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Urlaub: Richtig reisen, schön reisen, gar nicht reisen?

Willkommen im Newsletter der Superredaktion – die monatliche Ration konstruktive Perspektiven, positive Botschaften und konkrete Anpackmaterialien für Menschen mit Lust auf Zukunft, heute in der Super-Sommer-Urlaubsausgabe mit Sonne, Strand und schlechtem Gewissen – direkt im Anschluss an eine Handvoll ebenso sommerlicher guter Nachrichten.

Froher werden

Coolest City of the World?

Stuttgart, Wiege der Automobilindustrie, Heimat der Porsches, Hauptquartier der Mercedesse. Weniger bekannt: Die Stadt sitzt dichtbesiedelt in einem windstillen Talkessel, in dem sich Wärme und Smog stauen und ist deshalb im Schnitt drei bis vier Grad wärmer als die Umgebung. Nicht die besten Bedingungen für eine Zukunft, in der sich immer mehr Hitzewellen besonders in Städten sehr unangenehm (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) auswirken werden. Aber: Stuttgart hat einen Stadtklimatologen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Und zwar seit 1938, also bevor irgendjemand geahnt hat, was in Sachen Klima auf uns zukommt. So konnte die Stadt über Jahrzehnte zu einem Vorzeigebeispiel für das werden, was man heute “naturbasierte Lösungen” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) nennt: Gezielt angelegte baumgesäumte Korridore und Wasserläufe leiten nachts kühle Luft aus den umgebenden Hügeln in die Stadt, verringern die Luftverschmutzung und machen das Leben dort schöner und gesünder.

Tier essen ohne Tiere essen

Du isst gerne Fleisch? Gute Nachricht (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre): Du kannst seit Mai schlachtfreies und trotzdem echtes Fleisch kaufen, für das weder Tiere leiden, noch Grundwasser vergiftet wird, noch Millionen Hektar Land in ökologische Wüsten verwandelt werden, noch tonnenweise Treibhausgase in die Atmosphäre entweichen. Mit zwei kleinen Einschränkungen: Es besteht nur zu 3% aus Fleisch, und du bekommst es lediglich bei einem einzigen Fleischer in Singapur. Als Momentaufnahme ist ein eher teures Stück Laborfleisch in einem Supermarktregal auf der anderen Seite der Welt kein großes Ding, aber es braucht nur einen weiteren Datenpunkt, um anschaulich zu machen, wohin diese Produktkategorie auf dem Weg sein könnte: Der erste Hamburger aus kultiviertem Fleisch wurde 2012 unter großem Medienbohei (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) öffentlich gebraten und andächtig verzehrt; seine Herstellung hat 325.000 Dollar gekostet und mehrere Monate gedauert. Heute, 12 Jahre später, sind die Kosten um den Faktor 1000 geringer, und die Herstellungszeit ist auf wenige Wochen zusammengeschrumpft. Noch ein paar Jahre mehr, die richtigen Rahmenbedingungen vorausgesetzt, und Fleisch-Aficionados (und Tiere) in aller Welt können sich über eine veritable Revolution in der Fleischesserei freuen, die noch vor sehr kurzer Zeit nach Science Fiction klang.

Europa erneuerbar

Und weil die weltweite Energiewende einfach gerade der sicherste Garant für gute Nachrichten ist, noch eine Mitteilung aus dem Bereich Strom: Im Jahr 2023 waren dank des Rekordausbaus von Wind- und Solarkraft knapp 45% der Stromerzeugung in ganz Europa erneuerbar (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) - das sind über 12% mehr als im Vorjahr und damit erstmals mehr als aus fossilen Quellen, die bei 32 % landen und damit um fast 20% zurückgegangen sind. Von wegen Geisterfahrer (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).

Das Thema: Urlauben mit Zukunft

Es ist wirklich ärgerlich. Tagein tagaus müssen wir uns mit der Klimakrise herumschlagen, entweder weil wir unsere Gesellschaft umbauen müssen, weil wir nervige Debatten führen oder weil uns schon heute immer öfter die Auswirkungen der bereits stattgefundenen Erwärmung auffallen. Wie sehr hätten wir uns alle Urlaub auch von diesem ganzen Thema verdient? Einfach mal zwei Wochen lang Vokabeln wie Korallensterben, Dunkelflaute und Extremwetter vergessen und die Seele in Gleichgültigkeit baumeln lassen.

Aber nein, auch in unserem wohlverdienten Urlaub nervt die Klimakrise unentwegt rum und liegt uns in den Ohren. Wie kommen wir ans Urlaubsziel? Wie oft und wie klimafreundlich wäscht das Hotel die Bettbezüge? Musste für das Frühstücksbuffet Regenwald gerodet werden? Fragen über Fragen, die den Blick auf die im Meer untergehende Sonne trüben können. Ist der Klimakrise denn gar nichts heilig? Darf ich nicht mal mehr Urlaub machen?

