PBN-News mit Maggie Thatcher und Abtreibungen im Gesundheitsamt
Ist das etwa ein Lichtstreif am Horizont?!
Ihr Lieben.
Wenn ihr Berliner Lokaljournalist:innen fragt, womit sie sich in den vergangenen Tagen beschäftigt haben, dann ist das für viele eine 556-zeilige Excel-Tabelle. Dort steht aufgelistet, an welchen Stellen die Berliner Landeskoalition aus CDU und SPD im kommenden Jahr insgesamt drei Milliarden Euro zu sparen plant.
Wer sich selbst den Spaß gönnen möchte: Die Morgenpost (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) hat die Liste in ihrer ganzen Verwaltungssprechschönheit veröffentlicht (ganz nach unten scrollen, da steht in Zwei-Punkt-Schrift “Daten runterladen”).
Vieles habt ihr sicherlich schon anderswo gelesen: Klimaschutz und Verkehrswende werden eingespart. Radwege? 29-Euro-Ticket? Kultur? Soziale Projekte? Alles nice to have und kürzbar.
Zudem kommt es zu einem heimlichen Rückzug des Staates, indem etwa der Neubau des Deutschen Herzzentrums oder der Kauf von E-Bussen durch die BVG nicht länger vom Land, sondern über Kredite finanziert werden sollen. Außerdem sollen BSR und Wasserbetriebe mehr von ihren Gewinnen ans Land weiterreichen, was am anderen Ende zu höheren Gebühren für uns alle führen könnte.
Nicht angetastet werden hingegen die Themenfelder kostenlose Kita- und Schulhort-Plätze, Parkausweise, Sicherheit sowie die Haushalte der Bezirke. Franziska Giffey nannte das (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) eine „Entscheidung für gute Politik vor Ort“.
Was aber nicht bedeutet, dass Pankow nicht weiterhin seinen privaten Bezirkshaushalt-Sparplan (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) fahren muss und zudem Projekte bei uns auf der Streichliste stehen:
Jahn-Sportpark:
Die zuletzt auf über 300 Millionen Euro explodierten Kosten für Abriss und Neubau sollen idealerweise auf unter 250 Mio. gedrückt werden.
Wie das konkret gehen soll, werde gerade geprüft, heißt es aus der Pressestelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Sie ist aber ganz deutlich: “Der Jahnsportpark kommt. Der Abriss und die Vorbereitungen für die Bauplanungsunterlagen für den Bau des Stadions werden weitergeführt, sobald die rechtlichen und haushalterischen Voraussetzungen vorliegen.”
Gerüchteweise (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) wird das Einsparpotential vor allem bei den neu zu bauenden Angeboten für den Breitensport gesehen.
Jahn-Sportpark: Der Protest stirbt zuletzt.
M4:
Die geplante Verlängerung über den Alex hinaus Richtung Potsdamer Platz wird gestrichen.
Kombibad Pankow:
Der Umbau des Pankower Freibads (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) zu einem Kombibad soll einfacher ausfallen als bislang geplant. Zuletzt war der Neubau wegen stetig steigender Kosten immer wieder rausgezögert worden.
Blankenburger Süden:
Zwischen Blankenburg und Heinersdorf soll weiterhin ein Neubaugebiet mit 6000 neuen Wohnungen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) entstehen, aber zumindest fürs Erste keine neue Schule.
Radwege:
Hier wird, siehe oben, generell gespart, etwa (Grüße gehen raus an unsere Leser:innen in Mitte) beim Umbau von Torstraße, Charlottenstraße und Karl-Liebknecht-Straße.
Mauerpark:
Der für den Park zuständigen Grün Berlin wird ein Zehntel der Zuschüsse gestrichen. Die größten Einsparungen sollen aber auf den Umbau des Spreeparks entfallen.
Und jetzt treten wir einen Schritt zurück und schauen aufs Gesamtwerk.
