Ready Mades im Zeitalter sozialer Medien und Künstlicher Intelligenz: Lernen von Andy Warhol
Was ist "Filmora"? Welche ästhetischen Fragen rund um "Ready Mades" wirken im Politischen, und wieso sind dafür verwendete KI-Tools gesellschaftlich relevant? Dieser Text sucht und findet Antworten.
(Andy Warhol, “Do it yourself”, aufgenommen von mir selbst im Muuseum Ludwig, Köln)
"Mit dem Kniff, die demokratische und volkstümliche Kunstform Malen nach Zahlen in seinen Katalog aufzunehmen, hatte Warhol die perfekte Methode gefunden, um die geistigen Eliten zu foltern (...)."
Gopnik, Blake. Warhol : Ein Leben als Kunst - Die Biografie (S.368). C.Bertelsmann Verlag. Kindle-Version
Es begab sich aber im Jahr 1962, dass Andy Warhol dieser Coup gelang. Blake Gopnik - ich durfte ihn für meine Dokumentation "Roy Lichtenstein oder wie Pop Art die Kunst revolutionierte" (ZDF/ARTE) interviewen, inmitten des Londoner Barbican-Centers, ein hochinspirierendes und lehrreiches Gespräch - führt in seiner Biografie genüsslich den zeitgeschichtlichen Kontext aus, in dem Warhol sich positionierte. Die Poststrukturalisten, Barthes und Foucault, proklamierten später den "Tod des Autors". Warhol killte den Künstler schon vor ihnen, aufbauend auf Marcel Duchamp (Si apre in una nuova finestra) und dessen Urinal.
Gopnik zitiert einen Kritiker, der sich über "Malen nach Zahlen" echauffierte; erdrückend und hemmend sei es, ersticke den Drang derer, die mit dieser Praxis ihre Freizeit füllten, durch Integration in die Standardisierungsraster der Massenkultur.
READY MADES UND CHAT GPT:
Da es in diesem Text um Ready-Mades geht und was man mit ihnen anfangen kann - Chat GPT als m.E. aktuelle, komplexe Form analog zu Ready-Mades fasst das folgendermaßen zusammen:
"Die Kritik an Ready-Mades in der Kunst ist vielfältig, und sie bezieht sich oft auf das Konzept der Originalität, des handwerklichen Schaffens und der Bedeutung des Künstlers. Die Hauptpunkte der Kritik sind:
Mangel an handwerklichem Können: Kritiker werfen Ready-Mades vor, dass sie kein echtes künstlerisches Können oder handwerkliche Arbeit erfordern. Ein vorgefertigtes Objekt zu nehmen und es als Kunstwerk zu deklarieren, wird oft als eine Umgehung des traditionellen Schaffensprozesses angesehen.
Fehlen von Originalität: Da Ready-Mades bereits existierende Alltagsgegenstände sind, wird oft argumentiert, dass der Künstler nichts Neues schafft. Es fehlt an einer kreativen Transformation oder dem persönlichen Ausdruck, den man von einem Kunstwerk erwartet.
Kommerzialisierung und Banalisierung der Kunst: Einige Kritiker behaupten, dass die Verwendung von banalen oder industriell hergestellten Gegenständen als Kunst eine Entwertung der Kunst darstellt. Es wird argumentiert, dass dies Kunst trivial und alltäglich macht."
Gopnik zufolge entstand Warhols Idee vermutlich durch ein Geschenk an seine Neffen, eben ein "Painting by Numbers"-Paket, das er auf Leinwand vergrößerte und die Kids auch ausmalen ließ. Kein Künstler-Ego mehr, kein Selbstausdruck, alles, was die Generation der Abstrakten Expressionisten sowohl zelebrierte als auch karikierte, räumte diese Methodik kurzerhand ab.
