Das erste Jahr mit unserem Kind mit Down-Syndrom
(Dies ist ein Artikel aus dem Jahr 2018)
Heute ist der 21.3.2018. In der Community wird dieser Tag als Welt-Down-Syndrom-Tag gefeiert, denn Trisomie 21 heißt nichts anderes als dass das 21. Chromosom 3 Mal vorhanden ist. Anlässlich dieses Tages schreibe ich heute nach langer Zeit mal wieder einen Text für euch.
Mittlerweile ist er schon ziemlich genau 1 Jahr und 4 Monate alt. Und ab und zu werde ich gefragt, wie es denn so läuft mit ihm. Gut, sage ich dann. Dass die Antwort im ersten Jahr eines Kindes natürlich eigentlich komplexer ausfällt, das könnt ihr euch denken.
Anstatt chronologisch vorzugehen, erzähle ich euch von den Lebensbereichen, die vielleicht interessant sein könnten. Dinge wie „wann er welche Windelgröße getragen hat“ oder „wie oft wir schon Haare schneiden mussten“ interessiert vielleicht Oma und Opa. Und die auch nur so ein bisschen.
Gewicht und Größe
Unser Sohn kam in der 37. Woche mit einem recht guten Startgewicht von 3507gr und einer stattlichen Größe von 54cm zur Welt. Zum einen waren wir überrascht, zum anderen auch nicht. Denn auf der einen Seite sagen Statistiken, dass Babys mit Trisomie 21 eher klein und leicht und eben auch oft zu früh zur Welt kommen. Wir hatten uns schon darauf gefasst gemacht, noch schnell ne Größe 46 zu kaufen.
Aber ganz offensichtlich hatten die Gene meines Mannes was anderes vor. Die haben nämlich schon einen im wahrsten Sinne des Wortes großen Bruder (57cm; 4,2kg) hervor gebracht und sorgten nun beim Kleinen auch für ein gutes Polster.
Auf den Perzentilen für Trisomie 21 lag er mit seiner Größe übrigens bei ca. 99. Das heißt, dass nur 1% aller anderen Kinder in dem Alter statistisch größer sind.
Und wie schon der Bruder schnellte der Kleine derart in die Höhe, dass wir gar nicht so recht hinterher kamen. Der Vollständigkeit halber gibt's hier die Werte aus den U-Untersuchungen:
U2 (2 Tag alt): Gewicht 3415gr, Größe 54cm
U3 (knappe 6 Wochen alt): Gewicht 3950gr, Größe 56,2cm
U4 (3,5 Monate alt): Gewicht 6000gr, Größe 64 cm
U5 (starke 7 Monate alt): Gewicht 8050gr, Größe 72,5cm
U6 (11 Monate alt): Gewicht 8860gr, Größe 74cm
Mittlerweile ist er 16 Monate alt und liegt bei ca. 9,5 Kilo und ein bißchen über 80cm. Im U-Heft stehen bei U5 und U6 "Schöne Entwicklung" mit Ausrufezeichen drin. Und wir sind derselben Meinung wie unsere Kinderärztin, die uns von der Diagnose in der 13. Schwangerschaftswoche an sehr unterstützt hat.
Sicherlich fragt ihr euch, warum ich all diese Zahlen aufschreibe. Es geht nicht um diesen üblichen "Und wie groß ist dein Kind?"-Vergleich, diese Vergleiche kann ich nämlich nicht ausstehen. Ich möchte den Eltern, die auf der Suche nach Antworten sind, zeigen, dass das Down Syndrom auch kräftige, starke Babys hervorbringen kann. Denn das ist unser Sohn. Selbst in der Kurve für nicht behinderte Kinder liegt er in einem guten Mittelfeld. Wie sagte ich zu meinem Mann? "Es schadet nicht, wenn er später deine Größe hat. Über einen 2-Meter-Mann mit Down Syndrom macht man sich vielleicht weniger lustig." Allerdings liegt die Durchschnittsgröße, die ein Mann mit Down Syndrom erreicht, bei 1,58m. Challenge accepted.
