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Warum ich manchmal Menschen auf der Straße fotografiere, *ohne* sie zu fragen

Hi! Mein Name ist Martin Gommel und ich fotografiere seit 18 Jahren. In diesem Newsletter helfe ich dir, schnell bemerkenswerte Fotos zu machen.

Darf ich als Straßenfotograf Menschen fotografieren, die zu erkennen sind? Diese Frage erreicht mich immer wieder – und ich weiß, dass sich viele Menschen darüber unsicher sind. Mir ging es jahrelang genauso, bis 2018 ein Kammergericht für eine Überraschung sorgte. 

Beginnen wir von vorne. Ich fotografiere seit 2005 und habe von Beginn an Menschen auf Hochzeiten und als Fotojournalist in Europa abgelichtet. Nebenher fotografierte ich Menschen in meiner damaligen Heimatstadt Karlsruhe, in der Öffentlichkeit.

Mein Ziel war dabei von Beginn an, Stimmungen des gesellschaftlichen Lebens möglichst ungestellt einzufangen und im weitesten Sinne ein Zeitdokument zu erschaffen, damit Menschen in 100 Jahren sehen können: So sah das damals das Leben in der Öffentlichkeit aus. Und das auf möglichst interessante Art und Weise.

Denn ich liebte es, durch Fotobücher zu blättern, und monochrome Aufnahmen aus Weltmetropolen in den 1920ern, 50ern, 70ern zu sehen und interessierte mich insbesondere für die Menschen. Hüte! Handtaschen! Schuhe! Mütter mit Kinderwägen, Herren in Krawatte und Anzug, oder Leute auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn, wie Bruce Davidson sie unvergesslich einfing. 

Von Beginn an wusste ich: Um dem Genre der Straßenfotografie treu zu bleiben, ist es keine Option, Menschen VORHER fragen, ob ich sie fotografieren darf, weil das den Moment – und somit das Bild – kaputt macht. Dazu war es in vielen Fällen nicht möglich, fünf Leute auf einmal anzusprechen. 

Weil ich meine Fotos im Internet veröffentlichte, bekam ich schnell kritisches Feedback.

„Das darfst du nicht“, schrieben einige, „Persönlichkeitsrechtsverletzung!“, die Anderen.

Ich prüfte die Rechtslage und musste ihnen schließlich recht geben. Damit stand ich vor einer Entscheidung. Möchte ich sofort mein tägliches Fotografieren einstellen? Nur noch Fotos in der Stadt machen, auf denen keine Menschen zu sehen sind? 

Wochenlang befand ich mich in einem Ringen mit mir selbst. Und entschied mich für die Straßenfotografie, denn ich sah meine Aufgabe in der Dokumentation des ungestellten Lebens mit meiner persönlichen, künstlerischen Note.  Dabei war mir klar, dass ich damit ein großes Risiko eingehen würde, eines Tages vor Gericht zu stehen. 

Dies ist niemals eingetreten. Ein einziges Mal erkannte sich ein Mensch auf einem Foto wieder, das ich von ihm in der Bahn aufgenommen hatte und schrieb mir eine Mail.

„Hast mich gut getroffen, geil!“

, schrieb er. Mit wurde klar: Wie fotografierte Menschen reagieren, kann super unterschiedlich sein. Ich flog zweimal nach New York City und nach London und fotografierte dort, wie in Deutschland, Menschen auf der Straße. Hier gab es keinerlei rechtliche Einschränkungen.

2013 kam ich zum ersten Mal mit dem Gesetz in Berührung, während ich in Karlsruhe am Europaplatz Passanten beim Einkaufen auf dem Wochenmarkt aufnahm.

„Fotografieren sie hier Menschen?“

Plötzlich standen zwei Polizisten in voller Montur vor mir.

„Ja, auf jeden Fall!“, antwortete ich. Jemand hatte offenbar die 110 gewählt, mit der Begründung, ich würde Frauen unter dem Rock ablichten, so der Polizist.

Ich drückte den Polizisten meine digitale Spiegelreflexkamera in die Hand und ließ sie die Bilder sehen: eindeutig erkennbare Gesichter. „Ich bin Straßenfotograf und mache jeden Tag Fotos in Karlsruhe“, sagte ich dazu.

