Lohnt sich das?

Ich bin verliebt. In die schwarzäugige Susanne.

Sie ist keine Frau. Sie ist eine einjährige Pflanze mit wunderschönen Blüten, außen sattorange und innen tiefschwarz.

Jedes Jahr zum Sommer fahre ich in meinen Lieblingsgartenmarkt und kaufe mir ein besonders üppig blühendes Exemplar, das gerade so ins Auto passt. Dann topfe ich Susanne um, bringe sie auf die Terrasse und erfreue mich an ihrem Anblick, bis zum Herbst. Denn im Herbst verblüht sie und kommt nicht wieder. Susanne ist, wie gesagt, einjährig.

Mein innerer Miesmacher und Staudengärtner versteht das nicht.

„Jedes Jahr kaufst du dir eine Pflanze, die nur noch ein paar Wochen zu leben hat? Umtopfen, gießen, düngen, Verblühtes abzupfen, dat ganze Aggewars (Si apre in una nuova finestra) – Wiebke, das lohnt sich doch gar nicht.“

Hm. Ist da was dran? Was lohnt sich eigentlich? Und was nicht? Und wer setzt die Grenze zwischen dem einen und dem anderen?

Ich bin eine Frau der Tat, darum habe ich ein Experiment angesetzt. Einen ganzen Tag lang habe ich mich bei jeder noch so kleinen Tätigkeit gefragt: „Lohnt sich das?“

Es fing beim Kämmen an. Die Haare verstrubbeln sowieso gleich wieder. Lohnt sich also nicht. Und die Wohnung müsste mal wieder gesaugt werden. Ha! Lohnt sich nicht! Staubt ja doch gleich alles wieder ein. Dann will mein pubertierender Sohn eine Diskussion über Bildschirmzeiten anzetteln. Der wird in zwei Jahren achtzehn, lohnt sich also nicht. Frühstücken lohnt sich auch nicht, ich hab ja sowieso mittags wieder Hunger. Und so weiter.

Abends wusste ich immer noch nicht so ganz genau, was sich nun lohnt und was nicht. Ein paar überflüssige Tätigkeiten konnte ich aus meinem Tagesablauf streichen. Und ich mache tatsächlich viele Dinge, die kurzlebig sind. Aber von denen will ich kein Stück abgeben. Auch nicht von Susanne. Selbst wenn ich mich nur einen Tag an ihren Blüten freuen kann, hat sich das ganze Umtopfen, Gießen, Düngen und Abzupfen gelohnt.

 🎵 Lola Marsh: Only For A Moment 🎶