WeinLetter #84: Ist dieser Hektar aus Hohenlohe die Zukunft des Weins?
Liebe Wein-Freund:in,
Du liest den WeinLetter #84. Heute gibt’s: Einen Hektar Solaris als Antwort auf den Klimawandel - aber was für einen Hektar! Story spielt in Hohenlohe. Meiner ersten Heimat. Mein Weg führt nach Ilshofen-Wolpertshausen. Liegt zwischen Crailsheim und Schwäbisch Hall. War früher mein Turf. 20 Kilometer von Blaufelden entfernt. Meinem ersten Heimatort. Und jetzt habe ich ein Weingut gefunden, das jetzt am nächsten zu Blaufelden liegt. Denn bisher war es das Tauberschwarz-Top-Weingut Jürgen Hofmann (Si apre in una nuova finestra) in Röttingen. Das neue nächste Weingut heißt: Bodensatz GbR. Was ist das? Der Ökolandwirt Christoph Kümmerer baut hier mit Freunden Solaris an. PIWI-Rebsorte. Er überträgt Prinzipien, die er bei seinem eigentlichen Job anwendet: der Obstzüchtung. Ich war sofort angefixt. Denn: Der WeinLetter ist ja der oberste Kritiker der deutschen Weinbranche und Kümmerer ihrer Zukunft. Hier, in Hohenlohe, habe ich einen Weg in diese Zukunft gesehen. Denn: Seit sie in Wolpertshausen 2019 Solaris gepflanzt haben, haben… Sie. Noch. Niemals. Gespritzt! Nicht. Ein. Mal. Niemals! Wie geht das? „Feldresistenz“, heißt das entscheidene Wort von Christoph Kümmerer. +++ Plus in der Rubwik #WeinWissen: Alle Infos über die PIWI-Rebsorte Solaris (Si apre in una nuova finestra) +++ Viel Spaß beim Lesen! Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied!
Aber vor allem:
Trinkt friedlich!
Euer Thilo
Solaris. Sommerweizen. Solaris. Sommerweizen: Christoph Kümmerer blickt auf seine Wein-Mischkultur FOTO: THILO KNOTT
Auf diesem Feld regiert die Resistenz!
von THILO KNOTT
Christoph Kümmerer holt den Spaten aus seinem Kombi. Er läuft auf sein Feld, auf dem er Wein anbaut. Er tritt die Klinge in den Boden, hebt sie an. Er durchwühlt das Stück Boden. „Locker“, sagt Christoph Kümmerer, „überhaupt keine Verschluffung, keine Tonbänder“.
Er setzt das Stück Boden wieder ein. Geht ein paar Meter weiter. Tritt die Klinge wieder in den Boden. Das wiederholt er an unterschiedlichen Stellen des Ackers, auf dem er Wein anbaut. Als wollte er sagen: Das ist kein Zufall. „Locker“, sagt Christoph Kümmerer, „diese Bodenfruchtbarkeit versorgt die Rebstöcke ideal mit Nährstoffen.“
Bodenprobe mit hoher Fruchtbarkeit: Christoph Kümmerer untersucht die Beschaffenheit seines Feldes FOTO: THILO KNOTT
Der Hektar mit den Weinreben liegt außerhalb von Wolpertshausen. Ilshofen-Wolpertshausen liegt im Hohenlohischen und ist bekannt wegen der Autobahn-Ausfahrt. Und wegen des Sau-Königs Rudolf Bühler und seiner Erzeugergemeinschaft, die das Schwäbisch-Hällische Landschwein rekultiviert und ökonomisiert hat.
Hier wurde nicht ein Mal gespritzt
Die Gegend steht eigentlich nicht für Wein. Hohenlohe-Franken ist Biergebiet. Nicht für Christoph Kümmerer. Er hat auf diesem Hektar 2019 Solaris angepflanzt, eine PIWI-Rebsorte (Si apre in una nuova finestra). Dafür hat er mit Freunden die Bodensatz GbR gegründet. 1.000 bis 2.000 Flaschen holen sie nach kurzer Zeit raus aus dem Hektar. „Ziel sind 6.000 Flaschen“, sagt Christoph Kümmerer.