Motorische Entwicklung
Eine der vielen Auswirkungen, die die Trisomie 21 auf den Körper hat, ist die Hypotonie - herabgesetzte Spannung von Muskeln, also ein geringerer Muskeltonus. Was das genau bedeutet, merkt man, wenn man Babys sieht, die das haben. Manche können den Kopf erst mit 5-6 Monaten halten, andere haben Trinkprobleme, weil die Mund- und Zungenmuskulatur schwach sind. Drehen, Krabbeln, Sitzen, Aufstehen, Stehen, Laufen, all das sind Selbstverständlichkeiten für nicht behinderte Babys. Für diese Babys handelt es sich oft nur um Wochen, manchmal Monate bis sie einem Meilenstein nicht mehr hinterher hinken, sondern ihn erreichen. Behinderte Kinder und eben auch Kinder mit Trisomie 21 brauchen lange, sehr sehr lange bis die üblichen Meilensteine erreichen. Als Eltern feiert man jeden einzelnen als ob das Kind eben Präsident der Welt wurde, während es auf einem Bein hüpfend alle Stellen nach dem Komma der Zahl Pie aufgezählt hat.
Mit diesem Erwartungshorizont sind wir in das erste Babyjahr unseres Sohnes gegangen und wurden so derart von ihm überrascht, dass wir nur noch staunen konnten. Innerhalb der ersten vier Monate konnte er seinen Kopf in Bauchlage halten, den Kopf ganz allgemein halten, nach Dingen greifen, sich drehen und längere Zeit auf dem Bauch liegen. Außerdem machte er etwas, was auch sein Bruder immer schon gemacht hat: Sit ups. Wenn er auf dem Rücken lag, hob er Kopf und Beine an und spannte die angeblich so schwachen Muskeln ordentlich an.
Der erste Vierfüßlerstand folgte mit 8 Monaten, erstes Krabbeln mit 9 Monaten und frei Sitzen mit 10 Monaten. Mit 11 Monaten kam das Krabbeln und an Möbeln aufstehen. Bäm, ein Ding nach dem anderen haute er raus und ich nannte ihn nur noch Hummel-Sohn. Denn er konnte all diese Dinge in sogenannter Regelzeit, wie man es eigentlich gar nicht von ihm erwartet. Ganz so, wie die Hummel eigentlich nicht fliegen können dürfte, würde sie physikalischen Gesetzen gehorchen. Tut sie aber nicht und macht halt ihr eigenes Ding.
In den letzten Monaten ruht er sich ein bißchen aus und übt weiter das Stehen an Möbeln oder Beinen, manchmal lässt er auch los und steht frei, ohne dass er es merkt. Und eventuell bleibt das noch ne ganze Weile so. Und das ist gut so. Er wird schon wissen, wann es weiter geht. Wir sind super super dankbar, wie toll er sich entwickelt. Und das alles ohne Therapie. Wir wissen, dass es nicht ungewöhnlich, aber auch nicht selbstverständlich ist. Aber wenn der Kleine mal wieder durch's Wohnzimmer rast und versucht aufs Sofa zu klettern, denken wir gar nicht große darüber nach, dass diese Kind ja eigentlich behindert ist. Pssst, kommt mal näher, ich verrate euch was: So fühlen wir uns die meiste Zeit.
Essen und Trinken
Wie schon erwähnt, gibt es häufig Probleme beim Trinken. Stillen, aber auch Fläschchen geben ist nicht immer einfach, weil Babys mit Trisomie 21 eventuell nicht stark genug ziehen können, um satt zu werden. Andere verschlucken sich oft, weil der Schluckmechanismus nicht gut funktioniert. Manche Kinder werden deswegen durch eine Magensonde ernährt. Beikost und feste Nahrung können auch problematisch werden, da eines der typischen Merkmale verengte Speiseröhre oder auch Atemwege sind. Pürierte Nahrung bis zu 2 Jahren ist auch nicht ungewöhnlich.