Chat GPT weist die Kritik an Ready-Mades folgendermaßen zurück:
“Die Kritik an Ready-Mades, insbesondere der Vorwurf, dass sie keine echte Kunst seien, wird aus mehreren Gründen als verfehlt angesehen:
Verschiebung des Kunstbegriffs: Die Kritiker der Ready-Mades klammern sich oft an eine traditionelle Vorstellung von Kunst, die auf Handwerk, Material und ästhetischer Schönheit basiert. Duchamp und Warhol hingegen erweiterten den Kunstbegriff, indem sie den künstlerischen Akt auf die Wahl und den Kontext des Objekts verlagerten. Der kreative Prozess besteht nicht nur im Schaffen von Dingen, sondern auch in der konzeptuellen Reflexion über Kunst.
Kunst als Idee: Duchamps Ready-Mades und Warhols Werke machen deutlich, dass Kunst nicht nur ein physisches Objekt, sondern auch eine Idee sein kann. Die Bedeutung liegt oft im intellektuellen oder sozialen Diskurs, den das Kunstwerk anstößt, nicht im handwerklichen Können.
Hinterfragung der Konsumgesellschaft: Warhols Werke kommentieren kritisch die Konsumgesellschaft, indem sie die Massenproduktion und den Konsumkulturen in den Mittelpunkt rücken. Diese Auseinandersetzung mit dem Konsum wird oft übersehen, wenn man sich nur auf die Frage konzentriert, ob es „richtige“ Kunst ist.
Einfluss auf die Kunstgeschichte: Ready-Mades haben die Kunstgeschichte revolutioniert, indem sie den Begriff des Kunstwerks selbst hinterfragt haben. Diese revolutionäre Perspektive hat neue Wege für Konzepte wie die Konzeptkunst und andere postmoderne Kunstbewegungen eröffnet. Die Ablehnung der Ready-Mades ignoriert oft die bedeutenden theoretischen und historischen Implikationen dieser Werke.”
Es ist typisch Chat GPT, hier den Konsens aus dem Netz zu saugen. Ganze Bücher entstehen mittlerweile so.
Punkt 1 inspirierte nachhaltig einen der maßgeblichen Ästhetiker des 20. Jahrhunderts, Arthur C. Danto. Gopnik führt das in seiner Warhol-Biografie aus; auf einer Aussage von ihm in der Roy Lichtenstein-Doku basierend habe ich ein kurzes Video zusammengebastelt (Si apre in una nuova finestra). (Das ist ja eigentlich Zweck der Vernetzung zwischen den Texten hier auf meiner Essays-Seite mit kurzen und längeren Filmchen bei Youtube, Tik Tok und Instagram - auf diesem Wege Formen des intermedialen Philosophierens zu erkunden).
Pointe meines kurzen Videos ist, dass man zwar alles als Kunst betrachten kann - diese ist aber nicht automatisch solche, die gelingt. Es reichen nicht die den Regelwerken der Institutionen rund um reine Kunst innewohnenden Kriterien aus, um deren Gelingen beurteilen zu können - "l'art pour l'art" ist ähnlich wie Habermas' ideale Sprechsituation ein kontrafaktisches Kriterium, ein "als ob", tun wir doch mal so, aber keine gesellschaftliche Wirklichkeit. Weil jede Kunst sowohl systemisch, also in Ökonomien und Rechtssystemen verankert ist, als auch lebensweltlich grundiert (Si apre in una nuova finestra).
Warhols Kunst z.B. verdankt sich auch der Lebenssituation des schwulen Gebrauchsgraphikers, der zunächst neidisch auf die "richtigen Künstler" schaute, um sodann ein Spiel rund um das Nicht-Authentische zu entfalten und sich zugleich über Abbildbarkeit lustig zu machen - über das "Echte", "Authentische". Weil queer, auch wenn man das noch nicht so nannte, als das Falsche, vom Normalen nur Abgeleitete, zu Therapierende galt.