Ideale nährstoffhaltige Böden, neue pilzwiderstandsfähige Rebsorten? Und dann kommt der Satz, den sich viele Winzer:innen – egal ob konventionell oder bio – für ihre Flächen wünschen würden. Christoph Kümmerer sagt: „Wir mussten seit den Pflanzungen vor fünf Jahren hier noch nie spritzen.“ Keine Pestizide, keine Fungizide? Nix? Wie haben sie das geschafft?
Christoph Kümmerer ist eigentlich kein Winzer. Wenn man Winzer so traditionell versteht: Hat in achter Generation den Hof übernommen.
Er ist studierter Biolandwirt. Hat den Hof seiner Eltern übernommen. Diese haben Schweine gezüchtet und das entsprechende Futter angebaut.
Christoph Kümmerer hat keine Schweine mehr. Den Betrieb hat er auf bio umgestellt. Er hat sich auf Obstbäume konzentriert. Er züchtet Obstbäume mit alternativen Äpfeln zu den Golden Delicious dieser Welt. Er züchtet neue, widerstandsfähige Äpfel. Er hat dafür das Versuchsfeld, nicht ein Labor.
Das Wein-Vorbild: Seestermüher Zitronenapfel
Wenn er über die Rebsorte Solaris redet und warum sie noch nie gespritzt haben, dann fängt er zunächst an die Geschichte zu erzählen von den Apfelsorten Topaz und dem Seestermüher Zitronenapfel. Denn der Einsatz von Spritzmitteln ist im Weinanbau verbreitet, noch mehr aber im Obstanbau. „Die Apfelsorte Topaz ist eine Laborzüchtung“, sagt er, im Labor werde meist nur mit Genen von wenigen Apfelsorten gearbeitet. Der Topaz gelte eigentlich immer noch als resistente Sorte. Sei er aber nicht mehr. Die Labor-Kreationen seien nur für kurze Zeit gegen Schorf oder Echten oder Falschen Mehltau (Si apre in una nuova finestra) resistent, die auch im Weinbau eine Plage sein können. Doch nach einer gewissen Zeit würden die Sorten wieder anfällig. So erging es dem Topaz.
„Wir arbeiten an der Feldresistenz“, sagt Kümmerer. Sein Zitronenapfel ist „feldresistent“, ist dadurch nicht anfällig. Warum? Weil er keinen Schorf bekommt? „Nein“, sagt Christoph Kümmerer, „er hat Schorf“. Aber? Er reagiere auf Schorf, wenn er ihn bekommt. „Er entwickelt Tannine und wehrt sich erfolgreich mit eigenen Mitteln gegen den Schorf.“ Die Apfelsorte Wanja, die denselben Prinzipien folgt, ist durch den Verein „Apfel: Gut“ als Amateursorte mittlerweile schon angemeldet.
Dieses Prinzip der pflanzeneigenen Feldresistenz überträgt er jetzt auf den Weinanbau. Während seines Bio-Studiums hat er in Wien ein paar Semester lang Weinseminare besucht. „So ein großes Geheimnis ist Weinanbau jetzt auch nicht“, sagt er.
Klimawandel, Biodiversität, Pestizide
Also: Was macht seinen Hektar Wein jetzt so speziell? „Wir versuchen landwirtschaftliche Anbausysteme zu entwickeln und umzusetzen, die einen Beitrag zur Lösung der drei großen Probleme Klimawandel, Biodiversitätsrückgang und hoher Pestizideinsatz leisten sollen“, hat Christoph Kümmerer die Idee zur Bodensatz GbR einmal umschrieben. Und: „Unseren Wein bauen wir in einem Mischkultursystem in Verbindung mit Ackerkulturen an.“
Das heißt: Während auf knapp 100.000 Hektar Anbaufläche in Deutschland Wein mit Ausnahmen Wein in Monokulturen produziert wird, bricht er diesen Grundsatz auf. Mit Mischkulturen.