Unseren Weg wollte ich von Anfang an ohne Stillen gehen. Es hat beim Großen nicht geklappt und das Trauma, das ich bis heute davon habe, wollte ich nicht auf unseren kleinen Sohn übertragen. Ich wollte all meine Energie für ihn aufbringen, statt sie von der Milchpumpe aussaugen zu lassen. Zudem sind wir 1:1-Eltern, jeder von uns ist Bezugsperson Nr. 1 und dazu gehört auch das Gefühl des Nährens in den ersten Wochen und Monaten. Über meine Einstellung dazu diskutiere ich nicht. Entsprechende Kommentare werden gelöscht.
Unser Sohn trank ausschlißelich Flaschenmilch bis zum 7. Monat. Er hatte ganz lange Probleme damit, viel zu trinken. Für eine 90ml-Flasche brauchte er in den ersten Monaten zwichen 60-90 Minuten. Manchmal schlief er vor Erschöpfung ein, manchmal wollte er einfach nicht mehr. Das zog sich durch die ersten Monate und erst mit 8-10 Monaten trank er die empfohlene Menge und brauchte auch nur noch ein paar (ca. 15) Minuten für die kleine Flasche. Heute mit 16 Monaten trinkt er die 180ml so nebenbei und auch sonst ist seine Mundmuskulatur recht gut entwickelt.
Was feste Nahrung angeht, da ist unser Sohn..... sagen wir wählerisch. Im 7. Monat begannen wir mit Brei, aus dem Glas und selbstgekocht, mit dem großen Löffel, mit dem kleinen. Das interessierte ihn alles nicht. Er aß ein paar Löffel, am nächsten Tag gar nichts, dann wieder ein halbes Glas, dann wieder nichts, dann 2 kleine gequetschte Kartoffeln. So geht das leider bis heute. Er trinkt am liebsten Milch, weil das natürlich bequem ist. Außerdem alle Arten von knusprigen Snacks und Brezel oder Brötchen. Vielleicht auch mal ein Stück Apfel oder weiche Karotte. Aber sobald er eine richtige Mahlzeit essen soll, weigert er sich und stopft sich lieber seinen Fuß in den Mund.
Wir (zusammen mit unserer Tagesmutter) geben unser Bestes, ihm von allem anzubieten, um ihn auch nur annähernd satt zu kriegen. Denn das ist für seine Entwicklung natürlich wichtig. Im Moment bekommt er eine Mischung aus Frühstücksbrei (auch abends), Obstbrei, Brezel, Brot, Käse, kleingehacktes Mittagessen (das auch wir essen) und Knuspersnacks. Dazu mittags und abends eine Flasche Milch und natürlich auch noch nachts. Natürlich hat unsere Ärztin Recht, wenn sie sagt, wir sollen die Milch mal langsam absetzen. Wenn man aber ein schreiendes Kind vor sich hat, der erst isst, wenn er eine Flasche Milch getrunken hat, dann ist es echt schwer, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Ich habe gelesen, dass Kinder mit Down Syndrom recht häufig erst später zu einem geregelten Essverhalten finden, manchen hilft ein spezieller Löffel mit angerauhter Unterseite, um den Essvorgang besser zu spüren.
Wir haben unseren Sohn dabei beobachtet, wie er am liebsten am Boden sitzend isst. Snacks zwischen den Mahlzeiten kann er dort knabbern, aber zu den Hauptmahlzeiten sitzt er mit uns am Tisch. Unsere Einschätzung ist, dass er wählerisch ist. Er mag bestimmte Konsistenzen nicht, Banane ist ihm zuwider, Brei am ehesten, wenn süßes Obst dabei ist. Wir kennen das mit der Konsistenz schon. Unser großer Sohn mag es zum Beispiel nicht, wenn in weichen Konsistenzen wie Joghurt oder Suppe plötzlich Stücke auftauchen. Solange unser kleiner Sohn sich gut entwickelt und trotzdem von allem etwas abkriegt, machen wir so weiter bis sich was Neues ergibt.