DIE UNMÖGLICHKEIT DES REINEN ABBILDENS
Er schminkte und verzierte seine Marilyns und Elizabeth Taylors, verpasste ihnen abstrakten Drag, und filmte stundenlang eine Einstellung des Empire State Buildings, um sich über das "Direct Cinema" lustig zu machen. Jene Bewegung in den 60er Jahren, die fälschlich behauptete, wie "eine Fliege an der Wand" in die Situation vor der Kamera gar nicht einzugreifen, nur zu beobachten, und dann zu drehen, "was ist".
Was passiert, wenn man das wirklich blieben lässt, also in die Situation vor der Kamera nicht eingreift, zeigte Warhol in seinen "Screentests". Seine Opfer setzte er einfach vor eine Kamera und ging weg. Die Kamera lief 3 Minuten lang. Die meisten reagierten hilflos, manche fingen an zu weinen. Auch "Do it yourself" reißt nicht nur Witze über die elitären Zirkel der Kunst und ihr Festhalten an "Selbstausdruck", sondern auch über Abbildbarkeit als solche. Weil die biederen Motive im Falle von "Malen nach Zahlen" Realismus suggerieren - die präfigurierter Wahrnehmung des amerikanischen Spießertums.
Auch "Kunst als Idee" ist nicht wirklich Warhols Konzept. Er holt Nicht-Kunst in den institutionellen Rahmen, macht sich dadurch über das Galeriensystem lustig - um so die Institutionen zugleich zu erobern. Man landet bei Warhol in Paradoxien, die performativ wirken - wie Gesten. Dass er die Konsumgesellschaft hinterfragen würde hat er objektiv verneint, die Suppendosen seien doch schön und Soziologie nerve. Chat GPT springt, wie so oft, zu kurz.
SOZIALE WELTEN ALS REFERENZ, I
Es schwirrt ein lustvoller Nihilismus durch die Welt seiner Werke; einer, der nicht zufällig in seiner "Desasters"-Serie mit Bildern vom elektrischen Stuhl, Autounfällen und "Race Riots" plötzlich gebrochen wurde. Hier schleicht sich eine Ernsthaftigkeit ein. Die Abbildbarkeit sabottiert Warhol durch farbige Überlagerungen und Motivwiederholungen, in denen das Desaster seriell wird, wie industriell gefertigt; gezeigt wird zudem, wie durch die Abbildung der Schrecken zugleich oft verschwindet.
Das sind alles Lehren, die, berücksichtigten sie all die Menschen , die in digitalen Schnittprogrammen wie “Da Vinci Resolve” oder “Final Cut” arbeiten, eine selbstreflexive Ebene in der Produktion wie die Effektspur über das Bild legen würden.
Ich fand es immer angemessen, viel mit Effekten, schnellen Schnitten, einer Rhythmisierung der Bilder ganz offensichtlich zu arbeiten, um die Prinzipien der Formgebung auch explizit zu machen. Eine ziemlich warholsche Herangehensweise, die sich aber eher aus Fragestellungen ergibt, wie sich das Filmische zur Welt, in der es situiert ist, denn nun verhält. Kunstgeschichtliche Bezüge sind dann interessant, wenn sie die sozialen Bezüge, in denen Kunst produziert wird, mit reflektiert, nicht, weil Kunstgeschichte als solche relevant wäre.
Ich halte das für die zentrale Frage all der heute in Lebenswelten zirkulierenden medialen Produktionen auch von für Social Media Produziertem - wann verharren die Bilder- und Wortfluten, die endlos auch mit "Ready Mades", also zusammen geklauten Bildern arbeiten, sie in Meme verwandeln, mit Filtern und Kommentaren versehen, in den Referenzen auf andere Beiträge bei TikTok, Instagram oder X ? Wann wollen sie, Grüße an Ulf Poschardt, nur auf innerhalb dieser wirken, triggern, Effekte erzielen? Oder wann verstehen sie, dass sie dabei immer auch auf tatsächliche soziale Welten referieren und die Referenz immer schon als ästhetisierte produziert wird?