Draußen auf dem Feld steht eine Rebzeile. Es folgt ein Streifen Sommerweizen mit Untersaat wie Leindotter oder Hornklee. Eine Rebzeile. Ein Streifen Sommerweizen. Rebzeile. Sommerweizen. Es ist eine Mischkultur.
Die Rebzeilen selbst sind dauerbegrünt. Die Rebstöcke? Solaris mit der Unterlage eines Mutanten von SO4.
Die Feldresistenz der Solaris-Trauben
2022, im ersten Erntejahr, gab es extreme, monatelange Trockenheit. „Die Rebstöcke mussten leiden, erwiesen sich aber als resilientes System“, sagt Christoph Kümmerer. Hier spricht er auch von Toleranzen, die die Rebstöcke entwickelt hätten, weil in dem Jahr Echter Mehltau (Oidium) nicht unbedingt zu verhindern gewesen sei. Aber? „Wir hatten Oidium auf dem Blatt, aber nie auf den Trauben.“ Sie hatten also schnell Feldresistenz entwickelt.
Jetzt verbreitet sich im Weinberg aber normalerweise der Mehltau recht schnell. „Wenn Mehltau-Sporen am Boden beispielsweise durch Niederschlag hochgeschleudert werden“, sagt Christoph Kümmerer. Und? Er erwähnt nochmal die Bodenbegrünung, die dieses Aufschleudern verhindert.
In seinem Hohenloher Hektar wendet er für die Rebstöcke zudem das Prinzip der Umkehrerziehung an. Die Rebstöcke, naturgemäß Lianenpflanzen, wachsen nicht nach unten, sondern auf 1,70 Meter Höhe quasi nach oben. So verhindert er zweierlei: Mehltau-Sporen auf dem Boden schaffen es nicht nach oben. Zweiter Vorteil: Es ist ein Schutz gegen Bodenfrost. Weil es in diesen Höhen nicht mehr so kalt ist. In diesem April, als der Frost in vielen Weinbergen zuschlug (Si apre in una nuova finestra), hatte er nur minimale Ausfälle.
Der Inox-Solaris aus dem Stahltank, der Batonnage-Solaris aus dem kleinen Holzfass: Christoph Kümmerer baut seinen Solaris ganz unterschiedlich aus FOTO: THILO KNOTT
“Wir haben hier Spätlesen”
Christoph Kümmerer holt zwei kleine Weingläser. Er macht zunächst die Fassprobe beim einfachen Solaris „Inox“ aus dem Stahltank, die er im Keller des Familienhauses ausbaut. „Er ist noch nicht fertig“, sagt er. Doch die Kraft, das Volumen und Fruchtigkeit dieser pilzwiderstandsfähigen Rebsorte schmeckt man schon im unfertigen Zustand. „Ich mag dieses Wuchtige, Fruchtige, wir haben hier mit mehr als 100 Oechsle Spätlesen“, sagt er.
Er holt eine Probe vom Batonnage aus dem kleinen Holzfass. Dieser zweite Solaris-Wein ist spontan vergoren wie der Stahl-Solaris. Der Wein wird, daher der Name, unter regelmäßigem Aufrühren mehrere Monate auf der Hefe gelagert.
Sie verwenden bei der Spontanvergärung Naturhefen. Sie verzichten auf Schönungsmittel und Filtration, eingesetzt wird ein bisschen Schwefel. Einen Orange-Wein produzieren sie noch, experimentiert wird mit einem Likörwein, wie er in Spanien gemacht wird. Erhältlich sind die Weine ab Hof, sie liegen bei 15 Euro, und in ausgewählten Orten in Hohenlohe. In der Markthalle der Schwäbisch-Hällischen Erzeugergemeinschaft in Wolpertshausen gibt es sie. Oder im Programmkino „Klappe“ in Kirchberg.
„Wir versuchen im Keller möglichst schonend zu arbeiten, um das Maximum an Aromen aus unseren Trauben herauszukitzeln.“ Im Keller ist es also wie auf dem Feld: Sollen die Rebstöcke und dann der Wein doch machen. Sie wissen schon selbst am besten, was gut ist. Für sie. Und damit auch für das Klima.
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