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Psst, wir sind da was ganz Großem auf der Spur. Es geht um Staaten, die das Wetter manipulieren wollen. Finanziert von Milliardären. Müssen wir noch mehr sagen??!

Keine Sorge, Manuel und ich sind nicht an die falschen Telegram-Gruppen geraten. In dem Text, den Du gleich liest, geht es nicht um Chemtrails, sondern um Solar Geoengineering. Und das ist (leider) völlig real.

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#52 #Solar Geoengineering #IPCC #Recherche

Das Heroin unter den Klima-Technologien

Wolken-Doping und Schwefel-Spritzen: Solar Geoengineering verspricht eine schnelle und günstige Klimalösung zu sein. Dabei würden uns die Technologien vor allem eins machen – abhängig.~ 9 Minuten Lesezeit

Die Menschheit ist so wunderbar erfinderisch. Egal, wie groß die Herausforderungen sind, mit Ingenieurskunst und Pioniergeist schaffen wir es immer wieder, selbst die größten Krisen zu meistern. Irgendeine Erfindung wird uns schon retten. Wär doch gelacht, wenn es beim Klima anders sein sollte.

Aber was würde eigentlich passieren, wenn wir diesen Technologieoptimismus wirklich mal zu Ende denken? Was hieße es, wenn wir tatsächlich offen wären, gegenüber allen technischen Ansätzen, die uns im destabilisierten Klima der kommenden Jahrzehnte Linderung versprechen? 

CCS ist erst der Anfang

Einen Einblick gaben die Debatten der UN-Vertreter*innen kurz vor Veröffentlichung des aktuellen IPCC-Reports. Staaten wie China, Saudi Arabien, Neuseeland und die Niederlande setzten sich vehement dafür ein, dass CCS-Technologien, mit denen CO₂ aus der Luft gefiltert werden kann, besonders viel Aufmerksamkeit in der Zusammenfassung des Berichts bekommen. Was diese Länder dagegen nicht drin haben wollten: dass diese Technologien allesamt riskant, nicht marktreif und extrem teuer sind.

https://twitter.com/treibhauspost/status/1638967244842745856 (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Das zeigt: Regierungen tun schon heute viel dafür, Schaumschläger-Technologien (du wirst gleich sehen, warum der Begriff ziemlich passend ist) als Lösungen zu präsentieren, um ihre Klimaziele nicht einhalten zu müssen. 

Dabei sind gigantische CO₂-Staubsauger erst der Anfang. In der Pipeline sind bereits Ansätze, die noch viel dystopischer sind. 

Einfach mal die Sonne verdunkeln

Statt Emissionen einzusparen, könnte man doch auch einfach den anderen Übeltäter der Erderhitzung zügeln – die Sonne. Ist ja eigentlich auch total logisch: Weniger Strahlung heißt, die Erde wird kälter. Wäre doch gelacht, wenn wir es als Menschheit nicht hinkriegen, die Sonne zu beherrschen.

Klingt nach einem Sci-Fi-Blockbuster, der morgen um 20:15 Uhr auf Kabel Eins läuft. Solar Geoengineering ist aber mittlerweile ein ernstzunehmender Technologie-Ansatz. Allein der dritte Teil des IPCC-Berichts zu Ursachen und Lösungen kommt auf 144 Suchtreffer.

💌 Ausgabe #25: Unsere Zusammenfassung des IPCC-Berichts (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Unter dem dort benutzten Fachbegriff Solar Radiation Modification sind vier Methoden zusammengefasst, mit denen die Sonneneinstrahlung abgeschwächt werden kann.

1. Schwefel-Sonnencreme für die Stratosphäre

Vielleicht hast Du schonmal vom Verteilen von Aerosolen in der Stratosphäre gehört (der IPCC-Fachbegriff: Stratospheric Aerosol Interventions). Die Idee dahinter: Aerosole, häufig ist von Schwefelpartikeln die Rede, werden mit speziellen Flugzeugen oder Ballons 15 bis 50 Kilometer über der Erdoberfläche in die Stratosphäre gepustet und verbinden sich dort mit Wassermolekülen. Das führt dazu, dass mehr Sonnenstrahlen zurück ins All reflektiert werden. Ein bisschen wie eine planetare Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 1,5.

