gases, nunmal sehr viel davon einfach in die Atomsphäre reinsuppt, ist es wahrscheinlich, dass ein erheblicher Teil der Eskalation der Klimakatastrophe in den vergangenen Jahren auf die “Shale-Revolution”, den massiven Ausbau der Gasförderung durch neue Technologien zurückzuführen ist – which means, in short: wer LNG ausbaut, opfert ganz aktiv und mit vollem Wissen die Zukunft der Menschheit auf dem Altar des Wirtschaftswachstums.
In dieser dystopischen Welt frage ich mich seit langem, wo die Klimabewegung – im allerbesten Falle ein paar hunderttausend Menschen in Deutschland (wenn man das tragischerweise scheinbar gelähmte “For Future”-Subjekt mitrechnet), aber trotzdem die beste, weil einzige Hoffnung für wirklichen Klimaschutz, vielleicht sogar ein Bisschen Klimagerechtigkeit hierzulande – ansetzen kann, um effektiv in diesen Wahnsinn, diesen 3. und letzten und durchgeknalltesten fossil lock in einzugreifen. Dann las ich im Spiegel von RWEs Entscheidung (“wir haben Angst vor den Klimas!”), verstand, dass wir nicht nur einem unserer Erzfeinde eins auswischen konnten, sondern gezeigt haben, dass der Ausbau von LNG auch in der Energiekrise und nach der Zeitenwende immer noch konfliktiv bleibt, weil es eben mitten in der Klimakatastrophe ist, und die Klimabewegung in Lützerath gezeigt hat, dass, wie ich kurz nach der Schlammschlacht schrieb, “we can cause our enemies a world of political pain”. Dass wir nach Lützerath auch in den Augen unserer Gegner*innen Verhinderungsmacht haben, dass unsere Fähigkeit, fossile Projekte zu stören, sie zu verhindern, größer ist, als sie es at any point seit Ende 2019 war.
Schafft 2, 3, viele Lützeraths, oder: Frühling auf Rügen
Es macht also großen Sinn für die Klimabewegung, vor allem für die Akteure, die nicht, wie die Letzte Generation, im Moment einen vorliegenden Kampagnenplan verfolgen, sondern – how shall I put this – gerade dabei sind, sich strategisch und taktisch neu aufzustellen, das geplante Klimacamp auf Rügen (Abre numa nova janela)nicht nur als ein weiteres Camp und die Aktion am 28.5. als einfach nur eine Aktion unter vielen zu sehen. Angesichts der Tatsache, dass unser Gegner ob der bloßen Ankündigung des Klimacamps und existierender lokaler Proteste schon wackelt, und der oben beschriebenen gigantischen Relevanz der Auseinandersetzung auf Rügen sollte die Klimabewegung bei Rügen all in gehen, alles auf die Rügen-Karte setzen, wie wir es auch in Lützerath getan haben. Denn, wenn wir alle am Start sind, hat sich gezeigt, sind wir eine Macht, an der auch der deutsche Autoexportkapitalismus nicht so einfach vorbeikommt.
Rügen ist der einzige Ort, wo wir eine realistische Möglichkeit haben, effektiven Widerstand gegen einen LNG-Terminal, gegen den 3. fossil-fuel lock-in aufzubauen. Auf Rügen können wir lokale mit überregionalen Akteuren vernetzen, Bürger*innen-Inis mit Menschen aus Lützerath, den Tourismusverband mit Ende Gelände zusammenbringen können. Kurz gesagt: unser Kampf gegen LNG ist, for the time being, erst einmal ein Kampf um Rügen. Wenn wir es auf Rügen schaffen, dass die Gespräche zwischen Locals und zugereisten Aktivisti, im Idealfall die Gespräche zwischen Locals, nicht “nur” von lokalen Umweltproblemen handeln, sondern von globaler Klima-Ungerechtigkeit und dem Kampf dagegen, dann wäre damit einiges gewonnen, denn die Debatte um den LNG-Ausbau würde endlich nicht mehr nur entlang der Bedürfnisse der “deutschen Wirtschaft” geführt, sondern zumindest teilweise auch unter dem Gesichtspunkt globaler Gerechtigkeit.