Die Polizisten schauten sich die Aufnahmen in Ruhe an, nickten sich kurz gegenseitig zu und verabschiedeten sich freundlich:

„Alles klar, Herr Gommel. Das ist in Ordnung. Haben sie einen schönen Tag!“

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Über die kommenden Jahre hinweg verlor ich das Interesse daran, Menschen mit Gesicht auf JEDEM meiner Fotos zu zeigen. Ich fotografierte öfter indirekt: durch Glasscheiben, im Gegenlicht, oder nur die Schatten.

Damit umging ich das Problem mit dem Recht. Doch wenn es für ein Foto wichtig war, ein Gesicht zu sehen, dann machte ich das Bild – und veröffentlichte es auch. Trotzdem fühlte ich die Unsicherheit über das, was ich tat, die ganze Zeit. 

Schließlich kam 2018 Leben ins Spiel, als das Bundesverfassungsgericht entschied (Abre numa nova janela), dass der Straßenfotograf Espen Eichhöfer, der eine Frau klar identifizierbar in Berlin-Charlottenburg fotografierte, und das Bild auf einer Ausstellung zeigte, dies tun durfte.

Und zwar aus einem Grund: Die Kunstfreiheit des Fotografen. Die Frau war vors Gericht gezogen, da sie sich in ihrem Persönlichkeitsrecht angegriffen fühlte. Ihr mürrischer Gesichtsausdruck und die Falten ihres Kleides würden ein unvorteilhaftes Bild von ihr zeichnen. 

Doch mit der Reaktion des Gerichtes hatte niemand gerechnet. 

„Das ausgestellte Street Photography Foto stelle sehr wohl ein Kunstwerk dar“, zitiert (Abre numa nova janela) der Rechtsanwalt Dennis Tölle das Gericht.

„Mit dieser Ausführung habe das Kammergericht die ungestellte Abbildung von Personen ohne vorherige Einwilligung, welche strukturtypisch für die Street Photography ist, nicht generell unmöglich gemacht. Ob der Kunstfreiheit oder dem Persönlichkeitsrecht Vorrang zu gewähren ist, sei nach wie vor eine Frage des Einzelfalls, welche nicht pauschal beantwortet werden kann.“

Denn das Gericht hatte dem Fotografen zwar das zeigen der Fotos im Rahmen der Ausstellung erlaubt, erklärte aber das Bewerben selbiger Ausstellung im Stadtbild Berlins an einer vielbefahrenen Straße mit großen Plakaten für rechtswidrig. 

„Einschränkungen gibt es dabei nur im Bereich der Verletzung höchstpersönlicher Lebensbereiche. Das heißt, wenn ihr Menschen als besonders hilflos darstellt oder das Bild im hohen Maße rufschädigend sein könnte.“

Das agt der Fotograf Dominik Paetzel in seinem Video (Abre numa nova janela) zur Thematik. Wenn Menschen weinen, nackt zu sehen oder betrunken sind, müssen wir aufpassen – was für mich selbstverständlich ist. 

Eine hundert prozentig klare Antwort gibt es also bei der Frage nicht. Das bedeutet, dass es gesetzlich weder verboten noch erlaubt ist. Oder, um es nochmal in den Worten des Gerichtes zu sagen: „Damit hat das Kammergericht die ungestellte Abbildung von Personen ohne vorherige Einwilligung, welche strukturtypisch für die Straßenfotografie ist, nicht generell unmöglich gemacht.“

Für mich bedeutet es, dass ich weiter Menschen in der Öffentlichkeit fotografieren kann – auch, wenn sie zu erkennen sind, was ich nach wie vor selten tue. Das Risiko, dabei mit dem Gesetz in Berührung zu kommen, ist durch die Entscheidung des Kammergerichtes verringert worden. 

Abschließend möchte ich sagen: Dieser Text ist meine Geschichte und keine Handlungsempfehlung. Ich kann verstehen, wenn Menschen sich mit meiner Entscheidung nicht anfreunden können und ganz anders dazu denken.

Fotografierst du Menschen auf der Straße? Wie machst du das? Antworte mir gerne!