Ja doch, unbedingt. Urlaub ist ja kein Synonym für „Wochenendtrip nach Hawaii“, und so gibt es eine Menge Möglichkeiten, auch ohne schlechtes Gewissen den Sonnenuntergang zu bewundern.

Du kannst nicht nicht emittieren

Aktuell leben wir noch in einem fossil dominierten System, sodass unsere Urlaube wie alles andere ja nun mal auch von fossilen Unvermeidlichkeiten durchzogen sind. Der Urlaub mit 0 Gramm CO2-Emissionen wird in der Praxis ähnlich schwierig wie zu Hause auf dem Balkon bleiben mit 0 Gramm CO2-Emissionen.

Gerade aus deutscher Sicht mit unseren immer noch laufenden Kohlekraftwerken kann ein Aufenthalt im Ausland sogar unsere Emissionen verringern. Ein Saunagang in Schweden (Fossilanteil im Strommix: 5% (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)) oder ein auf 19 Grad runtergekühltes Hotelzimmer in der Schweiz (Fossilanteil im Strommix: 0% (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)) verursachen weniger Emissionen, als wenn ich in meinem Supermarkt in Delmenhorst Gemüse einkaufe.

An- und Abreise ist der größte Posten

Problem ist nur, dass ich dazu erst mal von Delmenhorst nach Göteborg oder Luzern kommen muss und hier liegen dann am Ende auch die meisten Emissionen begraben, bzw. vielmehr schwirren sie ungleich problematischer in der Atmosphäre herum.

So entfallen laut einer 2018 in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichten Untersuchung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) etwa die Hälfte unserer Urlaubsemissionen auf die An- und Abreise, erst dann kommen die kleineren Faktoren wie Konsum (12%), Verpflegung (10%), Unterbringung (6%) und sonstige. Wenig überraschend schneidet ein Reisekilometer per Flugzeug deutlich schlechter ab als einer, der mit Bus, Zug oder Fahrrad zurückgelegt wurde.

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Unpraktischerweise sind viele beliebte Reisedestinationen nur schwer mit dem Zug oder Fahrrad erreichbar, weil Gebirgsketten oder sperrige Ozeane im Weg sind.

Nicht alternativlos

Solltet ihr nun Panik bekommen beim Gedanken, den Rest eures Lebens Urlaub in der Lüneburger Heide machen zu müssen, hier drei Anmerkungen:

  • Europa ist groß. Vielleicht nicht verglichen mit anderen Kontinenten, aber gemessen an unseren zeitlichen Möglichkeiten dürfte es kaum möglich sein, die 4 Millionen Quadratkilometer der EU innerhalb eines Menschenlebens angemessen mit Aufmerksamkeit zu würdigen. Mit dem Zug kommt ihr von Lissabon bis Stockholm oder sogar von Edinburgh bis Rom, weil ein paar vorausschauende Leute uns einen Tunnel zwischen Großbritannien und Frankreich spendiert haben. Zugegeben: Das dauert länger als ein Flug. Mitunter viel länger. Müsste es aber nicht, denn mit dem Hochgeschwindigkeitszug lege ich auch die Strecke zwischen Peking und Shenzhen in nur 8 Stunden zurück (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) (mit 2.400 km eine ziemlich ähnliche Distanz wie Edinburgh-Rom). Aber nur mit dem Bullet Train, der normale Zug fährt die Strecke über Nacht in 22 Stunden. Aber hey, abends um 20 Uhr in Edinburgh einsteigen und am nächsten Tag um 18 Uhr in Rom aussteigen, das hätte auch was (ja, ich weiß auch, dass euch das bei eurer jetzigen Urlaubsplanung für 2024 so gar nichts bringt).

  • Nicht Fliegen muss kein lebenslanges Dogma bleiben. Die Idee ist ja vielmehr, unsere fossilen Systeme abzuschaffen und durch saubere zu ersetzen, sodass wir irgendwann auch wieder ohne schlechtes Gewissen fliegen können (wenn auch, so ehrlich muss man sein, sicherlich nicht im selben Umfang und mit derselben Beiläufigkeit wie heute). Einige wesentliche Akteure haben sich schon auf den Weg in diese Zukunft gemacht: So hat die Klimaschutzorganisation atmosfair (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) begonnen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), (geringe Mengen) klimaneutrales Kerosin zu produzieren und zu verkaufen, und der chinesische Batteriehersteller CATL arbeitet (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) an (kleinen) elektrisch betriebenen Flugzeugen mit Reichweiten von bis zu 3000 Kilometern, die schon 2028 marktreif werden sollen.

  • Die Lüneburger Heide ist eigentlich echt auch ganz schön.

