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»Bleiben, blieb, geblieben«

»Und dann hat Hannes Geburtstag. Und du wunderst dich wie immer, dass dich überhaupt noch jemand einlädt. Ganz allgemein gesprochen und jetzt auch ganz speziell. Hannes weiß doch, wie der Hase läuft. Wahrscheinlich, weil er 40 wird. Da muss er dich wohl einladen, denkt er. Damit du dich nicht ausgeschlossen fühlst. Vielleicht weiß Hannes noch nicht, dass dir ausgeschlossen sein ganz recht ist. Lieber von außen hineinschauen als von innen raus. Oder Hannes ist einer von den wenigen, die damit klarkommen, dass du eh nicht kommst; oder dass, wenn du kommst, man damit rechnen muss, dass du heimlich wieder gehst; oder dass, wenn du kommst, man am besten gar nicht darauf achtet, ob du überhaupt gekommen bist oder schon längst wieder gegangen.

Judith hat dich seinerzeit auch eingeladen. Fand sie nicht so geil, dass du vor Mitternacht verschwunden bist. Das hat sie sehr getroffen. Da hat Judith ihr Glück über dein Elend gestellt. Du musst lachen, weil das so dramatisch klingt, aus ihrer Perspektive, aber auch aus deiner. Da hat Judith ihre Freude über deine Unfreude gestellt. So geht’s. Du kannst lange warten, bis du wieder eingeladen wirst. Vielleicht, wenn Judith 50 wird. Halb elf, schrieb Judith, Rekord! Du weißt, wie sie es meinte. Du schaust in den Verlauf. November. Lange her. Ein halbes Jahr bald. Seitdem Stille. Wer kann es ihr verübeln? Du liest die Nachricht nochmal. Du weißt, wie sie gemeint war. Zwischen den Zeilen lesen, weil es keine Zeilen gibt. Plural. Nur eine. Eine hat gereicht: »Halb elf! Rekord!«

Du hast gehofft, dass Hannes gar nicht feiert. Stimmt so nicht. Feiern gönnst du ihm. Ihr könnt gut miteinander. Du hast gehofft, dass er feiert, nur eben, dass er dich nicht einlädt. Oder dich einlädt, aber nicht erwartet, dass du wirklich kommst. Aber ihr könnt gut miteinander. Das ist schon immer das Problem gewesen. Dass du gut mit Menschen kannst. Wobei: Hier steckt der Fehler im Detail. Dass Menschen gut mit dir können. Andersrum wird nur im Singular ein Schuh draus. Dass du maximal mit einem Menschen gleichzeitig gut kannst. Du kannst gut mit Judith, mit Hannes, mit Tobi, mit Hamid, auch mit Anke. Mit jedem einzelnen. Und wenn du sie so aufzählst, fällt dir auf, du hättest statt der Kommata auch Punkte setzen können. Weil außer mit dir hat keiner mit dem anderen was am Hut.

Als Kind bist du den Eltern ins Bett gekrochen und hast die Mutter wachgeweint, bis sie gefragt hat, was schon wieder ist. Und mit belegter Stimme hast du ihr gesagt, dass du keine Freunde hast. Aber Mutter hat es nicht kapiert. Es gab sie doch: die Uta und den Leszek und die Katja und den Marko. Aber jedes Und ist irreführend. Denn Uta gab es in der Siedlung, Leszek in der Schule, Katja im Verein und Marko nur am Sonntag, wenn ihr beim Jugoslawen essen wart. Du hast der Mutter ins Kopfkissen geheult, bis sie dich auch deswegen getröstet hat, damit du ihr nicht noch die zweite Seite klammweinst. Aber die Sache mit dem Plural, die hat sie nicht kapiert. Dass du maximal mit einem Menschen gleichzeitig gut kannst. Und dass du schon als Kind gedacht hast, es stimmt was nicht mit dir. Wer kann es dir verübeln?

