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Tattoos

Heute schreibe ich über ein Thema, das von Annika vorgeschlagen wurde (Danke, Annika!). Das Thema ist: Tattoos. Annika hatte auch das Thema Nagelsticker vorgeschlagen, aber das ist ein so großes Thema, das muss ich mal in einem eigenen Text behandeln.

Das beste Tattoo ever

Das beste Tattoo, das ich jemals gesehen habe (in der UBAhn), war eine origionalgetreuer Darstellung von ein paar Wienern mit Senf und Ketchup, die auf den Unterarm eines speckigen Typen tätowiert war. Es lag auch ein winzigkleines Salatbouquet daneben. Geil.

Das schlimmste Tattoo, das ich jemals gesehen habe (auch in der UBahn) war ein Typ, der sich eine lebensgroße Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger auf den Hals hatte tätowieren lassen. Im Grunde war das aber gleichzeitig auch das beste Tattoo ever. Es ist die Definition von Punk. Es sagt: Ist mir scheißegal, ob ich jemals wieder einen bürgerlichen Job brauchen könnte. Ist mir scheißegal, dass ich nicht für immer 26 sein werde. Nein, bitch, ich will deine Eltern nicht kennenlernen.

Der Typ, der mich entjungfert hat, hatte einen naturalistischen Adler auf die Brust tätowiert. An sein Gesicht erinnere ich mich nicht.

Ungefähr vier von zehn Typen, mit denen ich in meinen Zwanzigern rumgemacht habe, hatten einen Tiger oder einen Löwen irgendwohin tätowiert. 

Einer der Drogendealer/Barkeeper, mit denen ich früher in der Bar zusammenarbeitete, rockte schwere Goldketten und ein riesiges Dollarzeichen auf dem Oberarm. Eine Woche, nachdem er es hatte machen lassen, saßen wir zusammen rauchend im Hinterhof und er sagte: Weiß nicht, ob das sone gute Idee war.  

Der Typ, der mir letztes Jahr den Liebeskummer weggemacht hat, war von oben bis unten mit naturalistischen Portraits von Zwanziger Jahre Starlets zugehackt. Marlene Dietrich, Louise Brooks, Josephine Baker. Er sagte, das sein sein Tribut an die Frauen und an das, was die Männer ihnen angetan hatten. Cheesy, dachte ich, aber my kind of cheesy.

Mein Ex Nick hatte eine Zeile aus Baz Luhrmanns Song Sunscreen auf dem Schulterblatt: The race is long and in the end, it‘s only with yourself. Supercheesy, dachte ich, aber genau my kind of cheesy.

All die Tattoos, die ich nicht habe

Manchmal wünschte ich, ich hätte ein Arschgeweih. Oder den Namen von irgendeinem Verflossenen auf meinem Arsch. Ich finde das verrät Style und Savoir-vivre. Aber meine eigene Tattoogeschichte ist vor allem eine Geschichte der Tätowierungen, die ich irgendwann mal wollte, aber mir dann nicht habe machen lassen.

Ein Heartagram, als ich fünfzehn war und verknallt in einen finnischen Schnulzensänger.

Eine Songzeile eines pathetischen Songs von Type 0 Negative, mit sechzehn, als ich Angelina Jolies Quod me nutrit me destruit für den absoluten Klimax der Tiefgründigkeit hielt.

Ein brennendes, mit einem Dolch durchbohrtes Herz im Stil italienischer Kitsch-Folklore, als ich neunzehn war und nicht wusste, wohin bloß mit meiner ganzen Libido. (Wenn ich jetzt darüber nachdenke, sollte ich das brennende Herz vielleicht wieder auf die Liste schreiben.)

Den Namen meines ersten richtigen (also ungesunden) Boyfriends, als ich zwanzig war. (Meine Freundin Kathrin nennt diesen einen Typen, der initial ihr Leben zerstört hat, immer den Schlimmsten von Allen. Love Addicts wissen, wer gemeint ist). 

Eine Feder auf dem Fuß, als ich dreiundzwanzig war und frisch getrennt von dem Schlimmsten von Allen und glaubte, dass eine Feder auf dem Fuß eine originelle Metapher wäre (Nike redete mir das aus: Nope, sorry, totales Klischee).

Tattoos waren mal provokativ, rebellisch, haben mal die Zugehörigkeit zu ausgewählten Randgruppen signalisiert, heute haben sie all ihre Bedeutung verloren. Alle sind tätowiert. Mit tätowierten Armen kann man heute auch in einer Bank arbeiten. Mit einem tätowierten Hals schafft man es immer noch als Scrum Master. Leute mit tätowierten Gesicht sind heute nicht mehr Knastis, sondern Steuerberater. 

Weil alle tätowiert sind, kann man Tattoos lesen wie Bewerbungsschreiben.

Den Proll erkennt man daran, dass er sich die Namen oder Geburtsdaten seiner Kinder tätowieren lässt, als würde er sonst Gefahr laufen, die zu vergessen. 

Die richtige Proll Frau erkennt man an den Wand Tattoo Tattoos: Live, laugh, Love. Yolo. Don‘t dream your life, live your dream (The dream ist ein Heiratsantrag im Tropical Islands).

Die spießige Anne-Kathrin erkennt man an dem unmotivierten Katalog-Motiv auf dem Handgelenk, das sagt: Mit 25 habe ich fünf Minuten lang so getan, als sei ich eine waghalsige Frau, um irgendeinen Typen zu beeindrucken. 

