💡#71 Weiterentwicklung der “Baugemeinschaft”
Hamburg nimmt bundesweit eine führende Rolle im Bereich der Baugemeinschaften ein. Die erste Wohnungsbaugenossenschaft wurde 1875 gegründet. Seit 1990 werden Baugemeinschaftsprojekte realisiert.
Gemeinschaftliches Wohnen gilt als etablierte Ergänzung zum Wohnungsmarkt und wird aktiv gefördert und professionell unterstützt.
Dennoch bleibt es ein Nischenmodell und hat noch keinen großen Anteil am Wohnungsmarkt erreicht.
Die Hamburger Bürgerschaft hat 2021 den Senat ersucht, Baugemeinschaften ausführlich zu evaluieren. Der Endbericht liegt nun vor und liefert viele wertvolle Erkenntnisse.

Bis Ende 2022 gab es 143 realisierte Baugemeinschaftsprojekte mit insgesamt 3.297 Wohnungen in Hamburg, weitere 55 Projekte mit über 1.400 Wohnungen sind in Bau oder Planung.
Durchschnittlich gibt es 23 Wohnungen pro Baugemeinschaft.
Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) dominieren zunehmend, während genossenschaftliche Formen abnehmen. Kooperationen mit Bestandsgenossenschaften gewinnen an Bedeutung.
Preiswerter und sicherer Wohnraum sowie ein intensiveres Zusammenleben sind die hauptsächlichen Motive. Insbesondere junge Familien sehen Baugemeinschaften als einzige Chance, Eigentum in der Stadt realisieren zu können.
Für das “Gemeinwohl” lassen sich zwei Effekte feststellen:
1. Wohnraumversorgungseffekt:
Beispielgebender Beitrag zur günstigen, bedarfsgerechten
WohnungsversorgungQuantitativ bisher begrenzte Wirkung auf Gesamtmarkt
Gute Integration von Personen mit besonderen Wohnbedürfnissen
2. Gemeinschaftseffekt:
Intensiveres internes Nachbarschaftsleben
Bildung von Teilnachbarschaften innerhalb der Projekte
Gemeinschaftseinrichtungen nicht immer stark genutzt
Nachfolgend einige Zitate aus dem Bericht bzw. aus der Stellungnahme:
“ Die Studie wurde u.a. mit der Erwartung in Auftrag gegeben, dass sich empirisch nachweisen lässt, dass sich Gemeinschaftswohnprojekte mit eigenen Angeboten wie z.B. offenen Gemeinschaftsräumen oder Veranstaltungen an den Stadtteil wenden und/oder die Bewohnerinnen und Bewohner sich in besonderer Weise gemeinwohlorientiert im Stadtteil engagieren und damit die Baugemeinschaft zur Belebung des Quartiers bzw. des Stadtteils beiträgt (Quartierseffekt). Auffällig ist, dass insbesondere der Quartierseffekt nicht die an Baugemeinschaften gestellten Erwartungen für die Unterstützung eines integrativen Wohnumfeldes erfüllt. Hier zeigt die Studie, dass nicht die Baugemeinschaften selbst ins Quartier wirken oder in der Nachbarschaft als aktive Gruppe bekannt sind, sondern eher einzelne Personen aus den Gruppen durch besonderes Engagement im Quartier wirksam werden. Einen Mehrwert für das Quartier leisten Baugemeinschaften also nicht vornehmlich als Gruppe, sondern durch die Aktivitäten einzelner engagierter Nachbarinnen und Nachbarn”.
Gleichzeitig “… führe die Konzeptvergabe bisher zu einer Art Überbietungswettbewerb unter den Baugemeinschaften. Einige der eingereichten Konzeptideen und Gebote seien in der späteren Realisierung aus verschiedenen Gründen häufig nicht durchhaltbar oder nur schwer umsetzbar gewesen. Hier sind z.B. zu hohe Kosten, technische oder organisatorische Probleme und ein über die Zeit nicht ausreichendes Interesse oder Engagement der Gruppe zu nennen. Im Ergebnis führe dies bei den Beteiligten (Baugemeinschaft, Baubetreuung, Freien und Hansestadt Hamburg) zu Unstimmigkeiten, Überforderung, Unzufriedenheit und Konflikten.”
Insgesamt werden Projekte für Baugemeinschaften immer komplexer: Abhängigkeit von komplexen und langwierigen Planungsprozesse, hohe politische und planerische Erwartungen, baufeldübergreifenden baulichen Anlagen und die Beteiligung an der Umsetzung von Mobilitäts und Quartiersmanagementkonzepten. Die Bauherrinnenaufgabe wird anspruchsvoller und umfangreicher.
Damit werden auch ganze Bevölkerungsgruppe ausgeschlossen, die sich die Beteiligung zeitlich, kräftemäßig oder intellektuell nicht leisten können.
Auf Grund der hohen Baukosten und der starken Zinssteigerung (im Zeitraum der Studie) und der aktuellen gesellschaftspolitischen Verunsicherung lastet ein hohes Risiko auf der Baugemeinschaften, die i. d. R. aus Laien bestehen und die mit begrenzten finanziellen Mitteln und Sicherheiten ausgestattet sind.
Viele Banken scheuen mittlerweile Arbeitsaufwand und Risiko. Der Eigenkapitalanteil wird immer höher.
Die Studie gibt Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Förderung von Baugemeinschaften, die als Grundlage für mögliche zukünftige politische Entscheidungen dienen könnten.
Hier einige Denkansätze
Integration flexibler Baukostenaufschläge in die Förderung, um steigende Baukosten aufzufangen
Überlegungen zum kostensparenden Bauen, Synergieeffekte nutzen und besser kooperieren
Gemeinschaftsräume für andere Zielgruppen öffnen
diverse Zielgruppen bewusst einbinden und für Gruppenprozesse empowern
Einführung einer Mietkaufoption zur Erleichterung der Eigenkapitalmobilisierung
Überprüfung des Vergabeverfahrens für Grundstücke, möglicherweise Umstellung von Wettbewerbs- auf Losvergabe mit wenigen Mindestvorgaben
“Gemeinwohl”Definition
Anpassung der Unterstützung für Baugemeinschaften in größeren Entwicklungsgebieten aufgrund des höheren Komplexitätsgrades
Maßnahmen zur Verkürzung von Verfahrensdauern
Fort- und Weiterbildung der Projekteberater:innen
Diese Erkenntnisse aus Hamburg sind sicherlich auch für München, Frankfurt, Leipzig, Aachen, Stuttgart, Berlin u.ä. interessant.
In dem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass das “Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen” erstmals ein Konzeptverfahren zwischen einer Stiftung und einer Projektgruppe auf Mietbasis (Generalmietvertrag) betreut.
https://www.gemeinschaftliches-wohnen.de/konzeptverfahren-ausschreibungen/ (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)Schon das Thema “Neubau” ist herausfordernd und vielfältig. Gleichzeitig dürfen “Bestandsschutz und Umbau” nicht vergessen werden. Zudem sind Stadtentwicklung, Suffizienz und demografischer Wandel (Wohnen plus+) zu bedenken. Alle Ansätze stehen gleichberechtigt nebeneinander.
… vieles ist im Wandel oder auf dem Prüfstand. Das gibt aber auch neue Chancen für kreative Entwicklungen.
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Angelika Majchrzak-Rummel
Rechtsanwältin und Projektberaterin