2. Wolken-Doping über dem Meer

Auf Wolke Sieben der Technologie-Träume: Das Marine Cloud Brightening hat das Aufhellen von Wolken über dem Meer zum Ziel. Dafür bekommen diese eine Art Doping-Kur mit Salzwasser gespritzt. An den Salzpartikeln sammeln sich Wassermoleküle, die Wolke wird heller und reflektiert Sonnenlicht stärker als sonst.

3. Whirlpool-Flair im Ozean

Apropos reflektieren: Warum nicht mit Ocean Albedo Change einfach auch den Albedo-Effekt, also die Rückstrahlfähigkeit der Erdoberfläche erhöhen? Auf dem Meer könnte zum Beispiel künstlicher Schaum ausgebracht werden, der das Sonnenlicht stärker reflektiert als das dunkle Wasser (so viel zum Thema Schaumschläger-Technologien). 

4. Weiße Städte, Gletscher-Decken und Glitzer-Mais

Auf der Landoberfläche gibt es dafür auch mehrere Möglichkeiten (der IPCC spricht von Ground-based Albedo Modifications). Die harmloseste und tatsächlich fürs lokale Klima recht sinnvolle Option, ist Dächer und Oberflächen in Städten weiß anzumalen. In New York City wurden durch das CoolRoofs Programm (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) schon über eine Million Quadratmeter Dachfläche weiß gestrichen, damit die Stadt in den Sommermonaten nicht komplett schmilzt. 

Dystopischer wird es bei anderen Albedo-Push-Ansätzen: Diese reichen von riesigen Kühldecken über Gletscher, über gesteigerte Reflektion von Wüsten bis hin zu Genmanipulation von Getreidesorten, damit die Blätter der Pflanzen mehr Licht reflektieren als natürlich. 

Hey – nichts gegen glitzernde Maisfelder. Das wird bestimmt schön.

📊 Für die Nerds unter Euch: die Tabelle zu Solar Radiation Modification (SRM) aus dem IPCC-Bericht (working group III) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Klima-Doping mit Nebenwirkungen

Es wird Dich wohl kaum wundern, aber all diese technologischen Ansätze stecken voller potenzieller Risiken. Das hier sind nur einige aus dem IPCC-Bericht: Niederschlagsmuster könnten sich massiv ändern, der Monsun in Westafrika oder Südindien könnte ausbleiben, die Photosynthese von Pflanzen wäre eingeschränkt, Meersalz würde sich an Land ablagern und Schwefelpartikel könnten sauren Regen erzeugen.

Und was passiert eigentlich mit der Solarstromproduktion, wenn der Himmel auf einmal nicht mehr klar ist, sondern milchig weiß? Ganz abgesehen davon würde die Übersäuerung der Meere trotz Aerosol-Doping weiter fortschreiten – die Menge an CO₂ sinkt dadurch schließlich nicht.

Die IPCC-Autor*innen betonen, dass die Folgen von Solar Geoengineering für Mensch und Natur noch kaum erforscht sind. 

💌 Ausgabe #12: Geoengineering – wie wir den Planeten manipulieren (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Die größte Falle von allen jedoch: Wir werden abhängig. Vor allem von den ersten drei Methoden, bei denen Aerosole im Spiel sind. Wenn wir einmal mit dem Spritzen von Schwefel und Salzwasser anfangen, kommen wir von der Nadel erstmal nicht mehr los. Warum? Weil die Partikel sehr kurzlebig sind. Schwefel-Aerosole zum Beispiel halten in der Stratosphäre nur ein halbes bis drei Jahre, während CO₂ mitunter eine Verweildauer von mehreren hundert Jahren hat. Das heißt, immer wieder die Spritze ansetzen und neues Zeug hinterherjagen. 

Würden wir Jahre später auf Entzug gehen, hätte das katastrophale Konsequenzen. Durch die wegfallenden Aerosole würde sich die Erde innerhalb kürzester Zeit drastisch erhitzen. Wie eine Gefriertruhe, die man aussteckt. Menschen, Tiere und Pflanzen hätten keine Zeit sich an die Umbrüche anzupassen. 

Cooling Credits für 9,95 Euro

Und genau an diesem Punkt wird es so richtig spannend. Was würde eigentlich passieren, wenn ein Staat im Alleingang anfängt, der Stratosphäre Schwefel zu spritzen? Oder wenn die USA, Deutschland und Frankreich sich ein bisschen Schwefel-Sonnencreme gönnen, wenn die Sommer unerträglich heiß werden und dadurch zusätzliche Dürren und Hungersnöte im Globalen Süden bewirken? 