So ganz scheint mir dieser Unterschied noch nicht mal Spitzenpolitikern klar zu sein. Wann reflektieren sie in ihren Ästhetiken diese Weltbezüge, und wie machen sie das, wann lassen sie es bleiben? Ich glaube auch nicht, dass man progressive Politiken nur auf Ebene der Worte führen kann. Die Zeiten des Flugblatts sind vorbei.
Es wurde in diesen auf Warhol folgenden Praxen, durch Pastiche und Collage im Dada vorbereitet, etwas wirksam, das in Zeiten Künstlicher Intelligenz und digitaler Tools immer dominanter wird und sich auch nicht nur auf das Visuelle beschränkt. Auch Sounds, Musiken, innerhalb von Hörer- und Fansystemen rund um Stars und Acts sind sie relevant in aktuellen Sozialen Medien - wie zunächst der K-Pop-Hype, aktuell das Phänomen Taylor Swift zeigt. Sie arbeiten mit Ready-Mades, Künstler*innen-Fotos, Album-Cover, und machen ihr Ding daraus. Die Frage nach "Ready Mades" führte zudem in der Musik mitten hinein in eine juristische Schlacht.
MUSIK UND READY MADE
In der Musik führten Kritiker*innen bereits in den 60er Jahren heftige Debatten, ob programmierte Synthesizer, die in ihnen generierten Sounds, Arpeggiatoren - Programme, die Akkorde in ihre Töne zerlegen wie auch ein Pianist und diese in einem vorgegebenen Rhythmus automatisch abspielen -, ob die Bass-Sequenzer, die Rhythmen wie in "If feel love" von Donna Summer ausspuckten noch Kunst wie "richtige, handgemachte" Musik seien. Oder, um es mit Chat GPT zu formulieren: fehlten den Computerfreaks handwerkliche Fähigkeiten?
Als der Hip Hop mit Sampling und dem Recyclen von existenten Sound zu arbeiten begann, zeigte sich, wie tief in die Debatte rund um Authentizität und Künstlersubjekte die Marktgesetze eingedrungen waren.
In den USA existiert an "Schöpfer" gebundenes Urheberrecht sowieso nicht. Die Rechte liegen bei den Companies, nicht den Musiker*innen. Warhol, der auch kommerzielle Prozesse selbst zur Kunst erklärte - eine ausverkaufte Ausstellung galt ihm auch als Performance - nahm das einfach ernst und agierte wie ein Unternehmen. Diese halten in New York oder L.A. nicht nur - wie hierzulande - lediglich die Verwertungsrechte, sondern das gesamte Urheberrecht.
Eben das greift den Hip Hop mittels Rechtsprechungen rund um Samples an - dass sich an "Konzerneigentum" vergriffen würde.
TOOLS UND APPS FÜR ALLE!
So dringt der Kapitalismus durch ein System der Eigentumsrechte - an einem Audi hält ja auch kein Facharbeiter Urheberrechte - immer schon tief in die Künste ein. Warhol explizierte das lediglich, wenn er Dollarnoten mit Siebdruck auf Leinwände bannte. Seine Konzepte haben sich in Social Media sozusagen durchgesetzt.
