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Der Termin

Wahltag in Europa/Peter Lorre/Montaignes Katze als Taschenbuch/Spanisches Huhn in London

Kein anderes Gebäude symbolisiert europäischen Geist so beeindruckend wie das Pingusson - Gebäude in Saarbrücken, gleich am Ufer der Saar. Hier wollte das Frankreich der Nachkriegszeit seine Europabotschaft errichten, sollte die Saar einmal die europäische Hauptstadt werden. Den Bau muss man gesehen haben: Außen schmal und elegant, innen opulent wie ein luxuriöses Kreuzfahrtschiff oder Hotel - ein anderes berühmtes Werk des Architekten Charles-Henri Pingusson ist das Hotel Latitude 43 in Saint-Tropez. Ein einziges gaullistisches Glücksversprechen!

Ungute Symbolik: Es steht derzeit größtenteils leer, Sanierung ist beabsichtigt. Donnerstag Abend durfte ich dort eine Lesung mit der wunderbaren französischen Schriftstellerin Maylis de Kerangal moderieren - sie ist oben rechts im Bild zu erahnen. Eigentlich könnte die EU für die Sanierung einspringen, denn eine bessere Werbung gibt es nicht.

Europa also. Selbst die eifrigen Apparatschiks der demokratischen Parteien werden nicht behaupten, dass der Europawahlkampf 2024 zu den Sternstunden politischer Kommunikation zählt. Täglich ärgere ich mich über das FDP-Plakat, auf dem ein Europa „der Freiheit, nicht der Richtlinien“ gefordert wird. Man schließt schmerzerfüllt die Augen, den schon fünfte Klasse Ethik lehrt, dass es keine Freiheit ohne Grenzen geben kann. Europäische Richtlinien schützen täglich Leben und Gesundheit der Verbraucher und ihrer Familien. Die Freiheit irgendwelcher Lebensmittelpanscher, ihrer kriminellen Energie nachzugeben, ist dagegen weniger schützenswert. Unweit des Plakats steht eine Ampel - warum beendet der FDP Verkehrsminister nicht die STVO-Gängelei und lässt alle fahren, wie sie lustig sind?

Bekommen, diese Frage stellte meine in der Schweiz lebende Schwester angesichts eines Spaziergangs an solchen Plakaten entlang, die Macher dieser Kampagnen eigentlich Geld dafür? Es war schon ganz erstaunlich, was man da zu sehen und zu lesen bekam. Die SPD-Plakate mit Katarina Barley wirkten wie eine Fotomontage am heimischen PC und das tiefe Rot, als würde sie im Fegefeuer schmoren. Manchmal stand der Bundeskanzler neben ihr, aber er wirkte wie hinein kopiert und als seien sie sich nie begegnet. Barley ist eine überzeugende und engagierte Spitzenpolitikerin, viele würden sie wählen, aber so ein Wahlkampf kriegt selbst die Besten klein. Die Union und die Grünen jonglieren auf ihren Plakaten mit mächtigen Begriffen wie Europa, Frieden und Freiheit um noch die gutwilligsten zu Tode zu langweilen. Einzig erfreulich ist die völlige Implosion des Wahlkampfs der AfD.

Die Wahl zum Europaparlament wird wie eine Testwahl für die nächsten nationalen Entscheidungen inszeniert, mit je nationalen Themen und nationalen Figuren. Hoffentlich zum letzten Mal, denn es ist längst Zeit für transnationale Listen. Warum machen Raphaël Glucksmann und Katarina Barley nicht zusammen Wahlkampf? In der Union ist es verständlich: Markus Söder und Friedrich Merz haben es so schon schwer, neben Ursula von der Leyen gehen sie unter, ohne dass Luftblasen aufsteigen,

Europa ist viel interessanter als die politischen Szenen der Einzelstaaten. Die EU hat sich seit den letzten Wahlen erstaunlich gut entwickelt. Gemeinsame Corona-Bekämpfung, Hilfe für die Ukraine, der Beginn eines ökologischen Umbaus – auf vielen wichtigen Feldern ist eine erfreuliche Dynamik zu erkennen, die in den gereizten und unsicheren nationalen Parlamenten längst nicht mehr zuhause ist. Auch darum möchten immer mehr Länder Mitglied der Union werden. Den Weg hinaus empfehlen nicht einmal mehr die Rechten - außer Alice Weidel. Sie ist gegen die Schwerkraft, um den Hass all jener abzuschöpfen, denen grad ihr Eis zu Boden gefallen ist. Man kann schon ahnen, das sich auch die Briten eher bald als später in die Einlassschlange reihen werden.