Oder was, wenn ein einzelner Milliardär Lust bekommt, einmal so richtig Gott zu spielen? Ich finde die Vorstellung nicht so abwegig, dass Elon Musk in seinem nächsten Anflug von Größenwahn seinen Dogecoin-Bestand absetzt und das freigewordene Geld in Schwefel-Aerosole investiert, um die Erde von der quälenden Sonne zu erlösen – Hashtag #SolarFreedom.

Es geht schon los. In San Francisco bietet das erste Start-Up „Cooling Credits“ an. Für schlappe 9,95 Euro kannst Du pro Cooling Credit eine Tonne CO₂ für ein Jahr außer Gefecht setzen. Klingt das nicht verlockend? Make Sunsets (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) verspricht, mithilfe von Ballons eine Ladung Aerosole für Dich in der Stratosphäre zu parken. 

Das Start-Up hat allerdings nicht mal eine Million Dollar Funding und die Website sieht auch eher so aus, als hätten die beiden Gründer beim Grafik-Briefing das LSD-Microdosing etwas übertrieben. Dennoch: Es ist ein Vorgeschmack auf das, was passieren könnte, wenn aus Klima-Doping ein Geschäftsmodell wird. 

Die Millionen hinter der Forschung

Schon deutlich ernstzunehmender kommt das Solar-Geoengineering-Forschungsprogramm der Harvard University daher. Im Sommer 2021 wollten die daran beteiligten Wissenschaftler*innen einen Testballon mit Aerosolen im schwedischen Kiruna steigen lassen. Das Ganze ist jedoch geplatzt (also der Plan, nicht der Ballon) – aufgrund massiver Proteste der lokalen Bevölkerung. 

Interessant wird es, wenn man einen Blick auf die Sponsoren des Forschungsprojekts wirft. 16,2 Millionen Dollar sind bisher schon zusammengekommen, unter anderem von Bill Gates und anderen Privatinvestoren (sorry, Privatphilanthropen). Die Heinrich-Böll-Stiftung schreibt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), dass es neben einzelnen Milliardär*innen (mit Blick auf die Namensliste könnte man sich das Gendersternchen hier fast sparen) für die Forschung an Stratospheric Aerosol Intervention noch eine weitere Hauptgeldquelle gibt: die fossile Brennstoffindustrie. Hoppla. 

Das könnte an einem ganz besonderen Vorteil dieser Technologie liegen: Sie verspricht nicht nur einen Quick Fix für die Erderhitzung. Sie ist wohl auch noch ziemlich günstig in der Anwendung (zum Beispiel im Verhältnis zur CCS-Technologie). Schnell und billig die Sonne abdunkeln, statt langfristig CO₂ einsparen – das klingt doch nach einem super Deal für fossile Konzerne.

💌 Ausgabe #50: Carbon Majors – die wahren Klima-Verbrecher (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Alptraum oder letzte Chance?

Wahrscheinlich denkst Du jetzt: Was für ein Alptraum. Hoffentlich wird Solar Geoengineering möglichst bald für immer verboten und die Forschung daran gestoppt – so wie es 60 Akteur*innen im vergangenen Jahr forderten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), darunter der Chef des Umweltbundesamts. 

Deswegen an dieser Stelle noch eine andere Perspektive: Wie Du weißt, kämpft das Great Barrier Reef ums Überleben. Der Rettungsplan der australischen Regierung: Meerwasser soll gefiltert und als winzige Tröpfchen mit Hilfe von Ventilatoren über die ganze Länge des Riffs verteilt werden. 6,5 Prozent der Sonneneinstrahlung sollen so reduziert und damit die Temperatur des Ökosystems heruntergekühlt werden, damit die Korallen nicht sterben.

Hört sich das Ganze für Dich immer noch nach einem Tech-Alptraum an, wenn man das Great Barrier Reef damit retten könnte?

📸: Der Geoengineering-Monitor (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) der Heinrich-Böll-Stiftung. 

Noch ein letztes Gedankenspiel: Du bist das frisch gewählte Staatsoberhaupt eines Landes, das besonders stark von Hitze und Dürren betroffen ist. Sagen wir von Indien. Es ist Anfang der 2030er, die 1,5-Grad-Grenze ist überschritten. Schwefel in die Stratosphäre zu sprühen, verspricht günstige und rasche Abkühlung für Deine Bevölkerung.