Es sind so kreative Möglichkeiten mit vielen Tools und Apps, die analog zu "Malen nach Zahlen" funktionieren, entstanden. Mit Hilfe von Stock Footage (Si apre in una nuova finestra), also frei verfügbaren oder zu erwerbenden Bildern zu New York, dem Gefühl der Angst oder Queer Pride bei diversen Anbietern. In einem Filmchen habe ich das Prinzip von Ready Made auf Stock-Footage übertragen (Si apre in una nuova finestra). Mit Filmora erschien nun ein neues Programm auf dem Markt (Si apre in una nuova finestra), das bereits übliche Praxen des Umgangs mit diesem Material automatisiert. Gibt man einen - ggf. von Chat GPT verfassten - Text ein, so sammelt es aus einem Stock-Footage-Archiv passende Bilder dazu zusammen und generiert automatisch einen Film. Zu "Computer" sucht es dann eben stylishe Menschen in schicken Appartements, die etwas in Tasten tippen und dabei attraktiv lächeln. Ich bastel gerade selber viele Filmchen für Social Media aus Stock-Footage (Si apre in una nuova finestra), weil ich über kein eigenes Kameraequipment verfüge und mir dafür die finanziellen Ressource fehlen, selbst drehen zu gehen (Mitgliedschaften hier können das ändern) - es gibt massenhaft frei verfügbares Material, das super aussieht und auch ästhetisch avanciertere Zugänge ermöglicht, als, wie Filmora das macht, nun Bilder an einem Text aufzuhängen wie an einer Wäscheleine. Solche, die etwas illustrieren, statt, wie im Journalismus üblich, zu belegen.
DIE FEHLENDE URTEILSKRAFT VON KÜNSTLICHER INTELLIGENZ
Hier entsteht ein Folgeproblem, das vermutlich im Print arbeitende Journalist*innenkollegen stärker zu spüren bekommen. Chat GPT und Co sind sehr leistungsstark, nicht doof - neulich spuckte das Programm mir einen Text zu Jazz und Kant aus, der wirklich gut war. Wie auch der Zugriff auf Stock-Footage bündelt die KI jedoch nur schon Bekanntes, Etabliertes, reproduziert nur. Suche mir doch bitte basierend auf Google- und Youtube-Trends die populärsten Stichworte und Topoi zu Ready Mades zusammen. Das Prinzip ist gar nicht so viel anders als bei "Malen nach Zahlen", die Algorithmen sind komplexer, aber es werden vorgesehene und vorgedachte Felder ausgemalt.
Was auf der Strecke bleibt, das ist Urteilskraft nach Immanuel Kant und Hannah Arendt. Chat GPT reproduziert einen Durchschnitt - sozusagen textliches Stock-Footage - und arrangiert ihn am Leitfaden von Üblichkeiten. Das Programm sortiert, was gut ist, Extremistisches und Abseitiges aus und gruppiert korrekt um den Scheitelpunkt der Normalverteilung herum.
Es schleift Ecken und Kanten ab und kann dabei durchaus Lustiges hervor bringen - als ich es fütterte, mir einen Songtext basierend auf der Kulturkritik Adornos und Horkheimers vorzuschlagen, spuckte das System binnen kurzem den Smash-Hit "Echoes of Dialectics" aus. Fast schon wieder gut, nur eben auch deutlich, dass so ein Programm natürlich über keinerlei Urteilskraft verfügt, wieso aus dem Wissen rund um die Philosophie Adornos heraus nicht nur meine Fragestellung, sondern auch das Ergebnis absurd ist. Zumindest, wenn man halbwegs verstanden hat, was Adorno mit "Negativer Dialektik" meinte.
Es saugt auf, was es in eh schon existierenden Quellen im Netz findet, kann aber weder lesen noch verstehen, kann nicht Allgemeines mit Besonderem vermitteln oder die Unmöglichkeit dieser Vermittlung begreifen und wirft auch Mehrdeutiges, Differenziertes aus seinen Ergebnissen hinaus. Das ist dem Programm auch nicht vorzuwerfen. Es folgt dabei Mechanismen auf, die sowieso überall wirken - das "Gerede des Man" nannte dies Heidegger. Die Foucaultsche Diskursanalyse funktioniert, was die Aufbereitung von Archivtexten betrifft, auf den ersten Blick ähnlich. Nur dass dieser in der Lage war, eine kritische Perspektive dazu zu entwickeln. Es produziert zudem eine Second-Hand-Welt. Es erfolgt keine Primärrecherche. Das kann auch bei Reportagen über Neonazis in Thüringen so geschehen, dass Präfiguriertes und Klischees sich vor die Wahrnehmung schieben oder Briefings von Redaktionsleitern, was denn entstehen sollte, während man sich den Besorgten unter den potenziellen Leser*innen und Zusehenden widmet und dabei nicht weiter nachfragt, hinschaut, reflektiert.