Krankheiten und Arzttermine
Wie schon im Artikel zu den ersten 8 Wochen erwähnt, hatten wir bereits in der ersten Zeit viele Arzttermine und dazu den RSVirus in Woche 6, gegen den man zwar impfen kann, was wir aber nicht gemacht haben.
Unser Sohn hat schon jede Menge Arztpraxen von innen gesehen: Kardiologie, HNO, Augenarzt, Sonographie, dazu das Sozialpädiatrische Zentrum, alle drei Monate Blutabnahme, um Schilddrüsen- und Eisenwerte zu bestimmen. Da wir zu den Glücklichen gehören, deren Kind keine organischen Schäden hat, sind all das Beobachtungstermine, um die bestmögliche Entwicklung zu garantieren. Da vor allem Gehörgänge und auch Speise- und Luftröhre sich mit dem Wachstum nicht immer gleich weiter entwickeln, muss man da besonders drauf achten.
Man sagte uns, dass das Immunsystem unseres Sohnes aufgrund der Trisomie 21 schwächer als bei Gleichaltrigen sei. Aber um ehrlich zu sein, ist er (bis auf den RSVirus) nicht öfter oder schwerer krank als unser anderer Sohn. Bis auf Schnupfenase und ein paar Mal Husten war er den ganzen Sommer 2017 gesund und wurde erst nach der Grippeimpfung, die wir wieder und wieder machen werden (auch da diskutiere ich nicht), mit Fieber und Schnupfen krank. Natürlich erwischte ihn ab Januar 2018 dann auch noch eine leichte Bronchitis, dazu ein Magen-Darm-Infekt und die Grippe mit leichten Symptomen. Entsprechend waren wir oft bei unserer Ärztin, aber er hat alles mit ein bißchen medizinischer Unterstützung sehr gut hingekriegt.
Trotzdem ist unsere Aufmerksamkeit auf seine Gesundheit natürlich stärker. Wir gehen lieber einen Tag früher zur Ärztin, müssen manchmal über unser Bauchgefühl "das wird schon" weg sehen und achten verstärkt auf Signale wie Husten oder Heiserkeit. Außerdem ist unsere Kinderapotheke immer gefüllt, um schnell Fieber zu senken oder anderweitig zu reagieren.
Das SPZ und Therapien
Bei der U3 sagte unsere Ärztin, dass Sie uns eine Überweisung ins SPZ mitgibt, um eine allgemeine Beurteilung unseres Kindes machen zu lassen. Sicherlich klingt das imm ersten Moment total komisch. Als müsste er wie so ein Objekt oder Projekt beurteilt werden. Als wäre seine Behinderung etwas, was man unters Mikroskop legen kann.
Trotzdem gehen wir alle sechs Monate sehr gern ins Sozialpädiatrische Zentrum, um ihn untersuchen zu lassen. Wir erzählen von unserem Alltag, von seiner Entwicklung und dann wird er noch untersucht. Falls wir Fragen haben, können wir die jederzeit stellen, auch wenn sie nicht vorrangig medizinisch sind. So fragte ich eher in einem Nebensatz danach, ob ein Kinderbuggy mit Liegefläche gut wäre, wenn er doch noch nicht so bald laufen kann. Vier Wochen später hatten wir einen Auswahltermin für einen Rehaautositz und -buggy mit der Physioterapeutin und einem Mitarbeiter vom Sanitätshaus. Mit Hilfe der beiden wurde beides in kurzer Zeit (ca. 4 Wochen) von der Krankenkasse genehmigt und geliefert. Wir sind überaus begeistert von dieser Zusammenarbeit und freuen uns immer wieder über diese beiden Hilfsmittel.
