Perspektivwechel an Yom haShoa
April 2023:
Der israelische Nationalfeiertag liefert einen Standpunkt in der Erinnerungskultur, der in Deutschlan kaum Beachtung findet. Neben den Ermordeten geht es nämlich auch um diejenigen, die gegen das NS-Regime gekämpft haben.
Zugegeben, ich hätte es fast übersehen, dass heute Yom haScho’a ist. Zum Glück habe ich inzwischen ein zuverlässiges Netzwerk aufgebaut, das mich in solchen Fällen erinnert. In diesem Fall war es ein Post (Abre numa nova janela) des Gedenkort Villa Merländer (Abre numa nova janela) in Krefeld.

Denn in Krefeld gibt es heute zum ersten Mal eine Gedenkveranstaltung zu Yom haShoa. Ab 12 Uhr wurden dort vor dem Rathaus die Namen verfolgter Krefelder:innen verlesen. Schon etwas länger gibt es eine solche Veranstaltung in Düsseldorf. Auch in anderen deutschen Städten wird der Gedenktag inzwischen begangen. Allerdings anders als in Israel.
Ein Gedenktag der Selbstermächtigung
Der Gedenktag wird nach dem jüdischen Kalender festgelegt, weshalb sich das Datum im westlichen Kalender jedes Jahr verschiebt. Das Datum wurde am 21. April 1951 von der Knesset festgesetzt, dem Einkammerparlament des Staates Israel. Am 27. Nisan des jüdischen Kalenders, der mit Sonnenuntergang am Vorabend beginnt und bis Sonneruntergang des Folgetages geht. Ursprünglich war der 14. Nisan vorgesehen, der gleichbedeutend ist mit dem Beginn des Aufstands im Warschauer Ghetto (19. April 1943). Allerdings kollidierte das Datum mit dem Pessach-Fest, weshalb der Vorschlag wieder verworfen wurde.
Womit wir aber schon gleich bei der Bedeutung von Yom haShoa wären. Denn dieser Tag wird als "Tag des Gedenkens an die Schoah und jüdisches Heldentum" begangen. Im Gegensatz zum Gedenken in Deutschland stehen aber nicht nur die durch das NS-Regime ermordeten Jüdinnen und Juden im Zentrum des Gedenkens. Auch der jüdische Widerstand ist von zentraler Bedeutung. So schreibt die politische Aktivistin und Publizistin Hanna Esther Veiler auf instagram (Abre numa nova janela): "Dieser Tag spiegelt unser eigenes Narrativ und nicht das der Mehrheitsgesellschaft. Das Datum wurde ursprünglich auf den Beginn des Aufsgtandes im Warschauer Ghetto gelegt, um daran zu erinnern, dass Jüdinnen:Juden eben nicht nur wehrlos in die Gaskammern gingen, sondern auch Widerstand leisteten. Diese Perspektive fehlt in Deutschland leider weiterhin viel zu häufig."
In Israel wird der Tag landesweit begangen. Bei der Eröffnungszeremonie am Vorabend werden in der Regel sechs Fackeln entzündet, die symbolisch für die sechs Millionen im Nationalsozialismus ermordeten Jüdinnen:Juden stehen. Der Morgen beginnt mit Gedenkveranstaltungen in Yad Vashem. Um 10 Uhr heulen dann im ganzen Land für zwei Minuten die Sirenen. In diesem Moment bleibt in Israel buchstäblich die Welt stehen. Alle Autos halten an, der öffentliche Nahverkehr stoppt, auch Fußgänger und Radfahrer bleiben stehen. Zu Füßen der sechs Fackeln in Yad Vashem werden Kränze niedergelegt.
Um der Perspektive auf den jüdischen Widerstand Rechnung zu tragen, möchte ich euch mit diesem Newsletter gerne eine deutsche, jüdische Widerstandskämpferin vorstellen, die bereits früh und sehr aktiv Widerstand geleistet haben. Und deren Todestag in diesem Jahr auf Yom haShoa fällt.