Hannes will zum Italiener und dann in eine Bar. Du kommst zu spät, um dich noch neben ihn zu setzen, aber passt schon so, denn so eng seid ihr gar nicht. Du schaust den Tisch entlang, kennst niemanden, und obwohl du dich zähnemalmend darauf vorbereitet hast, trifft es dich wie Gegenwind, der sich in die Falten deines Hemdes legt wie in kleine Segel. Hannes freut sich, dass du da bist, und du glaubst es ihm. Du findest einen Platz am Ende. Das passt auch. Es wäre gut, wenn es einen gäbe, der dich reinholt und wieder raus, wenn er merkt, es würde dir zu viel. Hannes sitzt zu weit entfernt. Es ist nicht seine Aufgabe. Dass er über die Distanz hinweg nicht merken würde, wie du immer stiller würdest und irgendwann verschwändest, das beruhigt dich. Dass es einen Weg nach draußen gibt, das hält dich drin.

Judith hat sich sehr bemüht. Aber das muss sie nicht. Das ist nicht ihre Aufgabe. Ständig hat sie dich gemustert, ob du auch Spaß hast. Sie hat ihren Spaß an deinen Spaß geknüpft. Immer hat sie sich irgendwo herausgeschält und dich gesucht und dich gefunden und irgendwo hineingeschält. Und das war so falsch, wie’s klingt. Man kann es dir nicht recht machen. In wessen Grüppchen Windschatten du auch geschlüpft warst, sie ist hineingegrätscht und hat dich vorgestellt. Hannes tickt so nicht. Bei Hannes sitzt du neben dreien, die so vertieft sind ins Gespräch, dass du nicht dazwischenkommst. Aber du weißt, dass nicht dazwischenkommen können gut ist, weil nicht dazwischenkommen können heißt, nicht dazwischenkommen müssen. Du weißt, dass man sich hinter Bier und Pizza gut verstecken kann. Und neben Menschen, bei denen nie jemand dazwischenkommt.

Auf dem Weg zur Kneipe geht es los. Der Tisch beim Italiener hat die Gruppe ausgehalten. Tische können, was dir immer noch misslingt. Von außen draufgeschaut, hätte keiner was bemerkt. Der Gehweg bricht euch auf, in kleine Grüppchen. Vier und drei und wieder vier und du und nochmal welche hinter dir. Ein guter Augenblick, um zu verschwinden, denkst du. Einfach zurückfallen lassen. Auf dass die Grüppchen hinter dir dich überholen. Davonlaufen, indem man andere davonlaufen lässt. Ein Teil von dir will noch in die Bar, ein Teil will nicht. Da spricht dich einer an. Ein Freund von Hannes. Menschen können gut mit dir. Bis zur Kneipe eine nette Plauderei. Du kannst gut mit einem Menschen. Dann das Kneipeneinfallchaos. Dabei verliert es sich. Es wäre gut, wenn es einen gäbe, der sich an dich erinnert. Aber es ist nicht seine Aufgabe.

Jetzt kannst du es auch kurz machen: Hannes hat im Keller einen Kicker angemietet. Der Raum und seine Winkel würfeln alles neu. Dreier, Vierer, Pasch und Straße. Nur eine Eins bleibt über. Du hängst die Jacke so, dass du nicht lange danach wühlen müsstest, sobald du gehst. An der Bar holst du ein Bier. Vor allem, um dich daran festzuhalten. Du stellst dich an den Kicker. Eine Gruppe spielt schon. Man könnte meinen, mutig. Aber du kaschierst dich nur im Windschatten von Lauten und Geschäftigen. Rücken an die Wand. Ein halbes Bier lang fragst du dich, was du wohl sagen würdest, wenn dich einer aus der Gruppe fragt, ob du auch mal magst. Dann fragt dich einer. Aber du bist noch nicht so weit. Nee danke, sagst du. Viertelstunde nachgedacht für diese Formulierung. Später fragt dich eine, ob du auch mal magst. Aber der eine von vorhin geht dazwischen und er sagt, er hätte schon gefragt, aber du willst nicht. Entscheidung abgenommen. Wer kann es ihm verübeln?

Neben dir sind welche ins Gespräch vertieft. Sie stehen so dicht bei dir, dass du denkst, von außen muss es komisch wirken. Sie nehmen sich den Raum mit ihrer Ausgelassenheit. Es ist nicht dein Raum. Dir gehört hier nichts. Sie kommen immer näher. Es sieht bestimmt bescheuert aus, denkst du, wie du an denen klebst. Also rückst du weg von ihnen. Von der Wand an eine zweite. Eckfall. Dein Glas ist leer. Längst ist es handwarm. Du könntest noch ein zweites trinken. Aber wozu? Als würde zweimal so viel Zeit deine Wahrscheinlichkeit verdoppeln. Du schaust dich um, ob jemand so alleine steht wie du. So fängt sie an, die toxische Spirale. Du schaust dich um, ob es wen gibt, der sich umschaut, nach einem, der sich umschaut. Man könnte sich mit einem Blick verbrüdern. Aber nichts und niemand. So geht sie weiter. Du fragst dich, wie viele von allen, die gerade hier sind, wissen, wie das ist. Wie es sich anfühlt.