An dieser Stelle fragen uns viele, warum wir denn so was beantragen, wenn er sich doch so gut entwickle. Der Grund ist recht einfach. Wir fahren viel im Auto und haben festgestellt, dass unser Sohn im vorhandenen Autositz nicht gerade sitzt und er Stütze braucht. Die gibt ihm der Rehasitz. Dasselbe gilt für den Buggy. In einem handelsüblichen Buggy sitzt er schräg drin und knickt ein. Im Rehabuggy sowie im Rehasitz sitzt er enger und wird seitlich gestützt. Die Physiotherapeutin hat bestätigt, dass die Hilfsmittel einem späteren Schaden entgegen wirken können.
Apropos Therapeuten. Rund um den 9. Monat hatten wir unsere ersten Termine mit Logopädie, Physiotherapie und Ergotherapie. Alle haben ihn sich bei einem Begutachtungstermin angeschaut und gemeinsam entschieden, dass er in keiner Hinsicht Therapie braucht. Ich war sehr froh, denn zum einen bestätigte das unsere persönliche Einschätzung als Eltern (die ja doch auch voreingenommen ist) und zum anderen ist jeder Termin, den wir nicht noch in unserem Alltag unterbringen müssen, eine Erleichterung.
Sprachentwicklung
Da unser großer Sohn eine ziemlicher Late-Talker ist, sind wir auch beim Kleinen eher entspannt. Sprache ist eh so ein ganz eigenes Thema. Oft haben Menschen mit Down Syndrom eine unklare Aussprache, die von einer größeren Zunge oder einem schwachen Muskeltonus rund um den Mund herrührt. Dasselbe führt auch dazu, dass der Spracherwerb länger dauert oder manchmal auch nur ganz gering ausfällt. In der Logopädie wird deswegen auch viel mit Gebärden unterstützender Kommunikation gearbeitet. Bisher wenden wir das noch nicht an, aber unsere Tagesmutter spricht mit einigen Gebärden.
Schon mit wenigen Monaten plapperte ûnser Sohn ganz so, wie man es von Babys kennt. Und mit 10 Monaten sagte er Mama, was bis heute das einzige Wort ist, das er konstant sagt. Mamnchmal merken wir, dass er Worte nach ahmt, die wir sagen. Und kürzlich hielt er meinem Mann ein Buch hin und sagte sowas wie "Les". Bei unserem nächsten SPZ-Termin werden wir wohl mal ansprechen, ob er unterstützend Logopädie erhalten sollte oder ob er sich auch hier von alleine gut entwickelt.
Pflegegrad, MDK und Schwerbehindertenausweis
Zum Thema Pflegegrad gibt es viel Neid und Missgunst und Sätze wie "So behindert ist dein Sohn doch gar nicht!". Deswegen halte ich es hier kurz und erzähle, dass wir mit 4 Monaten sowohl Schwerbehindertenausweis als auch Pflegegrad mit der Diagnose aus dem Gentest beantragt haben. Der Besuch vom MDK war unangenehm, weil die Dame sehr forsch und durchdringend gefragt hat. Aber das ist ja auch deren Aufgabe. Letztendlich bekamen wir einen Pflegegrad und das damit verbundene Geld und auch der Schwerbehindertenausweis kam überraschend bereits nach 6 statt nach 15 Wochen mit 80% und den Merkzeichen B, G, H.
Betreuung
Als ich die Bestätigung der Trisomie 21 durch unseren Feindiagnostiker am Telefon bekam, war ich gerade bei unserer Tagesmutter, den Großen abholen. Ich setzte mich, verdrückte 2-3 Tränen und sagte dann so was wie "Dann ist es also so." Das erste, was von ihr kam: "Ich halte schon mal einen Platz für sie oder ihn frei." Und so hatten wir einen Betreeungsplatz noch bevor wir wussten, dass es ein Junge wird.