Hilda Monta 31.7.1914 - 17.4.1945

Hilda Monte. Geboren am 31. Juli 1914 als Hilde Meisel. Sie wächst in einer bürgerlichen Familie in Berlin auf. Bereits mit 15 Jahren schreibt sie für das Berliner Blatt des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes "Der Funke". Zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtübernahme war sie in England. In ihrem 1954 erschienen Buch "Das Gewissen steht auf" schreibt Annedore Leber über sie: "Obwohl sie als Jüdin Grund genug zur Sorge um die eigene Zukunft gehabt hätte, gab sie die ganzen Kräfte ihres jungen und kurzen Lebens für die Organisation eines internationalen Widerstandes gegen das Naziregime und eine Befreiung des deutschen Volkes von diesem System hin." Hilda Monte geht von 1934 bis 1936 ins Exil nach Paris, ab 1936 wieder nach London. Dort beginnt sie eine breite publizistische Arbeit, die sich in zahlreichen Artikeln, Büchern, Vorträgen sowie Radiosendungen für die BBC niederschlägt. Darunter zum Beispiel eine Novelle in englischer Sprache mit dem Titel "Where Freedom Perished", in der sie die Bedrängnis auch der Deutschen unter der nationalsozialistischen Diktatur im Ausland verständlich zu machen versuchte, sowie etwa zur gleichen Zeit das Buch "The Unity of Europe". In diesem Werk entwickelt sie früh Überlegungen für die Organisation einer föderalen, europäischen Gemeinschaft nach dem Krieg.
Bis 1939 reist sie mehrfach nach Deutschland, um Kontakt zu Widerstandskämpfer:innen aufrecht zu erhalten. Auch in viele andere europäische Länder hält sie regen Kontakt. Im April 1945 ist sie auf dem Rückweg von einer Verbindungsmission als sie an der Grenze zwischen Österreich und Liechtenstein in der Nähe von Feldkirch von einem Grenzbeamten erschossen wird.
Die Juristin Nora Platiel, eine sehr nahe Freundin der Widerstandskämpferin und nach Ende des NS die erste Frau in Hessen auf dem Posten der Landesgerichtsdirektorin, erinnert sich im Buch von Annedore Leber wie folgt:
"Hilda Monte, körperlich zart, geistig beweglich und frühreif, wandte sich in einem Alter, in dem sonst junge Menschen sich noch auf Examen vorbereiten, dem politischen Journalismus zu. Ihr klarer Verstand ließ sie die Zusammenhänge der sozialen Struktur unserer Gesellschaft früh erkennen. Obwohl sie kein reguläres Studium durchführte, legen dafür zahlreiche volkswirtschaftliche und politische Arbeiten Zeugnis ab. Nun lesen wir in ihren nachgelassenen Gedichten."
Eines davon möchte ich euch hier zum Schluss mitgeben. Im Angesicht der mutig kämpfenden Frauen in Iran und Afghanistan, klingt es nur all zu gegenwärtig.
Sprecht nicht von Mut ...
Sprecht nicht von Mut,
o, sprecht mir nicht von Helden
und Heldentum!
Ich weiß, es gibt auch Helden,
und ihnen gebührt der Ruhm;
aber bei mir war es anders,
feiert mich darum nicht so sehr, -
Das Leben ist manchmal so drückend,
so beängstigend schwer,
daß man mehr Mut braucht zu leben,
als für einen großen Zweck
sich selbst hinzugeben -
und inst dann über alles hinweg.
So lernt man den Tod verachten,
und das zu lernen ist gut;
doch die es dazu brachten,
beweisen erst ihren Mut,
wenn sie dennoch weiterleben,
Jahre - jahrzehntelang -
Feiert den nicht als Helden,
der nicht das Leben bezwang.
Quellen:
Leber, Annedore (Hrsg.): Das Gewissen steht auf. S. 17. Berlin. 1954
Hilde Meisel (Hilda Monte), Gedenkstätte Deutscher Widerstand, abgerufen unter https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/hilde-hilda-monte-meisel/ (Abre numa nova janela)
Dieser Artikel wurde erstmalig am 17. April 2023 auf Substack veröffentlicht
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