Selber machen

Wir können dieses Problem also von zwei Seiten lösen: Wir halten jetzt für ein paar Jahre im wahrsten Sinne des Wortes die Füße still und überlegen vor Antreten einer extrem langen Flugreise, ob unser Leben wirklich total sinnlos ist, wenn wir nicht wie schon 20 Millionen andere Menschen vor uns Urlaub auf dieser (bald nicht mehr) idyllischen Südseeinsel machen. Die ärmeren 70 Prozent der Menschheit verbrauchen gerade mal sieben Prozent des Flugbenzins (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) und scheinen darüber bislang nicht den Verstand zu verlieren.

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Sollten wir aber doch nicht ums Fliegen herumkommen – sei das, weil die Südseeinsel zu sehr lockt oder weil eure Schwester in Chile heiratet – dann können wir zumindest versuchen, das Fliegen nicht als DEN für alle erstrebenswerten Wunsch in Szene zu setzen. Fürs Klima (und damit primär für uns Menschen) wäre es gut, wenn wir alle – insbesondere diejenigen unter uns, die öffentlichere Leben führen als andere – auf die nächsten 2,5 Milliarden verwackelten Selfies aus der Flugkabine verzichten würden, die dieser privilegierten Reiseform ja erst das Image scheinbarer Normalität verleihen. So als sei ein Urlaub ohne Flugzeug per se weniger wert. Andersherum liegt es an uns, die nachhaltigeren Reiseformen nicht immer nur zu dissen, selbst wenn der Deutsche-Bahn-Vorstand es wirklich verdient hat. Wenn wir mit dem Zug komfortabler als heutzutage mit dem Zug von Edinburgh nach Rom reisen können wollen, dann können wir dafür durchaus was tun. Nämlich:

  • Wenn wir mit quengelnden Kindern und schweren Koffern am Bahnsteig stehen, weil unser Zug schon mehr Verspätung hat als die ganze Reise überhaupt dauern soll, dann platzieren wir unseren Ärger bei den Verantwortlichen. Das sind nicht die Leute in unserem Twitter-Feed und auch nicht das Zugpersonal, sondern die Menschen, die das Unternehmen leiten und vor allem die Menschen, die im Verkehrsministerium über Budgets entscheiden.

  • Beschwert euch genauso über Verspätungen oder sonstige Unannehmlichkeiten bei den weniger nachhaltigen Reiseformen. Eine Vollsperrung auf der Autobahn oder ein ausgefallener Flug machen nicht so viel mehr Spaß als eine ausgefallene Bahn-Verbindung. Der gastronomische Service bei der Bahn mag nicht allen zusagen, aber die kulinarischen Ausfälle in Autobahnraststätten oder in der Economy Class nach Mallorca hätten auch das Zeug, das ein oder andere Stand-Up-Programm zu füllen.

  • Erzählt weiter, was euch an eurer nachhaltigen Reise richtig gut gefallen hat und teilt eure Erinnerungen. Von der E-Auto-Ladestation, die mit schönem Spielplatz und netter Raststätte ausgestattet war, sodass der Ladevorgang schon lange vorbei war, bevor ihr weiter wolltet. Von der Schönheit des dänischen Städtchens, in das viele Menschen problemlos ganz ohne Flugzeug reisen können. Vom Blick auf österreichische Berge aus dem Fenster des Nachtzugs nach dem Aufwachen - Stichwort “Zugstolz”.

Ein Mann in Vintage-Kleidung steigt aus einem historischen Zug.

Oder halt Fahrradstolz (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Geht auch.

Denn: Nur wenn sich genug Menschen vorstellen können, dass Reiseluxus nicht naturgegeben bedeuten muss, für wenige Tage Urlaub ganze Jahresbudgets an Planetenzerstörung in Kauf zu nehmen, sondern dass man es auch anders schön haben kann, schöner vielleicht sogar, setzen sie sich dafür ein oder wählen entsprechend. Wenn sie sich darüberhinaus nicht nur für komfortable emissionsarme Reisemöglichkeiten einsetzen, sondern auch für effektiven Klimaschutz, der alle Sektoren dekarbonisiert, dann belasten unser aller Urlaubsreisen immer immer weniger das Klima. Und dann ist es (zumindest in Bezug auf Klimaemissionen) irgendwann auch egal, wie oft das Hotel die Bettbezüge wäscht.

In diesem Sinne: Erholt euch schön!

Freunde treffen

Buchcover Klima-Bullshit-Bingo (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)

Wir können ein Lied davon singen: Es ist unglaublich viel hartnäckiger Quatsch unterwegs da draußen, und es ist sehr viel mehr Arbeit, Quatsch zu widerlegen, als Quatsch zu erzählen. Mit seinem neuen Buch nimmt uns Jan Hegenberg einen ordentlichen Batzen dieser Arbeit ab: Gewohnt lustig, gewohnt faktensicher, gut recherchiert und verständlich nimmt er in Klima-Bullshit-Bingo (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) die allgegenwärtigen Scheinargumente und Parolen gegen den Klimaschutz in der Luft auseinander, dass es eine Freude ist. Eine wunderbare Argumentationshilfe für Stammtische und Familienfeste aller Art!

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