Gute Menschen haben einst davon geträumt, in Europa das freie, gleiche und geheime Wahlrecht einzuführen. Ihre Zeitgenossen hielten sie für arme Spinner. Aber heute ist es soweit. Auf einem Kontinent, dessen Geschichte von Kriegen und noch mehr Kriegen geprägt ist, dürfen heute Menschen in 27 Ländern einträchtig zur Wahl für ein gemeinsames Parlament schreiten.

Gehen Sie heute wählen.

Wer sich für das klassische Kino interessiert, kennt sein Gesicht - aber über das Leben des Menschen dahinter, der in unsterblicher Schauspielkunst die Ambivalenzen des vorigen Jahrhunderts verkörpern konnte ie kein Zweiter, weiß kaum noch jemand irgendetwas. In einer neuen Dokumentation geht die Filmemacherin Evelyn Schels der Frage nach, wer Peter Lorre war. Und man kann nur staunen über einen Lebensweg, der vom Rande der Karpaten über Wien und Berlin nach Hollywood führte. Wäre die Darstellung eines Kindermörders, für den das aufgewühlte Publikum am Ende des Films tiefes Mitleid verspürt, heute noch möglich? Diese Frage stellt uns Lorre in der Rolle des Hans Beckert in Fritz Langs Meisterwerk M. Diese Doku passt exakt zur Weltlage, denn Lorre kam als László Loewenstein zur Welt und war als linker Jude stets ein selbstbewusster Antifaschist.

Er hatte seine eigenen Dämonen, trank und war auf Droge und insgesamt ergibt sich eine hochinteressante Mischung, die man anhand dieses Films zu würdigen lernt.

https://www.arte.tv/de/videos/114196-000-A/peter-lorre-hinter-der-maske-des-boesen/ (Si apre in una nuova finestra)

Für den nahenden Sommer braucht man ein passendes Buch: Unterhaltsam, spannend und lehrreich, dabei geduldig und auch nicht zu dünn. Gerne einen historischen Stoff, da kann man abschalten und lässt sich doch auch anregen. Wenn das Ganze dann noch in einer sympathischen Gegend spielt und kuriose Frauen sowie witzige Männer beinhaltet, bin ich vollends begeistert.

Weil so etwas schwer zu finden ist, habe ich es gleich selber geschrieben.

Seit dieser Woche liegt die Katze als Taschenbuch vor. Perfekt zum Verschenken und für den allseitigen Transport. Ich finde, für 16 Euro kann man nicht besser unterhalten werden. Und ich bin da objektiv.

Ein Spanier als Koch in London, das triggert meinen gallischen Chauvinismus. Da aber heute Europawahltag ist, vergesse ich mal die Sache mit Jeanne d’Arc und die unguten Einmischungen von Philipp 2 auf Seiten der katholischen Liga, sondern rate allenfalls dazu, für dieses Rezept von Pizarro ein französisches Freilandhuhn zu besorgen. (Gibt aber auch gute deutsche, so ist es nicht.)

https://www.theguardian.com/food/article/2024/jun/03/anchovy-spiked-roast-chicken-moorish-chickpea-and-watercress-salad-recipe-jose-pizarro (Si apre in una nuova finestra)

Und hier eine geniale fleischlose und saisonale Alternative oder Ergänzung:

https://www.zuckerjagdwurst.com/de/rezepte/vegane-gruene-sosse-frankfurter-grie-soss (Si apre in una nuova finestra)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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