Zwischen den 556 Excel-Zeilen steht nämlich viel über unsere Stadt und ihren derzeitigen Zustand.
Da sind die 14 Millionen Euro, die “aufgrund von geringerem Bedarf” nicht mehr für den Ausbau von Kita-Plätzen ausgegeben werden müssen. Weil Familien sich Berlin einfach nicht mehr leisten können.
Da ist die ewig lange Streichliste bei allem, was nach Kultur aussieht – also das, was Berlin lange die Sexyness zur Armut verpasste. Die Abkehr von Verkehrswende und Klimaschutz. Die Umstellung von staatlicher auf privatwirtschaftliche Finanzierung, auf die Margaret Thatcher sicher sehr stolz gewesen wäre.
Alles erdacht von einer von Berliner:innen gewählten Regierung.
Deutlicher kann man nicht sagen, dass die Münchenisierung Berlins kurz vor dem Abschluss steht.
Aber, und das finde ich wirklich armselig: Es wird so nicht nur nicht ausgesprochen. Es wird auch nicht konsequent durchgezogen.
Unsere Landesregierung spart lieber bei drei Opernhäusern ein bisschen, als eins zu schließen. Sie setzt keine Schwerpunkte, hat keinen Masterplan, keine anderen Ideen, als überall weniger Geld auszugeben und abzuwarten, wie sich die jeweiligen Institutionen damit durchschlagen.
Manche werden sich arrangieren. Manche werden sterben. Niemand kann sich richtig gut entwickeln.
Außer natürlich, das läuft unabhängig von staatlichen Rahmenbedingungen an der Politik vorbei.
Auch wenn das Klischee anderes vermuten lässt: Es war nicht Klaus Wowereit, der einst das Berghain eröffnete.
Nun können wir sehen und zeigen, ob nur unsere Regierung München ist oder auch unsere Stadt.
And now for something completely different:
Thema der Woche: Abtreibungen im Gesundheitsamt
Worum geht’s?
Die Pankower Grünen möchten, dass in Zukunft in den Räumen des Gesundheitsamts Abtreibungen vorgenommen werden können. Ein entsprechender, von der FDP unterstützter Antrag (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) wird am kommenden Mittwoch in der BVV diskutiert.
“Hintergrund des Antrags ist die andauernde Belagerung durch Abtreibungsgegner*innen vor Praxen, die Abbrüche anbieten”, erklären die Grünen in einer Pressemitteilung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Dieses als Gehsteigbelästigung bekannte Vorgehen soll Frauen wie Ärzt:innen einschüchtern. Die Grünen möchten nun in den eh ab und an für medizinische Behandlungen genutzten Amtsräumen einen Safe-Space für Abtreibungen schaffen.
Warum ist das wichtig?
In Deutschland sind Abtreibungen straffrei, wenn sie vor der 12. Woche und nach einem Beratungsgespräch erfolgen.
Der Antrag der Grünen vermittelt, dass dieses Recht in Pankow akut durch selbsternannte Lebensretter:innen bedroht sei.
Doch jetzt kommt’s: Dem ist nicht so.
Was sagen Statistik und Betroffene?
Die Polizei Berlin hat zwar keine genauen Daten, vor welchen Praxen in Berlin es zu Gehsteigbelästigungen gekommen sei. Anja Dierschke von der Pressestelle spricht aber von “einzelnen Versammlungen, die von unterschiedlichen Vereinen oder Bündnissen durchgeführt wurden”. Eine Regelmäßigkeit sei nicht festzustellen.
Auch der Berliner Landesverband von Pro Familia, wo man sich vor einem geplanten Abbruch beraten lassen kann, weiß nichts von regelmäßigen, als problematisch anzusehenden Belagerungen von gynäkologischen Praxen, weder in Pankow noch im Rest Berlins.
Landesgeschäftsführer David Fiebelkorn D'Almeida e Silva erklärt zudem, es mangele zwar an Anlaufstellen für Menschen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollten. Da sei jedes zusätzliche Angebot prinzipiell eine gute Sache. “Ob man seine Schwangerschaft jedoch in den Räumen einer staatlichen Behörde beenden möchte, ist eine gute Frage.”