Dann geht es schnell. Dann überstürzt es sich. Du ziehst die Jacke an und kramst aus deiner Tasche Zigaretten. Du steckst dir eine in den Mund. Schon hier im Keller. Die Jacke muss man offen lassen. Das ist wichtig. Und das Glas umschlungen halten, als warte man auf einen, der mit einem Kelch gelaufen kommt und nachschenkt. Schlängelnd gehst du durch die Menge. Blickkontakt vermeiden. Du balancierst die Zigarette auf der Lippe. Judith denkt, du rauchst. Hannes denkt es auch. Du stellst das Glas im Gehen auf den Tresen. Du schaust von draußen rein. Der Spiegelung der Scheibe siehst du zu, wie sie dir die ungerauchte Zigarette wieder von der Lippe pflückt und in die Schachtel steckt. Du rauchst nicht. Hast du nie. Von außen hineinschauen macht die traurig. Trotzdem entspannst du dich. Du weißt doch, wie der Hase läuft. Der Hase läuft nach Hause. Wer kann es dir verübeln?«

Herzlich willkommen zur vierzehnten Ausgabe von »Feine Auslese«.

F / A

#1 / Ich glaube ja noch immer …

»… , dass Unverwundbarkeit die einzige brauchbare Superkraft von allen ist. Besonders wenn man einen Dschinn findet, der einem auch die Unverwüstlichkeit von innen abdeckt. Alles von Aortenaneurysma [evident] bis Zehennagel [eingewachsen]. Der Rest ist quasi Mist. Weil man früher oder später für eine Schattenregierung, ein Verbrechersyndikat oder Nestlé arbeiten „darf“, bevor sie einem das Kind oder den Liebsten in einer handlichen 500‑Gramm‑Stückelung zurückschicken. Wie schön es wäre, einmal durch die Hauptstadt zu spazieren, ohne Angst, von einem freshly angereisten Expat überrollt zu werden, der ausgerechnet in Berlin zum ersten Mal in seinem Leben Einrad fahren muss. Genau aus diesem Grund ist Unsichtbarkeit übrigens der allergrößte Quatsch von allen. Stell dir Folgendes vor: Samstagnachmittag, Hohe Straße Köln, Hauptbahnhof Hannover oder Ikea Hamburg-Altona. Aber dich sieht keiner. Richtig tolle Wurst.

F / A

#2 / Toujours la tristesse

ICE. Vierersitz mit Tisch. Die junge Frau mir gegenüber zieht einen Block edles Papier aus ihrem Rucksack und beginnt zu schreiben: »Lieber Alex, wir kennen uns jetzt schon unser halbes Leben lang.« Dann aber steht sie auf und verschwindet. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Fünfzehn Minuten. Alle am Tisch schweifen wie zufällig über die Zeilen. Immer und immer wieder. Werfen sich gespannte Blicke zu. Dann endlich kommt die junge Frau zurück. Sie setzt sich, greift nach ihrem Stift, schaut lange sinnierend aus dem Fenster, bis sie endlich schreibt: »Alles Gute zum Geburtstag.«

F / A

#3 / Feine Ablese

Angelesen: Heimsuchung (Si apre in una nuova finestra) von Jenny Erpenbeck

Ich würde jedem, der mich fragt, warum Caroline Wahl den Deutschen Buchpreis noch nicht bekommen hat, ein Buch von Jenny Erpenbeck vor den Latz knallen und sagen: Deshalb. Wenn man sich als Leser*in schon sympathisieren will und mitschwingen in das Gefühl der Ungerechtigkeit, dann bitte mit der Richtigen. »Kairos«, »Gehen, ging, gegangen«, »Geschichte vom alten Kind«. Dreimal eine Frechheit, dass es im eigenen Land keine Preise geregnet hat. Auch bei »Heimsuchung« sticht die Brillanz und Qualität direkt auf den ersten Seiten hervor. Auch wenn die Collagetechnik (Vergleich: »Berlin Alexanderplatz« (Si apre in una nuova finestra)) mich nur so mittelgut gefangen nimmt. Mir wird das schnell zu unübersichtlich, besonders in Kombination mit dem hohen Niveau an Poetik und der Komplexität der Sprache. Es schleicht sich das alte Paradoxon ein: Zu viel Handlung macht zu wenig Handlung.