Seit seinem 9. Lebensmonat geht unser Sohn zur selben Tagesmutter wie unser großer Sohn. Nach der Eingewöhnung waren es erst 20 Stunden und seit dem ersten Lebensjahr und seit ich wieder arbeiten gehe, sind es 32 Stunden - Montag bis Donnerstag ganztags. Ich bin sehr froh, dass er sich in der Betreuung so gut macht. Und bis auf seine Probleme beim Essen, ist er auch für unsere Tagesmutter eine Bereicherung. Denn allein sein Lachen bringt schon viel gute Laune. Da wir in sehr engem Kontakt mit unserer Tagesmutter stehen, kann sie uns jederzeit Feedback geben, wie er sich entwickelt, und wo es eventuell Handlungsbedarf gibt. Allen Eltern von Kindern mit Behinderung empfehle ich sich beim Thema Betreuung nicht nur Kitas und Förderkindergärten, sondern auch Tagesmütter anzuschauen. Die kleine Gruppengröße und eher familiäre Atmosphäre kann sehr hilfreich sein für Kinder, die sich langsamer entwickeln.
Unser Alltag und wie es weiter geht
Wenn ich unseren Alltag mit der Behinderung unseres Sohnes beschreiben soll, kann ich nur sagen: einfach. Vielleicht noch Bullerbü. Letzteres ist in Social Media Kreisen der Begriff für "Alltag mit Kindern, der zu schön ist, um wahr zu sein". Der Kleine schläft, wie es sich für einen fast 1 1/2-Jährigen gehört, mal besser, mal schlechter. Mal bekommt er Zähne, dann ist er fies drauf, mal spielt man ne ganze Stunde ausschließlich mit ihm auf dem Boden, dann lacht er sich scheckig. Zur Zeit hat er ne Mama-Phase, da will er sich nur von mir ins Bett legen lassen oder gar auf meinem Arm einschlafen. Aber das sind alles Sachen, mit denen wir sehr gut leben können.
Schwieriger ist die nicht vorhandene Barrierefreiheit, die uns immer wieder begegnet. Viele Aktivitäten, die für unseren großen Sohn attraktiv wären, sind mit dem Kinderwagen nicht zu machen. Natürlich haben andere Familien dieses Problem auch, die ein Kind mit Kinderwagen haben. Aber zu wissen, dass wir noch ein paar Jahre (bis er vollständig und sicher alleine laufen kann) darauf angewiesen sind, ist nochmal ne andere Sache. Im Moment können wir uns noch mit der Trage behelfen, aber wenn er so weiter wächst und zunimmt, geht das irgendwann nicht mehr. Da ich mit einer Schwester aufgewachsen bin, die einen Rollstuhl benutzt, kommt mir das alles sehr bekannt vor. Auch alles rund um Reisen oder Ausflüge machen ist natürlich davon betroffen. Ich würde sehr gerne in den nächsten Jahren mal wieder eine Flugreise machen, mal schauen, ob und wie das klappt.
Noch hat unser Sohn den Baybstatus, er ist süß und wenn er lacht oder winkt, fliegen ihm die Herzen zu. In ein paar Jahren wird man ihn in der Öffentlichkeit immer noch anschauen, wahrscheinlich eher anstarren. Und zwar nicht mehr, weil er so süß sein wird (wird er schon, aber nicht alle werden das sehen), sondern weil seine Augen auseinander stehen, weil er lallend spricht und weil er vielleicht grobmotorischer ist. Und das müssen wir alle dann aushalten. Mein Mutterherz wird ein paar tausend Mal brechen, weil sich Kinder und Erwachsene abfällig äußern oder ihn ausschließen oder über ihn lachen. Ich genieße es, dass dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen ist, aber ich denke, spätestens im Kindergarten wird es damit vorbei sein.
Schon jetzt arbeite ich daran, dass unser Netzwerk stark genug ist, um all das später aufzufangen, dass die Verbindung zwischen meinen Söhnen stark ist und dass unsere Familie all das auf sich nehmen kann, was noch kommt.