Wenn du ein Arschgeweih hast, dann hast du alles aus den Neunzigern rausgeholt, was ging. Noch besser war das Tattoo, das meine Mitschülerin Daria sich hat machen lassen, als wir in der neunten Klasse waren: David forever. Das, Leute — zusammen mit dem String, der hinten aus der Miss Sixty skinny Jeans rausguckt — ist ein Power Move.

Heute wird mehr tätowiert als je zuvor, aber niemand meint mehr irgendwas so ernst wie Daria ihr David forever. Das Berlin Mitte Kid erkennt man an den minimalistischen, grafischen Linien ohne irgendeine Bedeutung whatsoever. Das sagt: Mir ist alles scheißegal, ich habe noch nie irgendwas gefühlt oder unironisch gemeint, und das macht auch nichts, denn meine Eltern haben mir eine Wohnung in Charlottenburg gekauft. 

Die Kids Mitte Ende Zwanzig im Wedding haben jetzt alle mit ironischen Motiven vollgehackte Beine und stellen sich am Samstagmorgen (!) in die Schlange (!) vor einem Brotladen (!), der Hansis Brot heißt und reden den ganzen Tag über ihre Pronomen und beschweren sich allen Ernstes darüber, das der Wedding nicht mehr so billig ist wie vor fünf Jahren, als ob sie selbst nicht die allerletzten Zeichen der Gentrifizierung wären und hundertmal spießiger als ihre westdeutschen Oberstudienrats-Eltern jemals sein werden.

Etwas, das bleibt

Nichts gibt einem heute so doll das Gefühl, alt zu sein, wie etwas ernst zu meinen. GenZ meint nichts mehr ernst, die meinen absolut alles ironisch. Es ist ein plausibler Weg, mit dem langsamen Untergang der Welt umzugehen. 

Neulich kam ein Bekannter mit frischen, ironischen, popkulturellen Referenzen auf den Armen (eine Capri Sonne Verpackung, ein Portrait von Tingeltangel Bob, ein Cartoon Pudel?!), die er sich bei einem spontanen Walk-in hatte machen lassen.

Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich es bewundere, wenn jemand so leichten Herzens ist, dass er sich spontan, aus einer Laune heraus tätowieren lässt, ohne dass es vollkommen überfrachtet ist mit Bedeutung. Bei mir ist immer alles total überfrachtet mit Bedeutung und ich muss immer alles sehr sehr ernst nehmen. Ich bin eine emotionale Schildkröte. Ich brauche Jahre, um Zukünftiges zu planen und Vergangenes zu verarbeiten. Da ist es eigentlich bemerkenswert, dass ich für die beiden Tätowierungen, die ich habe, nicht besonders lange nachgedacht habe. 

Beide sind Liebestättowierungen, beide haben gemeinsam, dass noch eine andere Person, die ich mal sehr geliebt habe, damit herumläuft. 

Die erste ist mein Ehering, den meine Freundin und Mitbewohnerin Nike und ich uns machen ließen, als wir realisierten, dass der Schlüssel zur emotionalen Freiheit von Männern die Ehe mit Freundinnen (Si apre in una nuova finestra) ist. Wir ließen uns von einem schönen Chilenen, den wir mal zusammen mit nach Hause genommen hatten, an unserem Küchentisch tätowieren.

Die zweite ist ein schwarzes Herz, das ich mir auf die Seite stechen ließ und Nick auf seinen Oberarm, als wir uns wenige Wochen kannten. Ich hatte damals diese kleine Tradition, meine Textnachrichten mit einem schwarzen Herz Emoji zu signieren. Seinem Wesen nach (er ist ein Widder) wäre seine natürliche Reaktion auf unsere Verknalltheit eigentlich eine Spontanhochzeit gewesen. Da er aber dummerweise noch verheiratet war, kam nur das Tattoostudio in Frage, um das Versprechen auf Ewigkeit zu besiegeln. Ich war high und sorglos und hatte keinen Zweifel daran, dass es für immer sein würde. 

Ich habe mal irgendwo gehört, dass Tattoos eine Sehnsucht nach Permanenz in einer flüchtigen, unverbindlichen Welt sind. Etwas, das bleibt. Etwas, das immer wahr sein wird. Über das man nie seine Meinung ändern wird. Oder seine Gefühle. Die meisten Tattoos sind deswegen so schlecht, weil die Dinge, über die man seine Meinung nicht ändert, meistens komplett banaler Scheiß sind. Yolo halt. 

Ich bereue meine Vergangenheit aus Prinzip nicht und auch nicht meine Tattoos. Ich glaube nicht an Cover-ups und schon gar nicht an Laserentfernung. Ich glaube an Rebranding. 

Die Mutter aller Tattoo-Rebrandings ist  Johnny Depps Winona, das nach der Trennung zu Wino wurde. Das bringt wahrscheinlich eine ganze Generation von Männern auf den Punkt.

Mein Herz Tattoo habe ich nach der Trennung einfach zu meinem Logo gemacht. Ich verwende es überall. Als Kettenanhänger. In meinen Instagram-Captions. Auf meinen Rechnungen. Jetzt habe ich kein Liebestattoo mehr. Nick hat jetzt ein Fan-Tattoo.

🖤

Argomento Romanzen

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