Ausgelesen: Russische Spezialitäten (Si apre in una nuova finestra) von Dmitrij Kapitelman

Ein Buch, zwei Erzählungen. Über den Leipziger Lebensmittelladen einer Familie mit den titelgebenden Spezialitäten, dann die Reise des Protagonisten in die Ukraine zur Zeit der russischen Invasion. Dmitrij Kapitelman ist beneidenswert gut darin, auf dem schmalen Grat zwischen Literatur und Reportage zu tänzeln. Bis zum Schluss den starken Drang verspürt, Autor und Erzählfigur einfach zu verschmelzen. In Rezensionen zu Kapitelman wird immer von seiner klaren Sprache gesprochen. Ist mir als Formulierung zu inhaltsleer. Lieber so: Kapitelman ist »Show, don't tell« in Bestform. Das Sagen reduzieren, damit das zu Erzählende sichtbar werden kann. Darum geht's. Das kriegt vor allem im zweiten Teil des Buches eine durch Nüchternheit beklemmende Wucht. Bei Instagram gelesen, es ginge um Verlust. Stimmt nicht. Es geht darum, dass Loslassen keine Option ist.

Abgelesen: Piksi-Buch (Si apre in una nuova finestra) von Barbi Marković

Ein Lesemonat ohne Niete, kaum zu glauben. Nichts vom Stapel abgebrochen. Wenn überhaupt, dann als Leser abgebrochen worden. Auch mal schön. Nach unter 100 Seiten rausgekickt aus einer Miniatur von Barbi Marković. Ziemlich guter Read. Ziemlich kurzer Read. Wäre gern in die Verlängerung gegangen. Was fast genauso selten ist: nicht nur ein gutes Buch, sondern auch ein wichtiges. Mit einer sehr cleveren Idee wird das Zerbröseln von drei Strukturen abgehandelt: einer Familie, eines Sports und einer Nation. Wenn man mich fragt, das bisher beste Buch aus der Fußball-Reihe (Si apre in una nuova finestra) von Voland & Quist. Auch, aber nicht vor allem deswegen, weil es ein Anti-Fußball-Buch ist.

F / A

#4 / Das Letzte von der Rolle

Zug nach Polen, Fenstersitz.
Wochenende, Kattowitz.
Nicht der schickste aller Orte.
Dichter sparten ihre Worte,
Statt das Städtchen zu besingen,
Gleichsam Hamm und Reutlingen.
Fahr auch nur beruflich hin,
Rein privat macht wenig Sinn.
Gott verzeih die Arroganz,
Mich bedichtet auch kein Schwanz.
Die die keine Reime schmücken
Müssen jetzt zusammenrücken!
Was, wenn ich für immer bliebe?
Nur Gelegenheit macht Liebe.

F / A

#5 / Feiaahmnt.

Nach den letzten Ausgaben mehrfach gefragt worden, ob man sich auch anderweitig für meinen kleinen Rundbrief erkenntlich zeigen kann. Erstmal danke dafür. Was mir auf Dauer jedoch mehr bedeutet als flüchtige sexuelle Gefälligkeiten, ist der Erwerb meines Romans »Schlesenburg« (Si apre in una nuova finestra). Seit Neuestem sogar als Taschenbuch (Si apre in una nuova finestra) im gut sortierten Buchhandel. Und was immer geht: eine PayPal-Spende (Si apre in una nuova finestra) für die heimische Literaturkasse (Si apre in una nuova finestra). Kann aber auch sein, dass ich mir nur Dino-Nuggets und Dickmanns davon kaufe. Müsst ihr selber wissen.

»Schlesenburg« | Taschenbuch | btb-Verlag (Si apre in una nuova finestra)
F / A

#6 / Nachklang

🔊 The Wombats mit »Sorry I’m Late, I Didn’t Want To Come« 🔊

https://open.spotify.com/intl-de/track/30rzsNnKkQWhyQO4xxCRne?si=ea95e2111ee848aa (Si apre in una nuova finestra)

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