Was sagen die Grünen?
Selbst die Grünen haben keinen konkreten Fall in Pankow parat, sondern verweisen auf Gehsteigbelästigungen als generelles Problem, das auch auf Bundesebene thematisiert werde. Ein neues Gesetz erklärte Ende September (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) Protest von Abtreibungsgegnern direkt vor einer Praxis zur Ordnungswidrigkeit.
Julianes Kommentar
Wo soll ich anfangen?
Beim Schock, der mich beim ersten Blick auf diesen Antrag erfasste, weil er vermittelt, Pankow sei wie Texas unter Donald Trump, voller wildgewordener Männer, die “Your Body, My Choice” (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) nicht nur bei X posten, sondern auch im Alltag praktizieren?
Bei der Wut, als ich feststellte, dass hier ein Schreckensszenario an die Wand gemalt wird, das so nicht existiert, aber zumindest mir gleich Angst um meine persönliche Freiheit, Unabhängigkeit – ach, sagen wir doch gleich unsere ganze Demokratie macht?
Bei der Vorstellung, ich wäre in einer Notsituation und müsste für den Schwangerschaftsabbruch, der mich vermutlich als Erinnerung für den Rest meines Lebens begleitete, nicht zu meiner vertrauten Frauenärztin, sondern aufs Amt gehen?
Bei der Erkenntnis, dass hier ein nicht existentes Problem gelöst werden soll, einfach, weil man irgendwo gelesen hat, dass es dieses Problem irgendwo gibt und offensichtlich gerade kein lokales Thema zur Hand war, das wirklich politischer Debatte und Aufmerksamkeit bedarf? (Das Land streicht von seinen 8,7 Mio. Euro Zuschüssen für Beratungsstellen nach dem Schwangerenkonfliktgesetz übrigens 1 Mio, by the way.)
Oder beim Ärger darüber, dass sich damit jetzt die eh schon überlastete Verwaltung befassen muss, die im Zweifelsfall über Jahre diesen Antrag durch diverse Instanzen mit sich schleppen wird? (Kein Scherz. Das Bezirksamt berichtet immer noch regelmäßig über Dinge, die vor zehn Jahren mal beschlossen worden sind und deren Relevanz heute als durchaus fragwürdig angesehen werden kann.)
Hier wird mit sehr gutem Willen wirklich alles falsch gemacht.
Das ist es, was mich am wütendsten macht.
Ihr habt auch eine Meinung? Seht das ganz anders? Schreibt mir gerne an redaktion@prenzlauerberg-nachrichten.de.
Ich veröffentliche auch gerne in der nächsten Ausgabe Leser:innenbriefe.
Machen
21.11., 17 Uhr: Info-Veranstaltung zur Aufwertung der Grünflächen entlang der S-Bahn zwischen Norwegerstraße und S Wollankstraße sowie am Nassen Dreieck (mehr (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)).
23./24.11: Der Supalife-Kiosk in der Raumer feiert 20 Jahre mit großem Get-together bei Salzstangen und Kuchen (mehr (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)).
25.11., 15 Uhr: Glühwein-Anstich beim Lucia-Weihnachtsmarkt (mehr (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)). Einen Überblick über Alternativen gibt der Berliner Weihnachtsmarkt-Finder (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
25.11.: Michael Kumpfmüller liest aus seinem Kafka-Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“, Theater unterm Dach (mehr (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)).
Eine Freundin meinte unlängst zu mir, in diesem Jahr fingen um sie herum alle besonders früh mit Weihnachtsspektakel an, als heimeliger Ausgleich zum Wahnsinn in der Welt gerade.
Parole: Glühwein-Eskapismus.
In diesem Sinne, habt eine schöne Zeit und bis bald,
Juliane von den Prenzlauer Berg Nachrichten