Würdest Du sie ihr verwehren? Würdest Du im Zweifelsfall Zehntausende Menschenleben in Kauf nehmen und keine Aerosol-Sonnencreme auftragen? Und was, wenn die Menschen Wind bekommen von der Wundertechnologie in Deinen Händen? Wenn erst in den sozialen Medien und dann auf der Straße Millionen Menschen von Dir fordern: We want clouds! 

Technologieoptimismus zu Ende gedacht

Genau an diesem Punkt sind wir zurück im Kleinklein der Tagespolitik und dem Luftschloss der Technologieoffenheit. Wer sich im Jahr 2023 für Verbrennermotoren ausspricht, ist 2033 für Schwefel-Doping in der Stratosphäre. Ich höre schon den 54 Jahre alten Christian Lindner, wie er sagt: „Ich habe kein Mandat, um mich dem Fortschritt zu verwehren. Wir müssen offen sein für die Technologien der Zukunft. Das Abwehren schädlicher Sonnenstrahlen ist eine davon.“

Dabei ist Technologieoptimisus ein Teufelskreis. Wer sagt, Erfindungen werden uns schon irgendwie retten (und dabei nicht Solar- und Windenergie im Kopf hat), meint eigentlich: „Lasst uns das Problem verschieben.“ 

Aber je weniger CO₂ wir jetzt einsparen, desto wahrscheinlicher wird es, dass Solar Geoengineering zum Einsatz kommt – die Klimafolgen werden schließlich immer extremer. Wer weiß, vielleicht werden wir in zwanzig, dreißig Jahren sogar dankbar sein, dass diese Option überhaupt existiert. Doch wenn das passiert, wird die Technologie wiederum eine wunderbare Ausrede sein für Staaten mit fossilen Systemen, um weiterzumachen wie bisher (siehe die CCS-Debatte). Das bedeutet dann noch mehr CO₂ – und damit eine noch höhere Dosis Aerosol-Doping. 

Zu Ende gedacht heißt Technologieoptimismus in der Klimakrise also nichts anderes als folgendes: Es kann sein, dass wir noch in diesem Jahrhundert das Meer und den Himmel weiß färben müssen. Wie es aussieht, dann erstmal für immer. Inklusive aller ökologischen, gesundheitlichen und geopolitischen Spannungen, die daraus resultieren. Wer heute glaubt, alles nicht so schlimm, die Menschheit ist erfinderisch – viel Spaß beim Schwefel-Spritzen.

Klar ist: Wir müssen uns jetzt über Solar Radiation Modification Gedanken machen. Und zwar auf internationaler Ebene, so bindend wie möglich. Das Abschwächen der Sonneneinstrahlung ist keine Science Fiction, sondern eine in der Entwicklung, teilweise sogar in der Anwendung befindliche Technologie. Es braucht globale Abkommen und das Aufstellen von Richtlinien (2017 auf der Biodiversitäts-Konferenz (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gab es dahingehend schon Fortschritte) – und ja, bitte auch erstmal strikte Verbote.

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Was für ein Thema. Bei der Recherche habe ich mir mehr als einmal gedacht: Worüber reden wir hier eigentlich? Das Ganze klingt nach einer Mischung aus absurdesten Verschwörungstheorien und Matrix Teil IV. Auf der anderen Seite: gut, dass wir drüber reden.

Auch für diese Ausgabe haben wir viel Zeit ins Recherchieren, Schreiben, Redigieren und Layouten gesteckt. Wenn Dir unsere Arbeit gefällt und Du sie unterstützen möchtest, werde Treibhauspost-Mitglied auf Steady (ab 3 Euro). 313 Mitglieder sind schon dabei – wir freuen uns riesig!

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Die Community-Umfrage

Solar Geoengineering ist ein ziemliches Dilemma. Was denkst Du darüber – sollte die Technologie weiter erforscht werden, um die Anwendung und die Risiken besser zu verstehen?

Und hier noch das Ergebnis der letzten Umfrage: Die schwimmenden Riesen-Windräder mit lila-schimmernde Solarfolie außen drum haben es euch wohl am meisten angetan.

Die nächste Treibhauspost bekommst Du am 01. Juli.

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