Gut ist das nicht.
SOZIALE WELTEN ALS REFERENZ, II
Warhol erhob in seinem "Do it yourself" keinen Anspruch darauf, das dargestellte Sujet, eine Landschaft mit Haus links im Bild, abzubilden, zu erfassen, zu beschreiben, zu interpretieren. Er machte sich eher darüber lustig, dass Kulturindustrie und Massengeschmack das in der Regel eh unterlassen oder nur hinsichtlich Vermarktbarkeit interpretieren. Diese Diffferenz verschwindet allmählich jedoch auch aus in politischen Öffentlichkeiten.
In der Musik, im Sampling, im Hip Hop, in House-Music wirkte das in deren gelingenden Produktionen sowieso anders: die ausgewählten Sounds und Samples verwiesen auf lebensweltliche Denotationen im außersprachlichen Bereich, bei Slogans und Martin Luther Kings.Reden auch innersprachlich, und nutzten diese Second-Hand-Wirklichkeiten selbst interpretierend als Rekurs auf die soziale Welt, in der sie leben müssen, brachten ihre Erfahrungen mit deren Hilfe in eine neue Form. Die billigen Bass-Sequenzer, in denen Chicago- und Acid House entstanden, verweisen auf eine Lebenssituation außerhalb der Musikindustrie, ein "Do it yourself" in den keineswegs gehobenen Wohnquartieren. Ich habe in Dokumentationsreihen viel mit Archivmaterial gearbeitet, also "Bilder gesampelt", und wir haben uns zumindest immer bemüht, es so einzusetzen, dass da, wo sie gegeben war, die lebensweltliche Verankerung auch spürbar blieb. Wir versuchten, die Entstehungsbedingungen des jeweiligen Materials in der Gestaltung zu reflektieren, so dass im Arrangement auf der Timeline eine eigene Musikalität entstand. Wie in einem DJ-Set.
Ich bin mir nicht sicher, ob bis in die Restbestände etablierter Medien-, auch TV-Kritik diese Fragestellungen den Akteur*innen wirklich klar sind. Es wird über KI berichtet, aber zumeist noch am Leitfaden des "authentischen Bildes", des "Beweises" wie ich des Inhalts. Ästhetische Formen erscheinen mir ungenügend reflektiert.
Ich glaube nicht, dass es noch viele Bilder gibt, die nicht zumindest einmal durch den Instagram-Filter zum Aufhübschen gejagt wurden. Die Frage müsste doch eher sein, welche Ästhetisierungen die derzeit angemessenen sind.
Es wird - zurecht - viel über Fake News und Desinformation geredet, in manchen Bereichen der Medienwissenschaft auch, wie Meme gebaut sind und wie sie wirken als aktuelle Ready-Made-Bearbeitungen. Das ist gut. Ich bin mir nicht sicher, ob das in all den Printmedien, die immer noch zumindest zentral für progressive Politiken sind, ausreichend vorgedrungen ist als Fragestellung. Im TV wird eh zumeist nur das gemacht, was nicht unangenehm auffällt oder halt “gut aussieht”. Selten werden die Formen auch reflektiert.Ansonsten wird zu viel noch rund ums Buch diskutiert, während neue Generationen in Teilen durch TikTok sozialisiert sind.
Ich spiele da aktuell auch nur rum. Aber ich glaube, es wäre gut, wenn mehr Menschen mit Urteilskraft es versuchen würden.
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