Ampelpläne und die Situation vor Ort
In dieser Situation, wo einerseits eine wiedererstarkte Klimabewegung einen nicht einfach umgehbaren Machtfaktor darstellt, andererseits aber ein sine-qua-non-Projekt des deutschen Exportmodells auf dem Spiel steht, lässt es sich die Gegenseite natürlich nicht entgehen, ihre eigenen Moves zu machen:
Demokratiesimulation: am Montag 8.5. wurde Kritiker*innen des geplanten LNG-Ausbau auf Rügen im Petitionsausschuss des Bundestages angehört. Zwar war die Entscheidung für Mukran wohl schon seit geraumer Zeit gefallen, aber das Spektakel einer öffentlichen Anhörung und Diskussion vermittelt nunmal den Eindruck tatsächlicher demokratischer Offenheit, während die wirklichen Entscheidungsprozesse weitab vom irrelevanten Petitionsausschuss fallen. Ein Bisschen so, wie bei den UN-”Klimagipfeln”.
Spaltungsversuche: da wie gesagt die Rügener Tourismusbranche ein wichtiger Teil des lokalen Widerstands ist, wird versucht, diese mit Konzessionen aus der entstehenden anti-LNG-Bewegung herauszuhebeln. Konkret soll das Terminal nun etwas weiter weg von der Küste gebaut werden. Aus den Augen, aus dem Sinn, geht wohl die auf dem Sankt-Florians-Prinzip – not in my backyard – basierende Logik, und es ist nun Aufgabe der Klimabewegung und der lokalen BI, dafür zu sorgen, dass der Tourismusverband weiter gegen LNG kämpft. Ausgang: offen.
Neue Besen: der fossile Staat in Deutschland besteht natürlich nicht nur aus der RWE-Regierungs-Achse, es gab eine Reihe von Firmen, die sich auf das Rügener Projekt beworben haben, und nach RWEs Rückzug aus dem Prozess, hat die deutsche ReGas mit Sitz in Lubmin den Zuschlag erhalten. Dieser in der Bewegung bisher noch ziemlich unbekannte Player ist im Gassektor eine etablierte Größe, investiert seit 2004 weltweit in Energie-Infrastrukturprojekte, insbesondere LNG-Infrastruktur, und verfügt über weitreichende Netzwerke in der LNG-Industrie und der Wasserstoffbranche.
Die Ampel hofft, dass sie mit diesen Schritten den Widerstand ausgebremst hätte. Vorschlag: lasst uns ihnen diese Illusion austreiben. In genau dieser Situation, wo ein der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannter Player eine Aufgabe von derartiger Tragweite übernimmt, können wir mit einer breit aufgestellte Kampagne, die den Ende Gelände Slogan von 2016 wieder aufnimmt: “Wir sind das Investitionsrisiko”, maximale Wirkung entfalten. Erstens können wir der ReGas und ihren Investor*innen so effektiv kommunizieren, dass ihre Investition zwar vielleicht vom Staat garantiert sein mag, von uns aber jeden Tag aktiv in Frage gestellt, vielleicht sogar anderweitig ramponiert werden wird. Und dass, zweitens, wir komplett das öffentliche Framing dieses neuen, noch unbekannten Players übernehmen werden. If you think RWE suffered in Lützerath, let's show ReGas how we can fuck with their image on Rügen. Das nennt sich dann “Reputationsschaden”, und ist ein Faktor (nb: die Reputation, nicht die Realität), der in Unternehmensentscheidungen eine zunehmende Rolle spielt (vgl. die Debatte um ESG, “environmental and social governance”).
In dem Sinne: Wir sehen uns Ende Mai auf Rügen. I can't wait, denn: Wir Sind Das Investitionsrisiko!
Euer Tadzio